Ait Ouabelli (Marokko) (GPS: 29°08,413'N; 008°35,219'W)
Das Herz pocht bis zum Hals, der Puls ist bei 180, Angstschweiß steht mir auf der Stirn. Hoffentlich geht das gut! Mute ich der Lady zu viel zu? Sie ist schließlich kein Unimog, der das schaffen würde, ohne mit der Wimper zu zucken!
Geländeuntersetzung rein, Allrad, erster Gang! Im Schneckentempo klettert die Lady Grey auf dem blanken Fels vorwärts. Aufwärts. Der Steigungsmessser steht auf Anschlag, die Skala reicht bis 30 Grad Steigung! Meter für Meter kämpft sie sich vorwärts. Zwanzig Meter ebene Piste schaffen eine kurze Verschnaufpause, dann gibt's zwei weitere enge, steile, mit Felsen übersäte Absätze! Auch die schafft die tapfere Lady ohne Anecken oder Aufsitzen! Braves Mädel! Gut gemacht!
Zur Belohnung gibt's oben am Ende des Abhangs einen kurzen Stopp. Der Pulsschlag beruhigt sich. Doch der Wegweiser zum Plage Blanche lässt Zweifel aufkommen, ob es wirklich so eine tolle Idee ist, diese selten befahrene Piste unter die Räder zu nehmen. Sicher gibt's eine Straße die zum 'Plage' führt, dem über 60 Kilometer langen, fast menschenleeren - und fast weißen - Sandstrand an der Atlantikküste zwischen Sidi Ifni und El Quatia (Tan Tan Plage). Das sind 150 Kilometer Umweg und - igitt - langweilige Teerstraße. Dabei will ich dieses Jahr doch noch ein wenig Abenteuer erleben. Ein ganz klein wenig nur! Dabei sollte ich die Lady allerdings nicht in den Graben setzen! Das wäre ein teures Abenteuer!
So ganz ohne Blessuren geht der Abstecher zum Plage Blanche dann aber doch nicht über die Bühne!
Aber lasst mich vorn beginnen!
Auf der ersten Etappe durch Marokkos Norden standen ja Städte, Medinas, Berge, Menschen und Kultur im Vordergrund. Was an Marokko mindestens ebenso reizvoll ist, ist die Wüste und die große Weite im Süden. Ich meine nicht die Region Westsahara, die Marokko vor Jahrzehnten (1968) annektiert hat. Diese Region will ich bewusst nicht bereisen! Auch weil dort die Gefahr von Überfällen deutlich höher ist ... und weil Tausende französischer Wohnmobilfahrer in Dakhla, der Hauptstadt der Westsahara überwintern. Zu sehen gäbe es eh nicht viel - außer 1500km langen, ziemlich mieser Teerstraße (N1).
Kreuz und quer durchs Atlasgebirge Auch hier im "kleinen Süden" - der Region zwischen dem Hohen Atlas und der algerischen Grenze (die leider seit Jahren geschlossen ist) - gibt es noch viel zu erkunden!
Vom Erg Chebbi und meinem ersten 'Urlaubsplatz' hinter den Dünen geht's gemächlich zurück in Richtung Zivilisation. Richtung Berge. Die nagelneue Teerstraße führt gen Westen und dann über den Jebel Sarhro, eine eindrucksvolle Berglandschaft voller 'Zickzackberge'. In den winzigen Oasen und Flusstälern finden sich immer wieder kleine Ortschaften mit Hunderten von Bewohnern und ich frage mich, wovon diese vielen Menschen hier draußen leben. Haben die alle Internetanschluss und arbeiten vom Home-Office aus? Oder werfen die mageren Ziegenherden doch so viel ab, dass man damit eine ganze Familie ernähren kann?
Kaum treffe ich auf die in Ost-West-Richtung verlaufende N10 - die vielgerühmte Straße der 1000 Kasbahs - herrscht schlagartig dichter Verkehr. Überlandbusse, Taxis, Minibusse, und Wohnmobile! Stoßstange an Stoßstange - jedenfalls für marokkanische Verhältnisse! Wollen die alle zu der in jedem Reiseführer hochgelobten Schlucht von Todra?
