Santiago (Metropolitana, Chile) (GPS: 33°16,8239'S; 070°44,2877'W)
"Willkommen bei Porsche. Was können wir für Sie tun?" Bin ich nun in der falschen Werkstatt? Dort hinten stehen doch die dicken Trucks mit den drei magischen Buchstaben! "Nein, nein, Service für MAN machen wir schon auch." beruhigt mich César, der etwas mürrische 'Post Sales Manager'. Im Nu ist abgeklärt, was der Lady Grey fehlt. Viel ist es nicht, nur die abgerissene ABS-Leitung möchte ich in Ordnung haben. Dann noch dies. Und jenes. Ach, das auch noch. Im Nu ist der Auftragsbogen voll. "Wie lange haben wir Zeit?" fragt der Manager. "Zwei Wochen! In der Zwischenzeit möchte ich auf die Isla de Pascua". César ist beruhigt und bietet mir an, auf dem Hof zu übernachten bis der Flieger geht. Duschen gibt's beim Warteraum und WiFi ist auch dabei. Claro! Das Angebot kann ich nicht ausschlagen.
Während ich den Rucksack für die Insel packe, wandern die Gedanken wieder einmal zurück und lassen
die letzten Wochen Revue passieren.
Nur 'ne Stippvisite: Argentinien
Riesiges Argentinien. Und das in zwei Tagen? Ja, mehr Zeit habe ich nicht! Aber ich will nicht das ganze Land bereisen. Nur auf kürzestem Weg von Bolivien nach Chile. Denn dort liegt mein nächstes wirkliches Ziel: der 'große Norden' des schmalen Landes an der Pazifikküste. Die 'andere Seite' des Salar de Uyuni, sprich die Grenzregion jenseits der Berge. Soll mindestens so schön sein wie die bolivianische Seite. Dazu weit bessere Straßen und Pisten! Also flugs durch Argentinien durchhuschen, der Rest des riesigen Landes steht später auf der Agenda.
Das versteht auch die nette Zöllnerin, die mich verwundert anschaut, als sie mir nach achtundvierzig Stunden den Ausreisestempel in den Pass drücken soll.
Dabei ist die Route zwischen den beiden Grenzposten gar nicht von schlechten Eltern: interessant und gut zu fahren. Ich komme prima voran, selbst als ich die gepflegte Teerstraße bei Abra Pampa verlasse, um mir ein paar dutzend Kilometer Umweg über Pässe und das tief eingeschnittene Quebrada Humahuanca zu sparen. Dafür geht's auf einer schnellen Piste an der Laguna de Guayatayok entlang, durch menschenleere Gegend, die allenfalls ein paar ruhesuchende Touris aus Buenos Aires heimsuchen.
Schon bald geht es auf Teer weiter, quer durch die Salinas Grandes, in denen eifrig Salz abgebaut wird. Es soll nicht der letzte See seiner Art gewesen sein! Je mehr die Straße nun wieder an Höhe gewinnt, je mehr ich mich der Grenze zu Chile nähere, desto mehr Vulkane rücken ins Blickfeld. Die Atacama-Wüste lässt grüßen! Über ihren Gipfeln aber ziehen bedrohliche, tiefschwarze Wolken heran. Droht mir etwa eine Neuauflage der schweren Unwetter, die vor gerade mal acht Wochen genau hier niedergingen? Hoffentlich nicht! Unmittelbar neben der Straße stehen tiefe, sandfarbene Schlammtümpel, darin die Spuren schwerer Regengüsse. Auch die Quebradas, normalerweise furztrockene Bachbetten zeugen von sintflutartigen Wassermassen, die vor gar nicht langer Zeit zu Tal gestürzt sein müssen. Mitten in der trockensten Wüste der Erde.
Wetterkapriolen a la El Niño!
Zierten auf argentinischer Seite noch vereinzelte Grasbüschel oder verdorrte Sträucher die Landschaft, ist auf chilenischer Seite auch damit Schluss! Die Landschaft wir leer. Im wahrsten Sinn des Wortes. Kein Baum, kein Strauch. Kein noch so winziges Anzeichen von Leben! Mittendrin ein breites, schwarzes Teerband, das sich durch die menschen- wie lebensleere Mondlandschaft windet.
Dabei ist die Landschaft nicht etwa eintönig. Oder langweilig. Im Gegenteil! Überall gibt es bizarre Formationen zu bewundern. Mal Felsen, mal nur Steine, die eine abstruse Form bilden. Am Horizont grüßen Vulkane. Alles durchsetzt mit weißen Schneeflecken, Überresten der letzten Unwetter. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und einem eisigen, schneidenden Wind werden sie wohl noch ein paar Monate erhalten bleiben. So wie die dicken Eiskrusten, die die Ufer der ausgesprochen salzigen Seen zieren.
