Chamonix de Montblanc (Frankreich) (GPS: 45°58,707'N; 006°55,498'W)
Chamonix, der Mont Blanc und das liebliche Val de Montjoie sind traditionell die ersten Stationen jeder Tour gen Westen. Die Enge und den Knorz des deutschen Sprachraums abschütteln, den Horizont öffnen, den Blick weiten und die herrliche Bergnatur genießen: das kann man hier wie sonst nur an wenigen Orten Mitteleuropas.
Und Tagebuch schreiben! Nun jedoch rächt es sich bitterlich, dass ich seit fünf Monaten nicht auch nur ein Jota
notiert habe! Also muss ich die grauen Zellen gehörig anstrengen! Nicht, dass es Viel zu berichten gäbe, aber genug - und interessant genug, um es nicht hinten runterfallen zu lassen! Also: zurück nach Andalusien, wo gerade eben der Frühling ins Land zieht.
Olvera, hundert Kilometer nordöstlich von Cádiz auf einem markanten Felsen der Betischen Kordillere gelegen, ist eine wunderhübsche Stadt. Durch Zufall entdecke ich sie bei der Suche nach einem ruhigen Nachtplatz und bin gleich beim ersten Anblick Feuer und Flamme. Unterhalb des malerischen Städtchens schmiegt sich ein netter Radlweg an den Fels und lädt zu ausgedehnten Exkursionen entlang einer aufgelassenen Eisenbahnroute mit schattigen Tunnels und aussichtsreichen Viadukten.
Knapp vierzig Jahre ist es her, dass ich Granada zum ersten Mal besuchen durfte. Wie die Zeit doch vergeht! Spurlos sind die Jahre weder am Schreiber noch am Mauerwerk der Alhambra vorübergegangen! Dennoch, auch im Jahr 2019 sind die Paläste und Burgen aus der Zeit der Almoraviden die Hauptattraktion der Millionenstadt. Täglich werden Tausende von Touristen durch die verschachtelte und mehrfach umgebaute Anlage geschleust. Kein Wunder, dass weder das Gemäuer noch die Blumen in den weitläufigen Gärten noch taufrisch aussehen!
Der Ansturm der Besucher ist so gewaltig, dass der Zugang zu dem UNESCO-geschützten Bauwerk inzwischen strikt limitiert wurde. Tage im Voraus muss man sich im Internet registrieren und ein Ticket erstehen, um überhaupt eingelassen zu werden. Nur um danach an der Hauptattraktion, dem Palacio Nazaries noch einmal eine geschlagene Stunde anzustehen, um im Schnelldurchgang durch die prächtig verzierten Säle geschoben zu werden.
Wie sehr ich solche Dinge liebe, wisst ihr! So nehme ich die aufziehenden, schwarzen Regenwolken als Entschuldigung und absolviere den gesamten Rundgang in zwei Stunden. Schnell genug, um vor den ersten schweren Schauern in die trockene Lady Grey zu kriechen, die Fahrstiefel überzuziehen und hinter den Bergen Schutz vor dem dräuenden Tiefstdruckgebiet zu suchen, das ich über eine Woche lang nicht mehr abschütteln kann.
Mal ganz ehrlich: Falls ihr Interesse an maurischer Architektur, an anmutigen, schattigen Gärten und
verspielten Rundbögen und Fenstern habt, fahrt lieber ein paar Kilometer weiter, nach Rabat, nach Fez oder gleich nach Marrakech. Dort findet ihr weit mehr davon als in der Alhambra, besser erhalten, authentischer, 'lebendiger' und um einige Groschen billiger. Nur so als Tipp!
