Nueva Helvecia (Uruguay) (GPS: 34°18,912'S; 057°13,856'W)
Die Schweiz ist ein schönes Land! Die neue Schweiz erst recht: 'Nueva Helvecia':
ein schmuckes Städtchen vor den Toren Montevideos. An jedem der pieksauberen Häuser prangt das Wappen
eines Schweizer Kantons: Uri, Schwyz, Bern, Appenzell. Gelegentlich auch ein deutscher Adler ...
Die Menschen blond, blauäugig, adrett, fleißig. Sind Chile und Argentinien schon sehr europäisch angehaucht,
fühlt man sich hier ganz wie im Alpenländle. Nur die Berge fehlen! Stattdessen sattgrüne Wiesen und Weiden,
soweit das Auge reicht. Schwarzweiße Milka-Kühe. Schokolade vom Feinsten.
Selbst das Wetter ist alpenländisch kühl. Alle paar Tage ziehen graue Wolken auf, der Wind schüttelt die bunten Blätter von den Bäumen, am nächsten Tag regnet es ein wenig. Ein vertrautes Bild: der Herbst hält Einzug in der Schweiz Südamerikas!
Nicht nur das Wetter ist europäisch. Auch die Gedanken. Denn die sind schon seit Wochen mehr in der bayerischen Heimat als in der südamerikanischen Pampa. Schließlich ist es auch dort gar nicht so übel ... was man erst so recht zu schätzen lernt, wenn man anderes gesehen hat ... Reisen bildet, wie wir wissen. Bildet auch Vorurteile zurück, die mancher gegen die alte Heimat hegt!
Jedenfalls wirft des bevorstehende 'Intermediate' seit Wochen seine Schatten voraus. Welch schöneren Platz gäbe es, die Vorbereitungen zu treffen, die Freunde zu kontaktieren, die Termine zu vereinbaren, die Emails zu schreiben, die Bestellungen aufzugeben, die Fragen abzuklären als den herrlichen Camp am 'Granja Hotel Suizo'? Der weiträumige, gepflegte Garten, der einladende Pool, nicht zuletzt das leckere Essen, das man sich abends für überschaubares Geld einverleiben kann, könnten so manchen verleiten, die letzten Wochen vor der Heimreise komplett hier zu verbringen. Ein wirklich einladender Ort! Das wussten wohl auch schon die beiden Schweizer, die um 1870 hier die ersten Häuser und Ställe bauten, um wenig später ein respektables Hotel zu eröffnen, das bis heute zu den ersten Häusern am Platz gehört. Nicht nur des Essens wegen kommen die Gäste von weit her - aus Montevideo oder Buenos Aires - angereist!
Die letzten Tage vor der Heimreise verbringen Dutzende Europäer hier: sie stellen ihr Fahrzeug unter und fliegen nach Europa - oder machen das Auto seeklar, um von Montevideo aus die Heimreise über den großen Teich anzutreten. So sind Montevideo und Uruguay für viele Reisende die erste und letzte Station in Südamerika.
Für mich allerdings ist Nueva Helvecia nur ein Zwischenstopp auf dem weiteren Weg durch den großen Kontinent. Bevor aber der Rucksack gepackt wird und der Flieger abhebt, gilt es, die Eindrücke der letzten, langen Etappe Revue passieren zu lassen! Seit dem Halt in Ushuaia, am südlichsten befahrbaren Zipfel der Welt hat sich doch so einiges ereignet ...
Patagonien [ARG] Sturm. Finstere Wolken jagen über den Himmel. Winzige Lichtflecken huschen über die endlose, eintönige Weite. Nein! Dunkle Schatten fegen darüber. Die Lücken zwischen den Wolken werden kleiner. Die Lichtflecken verschwinden. Eintöniges Grau senkt sich über die Steppe. Verdorrtes Grün wird zu tristem Grau. Trostlos. Beklemmend. Die ersten Tropfen fallen. Der Horizont verschwimmt im milchigen Schleier. Seit Tagen verkriecht sich die Sonne hinter den Wolken. Obwohl die Tage lang sind wie in skandinavischen Sommer, versinkt alles in trübem, herbstlichem Grau.