Allah sei Dank, offenbar nicht! Ab Tinerhir, wo das schmale Sträßlein zur Schlucht abzweigt, bin ich wieder allein. Kurz vor dem eigentlichen Beginn der Schlucht lockt ein nettes Restaurant. Es ist Mittag, der Magen knurrt und spontan beschließe ich, das Kochen heute ausfallen zu lassen. Statt dessen lasse ich mir eine leckere Tajine mit Hühnchen und Gemüse schmecken. Dazu den obligaten Berber-Whiskey (Pfefferminztee) und zwei Gläser frisch gepressten Orangensaft. Das Ganze für umgerechnet sechs Euronen. Der angeschlossene winzige Camp ist nicht viel teuer, es gibt Anschluss zum Internet und heißes Wasser zum Duschen. So bleibe ich gleich den Nachmittag und die Nacht auch noch da. Morgen ist auch noch ein Tag!
Der führt mich dann bei den ersten Sonnenstrahlen langsam, ganz langsam durch die Schlucht. Seine senkrechten, leuchtend roten Felswände bilden einen herrlichen Kontrast zum satten, frischen Grün der Palmen und Oasenfelder. Weiter hinten dann nur noch Schlucht, 200 Meter hohe Felswände, zwischen denen sich Bächlein und Sträßlein kaum gemeinsam hindurchzwängen können (Teilweise liegen Bach und Straße übereinander!). Doch Platz für einen Souvenirladen findet sich auch in der engsten Schlucht! Wehe, wenn heute Mittag die Busse voller Touris kommen! Das wird ein heilloses Gedränge und Geschiebe! Im Moment sind aber nur zwei Pärchen zu Fuß unterwegs und genießen den grandiosen Anblick mit jedem Schritt. Sie machen alles richtig!
Bei mir geht's auf vier Rädern weiter gen Norden, denn ich möchte die oft zitierte aber selten unternommene Querung hinüber zur Dades-Schlucht in Angriff nehmen. Das sind 'eigentlich' nur vierzig Kilometer Piste und ich kann mir das doppelte Hinein und Hinaus durch die Schluchten sparen.
Die Piste aber hat es in sich! Für vierzig Kilometer brauche ich geschlagene sechs Stunden. Anfangs noch prima gepflegt, führt sie über die erste Anhöhe in ein Flusstal, dem sie nach Westen folgt. Bald apert der Pistenrand aus, wenig später ist von Piste nichts mehr zu sehen, weggespült von Sturzbächen. Die Spuren führen im Flussbett weiter, mal über scharfkantigen Fels, mal über fußballgroße Gesteinsbrocken, mal haarscharf an der Felswand entlang. Dabei geht's stetig aufwärts. Nach vier Stunden Kriecherei im Geländegang ist schließlich der Pass auf 2800m erreicht. Die Piste wird ein wenig besser, doch nur bis wiederum das Flusstal auf der anderen Seite erreicht ist! Hier geht's wie gewohnt direkt im Flussbett weiter. Diesmal abwärts! Dabei rücken die Felswände oft so nah zusammen, dass ich mich frage, wie ich die Lady da hindurchbugsieren soll.
Nach einer letzten Engstelle öffnet sich das Tal und spuckt die Piste auf eine kleine Ebene aus, voller leuchtender Felder, mit grünen Bäumen und lebhaften Ortschaften. Es ist geschafft, Msemir am westlichen Ende der Querung ist erreicht. Wie unterschiedlich die Vegetation hier im Westen doch im Vergleich zum Ostabhang des Passes ist! Wie eine Klimascheide, die ich da gerade gequert habe! Doch noch immer sind wir mitten im Hohen Atlas!
