Drei Annen Hohne (bei Wernigerode; Thüringen) (GPS: 51°46,308'N; 010°44,552'E)
Der Ausflug zum höchsten Berg Mitteldeutschlands gerät zum mentalen Overkill. Lange hatte ich überlegt, überhaupt hochzusteigen. Aber den Harz zu erkunden, ohne auf seinem höchsten Gipfel zu stehen, wäre für einen Bergfex wie mich irgendwie strange gewesen. Also: Rucksack gepackt, Wanderstiefel geschnürt und los. Wohlüberlegt erst am Montag: "Da sollten sich die Menschenmassen im Rahmen halten." Soweit die Theorie.
Die ersten Kilometer darf ich allein dahintappeln - es ist noch früh am Morgen. Der 'Glashüttenweg' von Drei Annen Hohne ist breit, gut ausgeschildert und manchmal führt er sogar etwas bergauf. Nach den ersten Metern durch grünen Wald wandelt sich das Bild, kaum dass ich den Nationalpark betrete: von Säge oder Sturm niedergemachte Bäume liegen kreuz und quer am Wegesrand. Für Insekten, Vögel und andere Kleintiere bilden sie sicher eine prima Kinderstube, hübsch anzusehen sind sie nicht! Dazwischen Millionen kahler Fichten, die dünnen Ästchen ohne eine einzige grüne Nadel in den blauen Himmel gereckt. Tote, leblose Bäume, soweit das Auge reicht! Ein undurchdringliches Gewirr toter, entnadelter, kerzengerader Mikadostäbchen!
Hatten mich in diesem Sommer schon in Brandenburg und der Lausitz große Gebiete voll toten Gehölz stutzig gemacht, derart bedrückend wie hier im Nationalpark war es nirgends gewesen: Quadratkilometer toter Wald. Die breite, flache Kuppe des Brocken ist von Wald bedeckt, der kein Wald mehr ist. Je mehr ich an Höhe gewinne, desto weiter streift der Blick: wohin ich aber auch schaue, nur toter, brauner Wald! Allenfalls durchzogen von schmalen Streifen junger, grüner, lebendiger Bäumchen!
Auf großen Infotafeln weist die Nationalparkverwaltung darauf hin, dass das waldtechnische Chaos, das mich allenthalben anspringt, rein natürlichen Ursprungs sei. Und dass man es der Natur überlässt, alles wieder ins Lot zu bringen. Bis hier allerdings wieder intakter Wald wachsen wird - eine funktionierende Lunge im Herzen Deutschlands - bis dahin werden wohl Jahrhunderte ins Land gehen. Dass die endlosen Monokulturen, die nun sämtlicher Nadeln beraubt vor unseren Augen dahinsterben, seit dem Mittelalter von Menschenhand gepflanzt worden waren, wird nur im Nebensatz erwähnt. Über den Klimawandel, der zu den Dürresommern der letzten Jahre führte und u.a. dem Borkenkäfer ein ideales Schlachtfeld bescherte, schweigt man sich völlig aus! Trotz aller Erklärungsversuche bleibt ein zutiefst beklemmender Eindruck zurück!
Viel bessert sich der Eindruck auch nicht, als der gemächliche Weg auf die Brockenstraße mündet, die den Wanderer auf den letzten fünf Kilometern auf den Gipfel führt: ein breites, schwarzes Teerband, das sich in weitem Bogen auf die Anhöhe schwingt. Natur? Idylle? Romantik? Wandern? Vergiss es! Hatschen! Hatschen auf einem der schrecklichsten 'Bergwege', die mir je unter die Sohlen gekommen sind! Als schließlich der Pfad aus Schierke einmündet, finde ich mich in einer schnaufenden Menschenmasse wieder, die sich über besagte Teerstraße gen Berggipfel schiebt! Dabei ist doch Montag - wie muss es hier erst sonntags zugehen?
Glücklicherweise bietet der Gipfel (1142m) viel Platz. Inzwischen ist nämlich auch der nächste Zug der dampfgetriebenen Brockenbahn eingetroffen, der einige Hundert fußlahme, dafür gut betuchte 'Wanderer' [1] auf den Gipfel spuckt. Mangels Gipfelkreuz posieren die meisten vor einer Blechtafel, die verrät, dass hier heroben an 176 Tagen pro Jahr Schnee liegt, an 306 Tagen Nebel herrscht, und die Durchschnittstemperatur 2,9°C beträgt, im Hintergrund der rot-weiße Funkturm, die Kuppel des Infozentrums und die vergammelte Wellblechfassade des ersten Hotels am Platz (mit 120€ pro Nacht nicht eben ein Knüller). Die anderen Gipfeljausen halten auch keine Schnäppchen bereit (1 Bratwurst = 6€; 0,25l Cola = 4€) und ich bin froh, die eigene Vesper mitgebracht zu haben.
Der Berg ist 'erobert', die Gipfelaussicht hält sich in engen Grenzen und die Platzkarte läuft auch ab. Also zurück ins Tal! Das Ticket für die Bimmelbahn talwärts kostet satte 31 Euro, dafür bekommt man aber tatsächlich eine Fahrkarte in die Hand gedrückt: ein kleines Stückchen Karton nämlich - wie in den 'guten alten Tagen'! Widerwillig erstehe ich das Billet, schaue beim Ankoppeln der betagten Dampflok zu und freue mich auf einen gemütlichen Ausklang der ernüchternden 'Bergtour'.
Doch Fortuna hat noch einen Trumpf im Ärmel: irgendwo an der Bahnstrecke ist Feuer ausgebrochen. Kein Wunder, hat es doch seit Monaten nicht geregnet und eine Kippe ist schnell aus dem Fenster geschnippt! Der Bahnverkehr jedenfalls ist bis auf weiteres eingestellt! Bleibt nur Hatschen 2.0.
Der Rückweg wird noch einen Tick ätzender als der 'Anstieg'. Auf der Teerstraße zwängen sich diejenigen, die nun ins Tal wollen zwischen denjenigen hindurch, die immer noch hinaufwollen: Corona-Abstand? Fehlanzeige! Masken? Sowieso! Die Fußgängerzone am letzten Samstag vor Weihnachten kommt mir in den Sinn: ein Kuddelmuddel sondergleichen. Auf halbem Weg biegt das Gros der Wanderer glücklicherweise wieder ab und das Gehen wird einen Tick entspannter. Dafür hatsche ich ein weiteres Mal durch die nicht mehr vorhandenen Wälder und zwischen den kahlen, nadelbefreiten Mikadostäbchen hindurch, die nicht einladender am Wegesrand stehen als auf dem Hinweg.
