Reykjavik (Island) (GPS: 64°08,745'N; 021°52,626'W)
Bis gestern waren die Zelte der Rucksacktouristen und die 'Abenteuermobile' der Reisenden in der Überzahl. Am Abend aber fällt eine Horde von über einem Dutzend 'organisierten Wohnmobilfahrern' auf dem Camp ein. Im Nu ist jede freie Lücke gefüllt und meine Nachbarn können plötzlich nicht mal mehr ihr Vorzelt öffnen, weil da jetzt ein 'großer weißer Hymer' steht. Auch Duschen und die Küche haben die Neuankömmlinge sofort und ausschließlich für sich entdeckt!
Was die alle hier wollen? Doch nicht etwa zur Gay Pride Parade heute Mittag, dem zweitgrößten und hoffentlich sehr farbenfrohen Festival Islands? So schauen mir die Neuankömmlinge allerdings nicht aus! - Wie gut, dass ich mich morgen wieder ins Cockpit schwingen kann, um die zweite Hochlandquerung anzugehen!
Interessantes Reykjavik [ISL] Interessantes Reykjavik
Liegt's an der bleischweren, dunkelgrauen Wolkendecke, die seit Tagen über der Stadt liegt? Oder liegt's an den Hunderttausenden anderer Besucher, dass mir Reykjavik nicht wirklich gefallen will? Versteht mich richtig: Reykjavik ist eine sehr nette Stadt, in der es Einiges zu erkunden gibt. Aber der Funke mag einfach nicht überspringen.
Wirklich beeindruckt allerdings hat mich die Hallgrimmskirkja. Die größte Kirche Islands, wenn nicht ganz Skandinaviens, die nun - gründlich saniert - in neuem Glanz erstrahlt. Das Äußere mit den Basaltsäulen nachempfundenen sechseckigen Pfeilern der Fassade, die der Kirche die Silhouette eines ausbrechenden Vulkans geben, ist schon beeindruckend. Dazu die schiere Größe, die Höhe von fünfundsiebzig Metern, die den Turm auch aus dreißig Kilometern Entfernung erkennen lässt.
Am Imposantesten aber ist das Innere! Versuchen andere Kirchen - selbst solche in Skandinavien - durch Ihre Verzierungen, Malereien, Ikonen, Standbilder und Fenster zu beeindrucken, so fasziniert hier gerade deren Fehlen. Das Innere hält den Besucher mit der schieren Leere gefangen - mit der Einfachheit, mit einer Schlichtheit, die den Blick des Besuchers unwillkürlich nach innen lenkt.
"Reduce to the Max" könnte man's auf einen Nenner bringen. Bin ich sonst - wohl aus Jugendtagen geprägt - kein großer Fan von Kirchen, diese hat es mir wirklich angetan!
Ein Schmuckstück im Innern ist die riesige Orgel mit 5275 Pfeifen, die nicht nur optisch gut aussieht, sondern auch ganz toll klingt (soweit ich als Musikbarbar das beurteilen kann), wie ich bei einem der täglichen - kostenfreien - Konzerte feststellen kann. Nebenbei: die Orgel ist 'made in Germany'!
Ein paar Schritte weiter, unten am Hafen findet sich das zweite wirkliche Highlight Reykjaviks: die Harpa. Die Konzerthalle mit vier großen Sälen, mit Tagungsräumen, Café und First-Class-Restaurant ist so neu, dass sie noch nicht einmal im Reiseführer von 2010 erwähnt ist. Angefangen wurde ihr Bau - nach vielen kontroversen Diskussionen, vor allem wegen ihres Designs - in 2007. Dann kam die Pleite Islands (2008) und drei ihrer Banken dazwischen, ab 2010 wurde das halbfertige Prunkstück dann mit öffentlichen Geldern vollendet.
Und ein Prunkstück ist es fürwahr! Schon von Weitem zieht einen die einzigartige Glasfassade in ihren Bann, die sich wieder an den Basaltsäulen der Lava orientiert und nachts über Tausende von LEDs hinterleuchtet wird. Allein für die Fassade wurden über drei Millionen Glasscheiben verbaut. Heute ist eine ganze Mannschaft jahrein - jahraus nur damit beschäftigt, die Scheiben zu putzen und abzudichten!