Der erste Plattfuß! Plattfuß im Hohen Atlas [MAR] Pfffffffffffft. Höre ich da nicht ein leises Pfeifen am Hinterreifen? Wundern würde es mich nicht, bei der Piste! Der erste Plattfuß dieser Reise! Also Reifen wechseln! Es ist früher Abend, die Sonne versinkt hinter dem Berg und mit einem Schlag wird es bitterkalt! Trotz Mütze und Schal bin ich am schlottern - und habe Null Bock auf einen Reifenwechsel hier draußen! "Der Reifen bläst ja nur ganz leicht!" beruhige ich mich und messe den Druckverlust: 0,4bar pro Stunde. Bis Boumalne sind es morgen noch sechzig Kilometer! Das könnte ich schaffen - ganz ohne Plackerei. Wenn ich den Reifen über Nacht auf Druck halten kann. In der Stadt gibts sicher einen Reifenflicker, der mir die Schinderei abnimmt! Zweimal klingelt mich der Wecker in der Nacht heraus, zweimal fülle ich den Reifen wieder auf (und bin heilfroh um den Bordkompressor!). Morgens dann noch einmal - und los geht's.
Durch die malerische Schlucht des Dades und eine wirklich reizvolle Landschaft rolle ich Richtung Boumalne. Schade nur, dass die Gedanken gerade ganz woanders sind, beim kaputten Reifen nämlich! Die in jedem Führer und auf jeder Landkarte abgebildete Serpentinenstraße durch die Schlucht ist wirklich ein Augenschmaus ... und eine nette Kurbelei. Die Schluchtenlandschaft des Dades-Flusses ist viel, viel länger, tiefer eingeschnitten, dabei abwechslungsreicher als die der Todra-Schlucht weiter im Osten. Interessant sind sie beide und sollten auf keiner Marokkotour fehlen!
Trotz Freitag finde ich in
Boumalne
schnell einen Reifenflicker. Mit Hammer und zwei abgewetzten Montiereisen
bewaffnet, macht sich Chez Ali ans Werk, ich gehe ihm zur Hand, so gut es geht und nach zwei Stunden Plackerei
haben wir den Reifen wieder montiert und es kann guten Gewissens weitergehen. Die Reisekasse ist um 30 Euronen
ärmer, dafür freut sich Ali über einen leckeren Freitagsbraten.
Auf der Straße der 1000 Kasbahs Die Straße der 1000 Kasbahs, die ich von früheren Touren wegen der sehenswerten Ksour (Handelsplätze mit befestigten Mauern) noch in guter Erinnerung habe, entpuppt sich diesmal als arger Reinfall: die originalen Ksour sind verfallen und allenthalben stehen nachgemachte Bauten in deren Stil, die Stadtverwaltung, Schulen, Hotels oder ähnliches beherbergen. Die Hälfte der Straße nach Ouarzazate - dem Verkehrskonten im Westen - ist damit gesäumt und die Stadt setzt dann noch eines drauf. Die Straße ist gut zu fahren, aber nicht mehr das highlight jeder Tour durch Südmarokko!
Recht touristisch geht's auch weiter, nach der Kreuzung in Ouarzazate wieder Richtung Südosten, ins Vallee du Drâa. Das grüne Tal, in dem sich ein Palmenhain an den nächsten reiht, ist seit Jahrzehnten ein begehrtes Touristenziel. In Zagora, der quirligen Hauptstadt am Südende des Tals reihen sich Hotels, Teppichläden, Campingplätze und Restaurants aneinander wie Perlen auf der Gebetskette.
Für die Bevölkerung ist dabei offenbar einiges hängengeblieben, denn der Ort platzt aus allen Nähten, überall stehen neue, stattliche Wohnhäuser, moderne Läden und mittendrin eine grandios geschmückte Moschee. Als 'Ungläubiger' darf ich deren Pracht wieder mal nur von außen bewundern. Dennoch sollte man versuchen, wenigstens einen kurzen Blick ins Innere zu erhaschen! Himmlisch!
Einer der Camps in Zagora (Camping Sindbad) ist ziemlich runtergekommen und natürlich lande ich genau auf ihm! Doch er ist zentral gelegen und für eine Nacht ist jeder Platz unter Palmen gut genug.