Diese Tour wird mir lange in Erinnerung bleiben - wenn auch nicht in guter! Unterm Strich aber ist sie aber auch nur ein weiteres Steinchen im Puzzle dieses vermurksten Jahres 2020.
Das fing schon drunten in Marokko an - ihr erinnert euch - als mich kurz nach Jahreswechsel neugierige Zeitgenossen in der Einsamkeit der Wüste aufgestöbert hatten. Wie eine Vorahnung auf dräuendes Übel hatte ich ihnen "Abstand halten!" zugerufen. Ein Thema, der in den Monaten danach eine gänzlich neue Bedeutung gewinnen sollte. Quasi zum Leitspruch für 2020 wurde. Wir alle wissen warum: Corona lautet das Thema des Jahres.
Weltweiter Unglückstag: Freitag, der dreizehnte [Bavaria] Weltweiter Unglückstag: Freitag, der dreizehnte [2]
LK Ostallgäu (Bayern), 19.April 2020
Freitag, der dreizehnte März macht seinem Namen alle Ehre. Ein rabenschwarzer Tag, auch wenn vom Himmel die Sonne strahlt! Nach diesem Tag ist nichts mehr wie es war! Ein neuartiges Virus namens 'SARS-CoV-2' breitet sich aus - und hebt die Welt aus den Angeln! Nicht nur die der Reisenden, aber ihre ganz besonders! Reisepläne? Makulatur! Zukunft? Ungewiss! Job? Auf der Kippe! Erspartes? Dreißig Prozent Verlust in acht Tagen! Das hat die Welt noch nicht gesehen!
Europa übt sich derweil in Solidarität: jedes Land macht, was es will. Die meisten schließen von heute auf morgen ihre Grenzen. Reisende sind keine willkommenen Gäste, sondern potentielle Virenträger. Neben Italien wird Spanien am heftigsten gebeutelt, die Infektionszentren liegen in Madrid, Barcelona und im Baskenland. Dort, wo die Menschen dicht aufeinander hocken. Nach wenigen Tagen kollabiert das Gesundheitssystem, Pfleger und Krankenschwestern nehmen angeblich Reißaus, die verbliebenen Ärzte sind überfordert. In verlassenen Wohnungen Madrids findet das Militär halbverweste Leichen. Vergleiche zu den Pest- und Cholera-Epidemien des Mittelalters drängen sich auf.
Die Lage in Deutschland scheint eine Nuance besser zu sein, auch wenn allerorten Atemmasken und Schutzkleidung fehlen. Vor allem in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen! Doch jeder stellt sich den Herausforderungen dieser nie erlebten Epidemie. Nach dem Appell der Bundeskanzlerin beenden auch die Letzten ihre Corona-Partys. Distanz ist das Gebot der Stunde! 'Social Distancing' ist in aller Munde!
Abstand halten um jeden Preis! Es scheint die wirksamste Waffe gegen den neuen, unsichtbaren Feind zu sein. Medikamente sind frühestens im Sommer zu erwarten, Impfstoffe vermutlich erst Anfang nächsten Jahres! Und so steigt die Zahl der Infizierten Tag um Tag, obwohl Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben, die meisten Fabriken stillstehen und das gesellschaftliche Leben auf Null reduziert ist. Auch wenn die Einschränkungen schmerzhaft sind und mit unseren Vorstellungen von Freiheit so gar nicht konform gehen mögen, habe ich den Eindruck, dass das deutsche Krisenmanagement die Lage halbwegs im Griff hat. [3]
Ganz anders in Spanien!
Frohgemut war ich am 06.März in Cádiz respektive seiner Schwesterstadt El Puerto de Santa Maria eingerollt. Die Mammutetappe von Ouarzazate über Marrakech steckte mir noch in den Knochen und ich war froh gewesen, auf dem gemütlichen Camp Las Dunas einen Gang zurückschalten und ein paar Arbeiten an der Lady Grey erledigen zu können. 'Corona' war nicht mehr als die Marke eines leckeren Biers aus Mexiko.
Welch unfassbares Glück ich bei dieser Terminwahl hatte, erfahre ich eine Woche später, am besagten Freitag, dem dreizehnten: da werden von heute auf morgen sämtliche Grenzen Marokkos geschlossen - wie in den meisten Ländern Europas - und jeglicher Überlandverkehr wird verboten! Auch für Touristen. Zigtausende sitzen plötzlich in Marokko fest und die Fähre, die die deutsche Bundesregierung organisiert hatte, um Gestrandete heimzuholen, kann nur einen Bruchteil von ihnen aufnehmen; das Gros der Fahrzeugtouristen sitzt noch heute in Marokko fest [Stand 10/2020].
Am 14.März wird auch in Spanien der nationale Notstand ausgerufen, 'Estado Alarma' genannt. Von heute auf morgen geht nichts mehr. Nichts! Nada! Die Supermärkte sind zwar geöffnet, aber die Schlangen davor endlos und viele Regale leer. Familien mit zwei, drei vollbepackten Einkaufswagen verlassen den 'El Paseo', Hamsterkäufe: nicht Toilettenpapier wie in Deutschland, sondern die wirklich wichtigen Dinge des Lebens türmen sich da: Wein, Bier, Nudeln und Kartoffelchips. Die Menschen ahnen offenbar, was ihnen bevorsteht! Das Verlassen der Wohnung ist ab sofort nur noch in wenigen begründeten Ausnahmefällen erlaubt: den Hund Gassi führen (maximal 200 Meter vom Haus entfernt), zum Arzt, zur Apotheke oder in den Supermarkt. Sonst nichts! Die Polizei kontrolliert rigoros. 'Lockdown' heißt das neue Unwort. Die Spanier muss er besonders hart treffen, verbringen sie doch gewöhnlich den Großteil ihrer Freizeit in Parks oder am Strand, um den oft winzigen Wohnungen zu entfliehen, die sich oft ganze Großfamilien teilen. Nun müssen sie drinnen ausharren! Für fast fünf Monate, wie sich herausstellen soll.
Den Campern wird eine viertägige Frist gesetzt, den Platz zu verlassen. Die meisten machen sich fluchtartig auf den Weg Richtung Heimat, einige Hartgesottene bleiben bis zum Schluss. Einen besseren Platz zum Schutz vor Ansteckung kann man sich gar nicht wünschen: die Wohnmobile auf dem halbverwaisten Camp stehen mit Dutzenden Metern Abstand und jeder hat seine eigenen Sanitäranlagen an Bord, ideale Quarantänestationen auf Rädern. Eigentlich! Die Offiziellen wissen das natürlich besser und schließen den Camp rigoros. Am 25.März verlasse ich als vorletzter das sichere Domizil.