Einige Tage und viele Kilometer später klettert die Lady Grey hinauf ins zweitkleinste Land Europas (nach Liechtenstein), das mit den großen Einkaufsregalen! Und den billigen Tankstellen. Die Schlange der französischen Schnäppchenjäger in Sant Juliá de Lória ist mindestens genauso lang wie die der spanischen Einkaufs-Touris. Die Regale sind wohlgefüllt, nicht so akkurat aufgereiht wie in Calama (Bild rechts), aber der Whiskey geht ohnedies im 20-er-Karton über die Ladentheke, der Wein auf 50-Liter-Paletten. Warum soll man das vorher erst in die Regale räumen? Einige Liter steuerreduzierter Diesel sind auch mir Grund genug, an der Zapfsäule Schlange zu stehen! Nicht ganz so günstig wie in Marokko, aber mit 1,062€/l deutlich günstiger als in den Nachbarländern. Ein Königreich für meine 500-Liter-Tanks!
Der Frühling will in den Pyrenäen noch nicht recht Fuß fassen, auf den Pässen ist Neuschnee angesagt. Dabei sehne ich mich so nach wärmeren Temperaturen: seit dem Alhambra-Tief will das Quecksilber einfach nicht über die 15-Grad-Marke klettern! Brrrrrrrrh. Also heißt es wieder einmal: Warten auf besseres Wetter, Warten auf den Frühling! Ganz passabel funktioniert das an der Cote d'Argent, nicht eben tropischer Sandstrand, aber genug Ablenkung, dass die Tage nicht (allzu) lang werden. Brotbacken und Pläneschmieden ist angesagt: die Liste der Dinge, die ich 'im Sommer' angehen will, füllt schon wieder mehrere Seiten!
Schließlich bläst der Wettergott doch zum Aufbruch: Warten kannst du auch im Osten, im Schweizer Jura beispielsweise, respektive seiner französischen Hälfte.
Über die seitenlangen Erledigungen, die ich 'im Sommer' abhaken kann, will ich gar nicht im Detail schreiben. Einiges davon könnt ihr unter 'Ausbau' nachlesen. Glücklicherweise sind es keine großen Reparaturen, aber eben doch viele 'Kleinigkeiten', die gemacht werden wollen!
Ein weiteres Mal steht das Jahr unter dem Motto: Gürtel enger schnallen [1]. Für die Lady Grey ist trotz leerer Taschen Wellness angesagt! Vieles darunter, was ich selber tun kann (um mir die Zeit zu vertreiben). Einiges darunter, wozu ich Profis behelligen muss.
- Unterbodenschutz und Hohlraumkonservierung erneuern (seit der mehr als gründlichen 'Unterbodenwäsche' am Salar de Uyuni (Bolivien) praktisch nicht mehr vorhanden);
- Lack Fahrerhaus aufbereiten (stumpf und unansehnlich; Regen perlt nicht ab); danach Flaggen der bereisten Länder erneuern (Farben ebenfalls verschossen);
- Reifen Vorder- und Hinterachse erneuern (ausgewaschen; mehr dazu hier );
- Tausch der Bordbatterien; wenn möglich Erhöhung der Kapazität, um die Solaranlage besser auszunutzen; AGM- und 6V-Technologie wünschenswert;
- Beschaffung eines neuen Falt-Mountainbikes für lokale Besorgungen und Ausflüge;
- Reifen-Seilwinde und Hi-Lift-Wagenheber erneuern (Rost); Änderung der Aufhängung und besserer Wetterschutz;
- Reparatur einiger elektrischer/elektronischer Gadgets anstatt Neuanschaffung (Ersatzteile nur in Deutschland erhältlich)
- Ausmisten von Dingen, die ich selten/gar nicht benutze (im Sinne von Nachhaltigkeit heißt das, jemanden zu finden, der das Zeug häufiger nutzt)
- usw., usw., usw. (wie gesagt, die Liste umfasste mehrere Seiten, 88 Positionen im EXCEL!)
Neben dem bisschen Arbeit blieb natürlich auch Zeit für Besorgungen, für Zeitvertreib und Ausflüge (s.u.).
