Ouarzazate (Marokko) (GPS: 30°58,118'N; 006°43,781'W)
Stell dir vor, du hast einen supertollen Nachtplatz gefunden. Mitten in der Wüste, weit abseits jeder Teerstraße, nur über ein Dutzend Kilometer einer staubigen und holprigen Piste zu erreichen. Du sitzt im Schatten einer Tamariske und dein Blick schweift über den ausgetrockneten See. Ein Dutzend Dromedare schreitet lautlos dahin. In Gedanken bist du weit weg, du meditierst, du versuchst Antworten auf die Fragen des Lebens zu finden. Zwei schwarz-weiß-gefiederte Freunde sitzen in den Zweigen und lauschen. Die Stille ist mit Händen zu greifen.
Plötzlich zerreißt brüllender Motorenlärm den Frieden. Zwei PS-starke Allradboliden bahnen sich den Weg durch den weichen Sand. Direkt auf dich zu. In deinem Vorgarten machen sie Halt und richten sich häuslich ein. Entfernung 108 Meter! Dabei ist hier draußen Platz genug! Dreißig Kilometer weit zieht sich das liebliche Tal dahin, ein Plätzchen ist idyllischer als der andere. Warum müssen sie sich ausgerechnet hier breitmachen? Unmittelbar vor deiner Haustür?
Wenig später kommen sie dreist herübergestiefelt und wollen auf gut-nachbarschaftliche Kommunikation machen. Dass du deine Ruhe haben möchtest, verstehen sie ebenso wenig wie deine wenig einladenden Worte. Welten prallen aufeinander. [1]
Mit 'Begegnungen' dieser Art muss man inzwischen allenthalben rechnen (ich musste vier notieren; die geschilderte war die letzte und frechste). Zum einen liegt das natürlich daran, dass ich in der Hauptreisezeit unterwegs war, zum anderen an einer massiv gestiegenen Zahl von Fahrzeugen, die inzwischen ihren Weg hierher finden. Zum dritten aber auch an einer neuen Mentalität der Fahrer, die in der Wüste keinen Rückzugsort mehr sehen, sondern nur noch einen großen Sandkasten, einen Spielplatz, um ihr Vehikel 'artgerecht' zu bewegen!
Ein paar persönliche Anmerkungen dazu und diesbezügliche 'Verhaltenswünsche' findet ihr unter 'Gedanken zum Reisen' beziehungsweise unter 'Reisepraxis' . Schade, dass solche Dinge nicht mehr selbstverständlich sind.
Zurück zu den positiven Seiten des Reisens ...
Nach dem Bericht der letzten Überwinterung werdet ihr euch fragen: "Warum fährt er schon wieder nach Marokko? Langsam müsste er doch jedes Sandkorn beim Namen kennen!"
Da ist etwas Wahres dran. Aber leider sind die Alternativen derzeit ausgesprochen rar gesät. Zumindest für Reisende aus dem Herzen Europas, die nicht mal eben auf die Südhalbkugel verschiffen wollen. Lange Zeit hatte ich geplant, im Winter den Oman unter die Räder zu nehmen, nicht zuletzt um auch mein Traumziel seit 25 Jahren, den Iran kennenzulernen. Doch die liebe Weltpolitik machte mir wieder einmal einen Strich durch die Rechnung, die Risiken und Unwägbarkeiten waren mir schlicht zu groß. Ich hatte einfach kein gutes Bauchgefühl! Rückblickend betrachtet hat mich das auch gar nicht betrogen und ich bin heilfroh, dass aus den Plänen nichts geworden ist.