Welch eine herrliche, einladende Landschaft das wäre. Stundenlange Wanderungen zu den sanft geschwungenen Gipfeln? Spaziergänge rund um die tiefblauen Seen? Die Leere aufsaugen? Die Stille genießen? Die Einsamkeit spüren? Wäre das nicht toll? Der Sturm, der keine auch noch so kurze Pause einlegt, fegt schon die ersten Ansätze solcher Ideen vom Tisch! Für die wenigen Fotos muss ich mich aus dem Fahrerhaus zwingen. Anorak, dicke Mütze und warme Handschuhe. Oberkörper und Beine gegen den Sturm gestemmt wie ein alter Seebär. Danach flugs zurück in die warme Kabine! Kein Ort zum Bleiben, so faszinierend die Landschaft auch sein mag!
Die schnurgerade Straße führt in einem Rutsch von der Passhöhe auf knapp 4800m hinunter auf 2500m. Keine Kurve, keine waagerechte Stelle. Ein Königreich für eine gute Motorbremse! Nach dem letzten Notbremsweg (alle machen einen häufig benutzen Eindruck ) endet die Straße am nächsten See. Dem Salar de Atacama. Dem größten und bekanntesten der zahllosen Salzseen. Mit dem Salar de Uyuni drüben in Bolivien allerdings kann er beim besten Willen nicht konkurrieren: zum einen misst die Oberfläche gerade mal ein Drittel seines bolivianischen Bruders, zum anderen ist die alles andere als strahlend weiß.
Mekka mit Kirche: San Pedro de Atacama
Doch an seinen Ufern liegt Mekka. Das Mekka der Touristen. Sagt Irgendjemand in Chile, er/sie gehe in die Wüste, meint er/sie mit Sicherheit San Pedro de Atacama. Aber nicht nur Chilenen zieht es hierher: es ist das Ziel aller Reisenden im Norden Chiles. In den staubigen Gassen der Fünftausend-Seelen-Gemeinde hört man deutsche Vokabeln ebenso wie brasilianische, französische oder englische ebenso wie chinesische und argentinische.
Tatsächlich ist das Angebot an Wüstentouren von und nach San Pedro kaum überschaubar. Schaut man genauer hin, bemerkt man, dass alle Agenturen das Gleiche anbieten: Tagesausflüge zum Paso de Jama (da, wo ich gerade herkomme). Besteigung eines halben Dutzends Vulkane (rund um den Salar gelegen). Geysire, die nur am Morgen sprudeln. Baden wie im Toten Meer (in einer winzigen Pfütze inmitten des Salars). Sandboarding, eine Art Wüstenschifahren (auf der einzigen Sanddüne weit und breit). Und als highlight die Drei- und Vier-Tagesausflüge auf den 'richtigen' Salar, auf den von Uyuni nämlich. Bei den attraktiven Preisen (sie werden mit billigen bolivianischen Fahrern durchgeführt) gibt es kaum einen Reisenden, der die anstrengende Tour ins Nachbarland nicht bucht. Die Tausend Toyotas in Uyuni hatten mir ja schon einen Vorgeschmack darauf gegeben!
Neben drei Dutzend Reiseagenturen hat San Pedro drei wirkliche Bonbons zu bieten: zum einen die sehenswerte Kirche ganz aus natürlichen Rohstoffen: Adobe (sprich Lehm) für die Mauern, Kakteenholz, zusammengehalten von schmalen Lederbändern für das Dach. Das entspricht dem lokalen Baustil - und hält seit Jahrzehnten! Keinen Steinwurf entfernt steht die zweite Sehenswürdigkeit - versteckt unter unscheinbaren, staubigen Stoffkuppeln. Auch das nach Art der Region gehalten. Das Meteoriten-Museum.
In wohl keiner anderen Region auf diesem Globus gehen so viele Meteoriten nieder wie hier in der Atacama Wüste. Zumindest findet man sie hier am einfachsten! Mit Metalldetektor und einem wachsamen Auge sind die eisenhaltigen, schwarz versengten Überreste der außerirdischen Geschosse gut aufzuspüren. Zwei engagierte Hobbyforscher aus San Pedro haben über dreitausend dieser ebenso seltenen wie wissenschaftlich wertvollen extraterrestrischen Himmelskörper für ihr Museum zusammengetragen. Obendrein mit Schautafeln und verständlichen Texten ganz prima erklärt! Kosmische Geschichte zum Anfassen!
