Royal Island (Baa Atoll, Malediven) (GPS: 05°09,727'N; 073°03,121'E)
"Jeder, der über längere Zeit unterwegs ist, wird euch bestätigen, dass nach drei, vier Monaten der erste 'Durchhänger' kommt. Zeitpunkt - und Dauer - sind individuell ganz unterschiedlich, aber das Auftreten so sicher wie das Amen in der Kirche." So hatte ich es bei den Gedanken zu Langzeitreisen vermerkt. Gerade nach der Beendigung einer besonders interessanten Großetappe kann auch mal ein größerer Durchhänger auftreten. "Jetzt gönne ich mir etwas ganz Besonderes!" hatte ich damals als Gegenmittel empfohlen. Und was ich Anderen empfehle, sollte ich mir selbst nicht vorenthalten, oder?
So war die 'Kur' nach Rückkehr von der Südamerika-Etappe schon lange genehmigt. Auch der Zeitpunkt stand fest: den hatten die deutschen Behörden [1] 'ganz zufällig' ins Frühjahr 2019 gelegt. Zeitgleich zum Münchner Fasching, zwei runden Geburtstagen im Freundeskreis und dem endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Ein Schelm, wer Böses dabei vermutet! Grund genug jedenfalls, an die Stippvisite in eisigen Bayern gleich die Kur im tropischen Süden anzuhängen!
So trägt mich ein Flieger der Etihad Airways zu nachtschlafender Zeit über Abu Dhabi nach Malé, der Hauptstadt der Malediven. Bei eisigen und stürmischen zwei Grad klettere ich in den Flieger, beim Aussteigen rauben mir dreißig Grad und 98 Prozent Luftfeuchte den Atem! Größer könnten die Gegensätze kaum sein - gelungener Auftakt zu einem Kontrastprogramm par excellence!
Die Gegensätze zur letzten Etappe durch Marokko sind kaum zu toppen. Aber ist es nicht genau dieser Spannungsbogen, der uns am Ticken hält? Camping in der kargen Wüste versus Fünf-Sterne-Resort auf tropischer Trauminsel? Einsamkeit pur versus Massenabfertigung am Check-In? Bibbertemperaturen versus tropische Hitze?
Eines allerdings haben Marokko und die Malediven gemeinsam: das große 'M' am Anfang des Namens. Und noch etwas: ich kann herzlich wenig darüber berichten! Bei Marokko liegt es daran, dass alles Wissenswerte schon beim letzten Besuch gesagt war. Bei den Malediven daran, dass ich von den weit verstreuten Inseln nur zwei besuchen durfte: die Resort-Insel, genannt Royal Island und eine Einheimischen-Insel, genannt Donfanu.
Denn das ist auf den 1190 südwestlich von Sri Lanka gelegenen Eilanden ehernes Gesetz: "Don't mix!" Da gibt es die Ferieninseln, geschätzte fünfzig an der Zahl, auf denen Einheimische allenfalls als Service-Personal zugelassen sind. [2] Auf den Inseln der Einheimischen hingegen sind Touristen - bis auf wenige Ausnahmen - kaum zu finden. Insgesamt sind nur 220 der Inseln überhaupt besiedelt, die sich über 823 Kilometer von Nord nach Süd erstrecken.
Das Faszinierendste an der Inselkette ('Malediven' heißt übersetzt genau das: 'Inselkette') ist vermutlich ihre 'Landschaft'. Respektive ihre Platzierung inmitten des tropisch warmen Indischen Ozeans. Im Gegensatz zu Hawaii oder den Galapagos-Inseln im Pazifik sind sie nicht vulkanischen Ursprungs, sondern durch Ansammlungen sogenannter Steinkorallen entstanden, die auf einem unterseeischen Rücken nahe der Oberfläche wuchsen und beim langsamen Anstieg des Meeresspiegels nach den großen Eiszeiten gewaltige, meist ovale oder kreisförmige Riffe aufbauen konnten, die sogenannten Atolle. Deren höchste Erhebungen bilden heute diese prachtvollen Inseln mit den schneeweißen Sandstränden, sprich abgestorbenen, kleingemahlenen Korallen.
Dies ist auch der Grund, warum die Inseln zu den am meisten gefährdeten Regionen der Welt gehören, sollte der Meeresspiegel infolge der Klimaerwärmung weiter ansteigen. Derzeit liegen die bewohnten Eilande im Schnitt nur einen Meter oberhalb des Meeresspiegels, die höchste Erhebung (auf Willingili im Addu-Atoll) bringt es auch nur auf 2,4m. Tausende 'Inseln' sind nichts weiter als Sandbänke, ein paar Zentimeter über der Wasserlinie. Solch ein 'Flachland' ist schnell überschwemmt! Es wird kolportiert, dass die Regierung bereits Land in Australien und anderswo aufkauft, um im Fall des Falles die Bevölkerung dorthin umsiedeln zu können.