Patagonien: Wetter [ARG] Unerwartet viele Menschen sind dennoch unterwegs. Eingemummt. Dicke Daunen-Anoraks. Winterstiefel. Mütze, Schal, hochgezogene Kapuzen. Darunter drei Lagen Pullover. Anders wagt sich keiner in den beißenden Sturm. Seit Wochen geht das so. Wenige Sonnenstunden, nein, -minuten unterbrechen das sich stets ändernde, trotzdem allgegenwärtige Mischmasch aus Wind, Sturm, Wolken, Regen und Graupelschauern. Mit der Zeit färben die Wolken ab - aufs Gemüt.
Keine Lust, etwas zu unternehmen. Keine Lust, schon wieder Pullover, Anorak, Mütze und Handschuhe überzuziehen, um einen Fuß vor die Tür zu setzen. Drinnen ist es am Schönsten! Kein Wind. Kein Sturm. Keine nassen Klamotten! Zu wissen, dass es in Patagonien und Feuerland viele windige Tage gibt: das ist das eine. Tag für Tag dem Sturm zu trotzen, Nacht für Nacht seinem Heulen zu lauschen und im schwankenden Bett herumgeworfen zu werden ist etwas ganz anderes! Selbst an vergleichsweise sonnigen Tagen gibt es kein Entrinnen - der Wind bläst und bläst und bläst! Abends draußen sitzen und ein Glas leckeren chilenischen Rotweins genießen? Fehlanzeige! Schon macht sich ein Hauch von Lagerkoller breit. Schlimm ist er noch nicht, aber irgendwann ist auch das spannendste Buch zum dritten, zum vierten Mal gelesen!
Patagonien: Zäune [ARG] Die Gegend draußen gibt kein Jota mehr her: sie ist alles andere als faszinierend! Langweilige, nervenzerrende, ewig gleiche Betonstraße unter den Rädern. Eintönige Landschaft links und rechts davon! Ihr wisst, dass ich ein großer Fan von weiter, offener Landschaft bin. Aber hier ödet sie mich derart an, dass ich am liebsten gleich wieder anhalten möchte! Das allerdings wäre alles andere als einfach, denn links und rechts der Straße ziehen sich die ebenso endlosen wie lückenlosen Zäune dahin! Pfosten auf Pfosten, Stahldraht in sechsfacher Ausfertigung, soweit das Auge reicht! Kein Unterschied zwischen Beton-, Teer- oder Schotterstraße: jeder einzelne Meter ist eingezäunt! Lockt doch 'mal ein Seitenweg zu einem Abstecher von der drögen Straße, hängt am Gatter eine dicke Kette und ein schweres Schloss. »Recinto Privado - No Pasar!« steht auf dem Schild daneben. So geht das über Dutzende, über Hunderte von Kilometern! Es gibt kein Entrinnen!
Ist es das immer gleiche, halb verdorrte Grün?
Ist es die Aussicht auf dutzende, auf hunderte einladender Stellplätze, die doch nicht zu erreichen sind?
Sind es die dunklen Wolken, die den lieben langen Tag am Himmel hängen.
Ist es das Thermometer, das kaum einmal zweistellige Grade zeigt? Ich kann es noch immer nicht begründen!
Doch ich weiß definitiv, dass Patagonien und Feuerland nicht das meine sind! Der Ruf, der noch vor wenigen
Wochen so vehement lockte, ist längst verklungen!
Wüste? JA! Einsamkeit? JA! Blick bis zum Horizont: JA! JA! JA! Aber Patagonien? Versteht mich nicht falsch: diese Region einmal mit dem eigenen Fahrzeug erfahren, mit den eigenen Augen sehen, mit den eigenen Sinnen fühlen: OK. Aber das muss auch reichen! Ein zweites Mal hierher? Da müsstet ihr mir schon mit der neunschwänzigen Katze kommen!
Den Patagonien-Blues brauche ich kein zweites Mal!
So warte ich händeringend auf das Schiff, das nur einmal pro Woche verkehrt. Das Schiff, dass mich hoffentlich schnell in den Norden bringt. In die Seenregion bei Puerto Montt und auf die Insel Chiloé. In den wirklichen Sommer! In die Wärme!
