Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
Sidi Ifni - Camp Taliouine (Marokko)
Hatte ich vor zweieinhalb Jahren noch steif und fest behauptet, keine zehn Pferde brächten mich
noch einmal nach Marokko, bin ich nun doch wieder da. COVID-19 ist eben stärker als zehn Pferde! Denn wo kann man den europäischen Winter besser aussitzen als im Süden Marokkos?
Dabei begrüßt mich das Land, als hätte es meine Worte von damals noch genau im Ohr: seit drei, vier Tagen
legt es mir so ziemlich alle Widrigkeiten in den Weg, die man einem Reisenden aufbürden kann:
- Am marokkanischen Zoll sitze ich geschlagene vier Stunden fest. Warum? Die letzte Ausreise (2020) war offenbar nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden, sprich die Lady Grey ist eigentlich noch immer in Marokko - und das unverzollt; nach endlosem Warten und Feilschen erhalte ich wider Erwarten doch noch die Erlaubnis zur temporären Einfuhr (d.h. ein kleines Kärtchen mit QR-Code); inzwischen ist es kurz vor Mitternacht;
- Der Versicherungsagent knöpft mir frech 200EUR ab anstatt der 1900MAD; der Verlust (ca. 20EUR) ist verschmerzbar; trotzdem ärgert
es mich, auf den plumpen Trick hereingefallen zu sein!
- Der idyllische Campingplatz in Moullay Bousselham, traditionell der erste und letzte Stopp
jeder Marokko-Tour ist seit Corona geschlossen; der Ausweichplatz vor dem Tor unruhig und laut;
- Der folgende Fahrtag (mit 645km die drittlängste Etappe seit Beginn der Aufzeichnungen) wird zum Höllenritt:
von Rabat bis nach Marrakech schüttet es, was vom Himmel will; zudem herrscht dichter Verkehr, vor allem schwere (und schmutzige) LKWs; zum Glück kein Stau und kein Unfall; hinterher sieht die Lady Grey aus wie frisch vom Feldweg;
- Am ersten Kreisverkehr in Agadir übersehe ich prompt eine rote Ampel und werde - wenn auch freundlich - zur Kasse gebeten (400MAD = 38EUR); Abwicklung jedoch ordentlich;
Kann ein Land denn wirklich nachtragend sein? Oder ist das nur der ganz normale Wahnsinn gemäß Murphys Gesetz?
Eines allerdings muss ich auch feststellen - und das stimmt mich versöhnlich: es sind kaum Touristen
im Land. Dabei bin ich mir jedoch nicht sicher, ob ich nur zu früh dran bin (die meisten kommen wohl erst über Weihnachten) oder ab sie tatsächlich dem Land den Rücken gekehrt haben - wegen der strengen COVID-Politik vor zwei Jahren (offiziell herrscht hier noch immer Ausnahmezustand!). Jedenfalls sind die vier Campingplätze in Sidi Ifni - einem Hotspot der europäischen Snowbirds - allesamt verwaist. Nur auf dem Camping Tafraouine (etwas außerhalb gelegen) drängen sich sage und schreibe sechs Tourigespanne. Beim letzten Mal waren es über vierzig gewesen.
Ait Ouabelli - ›Hochwasser‹ (Marokko)
Mist, Mist, Mist. Oder ›Merde! Merde! Merde!‹, wie man hierzulande sagen würde!
Dieses Mal scheint wirklich der Wurm drin zu sein! Erinnert sich das Land wirklich, was ich vor
drei Jahren an dieser Stelle geschrieben hatte? Oder ist's der Preis für die wirklich wenigen Touris, die sich diesen Winter hierher verirrt haben? Von Ruhe oder Entspannung kann jedenfalls keine Rede sein!
Blicken wir kurz zurück: Anreise siehe oben: Fähre verspätet, Stress am Zoll, Camp geschlossen, Wetter
besch..., Nachtplatz laut. Südlich von Agadir wird's etwas besser, aber kaum bin ich zwei Wochen im Land, fällt das Thermometer und ich muss morgens bei fünf, sechs Grad aus den Federn kriechen! Und das ohne Heizung! Dazu bläst ein unablässiger Sturm aus Norden - und hat alles im Gepäck außer der sehnlichst erhofften Wüstenluft. Ab Mittag ist's trotzdem auszuhalten, weil eben doch die Sonne strahlt - trotz Sturm. Kurze Hose und T-Shirt allerdings liegen noch immer ungetragen in der Kleiderkiste, stattdessen schieben Fleece-Pulli und lange Unterhosen Überstunden.
Zum Glück habe ich drinnen genug zu tun: der ›Homo Vagabundus‹, mein aktuelles ›literarisches Werk‹ soll
endlich fertig werden! Aber das zieht sich! Eigentlich hatte ich mir nur die Rechtschreib- und Plausibilitätsprüfung aufgehoben, am Ende wird daraus ein komplett neuer zweiter Buchteil (der jetzt natürlich auch wieder gegengelesen werden muss … ein Fass ohne Boden! Ganz ehrlich, inzwischen kann ich den Text nicht mehr sehen!
Fahrtechnisch hat sich auch etwas Neues ergeben: während ich früher eher mal zehn Tage am Steuer saß,
bevor ich ein, zwei Tage Pause einlegte, habe ich dieses Jahr den Spieß umgedreht: ein bis zwei Tage Fahrerei, danach Pause im Nirgendwo bis Kühlschrank oder Abwassertanks Zuwendung brauchen (meist so nach zwei bis drei Wochen). So zeigt der Tacho heute nur 2600 Kilometer mehr als bei der Überfahrt, ein Klacks für Marokko, aber ein großer Schritt in den CO2-Sparplänen! [1]
Nach diesem Strickmuster lande ich vor einer Woche ein drittes Mal in Tata, wo wieder ein paar Einkäufe
fällig sind, bevor ich mich auf meinen angestammten Platz bei Ait Ouabelli zurückziehen kann. Und seither macht sich auch die Sonne rar - mehr als das! Ich stehe mitten im Regen-Gefängnis!