Ich will die Pandemie auf jeden Fall hier unten aussitzen! Zumindest das Schlimmste. Völlig sinnbefreit erscheint es mir, den Virus kreuz und quer durch Europa zu schleppen und jedermann davon kosten zu lassen, der einem unterwegs über den Weg läuft! Weit mehr Sinn macht es doch, an Ort und Stelle zu bleiben, sich bestmöglich zu schützen (und damit die anderen) und so wenig Kontakt zu pflegen wie irgend möglich. Nach den Übungen im 'Social Distancing' am Rande der Sahara fällt es mir nicht schwer, den Abstand einzuhalten, den ich vor Wochen in einem völlig anderen Kontext eingefordert hatte. [4]
Zusammen mit einem halben Dutzend Gestrandeter - Spanier, Engländer und einem türkischen Pärchen - richte ich mich auf einem weiträumigen Parkplatz am Meer ein. Das hat zwar viel von 'Urlaubsumgebung': Palmen, weiter Sandstrand und ungetrübter Blick auf die Skyline von Cádiz, Urlaubsfeeling mag sich dennoch nicht einstellen! In den zwei Wochen, die wir dort stehen, fährt ein Dutzend Streifenwagen an uns vorbei - pro Tag wohlbemerkt. Manchmal auch pro Stunde. Weder die 'Guardia Civil', noch die 'Policia Local' noch die 'Policia Nacional' scheint sich für uns zu interessieren. Erste Hoffnung keimt auf, den Notstand wirklich aussitzen zu können. Er kann schließlich nicht ewig dauern!
Drei Tage vor Ostern ist's aus mit Sitzen! Etwas Außergewöhnliches liegt in der Luft, zum wiederholten Mal wird der - völlig menschenleere - Strand gesäubert, die Palmen gestutzt und die Abfallbehälter geleert. Vermutlich kommt ein hohes Tier der Regierung zu Besuch - da wollen sich die Stadtoberen nicht blamieren! Auch unsere winzige Kolonie Gestrandeter muss weichen! Eine Zivilstreife mit ordentlich Lametta auf der Schulter nimmt unsere Personalien auf. Am Tag drauf weist uns eine weitere Streife überaus freundlich auf bevorstehende Kontrollen hin. Auch darauf, dass es 600€ Strafe kostet, falls wir noch angetroffen werden! Strafbefehl mit Vorwarnung - hat es so etwas je gegeben? Mit aller Macht will man uns in eines der 'Notfallhotels' einquartieren, die die Regierung schon vor drei Wochen ausgewiesen hatte und die offenbar noch immer leerstehen.
Dort würden wir dann dicht auf dicht sitzen, in winzigen Zimmern mit eher bescheidenen sanitären Einrichtungen! Abstand Mangelware, Ansteckung nahezu garantiert! Nicht mit mir! Lieber greife ich zu Plan 'B', auch wenn es mindestens vier Wochen zu früh dafür ist! Aber das Herumlungern ohne jede Möglichkeit, irgendetwas zu unternehmen, dabei aber mit der steten Angst, ein weiteres Mal vertrieben - oder schlimmeres - zu werden, lässt an Entspannung nicht denken! Also: ab nach Deutschland. Die Fahrt wird ja mindestens eine Woche dauern, dann ist Ostern vorbei und die schlimmsten Einschränkungen könnten mit etwas Glück schon gelockert werden!
Plan 'B' hatte vorgesehen, von Cádiz aus gen Osten und gemütlich an der Mittelmeerküste entlang (ohne großen Kontakt natürlich) zu rollen. Schnell muss er allerdings einem Plan 'C' weichen, als ich realisiere, wie eifrig die spanische Polizei bei den Kontrollen vorgeht: an praktisch jeder Autobahnausfahrt sowie vor und hinter jeder Stadt lauern sie. Denn: nicht zwingend notwendige Fahrten sind in ganz Spanien bei Strafe verboten! [5]
Plan 'C' führt mich hingegen problemlos über die Nordwestroute via Salamanca, Valladolid und Burgos und in großem Bogen um die besonders betroffene Hauptstadt Madrid herum. Von Vorteil ist die durchgehende - und kostenfreie - Autobahn, auf der ich nur eine einzige Kontrolle über mich ergehen lassen muss. Überhaupt sieht man die Sache in der Estremadura oder Kastilien viel entspannter als in Andalusien!
Beängstigend ist die Fahrt trotzdem: an einen einzigen Fahrtag überholen mich sieben (!) Leichenwagen; eine Zahl, die ich sonst
in einem ganzen Jahr nicht zu Gesicht bekomme! Davon abgesehen ist die Autobahn auto- und menschenleer. Nur lange Brummi-Konvois wälzen sich nord- wie südwärts: frische Tomaten aus Portugal will man in Deutschland (und anderswo) auch während der Krise auf dem Teller haben!
Die Grenze zu Frankreich ist ein Klacks. Zwar werde ich wie erwartet kontrolliert und zeige brav mein 'Attestation Deplacement' vor, werde aber freundlich weitergewunken. Überhaupt sieht man im Südwesten Frankreichs die Lage ebenfalls recht locker: die meisten Läden sind geöffnet und kaum einer trägt Mundschutz oder Handschuhe; kein Wunder, liegt der Brennpunkt der Epidemie doch im fernen Paris bzw. in den Regionen nahe der deutschen Grenze. Sogar zwei Tage Fahrpause genehmige ich mir, halte Abstand, fasse die ersten Eindrücke der Europatour in schwierigen Zeiten zusammen und tröste mich mit dem bewährten Spruch: »Einfach kann ja jeder!«
Nach 2600 Kilometern im Eilmarsch, auf denen ich außer Autobahnschildern und Begrenzungspfosten wenig vom Land gesehen habe - von Leuten ganz zu schweigen -, stehe ich an der deutschen Grenze. Geschafft, endlich 'in Sicherheit!' "Die Grenzen sind bis auf weiteres geschlossen!" hatte ich allerdings schon vor Tagen erfahren.