Nix wie weg: die Fähre nach Norden
Inside Passage [CHL] Tausende kleiner Inseln und Inselchen. Die Schweden würden sie Schären nennen, hier sind es namenlose, von Gestrüpp und windgepeitschten Bäumchen bestandene Felsbrocken. Dazwischen eine Fahrrinne, die der Mannschaft der Evangelistas höchste Konzentration abverlangt. Oft ist sie nur wenige Meter breiter als das Schiff selbst. Mehr als einmal muss Kapitän Morales Haken schlagen wie ein Hase, um zwischen den Inseln hindurchdurchzuschlüpfen. Gut, dass im 'Windschatten' der vorgelagerten Berge kaum Seegang herrscht. Doch der Wind pfeift uns in Orkanstärke um die Ohren, der Regen fällt waagerecht! Nur wenige hartnäckige Passagiere finden sich an Deck, Mützen und Kapuzen tief in die Stirn gezogen, Anoraks triefnass.
Wir sind auf der Fähre von Puerto Natales nach Puerto Montt. Drei Tage und vier Nächte schippern wir durch das Inselgewirr Südpatagoniens, vorbei an den Gletscherfeldern des süd- und des nordpatagonischen Eisfelds, immer geduckt hinter den Inseln, die zumindest den Seegang des offenen Pazifiks abhalten. Dennoch kreuzen wir die meiste Zeit im strömenden Regen, ab und an sind sogar Schneeflocken vor dem Kabinenfenster auszumachen. Gut, dass Speisesaal und Bar gut geheizt und die Decken in den Kojen kuschelig warm sind.
Draußen klatscht der Regen gegen die Fenster, die Landschaft verschwimmt im trüben, schwermütigen Grau. Drinnen erzählt Roberto, der deutschstämmige Chefsteward etwas über die Geographie, über Flora und Fauna Patagoniens. Dazu Bilder von majestätischen Bergspitzen unter tiefblauem Himmel, von Delfinen im sonnenglitzernden Wasser, von Guanakos auf tiefgrünen, sonnenverwöhnten Wiesen. Krasser könnte der Gegensatz zwischen draußen und drinnen kaum sein! "Wann ist das Wetter denn 'mal derart schön?", will jemand wissen. "Die Bilder sind über 25 (!) Jahre hinweg entstanden und irgendwann scheint eben auch mal die Sonne - selbst im Patagonien!" lautet Robertos lakonische Antwort.
Ein wenig Abwechslung ist für die meisten Passagiere angesagt, als wir den Schutz der Inseln verlassen und ein paar Stunden auf dem offenen Ozean schippern müssen. Da sind die Wellen ein wenig höher und der Wind pfeift noch ein, zwei Beaufort heftiger. Zwei Stunden vorher werden schon kleine braune Pillen verteilt, trotzdem bleibt der Speisesaal am Abend überraschend leer. Dabei sind das Stampfen und Rollen des Schiffs kaum bemerkbar. Ja, auch Seekrankheit kann man sich einreden (lassen)! Aber ok, so komme ich schlussendlich noch zu einem Nachschlag des leckeren Abendessens!
Nach diesem kurzen Intermezzo ist das Schlimmste überstanden. Wir verlassen Patagonien, die Eisfelder verschwinden achteraus, der Sturm lässt nach, der Regen hört auf. Von strahlendem Sonnenschein wie auf Robertos Fotos ist zwar noch nichts zu sehen, aber das Quecksilber klettert um gefühlte zwanzig Grad. Endlich, endlich! Das Sonnendeck füllt sich, die Anoraks sind im Nu trocken, die dicken Pullover verschwinden im Rucksack. T-Shirts werden hervorgekramt und so manche kurze Hose. Am nächsten Morgen haben wir unser Ziel erreicht, nach einigen Manövern machen wir in Puerto Montt fest, Abschiedsfotos werden geschossen, die Lady Grey rollt wohlbehalten von Bord.
Ich bin wieder mitten im gelobten Seengebiet der Südanden, gar nicht weit entfernt von San Carlos de Bariloche, nur eben auf der chilenischen Seite.
Hügel, Wald und Kirchen: Insel Chiloé
Nicht nur die winzige Evangelistas hat im Hafen von Puerto Montt festgemacht, sondern auch zwei riesige Kreuzfahrtschiffe. Ihre Passagiere überschwemmen die Stadt und machen aus der ruhigen Bummelmeile eine übervölkerte Rummelmeile. Nach der Einsamkeit Patagoniens kann ich so etwas im Moment ganz sicher nicht ab! Dollares, Rubel und Pesos rollen an der Costañera, der Küstenstraße in Mengen - beste Zeit, erst einmal Chiloé unter die Räder zu nehmen, nach Feuerland die zweitgrößte Insel Chiles. Mindestens ebenso sehenswert - und um viele Grad wärmer!