Afrikanischer Markt in Zagora [MAR] Heute ist Sonntag ... also Markttag! Ein Augenschmaus für jeden Reisenden! African Flair vom Feinsten! Zu erstehen gibt's alles: Datteln der Palmen von nebenan, Äpfel, Orangen, Bananen aus den Oasen, warme Decken fürs Zuhause, Reizwäsche für Sie, Lederjacken für Ihn, Jogginghosen für die Kinder, Blechtöpfe, Fahrräder, Gebetsteppiche, Touaregschmuck, Ziegen, Heu, Baumaterial für die Hütte, Schachteln für die Datteln. Was das Herz der Einheimischen eben so begehrt. Drei Stunden lang bummle ich von Stand zu Stand. Beobachte die Einheimischen beim Feilschen, beim Kaufen. Höre die Verkäufer ihre Waren anpreisen. Schüttle Schlepper ab, die nur Tourischund verhökern wollen. Koste hier, probiere da. Kaufe zwei Kilo Orangen, drei Kilo Datteln und ein Kilo gebrannte Nüsse. Fülle eine Speicherkarte mit Fotos.
Genug des Rummels! Es muss wieder Wüste her!
Die meiste Wüste fürs Geld gibt's in M'Hamid, einem Dünengebiet zwei Stunden südlich von Zagora. Da alle dorthin fahren, muss ich mir was anderes suchen! Also direkt nach Westen, über eine 120km lange Piste direkt nach Foum Zguid, der nächstgelegenen Oase. Die Piste ist prima zu fahren ... ulkigerweise läuft parallel eine nagelneue, fertige Teerstraße, die man jedoch nicht benutzen darf! Die muss schon seit ein paar Jahren fertig sein, denn so manche der neu angelegten Flussquerungen ist schon wieder weggespült - oder kurz davor! Well, Straßenbau a la Marokko! Solange die Piste so gut ist, soll's mir recht sein.
Auf halbem Weg endet die Teerstraße in einer großen Baugrube - und die Piste auch! Weiter geht's den Reifenspuren nach durch zwei kleinere Queds und an verlassenen Bauzelten der Straßenarbeiter vorbei. Nach der nächsten Wegbiegung dann doch wieder eine Piste, die zusehends besser wird und zwanzig Kilometer vor Foum Zguid wieder zur Teerstraße mutiert. Außer dem einen Bulldozer an der Baustelle und zwei einsamen Arbeitern ist auf der ganzen Strecke weit und breit nichts und niemand zu sehen! Willkommen in der Sahara!
Foum Zguid ist zwar nur eine unscheinbare Ortschaft, aber sehr malerisch zwischen zwei Bergrücken des Antiatlas gelegen. Recht typisch für Südmarokko: die Berge sind unfruchtbar, kahl und abweisend, die weiten Regebenen außen herum allenfalls mit einzelnen genügsamen Tamarisken bestanden. Doch da wo sich zwischen den Bergrücken ein Spalt auftut ('Bruchstelle') drängt das Grundwasser an die Oberfläche und zaubert eine üppige Palmenoase hervor, die Hunderten von Menschen ein Auskommen ermöglicht. Ortschaften - und Militärgarnisonen - finden sich durchwegs an solchen 'Bruchstellen', der Quelle jeglichen Lebens. Die Araber haben sogar ein eigens Wort dafür: Foum, übersetzt soviel wie 'Mund': Foum Zguid, Foum el Hisn, Foum Assaka.
Mal südlich, mal nördlich eines solchen unterbrochenen Bergzugs, des Jebel Bani geht's weiter gen Westen, bis ich in Tata, einem unscheinbaren Städtchen an eben solch einer Bruchstelle, aus sämtlichen Wolken falle, die den Himmel seit Tagen - mal mehr, mal weniger - bedecken. "Der Camp der Stadt wird gerade renoviert" steht im Führer geschrieben. Wollen doch mal sehen, was daraus geworden ist.