Bei Breisach finde ich einen der wenigen noch geöffneten Grenzübergänge. Dort erklären mir die Beamten sehr diensteifrig, dass ich ein unkalkulierbares Infektionsrisiko darstelle - schließlich war ich ja in Afrika gewesen, in Spanien und in Frankreich - allesamt vom RKI ausgewiesene Risikogebiete! Daher müsse ich mich nun zwei Wochen lang in häuslicher Quarantäne absondern! Zur Sicherheit wollen sie mich gleich telefonisch beim zuständigen Gesundheitsamt melden, haben damit aber ähnlich viel Glück wie ein paar Dutzend tatsächlich infizierter Patienten. Schließlich drücken sie mir ein langes Merkblatt in die Hand, welche Regeln während der Quarantäne unbedingt zu befolgen sind.
Im krassen Gegensatz zu den Ermahnungen stehen ihre persönlichen Schutzmaßnahmen: keiner der Beamten trägt Mund- und Nasen-Schutz oder gar Handschuhe, bei der 'Befragung' sitzen wir Schulter an Schulter und zum Abschied will mir einer gar die Hand schütteln. Schnell zieht er sie allerdings zurück, als ich nur meinen Wei vorbringe. Ich hoffe, sie waschen sich hinterher wenigstens gründlich die Hände! Ist denn persönliche Schutzausrüstung in Deutschland wirklich derart rar, dass sich nicht einmal die Amtsträger schützen können? In Spanien und Frankreich jedenfalls war ich keinen einzigen Gesetzeshüter ohne Atemschutz und Handschuhe begegnet.
Bemerkenswert ist auch der Verkehr auf deutscher Seite: außer Leichenwagen und LKW-Konvois hatte ich in Spanien praktisch kein einziges Auto gesehen, insgesamt waren die Straßen 'menschen- und autofrei'. Gleich hinter der deutschen Grenze aber stehe ich bereits im Stau! Quer durch Freiburg quält sich eine endlose Kolonne, schlimmer als in 'normalen Zeiten'. Edle Cabrios mit edel bekleideten Insassen, eng umschlungene Motorradfahrer*innen auf ihren Maschinen: jeder will die ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings zu einer Spritztour nutzen. Von Ausgangsbeschränkung, vom Verbot touristischer Reisen oder Tagesausflügen keine Spur!
Glücklich - und virenfrei - in der Heimat angekommen, stellt sich gleich die nächste Frage: die Campingplätze in der gesamten Republik nämlich sind geschlossen, Reisemobilstellplätze sowieso, von Hotels ganz zu schweigen! Reisende, Touristen und 'fahrendes Volk' sind auch im eigenen Land nur potentielle Virentransporter! Wohin also? Was sich die Regierung bei der Schließung all dieser Einrichtungen gedacht haben mag, muss man nicht verstehen. Man muss nur Wege finden, es zu umgehen! Nur: in Bayern werden die Verordnungen einen Tick rigoroser durchgesetzt als anderswo.
So bin ich heilfroh, bei meiner Anwältin im Allgäu Unterschlupf zu finden, wo ich schon fast als Teil der Familie aufgenommen werde! Natürlich mit gebührendem Abstand und ohne große Willkommensparty, dafür mit einem riesigen Fresskorb für die nächsten vierzehn Tage! "Danke!" nochmals an dieser Stelle!
So sitze ich gerade in der Lady Grey, meiner 'Luxusherberge' [6] in Quarantäne und muss mich von den netten Kindern meiner Herbergsfamilie und den Nachbarn fernhalten, darf keinen Besuch empfangen und - eigentlich - nicht mal vor die Türe. Bei strahlendem Sonnenschein und frühsommerlichen Temperaturen fällt das unglaublich schwer, aber unterm Strich hab ich's nicht allzu schlimm getroffen. Auch der Zeitpunkt war passabel gewählt: denn Anfang Mai, wenn die persönliche Quarantänezeit zu Ende geht, sollen ja auch die schlimmsten Einschränkungen im öffentlichen Leben gelockert werden. Voraussichtlich werden wir dann - selbst in Bayern - wieder Wandern, Radlfahren und die Natur genießen dürfen.
Irgendwann im Sommer sollten dann auch Camping- und Reisemobilplätze wieder öffnen - und man wird durch die Lande tingeln dürfen, ohne mit einem Fuß im Kalabusch zu stehen. Abstandhalten und Menschenaufläufe meiden: das wird vermutlich auch dann noch angesagt sein, aber uns Naturfreunden und Fernreisenden sollte das nicht allzu schwerfallen!
Jubiläum in der Krise [Bavaria] Jubiläum in der Krise
LK Ostallgäu (Bayern), 20.April 2020
Die Zeit bis dahin werde ich nutzen, Liegengebliebenes aufzuarbeiten und alternative Pläne für den Sommer zu schmieden. Daneben bleibt aber auch Zeit zu Feiern! Denn das darf bei aller Aufregung nicht untergehen: heute ist ein ganz besonderer Tag! Einer, der einfach begossen werden muss:
2500 Tage auf Achse
So werde ich die letzte Flasche Schampus köpfen, den Rachen gehörig desinfizieren und knapp sieben Jahre auf Achse in Gedanken vorüberziehen lassen. Es war eine herrliche Zeit gewesen - mit unglaublich vielen schönen Momenten und netten Begegnungen! Um keinen Preis der Welt möchte ich diese Zeit missen!
Und diese Zeiten werden wiederkommen! Wenn nicht heute, dann doch in naher Zukunft. Wenn nicht in der gewohnten Weise, so doch in ähnlicher, vielleicht sogar besserer Art! Krisen sind schließlich nicht nur Herausforderungen, sie bergen immer auch Chancen in sich!
Skandinavien ade: Urlaub auf Balkonien [Mecklenburg-Vorpommern] Skandinavien ade: Urlaub auf Balkonien
Boltenhagen (Mecklenburg-Vorpommern), 09.Juli 2020
Wovon ich hingegen Abschied nehmen muss, sind die Reisepläne für diesen Sommer. Geplant waren zwei Touren in den Norden, die eine nach Irland, Schottland und Britannien (bevor es zum Jahresende aus der EU austritt), die zweite zum Nordkap mit den Schwerpunkten Schweden und Norwegen. Beides wird warten müssen, denn entweder sind die Grenzen geschlossen oder die Zahl der Infizierten ist so hoch, dass man sich ernsthaft Sorgen machen müsste. An entspanntes Reisen wären in beiden Fäll kaum zu denken!
Was bleibt: kleine Brötchen backen und in Deutschland Urlaub machen. So, wie es Herr Söder so eifrig propagiert. Gänzlich zu Hause bleiben und den Sommer auf Balkonien genießen scheidet hingegen aus - die Lady Grey kann mit keinem Balkon aufwarten!