Das dritte - wirklich sehenswerte - highlight liegt draußen vor den Toren der Gemeinde, zehn Kilometer südwestlich. Das Valle de La Luna, das Tal des Mondes. Ob die Amerikaner hier tatsächlich ihren 'Lunar Rover' getestet haben, wie viele Einheimische behaupten, kann ich nicht nachprüfen. Einen geeigneteren Platz dafür hätte man aber kaum finden können! Sand, Salz und die wenige Feuchtigkeit haben auf vielen Quadratkilometern eine bizarre Landschaft geschaffen, die auf Erden ihresgleichen sucht. Statt vieler Worte lasse ich da lieber die Bilder sprechen ...
Einem ähnlichen Thema widmet sich das ALMA. Sein Verbund aus derzeit sechsundsechzig Parabolschüsseln steht auf fünftausend Metern Seehöhe und reckt seine Antennen auf der Suche nach fernen Galaxien, Sternenhaufen und Planeten in den meist sternklaren Himmel. Zusammen bilden sie das größte und höchstgelegene astronomische Observatorium der Welt. Besuchen darf man das ALMA nicht. Lediglich die Verwaltungsgebäude, die Antennenwerkstatt und den Kontrollraum bekommt man auf der samstäglichen Tour gezeigt. Ein Rechenzentrum voller Monitore und Server wie auf jeder Computerfarm. Astronomie? Sternenentstehung? Die Geschichte unseres Universums? Alles nur auf bunten Fotos, die den Betonwänden ihre Tristesse nehmen. Die wahren Geheimnisses des Universums bleiben dem Besucher auch hier verborgen!
Quelle chilenischen Reichtums: Chuquicamata
Hundert Kilometer westlich von San Pedro richten sich die Augen der Besucher nicht in den Himmel, sondern nach unten. Staunend blicken sie in das größte Erdloch Chiles. Vier Kilometer lang, drei Kilometer breit und einen ganzen Kilometer tief. Das sind die gewaltigen Dimensionen der größten Kupfermine Chiles. Tief unten, durch den aufgewirbelten Staub nur schemenhaft zu erkennen werden spielzeuggleiche Laster von ebenso winzigen Baggern beladen. Kommen die Brummis nach fast zwei Stunden Fahrt an die Oberfläche, sind aus ihnen gewaltige Ungetüme geworden. Vier Meter Reifendurchmesser, der Fahrer sitzt acht Meter über der Fahrbahn. Bis zu dreihundertneunzig Tonnen erzhaltiges Gestein bringt jedes dieser Monstergefährte nach oben. Die meisten sind 'made in Germany', 'Liebherr' kann man auf jedem zweiten Typenschild lesen.
Aus den dreihundertneunzig Tonnen Gestein werden in einem arbeits- wie energieintensiven Prozess gerade mal drei Tonnen reines Kupfer (99,7% Cu-Gehalt) gewonnen. Daneben bleiben ein paar 'Verunreinigungen' wie Gold, Silber, Molybdän und seltene Erden. Von Chuquicamata aus finden 500.000 Tonnen des wertvollen Metalls jährlich ihren Weg in alle Welt.
Den chilenischen Finanzminister freut's, schwemmt das Kupfer doch gewaltige Mengen Devisen ins Land. Die Bosse der Minen freut's auch und sie zahlen ihren Mitarbeitern vergleichsweise gute Löhne. Damit wird allerdings bald Schluss sein. Denn die alte Mine wird zunehmend unwirtschaftlich, eine neue Untertagemine ist bereits im Bau. Ab 2020 will man dort Erze mit höherem Kupfergehalt fördern, zudem wird der Transport weitgehend automatisiert. Das Aus für Tausende Arbeitsplätze.
Die meisten Bergarbeiter lebten bis vor kurzem in Chuquicamata City - direkt neben der Mine. Eine wahre Vorzeigestadt: das modernste Hospital, mietfreie Wohnungen, Kirche, Kindergarten, Schule, alles kostenfrei. Seit der Jahrtausendwende ist damit Schluss - die rapide wachsenden Abraumhalden begraben die Stadt unter sich. Die neue Wohnstadt heißt Calama, liegt 20 Kilometer südlich und ist mitnichten kostenfrei. Auch hier wird sich vieles ändern, wenn die alte Mine dichtgemacht wird. Außer Kupfer gibt es hier draußen: Nichts!
Hör nicht aufs Navi: die Grenzregion zu Bolivien
Von Chuquicamata beziehungsweise Calama führt eine gut ausgebaute Rollbahn hinunter an die Küste: der Weg des Kupfers. Doch die Bergregionen an der Grenze zu Bolivien sind weit interessanter! Also das Meer noch ein paar Tage warten lassen und auf nach Norden, so dicht an der Grenze entlang wie möglich. Dort wartet auch der Nationalpark Salar de Huasco auf den Besucher, angeblich der schönste Nationalpark in Chiles Norden.