Der größte Fehler in diesem Winter!
Warum? Nun, beim Herfahren regnet es ein wenig und ich reibe mir schon die Hände: "Dann sind wenigstens die
Pisten nicht so staubig!" Über Nacht geht der Regen jedoch in Wolkenbruch und "Ahrtal"-Regen über, es schüttet, was vom Himmel will und hört nicht mehr auf. Seit vier Tagen geht das nun schon so … und seit drei Tagen habe ich nur noch eines: Angst. Angst, hier nicht mehr wegzukommen! Der Boden um mich herum ist das, was sich eben einstellt, wenn man Sand und Wasser mischt: Treibsand vom Feinsten! Bei jedem Schritt sinke ich bis zu den Knöcheln ein und an Bewegung der Lady Grey ist nicht im Traum zu denken! Kurz: Ich sitze fest!
Heute Nacht habe ich mir sogar schon ausgemalt, die Lady Grey aufzugeben
und nach Hause zu fliegen (wo immer das sein mag). Aber Aufgeben war ja noch nie mein Stil gewesen! Also werde ich abwarten und beten, dass zwischen den Wolken doch mal die Sonne durchkommt und den Boden zumindest oberflächlich abtrocknet. Irgendwie müssen die 500 Meter bis zur nächsten Steinpiste doch zu schaffen sein!
Vergangene Nacht hat sich dann auch noch das Flusstal, das bislang einigermaßen trocken erschien, seiner
Bestimmung besonnen und damit auch den letzten, gestern noch mit einiger Mühe passierbaren Ausweg versperrt. Und es regnet munter weiter; nicht mehr so heftig, aber immer und immer wieder fallen ergiebige Schauer vom Himmel.
Drückt mir die Daumen, dass ich die Lady Grey hier irgendwie herausbugsieren
kann … wenn möglich vor dem 28.Februar (da ist nämlich die Fähre gebucht)!
Zwei Spuren im Sand zeugen Tage später von der erfolgreichen Flucht … (nach 3 Tagen ›Warterei‹)
Guelmin (Marokko) - So ein Schlam(m)assel!
Richtung Zag (N28°17.9640, W009°29.7450) fahre ich eigentlich nur, um zu sehen,
wie sich das Stück Land darstellt, das auf der Karte als ›Beach‹ gekennzeichnet wird. Vermutlich ist damit aber nur ›Sand‹ gemeint! Natürlich will ich auch sehen, wie sich der Qued Draa, der größte Fluss im Süden Marokkos nach dem vielen Regen gebärdet. Im Normalfall ist er ja ein absolut trockenes Wadi, das allenfalls unterirdisch ein paar Tropfen Wasser Richtung Meer schickt (Die Mündung hatte ich ja schon vor Jahren inspiziert; sh. rechts). Und siehe da: beides ist den kurzen Abstecher wert!
Zum einen ist die Landschaft südlich von Assa wirklich sehenswert: erst geht es über einen
gut ausgebauten Pass, dann ein Stück weit im Tal entlang, danach folgt ein zweiter Pass und schließlich die Querung des Qued Draa. Auf fast zwei Kilometer führt die Straße auf den hier üblichen ›Brücken‹ über den Fluss. Für gewöhnlich ist das alles ausgetrocknet, doch diesmal führt der Fluss so viel Wasser, dass er auf der Rückfahrt auf eine Länge von fünfzig Metern sogar die Straße überschwemmt hat. Aber auch hinwärts fahre ich durch einen zwei Kilometer langen See! Wirklich beachtlich, welche Wassermassen da 'zu Tal' gefördert werden. Alles natürlich braune Brühe, trotzdem sehr imposant!
Und jenseits des Qued beginnt tatsächlich eine ganz andere Art von Wüste: potteben, endlos und ohne jeden Baum und Strauch.
Ein gänzlich neuer Anblick. Auch wenn es hier genauso geregnet haben muss wie weiter im Norden, denn die Pisten links und rechts der Teerstraße sind ebenso aufgeweicht und allenthalben sind Spuren steckengebliebener Fahrzeuge zu erkennen. Dennoch wage ich mich wieder ins Abseits, genieße zwei Nächte lang die Ruhe und Leere, bevor es endgültig zurück in Richtung Zivilisation, sprich Fähre gehen muss.
Sollte es mich eines Tages doch noch einmal nach Marokko verschlagen, steht diese Region ganz oben auf der Destinations-Liste!
Dann hoffentlich mit weniger Sturm und Regen! Denn prompt fängt es am letzten Morgen erneut an zu tröpfeln, sodass ich alarmstartmäßig zur Teerstraße hetze: ein zweites Mal wie bei Ait Ouabelli will ich nun wahrlich nicht schippen müssen! Doch es bleibt bei wenigen Tropfen!
In Guelmin sind dann auch die Spuren der Schlammschlacht schnell beseitigt; nur die Sandbleche werde ich noch geraderichten müssen! Doch ein halbes Dutzend notdürftig verzurrte Sandbleche sind hierzulande kein Problem - ganz anders als in 'Good Old Germany'!
P.S. Reisen hat Nebenwirkungen! Positive auf den Reisenden selbst. Negative auf die Umwelt. Bei unserem Tun sollten wir das nicht übersehen! Daher habe ich den CO2-Fußabdruck für diese Etappe um
3.270kg reduziert, indem ich die Einsparung in Schwellenländern unterstütze.
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