Folglich durchforste ich meine Deutschlandkarte nach verbliebenen weißen Flecken. Tatsächlich gibt es davon eine Menge! Mit wenigen Ausnahmen liegen sie sogar in touristisch (noch) wenig erschlossenen Gebieten: dort sollte sich eigentlich ein Plätzchen finden lassen - selbst in diesem Jahr: in einem Sommer, in dem Groß und Klein Urlaub im eigenen Land macht, in dem Camping und das Touren mit dem Wohnmobil als 'in', 'hipp' und 'trendy' entdeckt wird, in dem sich die Zulassungszahlen neuer Wohnmobile schlichtweg verdoppeln! Von einsamen Plätzen an idyllischen Buchten werde ich wohl Abschied nehmen müssen!
Dass auch bei dieser Routenplanung Fortuna gehörig ihre Finger im Spiel hat, werde ich erst im Nachhinein erfahren. Zunächst geht es nach abgeschlossener Quarantäne und ein paar Einkäufen los - ganz wie geplant in Richtung Norden. Nur nicht ganz so weit!
Nicht eben ein Schnäppchen: die Boddenküste [Mecklenburg-Vorpommern] Nicht eben ein Schnäppchen: die Boddenküste
Zittau (Sachsen), 31.07.2020
Einer der weißen Flecken auf meiner Landkarte heißt 'deutsche Ostseeküste'. Auch 'Boddenküste' genannt nach dem verwirrenden Land-/Seemix, der sich von Lübeck über Rügen bis nach Usedom an der polnischen Grenze erstreckt (und weiter bis hinauf nach Finnland).
Die Gegend ist tatsächlich sehenswert! Allerdings sind im Norden gerade Schulferien und die Menschenmassen, die wegen Corona nicht nach Mallorca, Spanien oder Italien fahren dürfen, tummeln sich am Timmendorfer Strand. Und seinen Nachbarn. Ich weiß ja nicht, wie es hier in einem normalen Jahr aussieht, aber jetzt ist es eine beklemmende Mischung aus enggeparkten WoMos, leerstehenden Hotels, abstandsregulierten Strandkörben und verwaisen Cafés.
Und allenthalben wird kassiert! Und das nicht zu knapp! Zwanzig Euro für eine Nacht auf einem Parkplatz ohne jede Infrastruktur, zwölf Euro Eintritt, um ein paar Klippen zu sehen, daneben Gebots- und Verbotsschilder en masse. Einladend ist anders! Oder wollen die Stadtkämmerer in den verbliebenen Sommerwochen etwa die Verluste des Frühjahrs wettmachen, als niemand herkommen durfte? Jedenfalls picke ich mir nur die allerwichtigsten Highlights heraus und versuche Land zu gewinnen. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Die Inseln Rügen und Usedom sind die bekanntesten, schönsten, interessantesten - und teuersten - der zwei Dutzend Eilande an der deutschen Ostseeküste. Rügen ist ja berühmt wegen seiner Kreidefelsen, viel mehr aber beeindruckt mich der Naturpark Jasmund, wo man unter dem Blätterdach jahrhundertealter Buchen stundenlang an der Küste entlangspazieren kann. Der dichte und weitgehend naturbelassene Wald ist einer der größten seiner Art in Mitteleuropa.
Einige Kilometer und ein paar Brücken weiter, in Peenemünde kann man die Anfänge der Raumfahrt bewundern. Wernher von Braun kennen die meisten von uns - zumindest dem Namen nach: er war einer der Wegbereiter der Raumfahrt und in den USA maßgeblich an der Entwicklung der Saturn-Raketen und den Apollo-Missionen beteiligt. Seine ersten Gehversuche in Sachen Raumfahrt unternahm er hingegen in Peenemünde (auf Usedom), wo er für das NAZI-Regime Langstreckenwaffen entwickelte: intern hießen sie 'A1', bis 'A4' (je nach Modellreihe), Reichspropagandaminister Goebbels taufte sie jedoch flugs in 'Vergeltungswaffe' um, denn in erster Linie sollten es die Raketen den Briten 'heimzahlen', die ab 1942 zunehmend Bombenangriffe auf deutsche Städte flogen.
Die V1 wurde noch mit einem Katapult in die Luft befördert, die V2 hatte den ersten echten Raketenantrieb und überschritt bei Testflügen erstmals die Grenze zum Weltraum. Nach einem Dutzend, zum Teil völlig missglückter Einsätze, war 1945 der Krieg beendet, die restlichen Raketen wurden demontiert und in die USA gebracht. Und Wernher von Braun ließ sich mit mehreren Kollegen von den Amerikanern 'anwerben'; sicher auch, um einer Strafe wegen NS-Zugehörigkeit zu entgehen.
Heute kann man all das im früheren Kraftwerk - dem heutigen Museum - nachlesen und 'begreifen'. Die (recht wenigen) Exponate überraschen allerdings in ihrer Größe: unter 'Raketen' stellen wir uns heute wolkenkratzerhohe Gebilde vor; dagegen war die V2 nur etwa vierzehn Meter hoch, knappe sechs Stockwerke, eher ein Winzling. Dennoch eine ingenieurtechnische Meisterleistung der damaligen Zeit! Vor allem, wenn man sieht, mit welch primitiven Mitteln etwa die Stabilisierung der Flugbahn oder die Kühlung des Triebwerks erfolgte.
Neben dem technischen - und hoch politischen - Museum zum Raketenbau in der NS-Zeit hat Peenemünde ein paar weitere Leckerbissen zu bieten: einen hübsch gemachten (aber schwer zu findenden) WoMo-Stellplatz direkt am Wasser, eine kurze Flaniermeile mit Buden à la 'Fish and Chips' und ein ausrangiertes sowjetisches U-Boot. Daneben viel, viel frische Luft und nette Menschen, an deren Aussprache man sich allerdings erst gewöhnen muss!
Eine Woche 'Touridasein' an der deutschen Ostsee muss reichen! Vor allem wegen des rapide fallenden Pegels im Geldbeutel. Wie gesagt: alles und jedes kostet - und das nicht zu knapp! So rolle ich flugs ins Hinterland, immer dicht an der polnischen Grenze entlang, durch Mecklenburg-Vorpommern und quer durch Brandenburg in die Lausitz, in den allerhintersten Winkel Deutschlands: Zittau ist mein Ziel, das allerletzte Städtchen im Dreiländereck Polen - Deutschland - Tschechien.
Je weiter ich gen Süden - respektive Südosten - rolle, desto öfter grüßen zweisprachigen Ortsschilder: neben Deutsch ist Polnisch hier zweite Muttersprache: 'Bad Muskau' heißt auch 'Muzakow', 'Weißwasser' wird zu 'Bela Woda' und 'Hoyerswerda' heißt 'Wojerecy'.