Unübersehbare Wegweiser lotsen uns zu einem Blechtor mitten in der Stadt. Dahinter eine penible Aufreihung weißer fahrbarer Kunststoffkisten und deren Anhängern: drei Dutzend französische Wohnmobilisten, die alle hier überwintern. Mitten in der Wüste, umgeben von hohem Mauern. Was das europäische Herz so begehrt haben sie in ihren Anhängern mitgebracht: Quads und Motorräder, Vorzelte und Campingstühle, Gaskocher und Wassertanks. Und riesige Satellitenschüsseln, damit sie keine Folge der französischen Soapserien verpassen! Eine französische Insel mitten in Afrika! Duschen und Toiletten entsprechen allerdings eher dem afrikanischen Standard: trotz Renovierung marode und unbenutzbar!
Das kostenlose WiFi des Restaurants nebenan nutze ich trotzdem gerne um mal wieder mails zu checken und zu sehen, was im Internet so los ist. Zu mehr als einer Nacht in diesem 'Gefängnis' kann ich mich aber nicht durchringen!
Nachtrag 07.01.2014: Fünf Kilometer westlich der Stadt gibt's noch mehrere Camps, darunter den Oasis Dar Ouanou. Der ist er wesentlich schöner gelegen, morgens zwitschern die Vögel unter Palmen , es gibt warme Duschen und den Einkaufstrip zum Souk kann man prima mit einem Spaziergang verbinden.
Willkommen im Garten Eden! Für den nächsten Morgen habe ich mir einen Führer organisiert: Isam will mir Felsgravuren zeigen (auf dem Weg nach Assa). Die Gravuren liegen versteckt auf einzelnen Felsen und sind ohne Führer unmöglich zu finden. 7000 Jahre sollen die Ritzungen alt sein, Wissenschaftler der Universität in Rabat hätten das festgestellt, erzählt mir Isam in ganz passablem Deutsch. Abgebildet sind Elefanten, Rhinos, Antilopen und mehrere 'ausgestorbene Tiere'. Zum Ende der europäischen Eiszeiten, war diese Region der Sahara so etwas wie der Garten Eden mit zahlreichen Tieren, die wir heute eher aus dem Osten oder dem Süden Afrikas kennen.
Auch in anderen Regionen der heutigen Sahara, z.B. im Tassili n'Ajjer oder im Teffedest finden sich vergleichbare Ritzungen, so dass Isams Geschichte ganz glaubwürdig klingt. Wie die Ritzungen, die oft an exponierten Stellen zu finden sind, bei den häufigen Sandstürme aber siebentausend Jahre überstehen konnten ist mir allerdings ein Rätsel! Trotzdem ein großartiges Erlebnis, so etwas 'in freier Wildbahn', völlig ohne Zaun und ganz ohne Souvenirshops vorzufinden!
Noch während wir weitere Gravuren suchen, frischt der Wind aus Nordost auf und erreicht bald Sturmstärke. Das Thermometer befindet sich im freien Fall und Isam bibbert trotz Schal und Anorak. Ich setzte ihn in Akka, der nächsten Busstation ab und suche mir ein halbwegs windgeschütztes Plätzchen zwischen den Tamarisken eines Wadis. Viel Wind halten die knorrigen Bäumchen nicht ab und so verbringe ich eine unruhige Nacht und einen noch unruhigeren Tag. Der Sturm will einfach nicht aufhören und trägt immer neue finstere Wolken heran. Allerdings nicht in 'mein' ausgetrocknetes, knochentrockenes Flusstal.
Noch immer bläst der Wind überaus eifrig, als ich mich nach einem Pausentag wieder hinters Lenkrad klemme. Die ersten Regentropfen werden schnell größer, als ich mich Bouizarkane nähere und damit aus dem Windschatten des Antiatlas hinausrolle. Auf den Straßen stehen große Pfützen, die Stadt scheint menschenleer und die wenigen, die unterwegs sind, sind eingemummt in Regenmäntel und -mützen. Gegen den Regen, der fast waagerecht fällt, hilft auch das wenig!