Hinter der Fassade dann dunkelgraue, fast schwarze Mauern. Zum Teil nur bemalter Beton, zum Großteil aber mit echtem Vulkangestein verkleidete Wände! Die Einrichtung des Cafés nordisch, sachlich, schlicht; seltene Farbkleckse bilden nur vereinzelte gelbe Türen. Die Konzertsäle selbst - vier an der Zahl - sind allesamt nach neuesten Kenntnissen der Akustik gebaut und mit modernsten technischen Errungenschaften ausgerüstet. So lässt sich im großen Saal sogar die Zeit des Nachhalls einstellen - über ein elektrisches Verstellen von Zwischenwänden.
Alle Säle sind als Vielzwecksäle eingerichtet und können für die unterschiedlichsten Veranstaltungen genutzt werden: vom Opernabend bis zum Heavy-Metal-Konzert oder der internationalen Konferenz mitsamt Dolmetscherdienst. Also: wenn Ihr einen speziellen Event in imposanter Umgebung organisieren müsst: die Harpa ist die Location schlechthin. Näheres unter www.harpa.is Nein, ich bekomme keine Provision für die Empfehlung .
Ach ja: die Stimmung im Innern ist trotz des Vulkangesteins freundlich, offen und sachlich - und durch nichts Unwesentliches abgelenkt! Die moderne nordische Architektur gefällt mir wirklich. Auch wenn damit solche Eigenarten einhergehen, dass an Fenstern - auch in Privathäusern - generell keine Vorhänge oder ähnliches zu finden sind. Allenfalls noch Jalousien, aber ja kein Zierrat!
Zierrat 'en mass' findest sich allerdings in den Schaufenstern der Shops in der Laugavegur und Ihrer Seitenstraßen, auf halbem Weg zwischen Hallgrimmskirkja und Harpa. Und das ist das, was mir in Reykjavik ein wenig aufs Gemüt schlägt. Ich habe den Eindruck (klar ist der subjektiv), dass die ganze Stadt einzig und allein auf den Tourismus ausgerichtet ist. In der Innenstadt gibt's wirklich kein Dutzend Läden, an denen nicht 'Souvenirs' in sechs Sprachen steht (darunter oft auch Kyrillisch), oder die Touren zu den Geysiren, den Walen, zum Tauchen oder auf die Gletscher anbieten. Nicht weniger als vier offizielle 'Tourist Informations' kann die City aufweisen, daneben Dutzenden privater Organisatoren!
Positiv anzumerken ist, dass nirgendwo versucht wird, den Touri übers Ohr zu hauen! Nepp und Pepp sind hier absolute Fremdworte! Alles läuft fair und ordentlich ab, die Leute sind freundlich und höflich. Wenn auch meist ein wenig reserviert. Und bei dem Einen oder Anderen habe ich den Eindruck, sie fürchten den Einfluss, den der Massentourismus auf die sonst so isolierte Insel und Ihre Einwohner, die eher zur Abgeschiedenheit neigen, haben könnte.
Ein paar andere Sehenswürdigkeiten hat die Stadt auch noch zu bieten, doch in erster Linie ist Reykjavik Start- und Zielort der meisten Island-Urlauber und damit Dreh- und Angelpunkt aller Touren ins 'Hinterland'. Auch für mich ist das 'Hinterland' das eigentliche Ziel der Tour ... und morgen kann es endlich weitergehen!
Großes, buntes Familienfest: die Gay Pride Parade [IS] Großes, buntes Familienfest: die Gay Pride Parade (Nachtrag vom 11.August 2013)
Ein paar Impressionen der Gay Pride Parade will ich Euch nicht vorenthalten. Es war ein netter Samstagnachmittag, an dem es keinen Reykjaviker in seinen vier Wänden hielt. Alles tummelte sich auf der Straße, Papa, Mama, Kind und Kegel. Ein bunter Nachmittag, geselliges Beisammensein, ein bisschen Show. Lecker Essen und Trinken unter freiem Himmel, schönes Wetter und am Ende ein Konzert der angesagtesten isländischen Bands. Sehen und gesehen werden, ein Foto Arm in Arm mit dem Bürgermeister. Wenig politische Statements außer "Seht her, wir sind alle eine große Familie, auch wenn manche von uns ein wenig anders sind."
Ein gelungenes Fest, immerhin der zweitgrößte Event des isländischen Kalenders! Und für mich kann es jetzt wirklich losgehen zur zweiten Hochlandquerung!