Noch etwas fällt auf: die riesigen Wälder, vor allem in Brandenburg: endlose Fichten- und Pinienwälder - viele davon in verheerendem Zustand. Der vierte trockene Sommer in Folge hat die Bäume geschwächt und dem Borkenkäfer leichtes Spiel verschafft. Entlang der Feldwege türmen sich nicht enden wollende Polter (Zwischenlager) mit Baumleichen - die Sägewerke sind ausgebucht, die Holzpreise im Keller. Dennoch müssen die Bäume hektarweise gefällt werden, um dem Käfer Einhalt zu gebieten: ein schier aussichtsloses Unterfangen! Bäume mit grünen Nadeln jedenfalls haben Seltenheitswert! Welch ein Unterschied zu den sattgrünen - und intakten - Laubwäldern weiter im Norden - wie auf Rügen! Die Monokulturen mit ihren kerzengeraden und schnellwachsenden aber käferanfälligen Fichten haben dem Klimawandel wenig entgegenzusetzen. Dennoch werden neuerlich wiederum nur Fichten gepflanzt! Ist man hier wirklich so erkenntnisresistent?
In Deutschland ganz rechts: die Lausitz [Sachsen] In Deutschland ganz rechts: die Lausitz
Zittau (Sachsen), 31.07.2020
Hoyerswerda war für mich der Inbegriff von 'Hinterwäldlertum' und 'von der Gesellschaft abgehängt'. Spätestens seit der Wende wandern junge Menschen in Scharen ab und suchen ihr Heil anderswo. Zu DDR-Zeiten wurde in dieser Region Braunkohle im großen Maßstab abgebaut (und wird es heute noch, jedoch in kleineren Mengen). Die Region ist zerfressen von ausgedienten Tagebaugebieten, um die sich kein Mensch kümmert. Klaffende, hässliche, eiternde Wunden in grüner Landschaft. In den letzten Jahren jedoch wurden viele Gruben in schmucke Badeseen und Segelreviere verwandelt und die Gebiete dazwischen aufgeforstet. Mühsam, Schritt für Schritt wandelt sich die Region zu einem Erholungsgebiet, erste Ansätze von Tourismus sind erkennbar - wenn auch überwiegend für Menschen aus dem näheren Umland.
Selbst Industriegebiete wie die berühmte 'Schwarze Pumpe' zeigen sich nicht mehr rußversifft, sondern modern und (halbwegs) sauber. Ganz offensichtlich bemühen sich die Regierenden, das Image der Region aufzubessern und für die Menschen eine lebenswertere Umgebung zu schaffen. Trotz allem werden sich hier noch auf Jahre hinaus Fuchs und Hase Gutenacht sagen. Vielleicht gerade deswegen ein touristischer Geheimtipp.
Weiter nach Osten und weiter nach Süden gehts nimmer. Zumindest in Deutschlands nicht. Zittau, die Stadt 'im hintersten Winkel' ist überraschend lebendig, gepflegt und ansehnlich. Zu verdanken hat sie das vermutlich den Grenzgängern: Polen und Tschechien sind beide nur einen Steinwurf entfernt und was bis zum Fall des Eisernen Vorhangs sicher ein mächtiger Nachteil war, ist heute von Vorteil: eine internationale Stadt, in der das alte - grenzüberschreitende - Brauchtum liebevoll gepflegt wird.
Zwanzig Kilometer weiter südlich, direkt an den früheren Stacheldrahtsperren zum sozialistischen Bruderland Tschechoslowakei erstreckt sich das malerische Zittauer Gebirge, das in seiner landschaftlichen Schönheit der sächsischen Schweiz nur wenig nachsteht. Dabei kaum bekannt und daher nicht überlaufen ist. Selbst in einem Sommer wie diesem.
Gleich drei hübsche Kurorte schmiegen sich in die engen Täler des Gebirges: Jonsdorf, Oybin und Lückendorf. Verbunden sind sie über ein Netz netter Wanderwege, die sich über die Höhen schlängen und zwischen markanten Felsgebilden immer wieder herrliche Ausblicke ins Tal bescheren. Eine Wanderregion vom feinsten, wo man mit ein wenig Ausdauer bis weit hinein ins frühere Sudetenland wandern oder biken kann. Schon Napoleon machte hier Rast, als er anno 1813 (19.August) gen Böhmen marschierte, jedoch schnell kehrtmachen musste, als ihm Österreicher, Schweden und Russen in den Rücken fielen. Über Jahrhunderte hinweg führte hier der einzige Weg über den Gebirgsriegel, der den Großraum 'Preußen' von der Region 'Österreich-Ungarn' trennte. Mithin nicht nur Kaiserreiche separierte, sondern Landschaften und Kulturräume. Heute sind die Grenzen offen wie nie zuvor und gut ausgeschilderte Wanderwege führen von hüben nach drüben.
Wandern und Missklänge: die sächsische Schweiz [Sachsen] Wandern und Missklänge: die sächsische Schweiz
Bad Schandau (Sachsen), 06.08.2020
Die Felskliffe rund um Oybin und Jonsdorf kündigen es schon an: die sächsische Schweiz ist nicht weit. Tatsächlich ist es nur eine kurze Tagesetappe, die Zittau von Bad Schandau und dem imposanten Durchbruch der Elbe trennt. Ein Schlenker über Nový Bor und Decín könnte die Strecke sogar noch abkürzen. Dennoch wähle ich den längeren Weg über Neusalza-Spremberg. Zu groß erscheint mir das Risiko, 'im Ausland' hängenzubleiben.
Seit einigen Tagen nämlich wird das Pfeifen aus dem Motorraum mit jedem Tag lauter. Und die Gangschaltung hakt. Irgendetwas liegt in der Luft, etwas Größeres. Da will ich eine gute Werkstatt in der Nähe haben! Die nächste liegt in Dresden. Bis dahin sollte ich es eigentlich schaffen, denn über weite Strecken fährt die Lady Grey wie eine Eins. Noch hakt es nur selten im Getriebe. Dennoch ist an Urlaub kaum zu denken, allzu oft weilen die Gedanken bei den Innereien der Lady Grey.
Zu den Ausflügen per Pedes und auf dem Bike muss ich mich geradezu zwingen. Glücklicherweise kann ich am Ortsrand von Schöna eine ganze Woche lang stehen, mir am kühlen Morgen die Füße vertreten und nachmittags die Bauern beim Einbringen der Ernte beobachten. Beim Mähen des Getreides, beim 'Zusammenkehren' und Pressen der Halme, beim Unterpflügen der letzten Reste. Auch mal ganz interessant für ein Stadtei wie mich!