Die Reiseführer berichten allesamt nur über die landschaftliche Schönheit der Region, über Pisten- und Straßenverhältnisse lässt sich keiner aus. Die Dame vom Navi schlägt mir fünf unterschiedliche Routen vor! Aber welche Route ist die beste? Welche ist überhaupt fahrbar? Welche am interessantesten? Welche wählen?
Die ausgeschilderte Route führt durch einen wundervolle Wüstenlandschaft, durch weite Täler mit einzelnen ausgetrockneten Seen, zwischen Vulkanen hindurch. Leuchtend bunte Bergflanken liefern einen dezenten Hinweis, welche Bodenschätze hier noch lagern mögen! Trotz Einsamkeit und Kargheit eine Landschaft, die mit jeder Postkartenidylle der bayerischen Berge mithalten kann!
"Nach zweihundert Metern bitte links abbiegen!" fordert mich plötzlich die Dame vom Navi auf. Die neue Piste macht einen guten Eindruck. Dazu locken Wegweiser mit Namen wie Laguna Verde oder Chela Vega in die vorgeschlagene Richtung. Auch zwei papierene Landkarten zeigen eine befahrbare Verbindung auf diesem Weg zu meinem Zwischenziel. Also folge ich dem Vorschlag der netten Stimme.
Alle paar Kilometer fordert sie mich erneut auf, mal nach links, mal nach rechts abzubiegen. Was aber in der Datenbank möglicherweise als gute Piste verzeichnet ist, entpuppt sich in Wirklichkeit im besten Fall als schmaler Seitenweg, im schlimmsten Fall als nicht vorhanden. Doch die grobe Richtung stimmt und nach dreißig Kilometern erreichen wir die Ortschaft Chela Vega Die fünf verfallenen Häuser 'Ortschaft' zu nennen, mag etwas übertrieben sein, aber zumindest sind wir auf dem richtigen Weg. Ein alter, zahnloser Mann, der in der letzten strohgedeckten Hütte haust und ein Dutzend Alpakas hütet, erklärt mir den weiteren Weg, sagt aber, dass die Piste nicht sonderlich gut sei.
Wenig später ist klar, was er meinte: die einzige Piste in der angegebenen Richtung - auf die mich auch das Navi lockt - ist ein seit Jahren aufgelassener Feldweg, schmal, holprig, mit Steinen und Salzbrocken übersäht. Auf so etwas sechzig Kilometer abreiten? Nein Danke! Zudem ist unklar, wie es am Ende weitergeht. Collaguasi, die avisierte Zwischenstation ist eine aktive Kupfermine ... und da werden Pisten und Wege schon mal umgelegt oder völlig gesperrt. Also dreißig Kilometer zurückholpern und auf der ursprünglichen Straße weiter gen Norden. Hätte ich mich nur nicht von Navi und den hübschen Wegweisern in die Irre leiten lassen! Die Strecke wird als landschaftlich netter und interessanter Abstecher notiert.
Die weitere Strecke bis zur Grenzstadt Ollagüe ist gut ausgebaut. Dort zeigen mir freundliche Arbeiter den Einstieg in die weitere Piste. Die ersten Kilometer bis Cosca sind genauso gut zu fahren und frisch geschoben, danach gewinnt die Piste mehr und mehr Ähnlichkeit mit dem Weg, an dem ich gestern abgebrochen habe. Nun aber gibt es kein Zurück mehr!
Geduld und Langsam Fahren habe ich inzwischen gelernt. So machen mir auch die Felsriegel nichts aus, die gelegentlich quer über die Piste laufen und die ich nur im Kriechgang meistern kann, um der Lady unnötigen Schaden zu ersparen. Die Orientierung ist auch kein Problem mehr, auch wenn mich das Navi nach wie vor alle paar Kilometer von der Hauptpiste fortlocken will. Inzwischen weiß ich die Vorschläge der Dame zu ignorieren. Ein entgegenkommender Pickupfahrer (der einzige auf der ganzen Strecke) bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin, bezweifelt aber, ob ich mit der großen Lady da durchkomme. Doch die schlägt sich tapfer und am frühen Abend erreichen wir den Zaun der großen Kupfermine. Wie befürchtet, laufen die Pisten hier kreuz und quer, sind aber weiter gut ausgeschildert. Ein Hoch auf die chilenischen Straßenbauer!