Die größte Ansiedlung der Inselgruppe bildet die Hauptstadt Malé, zugleich die am dichtesten besiedelte Region der ganzen Welt: 104-tausend Menschen drängen sich auf 2,7 Quadratkilometern, Hochhäuser allenthalben, keine Spur von tropischem Eiland! Flughafen, Kraftwerk und Müllentsorgung werden auf separaten, künstlich aufgeschütteten Inseln errichtet, da sonst der Platz nicht reicht! Dagegen soll Singapore eine weitläufige, grüne Gartenanlage sein!
Wie gut, dass meine Urlaubsinsel ein gutes Stück entfernt liegt! Also nach dem langen Flug durch die Nacht ein weiteres Mal einchecken, diesmal auf dem National Airport, Gepäck aufgeben und im Wartesaal Platz nehmen bis die Turboprop-Maschine endlich abhebt und zwanzig Minuten später auf einer weiteren Insel landet. Umsteigen auf das hoteleigene 'Speed-Boat' und bis kurz vor Sonnenuntergang durch das türkisblaue Wasser pflügen. Dann endlich "Maruhabaa auf Royal Island". Eine Kokosnuss als Begrüßungsdrink, freundliche, braune Gesichter überall, eine junge Dame geleitet mich zu meiner privaten 'Beach Villa', erklärt dies und das. Selbst das Gepäck ist schon da. Unerwartet effizienter Service!
Nach dreißig Stunden im Flieger oder auf Wartebänken kann ich mich endlich ausstrecken. Das Bett ist riesig, das Zimmer eine Suite, die Krönung das Badezimmer mit Dusche und Badewanne unter freiem Himmel. Ist die Lady Grey nicht eben spartanisch eingerichtet, dies hier übertrifft sie doch um Welten. Luxus pur! Anders kann ich es nicht ausdrücken! Am nächsten Morgen öffnet sich ein herrlicher Blick auf 'meinen' tropischen, blendend weißen Sandstrand, gesäumt von Palmen und allerlei tropischem Grün. Fantastisch!
Urlaub! Ausspannen! Relaxen! Das habe ich mir zur Feier des Jahres verdient! Schließlich feiert man nicht alle Tage einen markanten Geburtstag!
Trotzdem will ich mehr von Land und Leuten kennenlernen. Was allerdings gar nicht so einfach ist! Der Besuch einer Einheimischen-Insel ist nur im Rahmen einer geführten Tour möglich, von den fünfhundert Gästen interessieren sich aber nicht 'mal eine Handvoll dafür! Erst am Tag vor der Abreise sollte es doch noch klappen.
Daneben werden jede Menge 'Freizeitaktivitäten' angeboten. Praktisch alle im oder auf dem Wasser. Jetski oder Bananaboat, Wasserski oder Katamaransegeln, Schnorcheln oder Tauchen. Das hätte mich schon interessiert, aber beim Blick auf die Preisliste kühlt mein Interesse schlagartig ab. Der Tauchgang zu 80 US-Dollar, 15 Minuten Jetski zu 90 Dollar, der Katamaran zu 120 Dollar pro halbe Stunde. Bei diesen Preisen hört für mich der Spaß auf, Spaß zu sein! Obendrein werde ich in der Tauchschule abgewiesen, weil ich auf dem medizinischen Fragebogen - leichtfertig und ein wenig unüberlegt - ein lange auskuriertes Asthma angegeben hatte. "Asthma und Tauchen, das geht ja gar nicht!", erklärt mir der Tauchlehrer rigoros und schickt mich kurzerhand nach Hause! Wenigstens ein Probetauchgang? Nein, er lässt nicht mit sich reden! Dass er mir damit den halben Urlaub versaut, ist ihm offenbar ebenso unklar wie egal!
Was bleibt sonst zu tun, was die Urlaubskasse nicht allzu sehr strapaziert? Essen natürlich: die Buffets sind grandios. Zwanzig Gerichte aus allen Weltregionen beim Abendessen, zwölf Sorten Brot, zehn Sorten frisch gepresster Säfte zum Frühstück, dazu vier Sorten Müsli, ein Dutzend Joghurts und an die zwanzig süße Nachspeisen stellen ein weiteres Kontrastprogramm zu eher schlichten Hausmannskost in der Lady Grey dar. Gut, dass ich nur Halbpension gebucht hatte, sonst hättet ihr mich heimzurollen müssen. Aber wirklich, wirklich lecker, ausgesprochen abwechslungsreich und alles frisch zubereitet.