Kirchen auf Chil0é [CHL] Was auf Chiloé zuerst ins Auge sticht, sind seine Kirchen. An die 150 Gotteshäuser liegen verstreut in der besiedelten Osthälfte der Insel. Jedes winzige Dorf hat eins. Meist schmuck und gepflegt. Immer bunt, immer mit Schindeln verkleidet. Und immer mit zweistöckigen Türmchen. Zu Glocken, die darin bimmeln könnten, hat es meist nicht gereicht, aber auch so sind die Meisterwerke ein rechter Augenschmaus. Zudem muss man sich vor Augen halten, dass in keinem der Gotteshäuser - nicht einmal in der ausladenden Kathedrale der Hauptstadt Castro - auch nur ein einziger Nagel steckt! Holz gab es auf der Insel seit Urzeiten - Chiloé zählt zu den regenreichsten Regionen Chiles und der Boden ist fruchtbar. Doch Metall kannten weder die Ureinwohner, die Huilliche-Indianer noch hatten die jesuitischen Missionare Nägel im Gepäck.
Die predigten ab 1607 das Christentum - und die Huilliche nahmen es gerne an, vermischten es aber schnell mit ihren alten Mythen: Götter und Göttinnen, Hexen und Zauberer leben heute noch in den Wäldern, darunter Trauco, ein kleiner Unhold, der gern jungen Mädchen nachstellt.
Kein Stress auf Chiloé [CHL] Reich sind sie nicht, die Chiloten, aber freundlich und ruhig. Stress ist ein absolutes Fremdwort. Der Leitspruch "Wer sich beeilt, verliert Zeit!" [CHL] "Wer sich beeilt, verliert Zeit!", der in ganz Patagonien - im Grunde in ganz Südamerika - gebräuchlich ist, könnte von hier stammen. Dafür funktionieren die nachbarschaftlichen Bande: man hilft sich gegenseitig bei der Ernte, dem Hausbau oder auch mal beim Umzug mitsamt dem Haus, das auf Rollen und per Floß auf eine andere Insel verschifft wird. Dabei kommt das ganze Dorf zur Minga zusammen, einer großen Solidaraktion, bei der alle mit anpacken und am Ende zusammen feiern. Real funktionierender Sozialismus.
Neben den Kirchen und der herrlich grünen, hügeligen Landschaft, die ein wenig an Irland oder das Voralpenland erinnert, locken bei schönem Wetter die Palafitos in Castro zu einem Besuch. Fischfang und die Zucht von Austern (und anderen Muscheln) sind seit Urzeiten die Haupteinnahmequellen auf der Insel. Geld kann man nur im Meer verdienen - dazu aber braucht man ein Boot. Das wird am bequemsten gleich neben dem Wohnzimmer geparkt. Oder darunter. So entstanden die Palafitos, die Häuser auf Stelzen, die in Castro und anderswo die Ufer säumen. Wie immer aus Holz, wie immer bunt bemalt, waren sie bis vor kurzem die etwas ärmlichen Unterkünfte der Fischer. Neuerdings hat die Schickeria den Reiz des Lebens über dem Wasser entdeckt und die bunten Stelzenhäuschen in Luxuswohnungen, Boutique-Hotels und Edelcafés verwandelt. An den Fischer ging der neue Reichtum spurlos vorbei.
Vulkane und blauer Himmel: die Seenregion
Zurück auf dem Festland führt die Fahrt weiter gen Norden. Die Berge, die am Horizont grüßen, gewinnen wieder merklich an Höhe. Die symmetrischen, schneebedeckten Vulkankegel des Osorno und des Tronador kratzen an der 3000-er Marke, der Lanin gar an der 4000-er Marke. Unwiderstehlich locken sie ins Gebirge. Doch der Weg schlängelt sich zwischen Dutzenden, nein Hunderten von tiefblauen, in der Sonne glitzernden Seen hindurch, die die Gletscher vor Jahrtausenden geschürft haben. Ein See einladender als der nächste. Eine Bucht hübscher als die vorherige. Ein Ausblick grandioser als der eben bestaunte. Kein Wunder, dass der Kilometerzähler kaum vorwärtskommt!
