München - Planegg (Deutschland, Bayern) (GPS: 48°05,828'N; 001°17,521'E)
Um Etwas besser kennenzulernen ist es gelegentlich von Vorteil, einen Schritt zurückzutreten. Wie der Steinmetz von der Büste. Wie der Maler von der Leinwand. Wie der Reisende von der Heimat! Oder wie der Reisende von seiner Reise? Was unterm Strich aufschlussreicher ist, überlasse ich ganz euch. Da ihr in den anderen Beiträgen schon so viel über Südamerika gehört habt, will ich nun den Spieß rumdrehen und euch erzählen, was mir an der Heimat so auffällt. Nach vier Jahren außerhalb des weiß-blauen Dunstkreises habe ich - so bilde ich mir ein - genug Abstand, um einen Blick von außen darauf zu werfen. Gebe den Touristen im eigenen Land.
So ganz neutral kann ich dennoch nicht bleiben! Allenthalben drängen sich Vergleiche auf. Was hat sich in der 'Heimat' verändert? Was ist noch beim Alten? Wie war das damals? "Damals!" Wie das klingt - als ob ich Jahrzehnte weggewesen wäre! Dabei waren es gerade mal 1400 Tage.
Der erste Kontakt, gleich nach der Landung in Frankfurt, ist ernüchternd. So vieles hat sich verändert - gerade Dinge, die ich liebgewonnen hatte. Anderes ist noch beim Alten - obwohl es dringend der Neuerung bedarf! Nein, eigentlich ist es so grässlich gar nicht, worauf mein Blick in den ersten Stunden auf weiß-blauem Boden fällt. Gut, einiges gäbe es sicher zu ändern! Doch auch das lernt der Reisende unterwegs: Dinge akzeptieren. Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann. Wenn ihr euch an einem Schlagbaum in Mittelamerika aufregt, warum die Abfertigung gar so lange dauert, so ist das für das Weiterkommen in den wenigsten Fällen hilfreich!
Und sich aufzumandln, warum in München an jeder Straßenecke und in jeder S-Bahn Bettlerinnen mit vornehmlich südosteuropäischen, um nicht zu sagen rumänischen Gesichtszügen nach Opfern suchen, ist vermutlich ähnlich zielführend. "Es ist eben so!" - - - Also weiterhin "Tranquillo!"
Nach vier Jahren auf einem fernen Kontinent wieder in die frühere Heimat zu kommen, hat schon etwas! Unwillkürlich vergleichst du das Heute mit 'Damals'. Ist es wirklich erst vierzig Monde her, dass du mit wirklichen Freunden gesprochen - und ihre Mundart als angenehm empfunden hast. Dass du so herzhaft von einer Scheibe himmlischen Hofpfister-Brots mit Griebenschmalz abgebissen hast? Dass du auf die 'Drei im Weggla' gar nicht genug Senf bekommen konntest? Dass du auch 'mal lecker indisch Essen gehen konntest? Oder arabisch? Oder afrikanisch?
"Hört sich ja ganz schön verfressen an!" werdet ihr sagen. Tatsächlich sind es auf den ersten Blick die kulinarischen Genüsse, die ich - mit einem Grinsen von Ohr zu Ohr - rasch wiederentdecke. Sehr rasch. Verhungert bin ich zwar in keinem der Amerikas, aber neben Burgern, Pizza, Steaks und Bohnen existiert eben auch noch wahrhaft schmackhaftes Essen! Vornehmlich in Bayern - oder sagen wir: im Mitteleuropa. Zuwanderungsland zu sein hat eben nicht nur Nachteile!
Fremdsprachen auf dem Viktualienmarkt [BY] Sind wir schon beim zweiten Punkt, der 'daheim' ins Auge sticht. Besser ins Ohr. Hörte ich 'damals' noch überwiegend einheimische Laute auf den Straßen, in den Zügen, in den Geschäften, so scheinen die Deutschsprachigen inzwischen zu einer Minderheit geworden zu sein. Ob sie wohl schon auf der Liste der schützenswerten Ethnien stehen? Selbst auf dem Viktualienmarkt - seit Urzeiten eine uneinnehmbare Festung urbayrischer Marktweiber - werde ich in fließendem Russisch begrüßt. Zwei Buden weiter höre ich vorwiegend türkische Laute, am Käsestand gebrochenes Polnisch. Um der Wahrheit den Vortritt zu lassen: das Deutsch der meisten Marktfrauen ist zwar oft holprig, aber meist doch verständlich. Aber der Viktualienmarkt in fremden Händen? "So etwas gab's früher nicht!" höre ich die älteren Leute neben mir sagen. Wie wahr, wie wahr! Aber zumindest stammen einige der Waren noch von glücklichen bayerischen Kühen, von französischen Winzern oder ostanatolischen Olivenbäumen.