Die Gedanken jedoch sind nicht bei der Sache! Zu sehr nagt die Unsicherheit am Nervenkostüm: Was ist los im Getriebekasten? Wie weit werde ich noch kommen? Wie teuer wird die Reparatur werden? Das Stöbern im Netz bringt mich keinen Deut weiter: zu Getriebeschäden am L2000 (ZF6-850) ist nichts zu finden, die Symptome sind (für den Laien) wenig aufschlussreich, die Kosten eines Austauschgetriebes dafür umso höher. Auch ein langes Telefonat mit der Haus- und Hof-Werkstatt in Karlsfeld bringt wenig Neues: ich soll vorbeikommen, dann kann der Spezialist eine Probefahrt machen ... Beruhigend klingt anders. Aber die meiste Zeit läuft sie ja, die gute alte Lady Grey.
Heiße Tage in der 'Sächsischen' [Sachsen] Heiße Tage in der 'Sächsischen'
Am Zirkelstein (Sachsen), 09.08.2020
Die Sonne brennt vom Himmel, dass es eine wahre Freude ist. 37°C sind für den Nachmittag angesagt. Ein weiterer Tag mit rekordverdächtigen Temperaturen in diesem rekordverdächtigen Sommer! Die Gegend lädt ein zum Wandern und Biken, die Felsformationen der sächsischen Schweiz zum Klettern und Erkunden. Bricht man morgens beizeiten auf, fließt der Schweiß später auch nur in schmalen Bächen übers Gesicht. Die Grenze zu den tschechischen Nachbarn ist nur einen Steinwurf entfernt. Ein herrliches Fleckchen Erde!
Die letzten kühlen - und halbwegs entspannten - Tage nutze ich für ausgedehnte Wanderungen und Erkundungstouren in die umliegenden Sandsteinklippen. Eines der Highlights führt durch die Edmundsklamm und die Wilde Klamm, beide schon drüben im tschechischen Teil des Nationalparks. Allein bin ich dort allerdings nicht: einige tausend Tschechen und mindestens ebenso viele Deutsche haben die gleiche Idee und entfliehen in den schattigen Schluchten der hochsommerlichen Hitze. Wo soll man auch hin in diesem Corona-Sommer, in dem an Reisen über die Landesgrenzen hinaus kaum zu denken ist?
Noch 'ne Hürde: ein neues Getriebe muss her! [Bayern] Noch 'ne Hürde: ein neues Getriebe muss her!
Planegg bei München (Bayern), 20.08.2020
"Erstens kommt es anders, zweitens als du denkst!" In dem Sprichwort steckt eine Menge Wahrheit. In diesem vermaledeiten Jahr 2020 allemal: da zaubert das Leben ein Überraschungsei nach dem anderen aus dem Hut! Überraschungseier mit bitterer Schokolade allerdings! Nun macht auch noch die Lady Grey schlapp. Den zweiten Teil der Rundtour durch die abgelegensten Regionen Deutschlands jedenfalls muss ich erst einmal in den Wind schreiben!
Zurück in die Sächsische Schweiz. Beziehungsweise ins Erzgebirge.
Die Stimmung ist mächtig im Keller, als ich von Oberwiesenthal, dem bekannten Skiresort zurückrolle und das Getriebe sich nun immer schwerer schalten lässt. Zumindest rolle ich noch. Nach einigen Dutzend Kilometern gesellt sich zu dem Pfeifen ein lautstarkes Rasseln. Fast habe ich den Eindruck, jeder Zahn hämmert einzeln gegen das Gehäuse. Doch weder ist Öl zu sehen noch läuft das Getriebe heiß.
Dennoch muss ich diese Tour abbrechen! Nach dem Wegfall der beiden 'Nordlandtouren' nunmehr die dritte Absage dieses Jahres! Da nun etwas größeres im Busch ist, versuche ich, die Werkstatt in Karlsfeld zu erreichen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht: es ist Sonntag, auf der Autobahn sind keine LKW unterwegs und mit etwas Vorsicht sollte ich es bis München schaffen. Mit 60km/h krieche ich die A72 und die A9 gen Süden, mit jedem Kilometer wird das Rasseln im Getriebe lauter. Bei jedem Schalten muss ich mächtig 'Rühren', der zweite und der vierte Gang gehen inzwischen gar nicht mehr rein. Egal, das Getriebe muss sowieso getauscht werden! Auf dem letzten verbliebenen Zahn erreiche ich die Werkstatt.
Zwei Tage später habe ich Gelegenheit, bei Herr Binzer von www.lkw-getriebeservice.de das zerlegte Getriebe zu inspizieren. Was ich sehe, verschlägt mir fast den Atem. Es grenzt an ein Wunder, dass es so lange gehalten hat. Wobei ihm die letzten 400 Kilometer auf der Autobahn sicher nicht zuträglich waren! Im Innern finden sich fingernagelgroße Metallkrümel, die Zahnräder des ersten, zweiten und des Rückwärtsgangs zeigen Scharten und Auswaschungen, dass der Chef nur die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Von den Synchronringen des zweiten und vierten Gangs sind nur noch klägliche Reste zu finden. Am Schlimmsten aber schaut das vordere Lager der Abtriebswelle aus: von dem wichtigen Nadellager existieren nur noch die Nadeln, der Käfig (Kunststoff) kullert irgendwo im Öl herum.
"Die Kunststofflager sind die Schwachpunkte des Getriebes," klärt mich der Chef auf, "in früheren Baureihen waren sie komplett aus Metall - und praktisch unkaputtbar. Aber im Rahmen der Einsparung ... " usw. Jedenfalls sind nahezu alle Lager, die meisten Zahnräder und drei der fünf Synchronringe schwer mitgenommen. Sehr schwer. An eine (kostensparende) Überholung ist nicht zu denken, ein komplettes Tauschgetriebe muss her! Auf die Schnelle allerdings ist das nicht zu beschaffen und das Original-Teil schlägt mit fünftausend Euronen zu Buche. Netto.
Dennoch entscheide ich mich dafür, denn jeder Tag ohne die Lady Grey kostet: Hotel, Essen gehen, Tickets für den MVV. Länger als notwendig möchte ich nicht auf mein rollendes Zuhause verzichten!