Erst als ich auf der N1 die Stadt Guelmin hinter mir lasse und weiter gen Südwesten rolle, lassen Wind und Regen langsam nach. Die Straße ist genauso 'mau' wie das Wetter, dazu viel Verkehr auf dieser großen Verbindungsachse in den Süden, in die Westsahara und nach Mauretanien.
Viel zu sehen gibt's hier nicht mehr. Nach Querung eines schmalen fruchtbaren Tals, in dem unter riesigen Zeltplanen Bananen gezogen werden, beginnt südlich von Gulemim die Hammda du Draa, diese endlose ebene Steinwüste, die sich bis weit nach Algerien hinüber erstreckt und so gar nichts hat, was dem Auge imponiert! Bis hinunter nach Dakhla (Westsahara) und Nouádhibou (Mauretanien) wird sich an diesem Landschaftsbild wenig ändern! Wenig Verlockung also, das alles selbst zu erkunden, selbst die langweilige Teerstraße abzureiten! Dazu die Unsicherheit in der Westsahara ... und die überwinternden Franzosen in Dakhla! Nein Danke, das muss ich nicht haben! Schon gar nicht zu Weihnachten! Denn das naht mit Riesenschritten.
Aber wenigstens die Küste will ich erreichen. Dort, wo die Sahara den Atlantik trifft. Vor meinen ersten Sahara-Durchquerungen stellte ich mir das immer als grandiosen, endlosen Sandstrand vor, der sich von Marokko bis hinunter in den Senegal erstreckt. Tatsächlich aber ist das meiste davon abweisende, lebens- und badefeindliche Steilküste. Ganz ohne romantische Dünen und Sandstrand! Lediglich ein kurzes Stückchen der über 1000 Kilometer langen Atlantikküste hat "Bilderbuchstrand". Genannt Plage Blanche, der 'weiße Strand'. Zwischen Sidi Ifni und Al Quatia gelegen. Einsam und idyllisch.
Erstes Ziel ist also Al Quatia, heute ein wichtiger Fischereihafen, der früher Tan Tan Plage hieß und reichen Marokkanern aus der wenig einladenden Garnisonsstadt Tan Tan als Erholungs- und Badeort diente. Das soll er wohl auch wieder werden, denn der Bauboom ist ungebrochen! Dazu zwei riesige Campingplätze, teuer und wenig einladend, dafür direkt am Strand. Mitten in den Salzschwaden, die der Wind von der Brandung heranträgt.
Man sollte wissen, wann es genug ist ... Direkt südlich von Al Quatia ist schnell Schluss mit Sandstrand. Zwanzig Kilometer weiter finde ich trotzdem einen netten Nachtplatz - direkt oberhalb der Steilküste.
Während unter mir die Wellen gegen die Sandsteinklippen donnern, beschließe ich oben, dass es damit genug sein soll! In die Westsahara möchte ich bewusst nicht fahren - und die 200 Kilometer bis zum Cap Juby und Tarfaya haben nichts zu bieten außer mieser Teerstraße und eindrucksloser Hamada! Lieber schaue ich mir da den 'kleinen Süden' etwas näher an, als mich im "großen Süden" zu langweilen! Hier also werde ich kehrtmachen und wieder gen Norden rollen. Auf N28°23'23.16", W011°25'35.40" soll der südlichste Punkt meiner ersten Etappe in Afrika liegen! 17907 Kilometer und 184 Tage seit der Abfahrt in Gilching!
Am Abend noch ein Fläschchen Rotwein köpfen - den ich mir eigentlich für die Weihnachtstage aufheben wollte - und den 'Wendepunkt' begießen. Feste muss man eben feiern, wie sie fallen!
Die Stimmung am nächsten Morgen ist ziemlich bedrückt: plötzlich bin ich auf der Heimreise! Höhepunkt überschritten, ab jetzt geht's nur noch abwärts!
Nein, nein, nein! Wir sind jetzt auf dem Weg zum Schiff, das uns nach Amerika bringen wird! Ein ganz neuer Kontinent! Neue Eindrücke! Neue Abenteuer! Neue Herausforderungen!