Der nächste Tag bringt uns durch weiter sehr interessante Landschaft zum Ziel, dem Salar de Huasco. Der See liegt - ganz wie versprochen - in einer weiten Talsenke, umgeben von Vulkanen und hohen Bergen. Für mich ist er aber nur einer von einem guten Dutzend ähnlich hübsch gelegener Salzseen, die sich auf der gerade bestandenen Route aneinanderreihen: glitzernde, weiße Perlen zwischen braunen Vulkanen. Eine wirklich nette Gegend - für Menschen, die Wüste, Einsamkeit und Abenteuer lieben!
Auch die versprochenen Flamingos sind heute anwesend und ich kann versuchen, ein paar der scheuen Tiere vor die Kamera zu bekommen. Gar kein so einfaches Unterfangen!
Warum der Nationalpark Salar de Huasco derart propagiert wird, ist klar? Er ist der einzige, der mit einem normalen PKW zu erreichen ist. Allerdings nicht auf der landschaftlich so imposanten Route, die ich gewählt hatte, sondern auf einer bequemen Teerstraße, die von Iquique heraufführt. Und die rolle ich nun gemächlich hinunter.
Von 4390m Seehöhe hinab auf Meereshöhe: der komplette Westhang der Anden in einem Rutsch!
Das Gold der Wüste: rund um 'Iquique'
Die Gewinnmargen sind exorbitant. Wo immer es gefunden wird schießen Städte in die Höhe. Werden Produktionsanlagen errichtet. Mitten in der Wüste. Jeder Motor, jeder Tisch, jede Glühlampe, jeder Tropfen Trinkwasser für die Arbeiter muss von weit her herangeschafft werden. Trotzdem lohnt sich der Aufwand. Hunderte von Kilometern entfernt werden der unwirtlichen Küste zwei Häfen abgerungen, um das Material in alle Welt zu schippern. Die ganze Welt reißt den Produzenten den Stoff aus der Hand. Ende des neunzehnten Jahrhunderts geht es zu wie anderswo im Goldrausch. Der sogenannte pazifische Krieg zwischen 1879 und 1883, in dem sich Chile große Teile Perus und den gesamten Westen Boliviens einverleibt, dreht sich einzig und allein um diesen Rohstoff: das Gold der Wüste.
Die Gewinnung ist einfach: Am Westhang der Anden liegt es allenthalben auf dem Boden. Ja, ist der Boden selbst. Es muss nur aufgesammelt, ein wenig aufbereitet und in Säcke verpackt werden. 1909 allerdings ist der Rausch vorbei. Da erfindet ein Berliner - Fritz Haber - ein Verfahren, um den weltweit gefragten Stoff industriell herzustellen. Einfach, billig und dort, wo er gebraucht wird! Mit Chiles Reichtum geht es rapide bergab.
Ihr habt es sicher erkannt: die Rede ist von Salpeter (in Chile überwiegend Natriumnitrat NaNO3). Grundlage für Dünger und Schwarzpulver gleichermaßen.
Auf weiten Strecken des Altiplano, wie hier die etwa eintausend Meter hoch gelegene Ebene gleich hinter dem Küstengebirge heißt, besteht der Boden quasi aus Salpeter. Gegen 1850 entstanden die ersten Salpeterminen, Salitreras oder Oficinas genannt. Da wurde der Stoff praktisch nur vom Boden aufgesammelt, mit kleinen Lorenzügen zur Zentrale gekarrt und dort weiterverarbeitet. Eine dieser Oficinas trägt den Namen Humberstone, war - deutscher Erfindungen zum Trotz - bis 1960 in Betrieb. Danach wurde es unter UNESCO-Schutz gestellt und teilweise restauriert. In dem weitläufigen Industriemuseum kann man sich einerseits von den alten Aufbereitungsanlagen, andererseits von den Lebensbedingungen der Arbeiter, Vorarbeiter und Chefs zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein recht gutes Bild machen. Und die waren sehr unterschiedlich!
Die Klassenunterschiede in der Stadt, in der zu ihren besten Zeiten an die zwanzigtausend Menschen lebten, waren gewaltig. Allein wenn man ihre Unterbringung ansieht. Eigene Wohnviertel, strikt getrennt für Arbeiter (nur Männer), Vorarbeiter (nur Familien) und Chefs (eigene Häuser) waren angesagt. 18m2 Schlafraum für sechs Arbeiter, dazu eine gemeinsame Küche und eine Gemeinschaftstoilette für zweihundert Männer. Dagegen lebte der Chefingenieur mit seiner Familie auf luxuriösen 100m2, hatte Hausmädchen, Küche und eigenes Bad mit Toilette. Die Krönung bildete ein Swimmingpool im Zentrum der Stadt von fast olympischen Ausmaßen (wir sind nach wie vor in der trockensten Wüste der Erde!). Schon damals musste man Fachkräften offenbar gehörig Luxus bieten, um sie von einem Leben im Nirgendwo zu überzeugen. Ob sie wohl auch nur sechs Wochen bezahlten Urlaub bekamen?