Sogar Zeit für eine böse Überraschungen: wir schreiben den 10. Juni. Pfingsten neigt sich dem Ende zu. Nach einem herrlich warmen, wolkenlosen Tag mit tiefblauem Himmel tönt plötzlich die Meldung aus dem Radio: "Der Deutsche Wetterdienst warnt vor Starkregen und Hagelschlag! Betroffen ist der Westen von München! Regen bis fünfzig Liter pro Quadratmeter und Hagelkörner bis zu fünf Zentimeter Durchmesser sind möglich!" Au Backe, da möchte ich nicht drinstehen! Und wo stehe ich? Genau im Zentrum!
Keine zehn Minuten später verfinstern gelbschwarze Wolken den Himmel, Windböen rütteln die Lady Grey und bevor ich mich recht versehe, donnern die ersten Hagelkörner auf die Lady. Klong. Klong! Erst ein Korn, dann noch eines, dann im Sekundentakt, dann im Schnellfeuer. Durch die Glasscheibe sehe ich die tennisballgroßen Projektile, wie sie auf mich zuschießen. Mit ohrenbetäubendem Scheppern an der Scheibe detonieren. Jedes einzelne scheint das Dachfenster zu durchschlagen. Eilig hole ich Eimer und Putzlappen. Jede Sekunde kann das Fenster zu Bruch gehen. Dann steht das gesamte Wohnzimmer unter Wasser! Hätte ich doch nur die kleine Dachluke gelassen - nicht dieses quadratmetergroße Riesenfenster!
So plötzlich, wie er eingesetzt hatte, so plötzlich hört der Hagel wieder auf. Und: das Dachfenster ist heile! Ich kann es kaum glauben, dass die Scheibe nicht entzwei ist. Nicht mal einen Sprung hat sie abbekommen! Ich kann nur von Glück sagen. Das gehört - wie wir wissen - nicht nur zum Reisen, sondern zu jedem Tag des Lebens!
Schwer erleichtert über das Glück mit dem Fenster öffne ich es vorsichtig - und blicke auf eine Kraterlandschaft! Als Stunden später der See abgeflossen ist, der sich regelmäßig auf dem Dach bildet, erkenne ich das ganze Ausmaß: alle zehn- bis zwanzig Zentimeter zeigt die Dachhaut eine Delle, vielleicht einen Millimeter tief - aber klar erkennbar! Bei dünnem Autoblech ist das ja normal - aber bei drei Millimeter dickem Glasfaser-Kunststoff? Da bin ich doch überrascht!
Am nächsten Morgen wird über Millionenschäden berichtet - entstanden keine zwei Kilometer von mir entfernt! Durch das Städtchen Germering zieht sich eine Schneise der Verwüstung: zertrümmerte Hausfassaden, zerdepperte Solaranlagen, geplatzte Dachfenster allerorten! Bei TÜV und DEKRA stehen Autos mit zerbeulten Dächern und Motorhauben Schlange. Meteorologen sprechen von dem schwersten Hagelschlag seit fünfzig Jahren! Toll - und ich mittendrin! Aber die Lady Grey hat sich wirklich hervorragend geschlagen. Tapferes Mädel!
Und wieder darf ich eine Kerbe in mein Holz mit den Wetterkapriolen schnitzen, die mich auf dieser Reise begleiten. Keine Woche später ist die neue Hagelschutzmatte fertig. Mit Gurten wird eine dicke Liegematte aufs Fensterglas gedrückt und soll die Wucht der Einschläge zumindest dämpfen. Ich hoffe, ich werde sie nie brauchen! Ich spekuliere auf die Sache mit dem Regenschirm: hast du einen dabei, regnet es garantiert nicht!