Die Region ist touristisch der wohl attraktivste Teil Chiles. Entsprechend hoch sind die Touristenzahlen. Entsprechend dich gesät sind Cabañas, Hostales und Camps. Entsprechend lang die Autoschlangen, die sich durch so manches attraktive Dorf wälzen. Es ist Hauptreisezeit!
Camping special [CHL/ARG] Sowohl Chilenen wie Argentinier scheinen ein reiselustiges Völkchen zu sein. Viele junge Leute erkunden die Gegend mit Rucksack, Zelt und Autostopp. Viele andere mit chromglänzenden 4WD-Autos vom Feinsten. Wieder andere mit klapprigen Pickups, auf denen sich Zeltgestänge, Tische, Stühle und der unvermeidliche Grill hoch übers Dach türmen. Wieder andere haben nur eine Plane über die Pritsche des LKW geworfen und ziehen mit Kind, Kegel, Oma, Opa, Tante, Onkel und dem Rest der Großfamilie durch die Gegend. Zu sehen gibt's für jeden genug!
Deutsches Bier und Blasmusik: Valdivia
Und alle treffen sich offenbar in der »deutschen Stadt am Pazifik« wieder.
Wir erinnern uns: Valdivia ist mit ca. 4000mm Niederschlag die regenreichste Stadt Chiles. Ein wahres Regenloch in der südwestlichen Ecke des chilenischen Kernlands. Ihr könnt euch meine Überraschung vorstellen, als die Sonne zwei Wochen lang von einem azurblauen Himmel strahlt! Ist das die Wiedergutmachung des Schlamassels auf Feuerland? Oder etwa ein Geschenk Petrus' zum größten chilenischen Bierfest? Dem valdivischen Oktoberfest, das jedes Jahr zum Höhepunkt der Urlaubszeit - sprich Ende Januar - steigt?
Das Bier, das in der 130.000-Einwohner-Stadt gebraut wird, ist in ganz Chile berühmt. Im Supermarkt von Arica an der peruanischen Grenze ist es ebenso zu haben wie im 4-Sterne-Hotel von Punta Arenas. Vermutlich sogar in den Forschungsstationen im südlichsten Zipfel Chiles in der Antarktis! Kunstmann steht in großen Lettern auf dem Etikett, drinnen ist Gerstensaft vom Feinsten. Streng nach deutschem Reinheitsgebot gebraut. Der Braumeister - wie könnte es anders sein - ein ... Chileño! Aber mit deutschen Wurzeln und seit vielen Jahren mit einer Deutschen verheiratet.
Kunstmann-Bier aus Valdivia [CHL] Aus der riesigen Brauerei vor den Toren der Stadt - und einer ihrer Hauptarbeitgeber - wird das ganze Land mit Bier versorgt. Fünf Sorten stehen zur Wahl, bei denen Hopfen und Malz noch lange nicht verloren sind! Interessant - und vielleicht eine Anregung für Hofbräuhaus und Co. sind die einen Meter hohen, fünf Liter fassenden 'Biersäulen', aus denen man sich am Tisch selber bedienen kann. Da muss die Bedienung nicht so oft laufen!
In der Stadt tummeln sich mindestens ebenso viele Touristen wie Einwohner. Denen muss natürlich etwas geboten werden, um sie auf die Rummelmeile mit den teuren Bierbuden zu locken. Blasmusik und bayrischer Schuhplattler kommen da besonders gut an. Die Burschen in Lederhosen, die Madl'n im feschen Dirndl, auch wenn die Gesichter alles andere als bayrisch aussehen - und natürlich wieder kein Mensch Deutsch spricht! Obwohl auch die größte und modernste deutsche Schule Chiles hier ihren Campus hat.
Ganz nebenbei und hinter vorgehaltener Hand bemerkt: besser als jedes Reinheitsgebots-Bier aus der berühmten Brauerei schmeckt der leckere Mango-Milchshake nach einheimischem Rezept, der an der fahrbaren VW-Milchbar ein paar Schritte weiter frisch zubereitet wird. Den fangfrischen Algen, die morgens auf dem gut sortierten Fischmarkt feilgeboten werden, kann ich allerdings wenig abgewinnen. Dann doch lieber noch einen frischen Milchshake an der VW-Bar!