Warum? Zum einen verstarb Mitte Januar der langjährige Herrscher des Oman, Sultan Karoo, der das Land zwar mächtig modernisiert, aber auch mit harter, autokratischer Hand regiert hatte. Ein weiterer arabischer Frühling diesseits der Straße von Hormus ist also nicht auszuschließen! Obendrein ließ unser 'Nicht-Freund' überm großen Teich bekanntermaßen nichts unversucht, die Region weiter zu destabilisieren. Der Mord an dem iranischen General war wenig dazu angetan, die Spannungen zu reduzieren, der Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine durch übereifrige Soldaten im Gegenzug nicht weniger. Und dann erst das Verhalten der iranischen Regierung? Derart unruhige Zeiten sind gewöhnlich harte Zeiten für Fernreisende: wahlweise weilt man zur falschen Zeit am falschen Ort oder findet sich unvermittelt von sämtlichen Weiterreisemöglichkeiten abgeschnitten. [2]
Die andere Alternative wäre ein Winter in Syrien oder Jordanien gewesen. Dort ist es ähnlich warm wie in Nordafrika, die landschaftlichen Schönheiten laden auch dort zu einer ausgiebigen Erkundung ein und die Menschen sind aufgeschlossen, nett und freundlich. Jedenfalls solange kein Krieg herrscht und sie nicht zu Marionetten fremder Mächte werden, die ihre eigenen Interessen verfolgen und denen die lokale Bevölkerung schnurzpiepegal ist! Jedenfalls ist diese Region seit einem guten Jahrzehnt absolute No-Go-Area!
Was bleibt demnach übrig? Doch wieder Marokko! Doch wieder Afrika. Dabei hat Marokko mit dem restlichen Afrika ähnlich viel gemeinsam wie Estland mit Sizilien: dazwischen liegen Welten! Denn das Land hat sich mächtig entwickelt! Die Überschrift lässt zwar Schlimmes erahnen, aber ich möchte gleich betonen, dass das nicht am Land selber liegt, an seinen aufregenden Landschaften, dem schönen Wetter, den malerischen Städten - und schon gar nicht an seinen freundlichen Menschen!
In Marokko passt inzwischen Alles!
Zumindest Alles für einen regulären Touri aus Europa! Der findet in Marokkos Süden nämlich inzwischen sämtliche Infrastruktur, um in Ruhe und in aller Bequemlichkeit den Winter aussitzen zu können. Ohne auf die Annehmlichkeiten eines Lebens wie in Europa verzichten zu müssen. Die grundlegenden Lebensmittel sind an jeder Straßenecke zu haben - zudem für einen Bruchteil der Kosten -, für die Feinschmecker gibt's eine Reihe von Restaurants (Marokkaner verstehen wirklich zu kochen) und für die, die auf europäisches auf dem Tisch partout nicht verzichten wollen, wurden Supermarktketten errichtet, die einem ALDI oder CARREFOUR nur wenig nachstehen.
Auch die Situation der Camps hat sich dramatisch erweitert. Entlang der malerischeren Abschnitte der Küste (dort ist es im Winter ein paar Grad wärmer als im Landesinneren, herausragendes Beispiel ist Sidi Ifni) oder in den malerischen Höhen des Anti-Atlas-Gebirges bei Tafraoute reiht sich ein Campingplatz an den anderen. Teilweise wirklich riesige Plätze, die nicht unbedingt idyllisch gestaltet sind, aber den Grundbedarf der Dauercamper decken: viel Platz für WoMo und Anhänger, Schutz vor Wind und Sand sowie Ver- und Entsorgungsmöglichkeiten für die immer noch vorherrschenden Chemie-Pottis. Selbst in weniger einladenden Regionen, beispielsweise in Bouizacarne nahe Guelmin wird flugs ein Stück Wüste ummauert, ein Wassertank installiert, fertig ist der Campingplatz! In dieser Hinsicht haben die Marokkaner den Trend der Zeit wirklich erkannt!
Und was diese Plätze oder der nächste Supermarkt nicht bieten können, das bringen die erfahreneren Camper eben von zu Hause mit. Kaum eines der 7-, 8- oder 10-Meter-Gefährte - die meisten tragen französische Kennzeichen - kommt ohne einen fetten Anhänger daher. Darauf finden dann wahlweise der Zweitwagen, die Motorräder oder Quads ihren Platz. Oder alle zusammen. Obendrein der Rest des heimischen Haushalts! Einschränken muss - oder mag - sich jedenfalls keiner!