Ein Abstecher in eine der Hafenstädte, die ausschließlich für den Export des Salpeters angelegt worden waren, nach Iquique nämlich, ist wenig erbaulich. Die Stadt drängt sich auf einer schmalen Ebene zwischen Pazifik und dem Küstengebirge, der Hafen bildet noch immer das Herz der Stadt. Heute wird nicht mehr Salpeter nach Europa exportiert, sondern Kupfer nach Asien und Nordamerika. Im Gegenzug kommen Autos an Land - meist gebraucht, meist 'made in China'. Die nördliche Hälfte der Stadt ist ein einziger, großer Verschiebebahnhof für gebrauchte PKW. Im Minutentakt verlassen Autotransporter, vollgestopft mit sechzehn, achtzehn, ja zwanzig Autos die Stadt und bringen ihre Fracht über die Andenpässe nach Bolivien und in den Norden Argentiniens.
Platz für Grünanlagen oder nette Strände findet sich bei so viel Geschäftigkeit natürlich nicht. Eine wenig einladende Stadt (außer ihr braucht gerade ein billiges Auto ).
Auch die Strände im Süden der Stadt machen einen eher ausladenden Eindruck: felsig, schmutzig und neblig. Jetzt im Winter schafft es die Sonne kaum einmal für zwei Stunden am Nachmittag, den dicken Küstennebel zu durchdringen. Welch ein Unterschied zum sonnenverwöhnten Hochland, keine fünfzig Kilometer entfernt! Da fällt die Entscheidung nicht allzu schwer, welche Straße mich nach Süden tragen soll: die 'Ruta #1', entlang der nebligen Küste - oder die 'Ruta #5' auf dem sonnigen Altiplano?
Louvre in der Wüste: die 'Cerros Pintados'
Beim Kilometertaferl '1867' zweigt rechts eine schmale Piste von der Panamericana ab. Cerros Pintados steht auf dem winzigen Hinweisschild und der Name trügt nicht: der ganze Berg ist bemalt. Auf drei Kilometern Länge reiht sich eine Galerie von Scharrbildern, sogenannten Geoglyphen an die andere. Wale (wir sind mitten in der Wüste!), Llamas (die leben nur oben in den Bergen!), Menschen und jede Menge geometrischer Figuren sind in der schon bekannten Technik an dem Berghang verewigt, bei der die oberste Gesteinsschicht fortgekratzt wird, sodass die etwas hellere Unterschicht zum Vorschein kommt. Die genaue Bedeutung der Bilder ist noch immer unerforscht, doch wenigstens kennt man ihre ungefähre Entstehungszeit: 700AD bis 1300AD, also unmittelbar vor der Eroberung dieser Region durch die Inka!
Vielleicht nicht der Größe nach, so doch im Stil, der Technik und der Kunstfertigkeit können diese Bilder mit den viel bekannteren Linien von Nasca durchaus konkurrieren! Fast scheint es so, als ob hier die gleichen Künstler am Werk waren wie drüben in Peru! Auch zeitlich könnte das gut zusammenpassen, denn gegen 600AD wurde ja die Region um Nasca urplötzlich verlassen. Sind die Künstler etwa nur ein paar hundert Kilometer nach Süden gewandert? So wie sie möglicherweise kurz nach der Zeitenwende (ca. 200AD) von Paracas nach Nasca gewandert sein könnten: Stil, Technik und die Aussagen der Scharrbilder deuten auf eine durchaus vergleichbare Weltanschauung der Künstler bzw. ihrer Auftraggeber hin.
Auf ihrem Weg nach Süden hätten die antiken Künstler gut und gerne auch bei Pozo Almonte Halt machen und den El Gigante de Atacama schaffen können, das größte Bild seiner Art. Mit sechsundachtzig Metern Höhe ist er wirklich ein Riese und am Westabhang des Cerro Unita schon von weitem zu erkennen! Reifenspuren zu seinen Füßen und arg verwitterte Arme (bzw. das was sie in den Händen hielten) haben dem Kunstwerk viel von seiner Faszination und seinem Ausdruck genommen - Schade!
Geschichte zum Anfassen: 'Salitreras'
Die 'Ruta #5' ist die wichtige, gut ausgebaute Lebensader, die das viertausend Kilometer lange, aber durchschnittlich nur einhundertachtzig Kilometer breite Land an der Pazifikküste von Norden nach Süden durchzieht. Auf über fünftausend Kilometern verbindet sie Arica, die nördliche Grenzstadt zu Peru mit der Hauptstadt Santiago und dem Großen Süden, dem chilenischen Patagonien. Sie ist so etwas wie das Rückgrat des Landes.