Gnädiges Schicksal: endlich wieder autark
Der Kühlschrank läuft volle Pulle. Die Milch ist kalt, die Butter fest, der Joghurt kühl. Wohltuender Genuss - nach vier Wochen (fast) ohne Strom. Ohne Kühlschrank, ohne Laptop, ohne Radio! Seit gestern ist das Leben wieder lebenswert! Dem Schicksal sei Dank!
Solaranlage 'verloren' [CHL] Was war passiert?
Rückblende in den Süden Patagoniens: das Land ist eintönig und schafbestanden, die wenigen Bäume sturmgebeugt, die Temperaturen mangelhaft. Den Fährtermin in den warmen Norden vor Augen rolle ich von Punta Arenas nach Puerto Natales. Der Sturm pfeift in Orkanstärke übers Land, dicke Regentropfen klatschen waagerecht gegen die Scheibe. Das Wetter ist einfach "bääääähhh"! Aber die Fähre wartet nicht! Also gegen den Sturm anfahren! Mehr als 60km/h schafft die Lady Grey kaum - trotz Vollgas und zweihundertvierzig Pferdestärken. Ab und an kommt ein dicker Brummi oder Sattelschlepper entgegen, rüttelt die Lady und ihren Fahrer bis aufs Mark durch. Nach fünf langen Stunden ist es endlich geschafft.
Auf dem Nachtplatz am Lago Sofia angekommen, traue ich meinen Augen nicht: dort wo heute Morgen noch die supertolle Solaranlage festgemacht war, die mich tagein, tagaus mit reichlich Strom versorgt hatte, da schaut mich nur noch ein leeres Gerippe an. Es sieht aus wie auf dem Schlachtfeld: die aufwändige, stabile Halterung komplett aus den Befestigungen gerissen, die drei Zentimeter dicke Achse aus dem Lager gefetzt; drei kostbaren Solarpaneele: vom Winde verweht; der Rahmen völlig verzogen, hängt nur noch an zwei dicken Stromkabeln; von den kostbaren Panelen zeugen nur noch die windschiefen Reste der Einfassprofile; das Dach ist übersäht von Einschlagkratern. Welchen Schaden doch so ein bisschen »bewegte Luft« anrichten kann! Nach der von der Nase gerissenen Brille nun schon mein zweiter, teurer Sturmschaden!
Mist, Mist, Mist! Ade, du geliebtes Heiligtum meiner Lady Grey! Ade, 3000 Euronen! Ade, 2000 Stunden Kniffel-Arbeit!
Ade, Strom! Ade, vollgeladene Akkus. Zwar lädt die Lichtmaschine auch die Aufbau-Batterien, aber die Tagesetappen sind viel zu kurz, um die etwas altersschwachen Akkus wieder komplett zu füllen. So bleibt Bordstrom in den nächsten Wochen kostbare Mangelware. Dabei gäbe es gerade jetzt - im wärmeren Norden, im Seengebiet um Osorno und Temuco wieder so viele nette Plätze, an denen man drei, vier Tage stehen bleiben und etwas unternehmen könnte! Doch spätestens am zweiten Tag sind die Batterien leer. Bier, Milch und Joghurt unangenehm warm.
"Will Dir das Schicksal etwas geben, so wird es Dich dorthin führen!" So oder so ähnlich hatte sich Bronnie Ware in ihrem vielgelesenen Buch über das Leben und Sterben geäußert. So wirklich glaube ich nicht daran - dazu bin ich viel zu sehr Ing. und »Naturgesetze-Gläubiger« - aber im Moment habe ich gerade nichts Besseres zu tun. Also lasse ich mich eben mal vom Schicksal leiten. Das führt mich zielstrebig nach Curacautin, zu einem Camp, auf dem ich mich schon auf der Fahrt gen Süden ungemein wohl gefühlt hatte: Lodge Suizandina [CHL] Suizandina. Camp und Lodge sind zwar ausgebucht, für die Lady findet sich trotzdem noch ein nettes, sonniges Plätzchen.