Natürlich stelle ich mir die Fragen "Warum?" und "Seit wann?". Derart schwere Schäden können doch nicht auf den letzten fünf- oder zehntausend Kilometern entstanden sein. Im Rückblick fällt mir ein, dass ich ungefähr seit der zweiten Runde in Südamerika ein 'Singen' vernommen hatte. Irgendwo aus der Motor-/Kupplung-/Getrieberegion. Meistens dann, wenn ich an einer Wand, einer hohen Leitplanke oder ähnlichem entlangfuhr, die den Schall reflektierte. Meine Fragen dahingehend beantworteten die Mechaniker damals allerdings meist lapidar "Wird wohl der Turbolader sein!"
Auffällig auch etwas anderes: gemeinhin ist der MAN L2000 im Kreis der Reisenden als 'unkaputtbar' bekannt und deshalb so beliebt. Ein Urteil, das ich bislang nur unterstreichen konnte. Als ich nun mit einigen Leuten telefoniere, berichten sie mir von Fällen, bei denen der L2000 eben doch 'kaputtbar' war: in drei Fällen war das Getriebe defekt gewesen. In weiser Voraussicht hat das ZF6-850 zwei Inspektionsöffnungen, an denen man einen Blick ins Innere werfen kann, ohne das Teil ausbauen oder zerlegen zu müssen. Selbstredend sollte man bei jedem Ölwechsel - genau wie beim Motor - den Zustand des Öls an der (magnetischen) Ablassschraube prüfen!
Neue Höhen im Coronaland: der Harz [Thüringen] Neue Höhen im Coronaland: der Harz
Nach diesem unerfreulichen, jedoch erfreulich kurzen Intermezzo in Sachen Getriebe bin ich inzwischen wieder 'auf Achse', auf der zweiten Etappe durch das coronageschüttelte Deutschland: im schönen Harz nämlich, mit Blick auf den höchsten Gipfel Mitteldeutschlands, den Brocken.
Vor zwei Wochen hatte ich die Lady Grey abholen können: sie läuft wieder wie eine Eins. Die Rechnung war sogar ein paar Groschen niedriger ausgefallen als befürchtet: recht genau 10.000 Euronen inclusive Tauschgetriebe, neuer Kupplung, neuer Andruckplatte sowie dem Umbau der Getriebeentlüftung auf 'TGA-Standard' [7]. Stammkunde zu sein bringt auch Vorteile! Dennoch klafft in der Reisekasse ein mächtig großes Loch - und die (Reise-)Brötchen werden den Rest des Jahres wohl noch etwas kleiner ausfallen müssen!
Da muss man eben auch mal mit einem Berg ganz ohne Gipfelkreuz und fast ohne Wald zufrieden sein! Die Messlatte hängt coronabedingt niedrig. Dass die 'Bergtour' aber derart ernüchternd sein würde, hätte ich mir heute morgen nicht träumen lassen! Wie gesagt: ein weiteres Steinchen im Puzzle dieses vermurksten Jahres!
Blicke ich jedoch zurück auf das Reisejahr 2020, so muss ich sagen, dass ich trotz aller Turbulenzen ein mächtiger Glückpilz war! Fortuna muss da ihre Finger gehörig im Spiel gehabt haben! Denn unterm Strich hätte alles viel schlimmer kommen können:
- Nur aus einer Laune heraus hatte ich im November 2019 den Besuch Marokkos zwei Wochen vorgezogen und das Hotel für die Abschlussfeier in Quarzazate für Anfang März gebucht; wäre ich - wie ursprünglich geplant - später eingereist, wäre ich unweigerlich in den totalen Lockdown geraten ... und säße vermutlich heute noch fest!
- Hätte Corona nicht meine Reisepläne für Skandinavien durchkreuzt, hätte mich der Getriebeschaden vermutlich am Polarkreis oder in Lappland ereilt und die Reparatur wäre um ein Vielfaches teurer geworden!
Hätte, wäre, wenn ... es mag müßig klingen, diese Fragen zu diskutieren. Aber es ist ein ungemein beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass irgendwo ein Schutzengel seine Schwingen über dich hält! Verlassen allerdings solltest du dich nicht darauf! Auf der anderen Seite sollten wir nicht jammern, sondern die positiven Momente genießen, die glücklichen Zufälle würdigen und nicht mit dem Schicksal hadern! Daher möchte ich diesen Blog mit einem positiven Erlebnis schließen. Denn auch so etwas gab's in diesem sehr speziellen Jahr!
Eines davon ist Wernigerode, ein wirklich nettes Städtchen an Nordhang des Harzes. Zwar ist auch Wernigerode recht touristisch geprägt - der Nähe zum Brocken und einer rührigen Tourismusmanagerin sei Dank - aber das Städtchen hat auch einiges zu bieten. Neben dem Baumkuchenhaus, der Heimat des überaus leckeren Baumkuchens und der Schokoladenmanufaktur Wergona ist es vor allem die malerische, von jeder Menge Fachwerkhäusern geprägte Altstadt, die den Besucher begeistert. Mittendrin das Rathaus, das auf jeder Postkarte (die gibt es hier tatsächlich noch zu kaufen ) zu finden ist. Über allem thront ein respektables Schloss, das zwar noch recht jung an Jahren ist, aber den kurzen Aufstieg allemal lohnt. Dazu lasse ich aber lieber die Bilder sprechen.
Frage ungeklärt: Wie geht's weiter? [Bavaria] Frage ungeklärt: Wie geht's weiter?
Eine Frage bleibt auch mit der positivsten Einstellung offen: "Wo kann ich - mit einem überschaubaren Risiko - den Winter verbringen?" Irgendwo im Süden sollte es schon sein, denn schon jetzt, Ende September, ziert die Zugspitze eine meterhohe Schneemütze und die Temperaturen im Flachland liegen nur wenig über dem Gefrierpunkt. Da könnte ein heftiger Winter auf die Daheimgebliebenen zukommen. Also: ab nach Süden! Nur: Wohin?
Die Zahl der Corona-Infizierten steigt in den letzten Wochen wieder deutlich an. Spitzenreiter in Europa sind Frankreich und Spanien! Wer weiß, was sich dort die Verantwortlichen einfallen lassen, um das Biest im Winter unter Kontrolle zu halten?
Auch die Verschiffung nach Südafrika, die eigentlich für diesen Herbst angedacht war, wird warten müssen, obwohl die afrikanischen Länder von dieser Pandemie erfreulich wenig gebeutelt werden. Trotzdem herrscht im Süden weiterhin ein partieller Lockdown. Also besser warten, bis ein Impfstoff da ist!
Es bleibt also weiter spannend! Stay tuned!