Schneller als ich den Motor starte, kehrt die Reiselust zurück!
Suche nach einem ruhigen Plätzchen Nun heißt es aber schleunigst, ein nettes Plätzchen für die Festtage zu finden!
Die miese N1 nach Norden, von
Tan Tan
nach
Guelmim
will ich mir ersparen!
Dafür führt - laut Karte - direkt an der Küste eine Piste nach
Sidi Ifni,
vorbei am
Plage Blanche,
den Stand, den ich unbedingt sehen möchte!
Der Abzweig im Feriendorf
Al Quatia
ist schnell gefunden und die gute Piste bringt
mich schneller gen Norden als erwartet. Ein paar Sandverwehungen unterwegs, aber nichts, was mich aufhalten kann!
Dann quert plötzlich eine Teerstraße und direkt dahinter tut sich ein tief eingeschnittenes Flusstal auf.
Der
Qued Draa,
der größte Fluss Marokkos mündet just hier in den Atlantik.
Die Piste soll am anderen Ufer weiterführen gen Norden!
Der im Landesinnern weitgehend ausgetrocknete Fluss hat ein kleines Delta aufgeschüttet,
ein Brutgebiet für Vögel mit vielen kleinen Inseln.
Von einer Piste oder gar Brücke allerdings ist weit und breit nichts zu sehen!
Ja, wenn die Lady Grey schwimmen könnte ...
Inzwischen haben sich auch - dank Teerstraße aus
Tan Tan
- vier französische Wohnmobile an diesem idyllischen Plätzchen eingefunden und stören
ganz gehörig die traute Einsamkeit. Also werde ich hier auch nicht lange bleiben!
Nächste Hoffnung ist nun
Sidi Ifni,
wobei ich auf einen einladenden Camp setze, auf dem ich endlich die Feiertage angehen kann.
Camps hat's in Sidi Ifni - der spanischen Enklave, die erst 1969 an Marokko zurückgegeben wurde - mehr als genug: ein halbes Dutzend reiht sich rund um das Nordende des malerischen, weiß-blauen Städtchens auf. Einer belegt sogar frech die komplette Strandpromenade unterhalb der 'Restaurantmeile'. Die Marokkaner schauen den Campern direkt in die Kochtöpfe (und anderswo hin) und schütteln nur die Köpfe. Keiner der Camps ist einladend genug, mehr als zwei Nächte zu bleiben. Zumindest gibt's auf einem Camp eine windarme Zone (dank der Mauern ringsum), wo ich die Lady von Kopf bis Fuß durchquecken kann. Obendrein gab's gestern noch eine Komplettwäsche und nun strahlt die Lady wieder in vollem Glanz.
Aber nicht lange! Ein Weihnachtgeschenk muss ich der Dame noch verabreichen, auf das ich nicht besonders stolz bin! Es lässt sich aber nicht vermeiden!
An der halb verfallenen Brücke über den Qued Assaka endet das Teersträßchen von Sidi Ifni nach Süden ebenso abrupt wie es begonnen hat! Im Schneckentempo klettert die Lady über die Felsstufen und schlägt sich tapfer. Die selten befahrene Piste die folgt, steht dem Wegweiser zum Plage Blanche in nichts nach und schenkt uns keinen Meter. Eine felsübersäte Quedquerung folgt der anderen, dazwischen klettert die Piste immer wieder auf steinige Berghänge, nur um dahinter ins nächste Wadi abzutauchen. Allenfalls für Landrover oder Motorräder ist die Piste breit genug. Von MANs war nie die Rede!
Erster Kratzer an der Lady Grey [MAR] Eine der Queddurchfahrten erinnert mich nachdrücklich daran, wie breit die Lady ist: links ein Felsbrocken, groß wie das Vorderrad, rechts einer dieser knorrigen und äußerst dornigen Tamariskenbäume. Dazwischen gerade Platz für 'nen Landy! Ausweichmöglichkeit weit und breit nicht in Sicht! Also links so nah wie irgend möglich am Felsen entlang und rechts das hässliche Kreischen der Dornen am Lack ignorieren! Irgendwie kommt die Lady überall durch. Nur hier hat sie sich ein hässliches Andenken eingefangen. Eines, das sie so schnell nicht wird ablegen können!