Beim Frühstück komme ich mit Sergio, Eigentümer Suizandina [CHL] Sergio, dem umtriebigen Eigentümer der Lodge ins Gespräch. Natürlich klage ich ihm mein Leid, frage, wo ich Ersatz für die Solarpanele bekommen könnte. Er winkt mich nur mit einem Schmunzeln in den Schuppen. Dort steht ein nagelneues Solarpanel, wie gemacht für die Lady Grey: richtige Spannung, richtige Leistung, richtige Größe! Perfekt! "Nimm, und bringe es mir irgendwann zurück!" fordert mich Sergio nur lapidar auf. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen! Zwei Tage später ist das Panel angeschlossen und montiert. Es arbeitet perfekt, liefert Strom 'ohne Ende' und vertreibt alle Sorgen um warme Milch, lauwarmes Bier und leere Akkus!
Doch das Schicksal zieht weiter seine Fäden. Sergio will in ein, zwei Jahren mit seinen Landrover auf Reisen gehen und sucht eine Menge Teile, die in Chile nur schwer erhältlich sind - darunter einen kleinen Wechselrichter. Just so einen schleppe ich seit Jahren als Ersatzteil herum - völlig unnütz: für die Lady etwas schwach, für Sergios Landy genau richtig! Im Nu sind wir handelseinig: eine 'Win-Win-Situation' wie aus dem Bilderbuch!
Auch die Lady freut sich doppelt: weniger zu schleppen und wieder genug Strom an Bord! Danke, Schicksal, besser hättest du es wirklich nicht einrichten können!
Letzte Sommertage in Seengebiet
Das Leben ist wieder einen Tick schöner!
Und wo könnte es schöner sein als in den Bergen, in den Tälern und an den Seen der Seenregion. Sei es auf chilenischer, sei es auf argentinischer Seite. Hier wie dort ist die Gegend einfach toll! Dort, wo ich auf dem Hinweg einen Schlenker hinüber nach Chile eingelegt hatte (Pino Hachado - Curacautin - Temuco - Pucón - Paso Lanin), will ich nun die argentinische Seite erkunden. Die ist nicht weniger schön und mindestens ebenso abwechslungsreich! Führt - immer in Sichtweite der Vulkane - am Rio Aluminé entlang nach Süden und mündet auf die schon bekannte Ruta de Siete Lagos. Die Straße der sieben Seen, die immer noch viele mehr zu bieten hat. Hier will ich ein paar Tage frische Bergluft schnuppern, bevor es im Sauseschritt quer durch die Pampa, nach Osten, nach Buenos Aires und Uruguay gehen soll.
Das Leben lässt sich wirklich nicht lumpen: Wandern, Schwimmen, Sonne tanken, Baden, Bootfahren: alles ist geboten! Urlaub, wie man ihn sich schöner kaum ausmalen kann! Am späten Nachmittag plötzlich ein heftiges Donnern, Blitze zucken aus dunklen Wolken. Im Nu ist der Himmel kohlrabenschwarz, Minuten später ergießt sich ein Wolkenbruch auf den Camp, der sich nur so gewaschen hat. Hektisch werden Plastikplanen gespannt, Zelte abgerissen, Gräben ausgehoben, Wohnwagen weggefahren. Der Regen prasselt die ganze Nacht gegen die Scheiben, der Sturm peitscht die Wolken durchs Tal, am Morgen sind die Berge ringsum schneeweiß. Pitschnasse Sachen werden eingepackt, Zelte abgebaut, die Kinder dick eingepackt. Das Quecksilber ist um zwanzig Grad gefallen!
Der Sommer ist zu Ende!
Danach hängen nur noch zwei Dinge in der Luft: Wolken und Regen. Tiefgraue Wolken, die sich immer und immer wieder vom Pazifik her in das weite Tal hereindrängen und ihre Regenfracht abladen! Genau hier! Am nächsten Morgen packen auch die hartnäckigsten Camper ihre Zelte, Wohnwagen und Wohnmobile und suchen das Weite. Einer einsamen, grauen Lady pfeift der Wind um die Scheiben. Drinnen sitzt einer, der Tagebuch schreibt, ein wenig liest und sich Gedanken zum Schicksal, zum Wetter und zum Leben macht.
Großes, leeres Land: die Pampa
Dass Argentinien ein großes Land ist, wissen wir inzwischen. Wie groß, zeigt nicht nur der Blick auf die Landkarte. Bislang hatte ich mich ja nur dicht an der Westgrenze gen Süden gehangelt. Sicher erinnert ihr euch an die Kilometertaferln auf der 'Ruta 40', die oben, an der bolivianischen Grenze mit 4853km anfangen und erst kurz vor Ushuaia auf Feuerland in den dreistelligen Bereich kamen. Dort war wenigstens jeden Kilometer Abwechslung angesagt: neue Kurven, neue Berge, neue 'Baches', neue Pisten, neue Ausblicke.