Kulturelle Vielfalt [BY] Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: kulturelle Vielfalt ist etwas Einzigartiges! Und ich beglückwünsche die Münchner zu so viel Weltoffenheit. In anderen Teilen der Republik sieht das deutlich anders aus! Allerdings würde ich auch den neuen Mitbürgern ans Herz legen wollen, sich der neuen (Gast-)Kultur etwas anzupassen und nicht völlig ein Leben im Ghetto zu führen. Dann bin ich sicher, dass ein für beide Seiten erfreuliches Miteinander entstehen kann! Schließlich bringen die 'Zugroasten' mehr mit als nur leckeres Essen ... Das Leben ist bunt, nicht braun!
Terrorismus in Europa [EU] Dass diese 'Miteinander' einen gewaltigen Knacks abbekommen hat, ist das dritte, was mir in der 'alten Heimat' auffällt. Keine Nachrichtensendung vergeht, ohne dass die Worte fallen "Bei einem Terroranschlag in Z. sind X Menschen ums Leben gekommen". Ob in London, Paris, Nizza, Manchester, Stockholm, Brüssel oder Berlin. Überall sind unschuldige und friedliebende Menschen das Ziel feiger Terroristen, die versuchen, dem Westen ihr antiquiertes Welt- und Glaubensbild überzustülpen. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, die moslemischen Fundamentalisten werden sich dabei ebenso die Zähne ausbeißen wie der Westen, der jahrzehntelang versuchte, seinerseits der moslemischen Welt sein Weltbild aufzudrängen. Warum können die Menschen nicht aufhören, anderen ihre Anschauungen mit Gewalt aufzuzwingen und für den eigenen Vorteil andere Menschen abzuschlachten? Steht nicht im Koran ebenso wie in der Bibel geschrieben "Du sollst nicht töten!" Dient die Religion tatsächlich - hüben wie drüben - nur zur Durchsetzung wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen?
Genug der Politik, genug der Philosophie!
In Südamerika, in der Pampa, in den Anden glaubt man, all das findet auf einem völlig anderen Stern statt. In einer anderen Galaxis. In einem Paralleluniversum. Ich hoffe, dass das so bleibt und Südamerika ein friedlicher Ort bleibt! Und auch in Venezuela wird hoffentlich früher als später die Vernunft siegen!
Was fällt mir noch auf in der 'alten Heimat'?
Nicht zu übersehen sind die vielen Bauarbeiten: ob neue Häuser, neue Straßen, neue Eisenbahnschienen. Überall wird gehämmert, geflext, gebaut, geschuftet. Es muss Deutschland wirtschaftlich prima gehen, sonst wäre nicht so viel Geld für Neues da. Auch wenn uns ein gewisser Amerikaner als 'Bad Guys' abstempeln will, irgendetwas scheint in Good Old Germany besser zu laufen als auf der anderen Seite des Atlantiks!
Ach ja - um zu den weniger verfänglichen Themen zurückzukehren: das frische Grün des Frühlings fällt ganz besonders auf! Als ich Ende April aus dem südamerikanischen Winter nach Norden düse, freue ich mich auf einen strahlenden europäischen Frühling. Auf sprießende Blumen, frische Blätter an Bäumen und Sträuchern, Sonnenschein, steigende Temperaturen.
Doch Bayern begrüßt mich mit Neuschnee! In den folgenden Wochen darf ich dann alle Jahreszeiten im Zeitraffer erleben: von Neuschnee am Alpenrand bis zu glühenden 35°C in Franken ist alles geboten. Ganz ehrlich: die letzten Wochen mit strahlendem Sonnenschein und Temperaturen weit über zwanzig Grad gefallen mir am allerbesten: bayerisch blauer Himmel spannt sich über blühende Kastanien; darunter schattige, Maß-bestandene Tische im Biergarten. Das Leben kann so schön sein! Dazu musst du gar nicht weit wegfahren!
Auch in der Heimat kann es schön sein [BY]Genau dies ist die Hauptlektionen, die ich diesmal lernen darf: Auch in der Heimat kann es wunderschön sein! Gerade in Bayern. Nicht umsonst zählt es zu den schönsten Bundesländern.
Man muss nur einen Schritt zurücktreten! Wie der Maler an der Staffelei! Dann lernt man selbst die
'alte Heimat' richtig zu schätzen.
So hat das Reisen wieder einmal seine positiven Seiten offenbart:
"Reise in die Ferne - und du kommst als neuer Mensch zurück!" - oder so ähnlich.
Diese Erkenntnis hatten auch schon andere - und haben sie in vier Worten gepresst. Das soll nun unwiderruflich die letzte Anmerkung zum Thema 'Intermediate' sein! Besser als in dem eingängigen Werbespruch eines Veranstalters könnte man die Botschaft nicht zusammenfassen!
"Weg sein muss sein!"
Darum geht's auch bald wieder zurück nach Uruguay und von dort weiter gen Norden. Brasilien ruft inzwischen so lautstark, dass ich es beim besten Willen nicht überhören kann!
Zum Schluss noch ein paar Bilder eines farbenfrohen Mittelalterfestes im Allgäu, das ich zwischen all den Fressorgien und Philosophieabenden besuchen konnte ....
Für Eingeweihte schließlich noch der Link zum privaten Blog (passwortgeschützt) über das weiß-blaue Intermediate...