Zwischen den Mahlzeiten ist vorwiegend 'Relaxen' angesagt. Das liegt mir allerdings so gar nicht im Blut! Viel zu schnell sind die mitgebrachten ebooks und Hörbücher durch, von Tablet oder PC will ich bewusst Abstand halten und meine Vorliebe fürs Fernsehen kennt ihr ja. Also: Strandspaziergang. In einer Stunde aber ist die Insel komplett umrundet. Und der Strand, so hübsch er auch ist, schaut überall irgendwie gleich aus.
Bleibt der Sprung ins kühle Nass. Von wegen kühl: 28 Grad Wassertemperatur sind alles andere als erfrischend. Nach zwei Runden durch die türkisblaue Lagune rinnen mir die Schweißtropfen von der Stirn. Also Maske und Schnorchel aufsetzten und den Fischen beim Schwimmen zuschauen.
Die sind tatsächlich so zahlreich und bunt wie im Prospekt. Nach der Vorfreude auf aufregende Tauchgänge
inmitten von Mantas, Haien und Kofferfischen allerdings ist das Schnorchelerlebnis am fünfzig Meter entfernten Hausriff eher bescheiden.
Am Montag werden wir doch noch zu dem ersehnten Ausflug auf die Nachbarinsel Donfanu abgeholt und erfahren ein wenig über die Inseln und ihre Menschen.
"Nur fünf von den zweihundert bewohnten Inseln haben mehr als 3000 Einwohner. Die meisten Inseln haben hingegen nur etwa 500 oder noch weniger Bewohner. Dennoch hat das Land eine sehr hohe Bevölkerungsdichte von 916 Einwohnern pro Quadratkilometer. Ein Viertel der Malediver leben in der Hauptstadt Malé mit durchschnittlich zehn Personen pro Haushalt." erklärt Rhashid, unser einheimischer Führer die statistischen Daten.
Auf jeder kleinen Insel gibt es Kindergärten und Grundschulen, in denen die Kinder ab einem Alter von sechs Jahren Englisch und die Landessprache 'Dhivehi' lernen. Die Hochschulreife können sie allerdings nur in der Hauptstadt Malé erlangen, dort steht auch die einzige Universität. Viele junge Menschen gehen zum Studium ins Ausland und arbeiten nach ihrer Rückkehr vorwiegend im Tourismus-Sektor, der wichtigsten Einnahmequelle des Landes neben dem Fischfang.
An den Grundschulen wird auch Arabisch gelehrt. Wichtig, um den Koran rezitieren zu können. Der Islam nämlich ist Staatsreligion; damit sind die Malediven eines der drei hundertprozentig muslimischen Länder der Erde. Der Präsident ist der oberste Glaubenswächter und das Rechtssystem basiert auf der im Westen so gefürchteten 'Scharia', dem islamischen Gesetzbuch.
Tatsächlich tragen die Frauen, die wir auf den Straßen sehen ausnahmslos den Tschador oder zumindest ein Kopftuch. Dessen ungeachtet haben Frauen großen Einfluss in Gesellschaft und Politik, sitzen in wichtigen Regierungsämtern und früher gab es zahlreiche weibliche Sultane und Herrscherinnen. Für ein strikt moslemisches Land eher ungewöhnlich!
"Wie steht es um die Wirtschaft des Landes? Wovon leben die Menschen hier?" fragen wir unseren Führer.
"Das Land besitzt nur zwei Produkte in ausreichender Menge: Fisch und Kokosnüsse. Der Fischfang ist die Hauptnahrungsquelle der Menschen. Zirka zwanzig Prozent der Männer arbeiten in der Fischerei und der Weiterverarbeitung. Der Tourismus entwickelt sich inzwischen zur Wachstumsbranche Nummer Eins. Nachdem 1972 das erste Urlaubsresort eröffnet wurde, sind Dutzende von Hotelanlagen dazugekommen. Rund die Hälfte davon wird direkt von den Malediven verpachtet [3]. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland, Frankreich, Italien und China." liest er von seinem mitgebrachten Spickzettel ab.
"Und aus Russland!" wirft jemand ein, der alles besser weiß; vermutlich einer von ihnen.
"Die Einnahmen aus dem Tourismus haben es möglich gemacht, das Gesundheitswesen und das Schulsystem weiter auszubauen." liest Rhashid weiter von seinem Merkzettel ab. "Viele Handwerker können sich durch den Verkauf von traditionellen Handwerkserzeugnissen einen besseren Lebensstandard leisten. Zu den traditionellen Industrien gehören u.a. Schiffsbau, Flechthandwerk, Seilerei, Schmiede und andere Handwerksbetriebe. Die wichtigsten Aktivitäten der modernen Industrie umfassen das Eindosen von Fischen, die Kleidermanufaktur, die Herstellung von Kunststoffröhren und Waschpulver sowie die Abfüllung von Mineralwasser."