Zumindest hier in der Atacama Wüste muss ihr Bau nicht gerade ein Zuckerschlecken gewesen sein! Vielleicht sind deshalb die Kilometertaferln am Straßenrand so penibel genau aufgestellt. Damit die Straßenbauer wussten, wie viel sie schon geschafft hatten. Heute ist der Verkehr - zumindest hier oben - vergleichsweise gering. Doch mit jeder Küstenstadt, die die 'Ruta #5' tangiert, kommt ein weiterer Schwung Sattelschlepper und Pickups dazu! PKW dagegen sind selten, allenfalls in den 'Außenbezirken' der Städte zu sehen. Ich bin gespannt, wie das in der Nähe von Santiago, dem pulsierenden Herz des Landes sein wird.
Was am Straßenrand noch ins Auge sticht sind die vielen Grabmale! Es zieht kaum ein Kilometer vorbei,
an dem keines der überaus bunten und scheinbar für die Ewigkeit
gebauten Mini-Mausoleen steht.
Überwiegend sind es junge Menschen, derer hier gedacht wird. Ich vermute, es waren Autofahrer,
die der Eintönigkeit der Straße zum Opfer gefallen sind.
Erstaunlich auch, wie liebevoll die Gräber gestaltet sind: Blumen (natürlich künstliche),
Bilder aus Lebzeiten, das halbe Auto, persönliche Dinge des Toten zieren jedes Grab.
Auch sehe ich oft Menschen (Angehörige?), die solch ein Mausoleum pflegen. Haben die Verschiedenen
hier einen ähnlich hohen Stellenwert wie im Norden bei den Inka?
Damit die Fahrerei auf der 'Ruta #5' nicht gar so langweilig wird, haben die Chilenen in regelmäßigen Abständen Salitreras gebaut. Minenanlagen, die den Salpeter zusammenkarrten, säuberten und in Säcke füllten. Allein zwischen Iquique und Antofagasta säumen mindestens zwei Dutzend solcher Geisterminen den Straßenrand. Zwei, drei von ihnen sind nach wie vor in Betrieb, die allermeisten jedoch sind aufgegeben und können besucht werden. Wobei ein Besuch kaum lohnt, denn außer verfallenen Häusern und endlosen Abraumhalden ist wenig zu entdecken. Einzelne Anlagen jedoch wurden - ähnlich wie Humberstone - zum nationalen Kulturerbe erklärt und wiederhergerichtet. Dort loht es allenthalben, kurz vorbeizuschauen. Und sei es nur, um sich nach der Fahrerei die Füße zu vertreten!
Nach so viel Landschaft und Industriegeschichte darf es zur Abwechslung auch mal wieder etwas Stadt sein. Nicht die hübscheste, nicht die bekannteste, aber die nächstgelegene mit einer MAN-Werkstatt. Denn die Lady Grey plagen nach der Hochlandetappe ein paar kleine Wehwehchen und der Wechsel von Öl- und Luftfilter ist nach den staubigen Pisten dringend nötig. Also runter an die Küste, nach Antofagasta. Dort kann ich auch gleich den Kühlschrank auffüllen, Wasser bunkern und die Vorräte ergänzen.
Die Arbeiten an der Lady sind am Montag schnell erledigt. Das Bezahlen der Rechnung allerdings dauert länger als das ganze Abschmieren, Ölwechseln und Auspuffschweißen zusammen! Ursache ist die RUT, eine offenbar wichtige Nummer, die ich als Ausländer nicht vorweisen kann. Und damit hat das Computersystem der Werkstatt seine liebe Not! Die Drähte zur Zentrale in Santiago glühen, während ich ungeduldig von einem Fuß auf den anderen stapfe. Nach sage und schreibe zweieinhalb Stunden findet man eine Lösung - indem ein Mitarbeiter seine eigene Kennnummer einträgt. Das Durchziehen der Kreditkarte dauert dann nur noch Sekunden ... Ja, was wären wir nur ohne unsere geliebten Computer?
Die Stadt selber ist nicht ganz so industriell geprägt wie Iquique, wenngleich auch hier der Verladehafen das Herz der Stadt bildet. Doch sie ist nicht so eingepfercht wie ihr nördlicher Nachbar und neben einem großzügigen Einkaufszentrum gibt es eine ganze Reihe von Grünanlagen - und gepflegten Stränden mitten in der Stadt.
Und schon ist es wieder an der Zeit, der Stadt den Rücken zu kehren, um rechtzeitig in die Berge zu kommen.
