Bayreuth City (GPS: 49°56,066'N; 011°35,558'E)
"Winter in Deutschland? Brrrrrh! Nichts für mich!" Viele Jahre hatte ich mich mit Händen und Füßen gewehrt und viele Kilometer Fahrerei auf mich genommen, um der kalten Jahreszeit zu entkommen. In wärmere, südlichere Gefilde zu fliehen, ganz wie die Zugvögel das tun. Nicht, dass ich etwas gegen den Winter hätte: eine tiefverschneite Landschaft in strahlender Wintersonne hat durchaus seinen Reiz! Von g'führigen Pisten und Schneeschuhwanderungen auf einsamen Almen ganz zu schweigen! Aber mal ehrlich: gibt es so etwas heute noch?
Auch die Hersteller von 'Nasivin'®, 'Antigrippalin'® und 'Tempo'® will ich nicht mehr unterstützen als zwingend notwendig. Und nasskaltes Schmuddelwetter, Eisregen, Graupel, Nebel und rutschigen Straßen sind erst recht nicht mein Ding! Folglich hatte ich stets Reißaus genommen, sobald das Thermometer auch nur in die Nähe einstelliger Pluswerte zu fallen drohte. Meinem Ruf als 'Wüstling' war ich das schließlich schuldig!
Dieses Jahr muss ich mir allerdings etwas Neues einfallen lassen: an Flucht ist nicht zu denken! Marokko, das nächstgelegene Ziel, um dem Winter wirklich zu entrinnen, befindet sich in Corona-Starre und hält seine Grenzen geschlossen. Alle anderen Ziele (Südspanien, Sizilien oder Ägäis) wären allenfalls zweite Wahl, im Grunde nur Notbehelfe und die Infektionszahlen steigen auch dort in astronomische Höhen. Keine Orte, wo man ins Krankenhaus müssen möchte. Besser daheimbleiben!
Nach und nach reift ein ungewöhnlicher Entschluss.
In den letzten Monaten nämlich flackerte immer mal wieder eine Sehnsucht auf. Zunächst nur ganz leise, aber mit der Zeit lauter, hartnäckiger und dringlicher: "Mach Schluss mit dem Reisen! Werde wieder sesshaft!"' Befeuert wird sie nicht zuletzt durch den Virus und die aktuellen Unwägbarkeiten des Reisens. Weltweit, europaweit, ja sogar deutschlandweit: wöchentlich ändert sich die Situation und jedweder Plan - egal, wie wenig ambitioniert er gewesen sein mag - ist morgen nur noch Makulatur. Auch die Geschichte mit der Nachhaltigkeit und den nicht eben geringen Auswirkungen meiner Touren auf die Umwelt geht mir seit dem Malediven-Ausflug nicht mehr aus dem Sinn. Und das, obwohl ich seither den CO2-Ausstoß der Lady Grey zu mehr als hundert Prozent kompensiere (siehe hier ).
Ungefragt schleichen sich immer wieder Fantasien in mein Hirnkastl, wie es denn wäre, ein paar Jahre an einem Ort zu bleiben. Sesshaft zu werden. Gedanken, die mir bislang ausgesprochen fremd waren. Oder die ich erfolgreich verdrängt hatte?! Denen aber irgendeine Faszination anhaften muss, sonst kämen sie nicht so hartnäckig wieder. Warum das Ganze also nicht mal austesten?
Folglich werde ich diesen Winter einen gewagten Versuch starten: Sesshaft werden auf Probe!
Die größte Herausforderung ist zunächst, die Lady Grey winterfest zu machen, sodass ich sie in einem Schuppen nicht weit von hier unterstellen kann: Tanks entleeren, putzen, Wasserleitungen ausblasen und all die netten Dinge, die nötig sind, um ein unbeheiztes, fahrbares Haus heil über den Winter zu bringen. Und die Winter in Oberfranken können kalt werden - falls es mal einen richtigen Winter gibt.
Das zweite ist die Suche nach einem passenden Quartier: nach einer wirklich idyllisch gelegenen Ferienwohnung beim Bauern, bei der ich - ganz nach Einsiedlerart - jede Scheibe Brot und jede Flasche Wein zu Fuß über mehrere Kilometer hätte heranschleppen müssen, entscheide ich mich doch für ein moderneres Domizil im netten und überraschend grünen Bayreuth, wo Bäcker und Vinothek gleich nebenan liegen. Schließlich soll die Sesshaftigkeit nicht daran scheitern, dass ich elendiglich verhungern oder verdursten muss. Da hätte ich gleich in der Sahara bleiben können!
Nach den ersten Tagen der Akklimatisation versuche ich nun meine Tage mit (halbwegs) sinnvoller Tätigkeit zu füllen. Heute war das Tagebuch dran. Bleiben noch 144 Tage!