"Sorry, Mylady, es tut mir wirklich leid!"
Kurz nach dem 'Tamariskendebakel' ist's höchste Zeit fürs Nachtquartier, oben auf einem Bergrücken irgendwo im Nirgendwo. Mitten zwischen trockenen Kakteen mit Aussicht auf das nächste Flusstal und die nächsten Tamarisken! Allah sei Dank bleiben uns weitere schmerzhafte Begegnungen erspart - während die Piste holprig und felsig bleibt!
"Da entlang!" weist uns ein einsamer Fischer in einem altersschwachen Wohnwagen den Weg. Weist auf einen Spalt zwischen zwei Felsen, in dem tatsächlich Reifenspuren verschwinden. Eine kurze Inaugenscheinnahme zeigt, dass das ein teuflisch steiler Abstieg werden wird. Der letzte, Allah sei Dank! Dahinter die Ebene mit dem endlosen Sandstrand! Der liegt geschätzte zweihundert Meter unter uns - und da müssen wir hinunter! Viel Platz ist nicht im felsigen Nadelöhr, aber irgendwie passt es dann doch und die Abfahrt ist halb so problematisch! Der Strand ist erreicht!!! Nach fast zwei Tagen Fahrerei über Stock und Stein ist endlich der Plage Blanche erreicht!
Und was soll ich sagen: er schaut aus wie jeder andere Sandstrand der Welt auch! Schön. Einsam! Auch ein wenig schmutzig.
Dass es hier schön sein könnte, hatten sich auch drei andere Wohnmobilfahrer schon gedacht. Im Plage Centre, - einer Ansammlung von zehn verlassenen Häusern, die sich seit Jahren vergeblich gegen den Sand stemmen - hatten sie sich wohnlich eingerichtet - gerade mal fünfzig Meter vom komfortablen Teerband entfernt! Ich wäre überrascht gewesen, so nahe an einer Teerstraße keine Wohnmobilfahrer anzutreffen! Somit fällt wohl auch dieses Plätzchen für die Weihnachtsfeier aus!
Welche Möglichkeiten hast du jetzt noch, Weihnachten allein und in Ruhe zu feiern? Bleibt nur eins: ein Platz in der Wüste, im 1000-Sterne Hotel! Vielleicht ein Platz, den du schon kennst? Der aber nicht zu viel Umweg bedeutet? Ja, Ait Ouabelli liegt recht günstig! Auf die Piste verirrt sich wirklich kein WoMo-Fahrer! Und die Einheimischen lassen mich auch in Frieden! Perfekt!
Also auf nach Ait Ouabelli! Zu dem Platz, auf dem ich auf der Herfahrt schon einen Tag Pause hatte einlegen müssen. Dort suche ich mir einen Platz hinter dem Felsriegel, der den Wind und die Geräusche der Straße ein wenig dämpft. Ein Platz mit einem riesigen Vorgarten, einer weiten Ebene, mit ein paar Tamarisken, denen man gut ausweichen kann, die aber Schatten spenden, wenn's dem Christkind zu warm wird.
Well, so bin ich hier gelandet, an meinem einsamen, idyllischen, ruhigen Weihnachtsplatz. Irgendwo im Nirgendwo. Habe meinen Tannenbaum zusammengesteckt, vier Kerzen angezündet, die CD mit keltischen Balladen eingelegt und draußen den Sternenhimmel angeguckt.
Kann es einen schöneren Ort geben, ein Fest der inneren Einkehr zu feiern, das anderswo auf der Welt in Trubel, Hektik und Zwistigkeiten erstickt? Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen!
Inzwischen ist das Fest schon wieder 'Staub von gestern'! Und wir alle freuen uns auf das Jahr 2014 und sind gespannt darauf, was es bringen wird - ich ganz besonders! Wie ein Flitzebogen!