Blick in den Himmel: einmal anders
Einer der besten Gründe, der Stadt den Rücken zu kehren, steht in der klaren Bergluft auf 2600m Höhe: das Observatorium des Cerro Paranal. Nicht eben das modernste, aber mit seinen vier 8,5m-Spiegeln war es damals (2001) eines der ersten, das mehrere Teleskope zu einem einzigen Instrument kombinieren konnte. Resultat: die optische Auflösung eines 200m-Teleskops! Unter anderem mit meinen Steuergeldern gebaut, muss ich das gute Stück natürlich näher begucken. Die nächste Führung findet am Samstag statt, aber man muss sich ein bis zwei Tage vorher anmelden. Am besten persönlich. Das Wetter ist gut und ich freue mich auf einen ungetrübten Blick in die Sterne!
Doch der Blick in den Himmel gestaltet sich anders als erwartet! In der Nacht zu Samstag legt der Wind drei, vier Beaufort zu und finstere Wolken schieben sich vor die Sterne. Der Sturm, der uns durchschüttelt ist nichts Neues, der Schnee am Morgen schon! Das Thermometer zeigt 5°C unter null und draußen ist alles weiß. Ich traue meinen Augen nicht! Aber das Weiß ist echt: Schnee, Pulverschnee vom feinsten. Die Lady ist eine Lady White. Und im Observatorium schaut man nur in undurchdringlichen Nebel! Der ganze Berg ist in endlose finstere Wolken gehüllt. Besserung ist nicht in Sicht! Die Führung fällt natürlich aus - was will man bei dem Wetter auch zeigen?
Trotzdem hält das Wochenende noch gehörig 'Abenteuer' bereit!
Was oben als Schnee vom Himmel kommt, ist weiter unten Regen. Logisch! Darauf allerdings ist man in der Atacama alles andere als vorbereitet. Im Nu bricht alles zusammen! Die gute Straße, die mich über den Cerro Paranal hergeführt hat, wird kurzerhand geschlossen! Der Regen hat den halben Hang heruntergespült und Steine, Felsen und Schlamm auf der Fahrbahn verteilt. Der letzte halbe Kilometer vor Paposo versinkt in einem fiesen, braun-roten, dünnflüssigen Schlamm. Doch die Felsen sind nicht groß und der Schlamm liegt auf festem Boden. Also Kriechgang und Diffenzialsperren rein und in Schneckentempo über die Steine kriechen. Was die Pickups mit ihrer geringen Bodenfreiheit nicht schaffen, ist für die Lady Grey kein merkliches Problem! Schnell liegt das schlammige Stück hinter uns, Untersetzungen und Sperren können wieder raus. Gut gemacht, tapfere Lady!
Was bleibt ist die rote ABS-Warnleuchte! "Da wird ein Schalter nass geworden sein!" denke ich mir und fahre langsam weiter: die Bremsen quietschen und funktionieren wie zuvor - kein Grund zur Sorge! Als das Lämpchen am Abend immer noch brennt, schaue ich der Lady doch 'mal unter den Rock. Und finde das Malheur: ein Felsbrocken hat eine ABS-Luftleitung an der Hinterachse abgerissen und eine andere Bremsleitung halb abgequetscht. Mist! Also doch wieder in die Werkstatt! Wenigstens rollt die Lady noch!
Der Nachtplatz, den ich durch puren Zufall finde, tröstet mich über sämtliches Malheur hinweg. Fünf Kilometer neben der 'Ruta #5' erwartet mich ein Platz so ganz nach meinem Gusto! Ein echter Traumplatz: die Cerros Colorados. Die Aussicht schweift über eine weite Ebene, die Berge an ihrem Rand funkeln im Licht der untergehenden Sonne. Nicht in allen Regenbogenfarben, aber doch in ganz unterschiedlichen Rot- Braun- und Ockertönen! Wüste vom Allerfeinsten. Soll noch mal jemand sagen, das Schicksal biete keine Gerechtigkeit!
Ich bleibe eine ganze Woche - der Winter hat ja gerade erst angefangen!
Der Termin meiner Exkursion auf die Osterinsel rückt in großen Schritten näher. Die 'Ruta #5' hält nun deutlich weniger Abwechslung parat als weiter nördlich. Auf halbem Weg zwischen Copiapó und Vallenar ist sogar Schluss mit Wüste. Südlich des Rio Huasco beginnt die landwirtschaftlich stark genutzte Mitte Chiles. Mit jedem Kilometer zeigt die Landschaft mehr Grün. Kakteen weichen Büschen, Büsche weichen grünen Bäumen. Und das Grün hat natürlich seine Ursache: Regen! Der fällt - nicht zu knapp - aus finsteren, schwarzen Wolken. Aber Santiago rückt unaufhörlich näher, die MAN-Werkstatt wie der Flughafen zur Osterinsel.