"Wo bekommen die Menschen denn ihr Wasser her?" fragt wieder jemand dazwischen.
"Das ist hier ganz besonders!" brüstet sich Rhashid. "Wir unterscheiden zwischen Waschwasser und Trinkwasser. Das Wasser zum Duschen und Putzen beziehen wir aus dem Untergrund. Es schmeckt ein wenig salzig, ist aber sonst ok. Als Trinkwasser verwenden wir Regenwasser. Richtig, Regenwasser! Während der Regenzeit [4] sammeln wir es in großen Plastiktonnen, es ist wirklich ausgesprochen sauber! Meerwasserentsalzungsanlagen haben wir auf keiner der kleinen Inseln, da ist so etwas nicht praktikabel." Wie interessant!
"Woher kamen denn die ersten Bewohner?" will wieder jemand wissen.
"Mit großer Wahrscheinlichkeit waren Singhalesen die ersten Siedler auf den südlichen Atollen. Der Dialekt, der dort noch heute gesprochen wird, erinnert stark an Singhalesisch. Gebräuche und buddhistische Funde bei Ausgrabungen weisen darauf hin. Auch im Westen waren die Malediven schon seit den Phöniziern bekannt, die mit ihren Handelsschiffen in den Indischen Ozean vorgestoßen waren. Auch Araber sind auf ihren Handesfahrten nach Ceylon bzw. Sri Lanka häufig auf den trügerischen Riffen gestrandet. Viele von ihnen haben sich hier niedergelassen.
Ab 1558 versuchten die Portugiesen, die Menschen hier zum Christentum zu bekehren, scheiterten aber furios und wurden 1573 von den Inseln vertrieben. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert waren die Inseln ein Sultanat, zeitweise ein Protektorat unter niederländischer, später unter britischer Führung. Die erste demokratische Verfassung gab es bereits 1932; 1965 wurden die Inseln schließlich vollständig unabhängig, kehrten zum Sultanat zurück und wählen seit 1983 einen Präsidenten für jeweils fünf Jahre. Unser erster, Präsident Gayoom wurde sage und schreibe vier Mal wiedergewählt, war also 25 Jahre lang an der Macht. Ein moderner Sultan eben! Aber nun müssen wir zurück!"
Zum Abschluss wird unserer kleinen Besuchergruppe noch ein Dutzend Kokosnüsse kredenzt, deren Saft bei der Hitze herrlich erfrischt. Dann werden wir wieder auf das Boot verfrachtet, das uns in Windeseile zum Resort zurückbringt. Zwei Stunden - so lange dauerte unser Ausflug - sind nicht wirklich ausreichend, um eine so andersartige Kultur wie die der Malediven kennenzulernen. Aber wie heißt der Leitspruch der obersten Tourismusmanager? "Don't mix!" Rhashid, unser Führer scheint sein Bestes zu geben, damit das auch so bleibt. Schade.
Nachdem ich mich in den vergangenen Tagen - nolens, volens - an das Nichtstun gewöhnt hatte, vergehen die Tage wie im Fluge. Bevor ich mich recht versehe, ist der Abend des Abschieds gekommen, an dem traditionell der Tisch des Gastes mit dem Wunsch der Hotelleitung geschmückt wird: 'See you soon!' Dazu ein netter Abschiedsgruß 'meines' Kellners und das obligate Händeschütteln mitsamt Trinkgeldverteilen. "In diesem Leben sehen sie mich hier nicht wieder!" denke ich mir ganz im Stillen, versichere jedem, dass es eine herrliche Zeit war und ich ganz sicher bald wiederkäme. Schließlich können Roomboy und Kellner, Kofferträger und Barmixer wenig dafür, dass ich für einen derartigen Urlaub nicht geschaffen bin. Dass für mich Nichtstun schnell zur Qual wird und ich mich schmerzlich zur Lady Grey zurücksehne.
Die Lady ist nach vier Tagen Rückreise nach Spanien mit einem Zwischenstopp im noch immer bitterkalten Allgäu erreicht. Auch hier wieder Kontrastprogramm pur: dreißig Grad auf den Inseln, zwei Grad beim Zwischenstopp in Bayern, dann wieder 25 Grad in Andalusien. Die Lady steht wohlbehalten auf ihrem Parkplatz in Puerto de Santa Maria, ist im Handumdrehen wieder reisefertig und ich kann mich in vertrauter Umgebung auf die nächste Etappe vorbereiten. Mal sehen, wohin sie uns führt!