Wie gesagt: neben viel Technik bleibt auch viel Zeit für Ausflüge. Reisen, wenn ihr so wollt, Reisen an der kurzen Leine, Reisen mit enger geschnalltem Gürtel! Doch auch Bayern ist an manchen Orten tatsächlich eine Reise wert! Franken sowieso! Und Thüringen nicht minder! Hübscher Nebeneffekt: ich komme meinem selbstgesetzten Ziel einen winzigen Schritt näher: die Kilometerleistung - und den CO2-Footprint reduzieren. Folglich sind Ausflüge angesagt - zu Fuß oder mit dem Radl, Eintauchen in Deutsche Geschichte - Ost wie West - und Vorbereitung auf das zweite Highlight des Jahres [2]: die Hochzeit meines Patenkinds!
Auch hier möchte ich gar nicht so sehr ins Detail gehen. Viele der sehenswerten Stätten werdet ihr sicher
aus eigener Anschauung kennen! Da lasse ich doch lieber die Bilder sprechen ... Dazu beschert Petrus blauen Himmel und sommerliche Temperaturen, sodass ich nicht einmal darüber klagen kann.
Der Vollständigkeit halber daher nur kurz die 'Reiseroute':
Bad Kissingen (Messe) - Thüringer Wald (Rennsteig) - Eisenach (Wartburg) - Nordhausen (Harz) - Kyffhäuser - Kulmbach.
In der zweiten Hälfte des Sommers steht schließlich der 'Süden' auf dem Reiseplan. Auch hier wieder 'kurze Leine' und 'enger Gürtel'! So komme ich über die bayerischen Alpen nicht hinaus, aber auch die bieten jede Menge Möglichkeiten zum Wandern, das neue Mountainbike einzufahren und die Seele baumeln zu lassen, bevor es Mitte September schon wieder auf 'richtige' Reise geht!
Die Überwinterung im Oman ist geplant - eigentlich. Mit Anreise über die Türkei, den Iran und die UAE. Doch auch im dritten Anlauf will es mir nicht gelingen, den Iran, der seit sage und schreibe 25 Jahren bei den Wunschzielen an oberster Stelle steht, unter die Räder zu nehmen. Unser 'Nicht-Freund' überm großen Teich hält seinen Finger gefährlich nahe am Auslöser, was mich dort unten in ernsthafte Probleme bringen würde [3]. Selbst wenn er 'nur' die Handelssanktionen weiter verschärft. Es ist wirklich zum Kotzen, wie sehr wir Reisende - wir alle - inzwischen von den Launen eines einzigen Idioten abhängig sind! (Entschuldigt bitte die saloppe Ausdrucksweise).
So führt im heraufziehenden Herbst der Weg nicht wie vorgesehen nach Südosten, sondern nach Südwesten. Irgendwo 'im Süden' muss ich den drohenden Winter hinter mich bringen. Bleibt nur wieder Marokko, inzwischen zum dritten Mal! Nicht wirklich meine allererste Wahl, aber recht viel mehr Möglichkeiten bleiben nicht!
Also rolle ich zum X-ten Mal durch die geliebte Schweiz - nicht auf drögen Autobahnen, sondern quer durchs Appenzeller und Berner Oberland, entlang malerischer Seen, durch saftig grüne Weiden voller glockenbehangener Kühe, vorbei an blumengeschmückten Häusern und idyllischen Einsiedlerhöfe.
Ziel ist die Aareschlucht, ein eindrucksvolles, felsiges Nadelöhr von nicht einmal einem Meter Breite, durch das sich die mächtige 'Aare' zwängt. Ein tosendes Spektakel, das man auf abenteuerlichen Stegen ganz hautnah erleben kann.
Von der atemberaubenden Klamm ist es nur noch ein Katzensprung über drei Pässe hinweg ins schmale Tal der französischen L'Arve. Zu Füßen des höchsten Berges Westeuropas schlängelt sich das flinke Flüsslein mitten durch Chamonix. An ihrem felsigen Ufer stehe ich, genieße die warme Herbstsonne und bin heilfroh, in drei Tagen die Ereignisse der letzten sechs Monate erfolgreich zu Datei gebracht zu haben. Ein Hoch auf die grauen Zellen - und ein penibel geführtes Logbuch!