Die Strecke von Bariloche hinüber nach Buenos Aires am Rio de la Plata ist im Vergleich dazu gerade mal halb so lang. Bietet allerdings nur geschätzte ein Promille der Abwechslung und noch viel weniger Kurven! Abgesehen von einem Dutzend Verkehrsinseln ist mit Kurbeln nichts drin! Habe schon Angst, dass mir die Lenkung deswegen einrostet! Morgens beschleunigen, Tempomat einlegen und den lieben langen Tag der Musik lauschen. Mehr gibt's beim besten Willen nicht zu tun! Alle Stunde oder so mal nach links oder rechts schauen, aber solange der Horizont schnurgerade ist, sind wir auf dem richtigen Weg! Auf dem Weg durch die argentinische Pampa!
Pampa Typen[ARG] Bis auf einen schmalen Streifen Berge am Westrand besteht das riesige Land aus Nichts. Konkreter: aus Pampa. Viel Unterschied ist da jedoch nicht! Damit es nicht gar so eintönig wird, unterscheiden die Argentinier drei Arten von 'Nichts':
- Pampa Seca: die trockene Pampa: nur das berühmte Pampagras, soweit das Auge reicht; dazwischen grün-vertrocknete Büsche, umgeben von kilometerlangen Zäunen; selten mal eine winzige Rinderherde, ein paar Schlangen, Vögel haben Seltenheitswert; Note '5' in Sachen Abwechslung;
- Pampa Humeda: die feuchte Pampa: hier ist es tatsächlich deutlich grüner; es wird viel Ackerbau betrieben; links und rechts der Straße finden sich oft Gräben und Seen voller Wasser; die Straße ist ab und an mit Alleebäumen verziert; immerhin Note '4' in Sachen Abwechslung;
- Pampa Patagonica: die besonders leere, sturmzerzauste Pampa; einzige Lebewesen: dickbewollte Schafe und ihre eremitischen Estanzieros; gelegentlich dickbefleecte Touris in fahrbaren Schuhschachteln; Note '6*' in Sachen Abwechslung.
Gute Noten haben auch die argentinischen Straßen nicht verdient. Obwohl sie zunehmend besser werden, je mehr man sich der Hauptstadt Buenos Aires nähert. Dann wird aber auch gleich Maut kassiert! Kein Wunder, dass auch nahe der Hauptstadt nicht wirklich viel Verkehr herrscht. Dennoch schlage ich einen großen Bogen um dem 13-Millionen-Moloch und rolle auf drei riesigen Brücken nach Norden, erst über zwei, kilometerbreite Arme des Rio Paraná, dann bei Fray Bentos über den nicht weniger breiten Grenzfluss, der genauso heißt wie das neue Land: Uruguay. Die Schweiz Südamerikas!
Mittendrin liegt das Städtchen Nueva Helvecia, wohl die Keimzelle südamerikanischer Schweiz-Kultur. Mit Kühen, die leckere Milch geben - nicht nur tellergroße Steaks! Mit Menschen, die nicht nur für die heilige Siesta leben. Mit Hotels, in denen man Rösti und Apfelkücheli genießen kann. Mit einem Camp, auf denen man die Heimreise vor- oder nachbereiten kann. Mit netten Reisenden, die alle das gleiche Ziel haben: Montevideo und die Grimaldi.
Oder einen Flieger nach Europa. Nach Bayern. Bis der geht sind es aber noch gut vier Wochen. Doch schon beim bloßen Gedanken an Nürnberger Bratwürstl, an ein Graubrot mit Griebenschmalz, an einen grünen Salat mit Hähnchenbruststreifen läuft mir das Wasser im Mund zusammen ... Wieder 'mal ist Geduld gefragt! Eine Tugend, die man auf Reisen prima lernt.
Auch ihr werdet euch darin üben müssen! Bis zum nächsten Reisebericht wird es nun mehrere Wochen dauern. (Oder wollt ihr wirklich wissen, welche Abenteuer neben 'Drei im Weggla' in der alten Heimat auf mich warten? )
Bis neulich, also ...