Gerade in dieser Zivilisiertheit aber liegt das Problem - für mich! Denn Abenteuer, Herausforderungen oder ein Spritzer Adrenalin sind hier einfach nicht mehr zu finden! Auch wenn die persönliche Messlatte in dieser Beziehung schon merklich gesunken ist, der wahre Kick und die Begeisterung mögen sich einfach nicht mehr einstellen!
Es wird allerhöchste Zeit, dass ich mich nach anderen Zielen umsehe! Das dritte Mal in Marokko, obendrein in enger zeitlicher Folge - das muss erst einmal genug sein! Aber - ganz ehrlich - unterm Strich war es eine tolle Zeit gewesen - trotz der eingangs erwähnten 'Begegnungen', die ich gar nicht weiter kommentieren möchte.
Wie schon im letzten Bericht aus Marokko angemerkt, kann ich auch von der diesjährigen Etappe kaum Neues über Regionen, Städte oder Menschen berichten. Als kleine Entschädigung kann ich euch nur ein Dutzend Schnappschüsse mit kurzen Erläuterungen anbieten. Ich weiß ja, dass ihr in erster Linie Bilder schauen mögt!
In den 'Gedanken zum Reisen' habe ich einige Anmerkungen zum Phänomen 4WD-Massentourismus zusammengefasst, die mir gerade während dieser Etappe aufgefallen sind. Die Frage, die sich daraus ergibt - mithin die Quintessenz dieser ganzen Tour - lautet "Ist das wirklich noch mein Ding?"
Auch wenn ich derzeit noch keine Antwort darauf weiß, eines ist klar: Marokko (zumindest die Region des 'kleinen Südens') ist kein geeignetes Ziel mehr, dem Phänomen zu entfliehen! Vermutlich wird es weiter im Süden, Richtung Mauretanien und Nouakchott besser, aber dort schrecken mich die vielen Kilometer, auf denen es nichts als eintönige Hamada zu sehen gibt. Solange eine Nord-Süd-Durchquerung Afrikas auf der Westroute nicht möglich ist [3], müsste man den Zweitausend-Kilometer-Hatsch ja auch wieder zurückfahren!
So bleibt ganz zum Schluss die bittere Erkenntnis: Marokko wird mich so bald nicht wiedersehen! Was aber nicht an den Marokkanern liegt, darauf möchte ich noch einmal hinweisen! Und ich werde mir ernsthaft Gedanken machen müssen, wo es im nächsten Winter hingeht. Neben Oman und Iran, die weiterhin ganz oben auf der Liste der Wunsch-Destinationen rangieren, habe ich eine weitere Alternative in der Hinterhand, die sich in den ruhigen Tagen in der Wüste, die mir trotz aller 'Überfälle' gegönnt waren, als recht verlockend herauskristallisiert hat.
Lasst euch also überraschen, was das Reiseleben weiter in Petto hat!
Nachzutragen bleibt ein kurzer Aufenthalt in Ouarzazate, wo ich mir erlaubt habe, den runden Geburtstag in 'angemessener' Umgebung zu feiern. Auch wenn das Hotel allenfalls zwei seiner vier Sterne verdient hat, allein schon das extrem leckere Steak im Sultana Royal Golf war den kleinen Umweg wert!
Abschließend noch die Zahlen für die Freunde der Statistik:
Aufenthaltsdauer: | 89 Tage | ||
Gefahrene Kilometer: | ca. 5505 km | ||
Spritkosten: | ca. 1350 Euro | ||
Fährkosten (hin- und zurück): | ca. 175 Euro | ||
KFZ-Versicherung: | ca. 180 Euro | ||
Lebenshaltungskosten: | ca. 382 Euro | ||
Übernachtungskosten: (11N Camp / 3N Hotel) |
ca. 70/270 Euro |