El Chaltén (Patagonien, Argentinien) (GPS: 49°19,516'S; 072°53,305'W)
Fitz Roy. Cerro Torre. Poincenot. Namen die passionierten Bergsteigern so flüssig von der Zunge gehen wie Nanga Parbat, K2 oder Chomolungma. Auch mich ziehen sie in ihren Bann. Schon, weil mein Rucksack ihren Namen trägt. Das Städtchen zu ihren Füßen heißt wie der höchste von ihnen - in der Sprache der Ureinwohner: El Chaltén, der Berg, der raucht. Es ist so einmalig wie die Berge außenherum. Ein Ort, in dem niemand ohne Bergstiefel, Trekkinghose, Hi-Tech-Fleece, Goretex-Anorak, Wanderstöcken oder Eispickel zu sehen ist. Trekking-Hauptstadt [ARG] Die Trekking-Hauptstadt Argentiniens.
Bevor ich selbst den Rucksack packen kann, um das dichte Netz der Wanderwege zu erkunden, muss ich die Eindrücke der letzten Wochen zu HD bringen, bevor sie noch völlig verblassen. Die Gedanken wandern zurück ...
Heimelige Überraschung: Valle Curacautin
Noch bewegt sich mein Blutdruck weit über der Marke, die als 'für die Gesundheit zuträglich' angesehen wird. Den Zöllnern an der argentinisch - chilenischen Grenze bei Pino Hachado sei Dank (sh. letzter Bericht)!
Schaue ich aus dem Fenster, beruhigt sich mein Gemüt allerdings schnell wieder: draußen gleitet die Landschaft des Valle Curacautin vorüber - und mit einem Schlag fühle ich mich (fast) wie zu Hause: sattgrüne Wiesen, dunkelgrüne Wälder, dazwischen weiß schäumende Bäche und Flüsse, ansehnliche, saubere Holzhäuser. In der Schweiz könnte es kaum schöner sein! Oder in Bayern!
Da grüßt auch schon die erste weiß-blau-karierte Fahne mit dem Löwen im Wappen! Das Hotel Andenrose (www.andenrose.cl) lädt zum Bleiben, die Stellplätze fürs Camping sind eben, grün und r i e s i g - und beim Blick auf die Speisekarte läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Zudem fängt es gerade mal wieder an, in Strömen zu regnen. Vom ersten Moment an fühle ich mich wie 'zu Hause'. Hans, der Eigentümer kennt viele Tipps für Ausflüge in die Nachbarschaft - und die Rezepte für Schweinsbraten, Semmelknödel und Apfelstrudel. "Hmmmmmmh!"
Nach zwei Tagen lässt der Regen schließlich nach. Ein fantastischer Regenbogen läutet bessere Zeiten ein. Ausflüge per Radl und Pedes sind angesagt, aber alle Tipps von Hans kann ich beim besten Willen nicht 'abarbeiten'!
Tipp No.1: Nationalpark Conguillo
Welch herrliches Fleckchen Erde!
Diese Worte liegen mir die letzten Tage ständig auf der Zunge. Der Nationalpark Parque Conguillo am Südrand des Vulkans Llaima gilt als der zweitschönste Nationalpark ganz Chiles. Vermutlich nach dem berühmten Torres del Paine mit seinen bizarren Berggipfeln. Die Führer haben wirklich nicht übertrieben! Zwischen der Sierra Nevada, einem längst erloschenen Vulkan und dem noch immer aktiven Llaima mit seinem markanten Schneekragen liegt eine prächtige, einladende Berglandschaft. Mittendrin ein halbes Dutzend Seen, allesamt aufgestaut durch Lavaströme. Am größten See, der Laguna Conguillo reiht sich ein idyllischer Campingplatz an den nächsten. Um diese Jahreszeit jedoch allesamt verwaist. Was dem Reiz keinen Abbruch tut, ganz im Gegenteil! Am zentralen Parkplatz, direkt am Wasser, darf man obendrein völlig kostenlos stehen. So lange man will. Gar kein schlechtes Geschäft für 1,30 Euro, die man am Parkeingang berappen muss.
Rund um die malerischen, tiefblauen und bitterkalten Seen, zwischen Lava- und Aschefeldern aus der jüngeren Vergangenheit wachsen riesige, stachelige Araukarien und turmhohe, schattenspendende Südbuchen. Das Unterholz besteht zur Gänze aus Colihue (ein bambusartiges Gewächs), durch das sich wunderschöne Wanderwege schlängeln. Ruhig und abgeschieden. Zumindest unter der Woche! Den Sendero Carpintero und den Sendero Sierra Nevada nehme ich unter die Sohlen. Beide sind allerdings Stichrouten, sodass man ein Stück Erdstraße hatschen muss, will man nicht den gleichen Weg zweimal gehen.
Zwischen den Baumwipfeln schweift der Blick immer wieder zum Llaima, dem uralten Vulkan, dem wir diese herrliche Landschaft zu verdanken haben. Er ist nicht der einzige Feuerspucker: mindestens zwei Dutzend Vulkane recken in diesem als Chiles Seenland bekannten Region ihre weißen Häupter gen Himmel. Aus manchen, wie dem Villarica steigt unablässig eine dünne Rauchfahne gen Himmel, andere machen einen schlafenden oder längst erloschenen Eindruck. Von der Ruhe darf man sich jedoch nicht täuschen lassen: die Vulkane sind allesamt als 'aktiv' eingestuft und speien mit schöner Regelmäßigkeit Feuer und Asche: der Villarica zuletzt im Juni 2006, der Llaima am Weihnachtsabend 1988 (der entstandene Krater heißt zur Erinnerung »Navidad«)! Die Hinweise und ampelähnlichen Schilder sollte man tunlichst ernst nehmen und sich schon mal die gut ausgeschilderten Fluchtrouten einprägen!
Dass es in den vergangenen Jahrtausenden hier alles andere als friedlich zuging, davon erzählen die Lava- und Ascheschichten am Vulkanische Geschichte des Seengebiets [CHL] Truful-Truful-Fluss. Wie in einem aufgeschlagenen Geschichtsbuch können die Vulkanologen darin die Aktivitäten des Llaima nachschlagen:
- vor ca. 13.000 Jahren: in Südamerika herrscht - wie auf weiten Teilen der Nordhalbkugel - Eiszeit, der Vulkan liegt unter einem mehrere Hundert Meter dicken Eispanzer gefangen; die Eruption - die stärkste je nachgewiesene - sprengt den Eispanzer sowie den größten Teil des verborgenen Vulkankegels hinweg; die Überreste lagern sich als unterste, fast hundert Meter mächtige Gesteinsschicht ab (siehe Bild; »Curacautin Ignimbrite«);
- vor ca. 9.000 Jahren: die Rauchsäule steigt 30 Kilometer hoch, verfinstert den Himmel und verteilt seine »Asche« im Umkreis mehrerer Hundert Kilometer, bis hinüber nach Argentinien. Die weiße, knapp einen Meter dicke Gesteinsschicht im Bildmitte legt davon Zeugnis ab);
- vor ca. 7.000 Jahren: ein pyroklastischer Strom extrem heißer Asche schießt zu Tal und lagert die darüberliegende, hellgraue Gesteinsschicht ab (die eine ganz andere Struktur aufweist als die darunterliegende);
- vor ca. 3.000 Jahren: der Vulkan spuckt vorwiegend Basaltlava aus, baut nach und nach den heute sichtbaren Vulkankegel auf und verteilt seine Aschen im weiten Umkreis. Ein Dutzend unterschiedlich dicker Aschelagen zeugen von einer Ausbruchsserie, die bis heute andauert (sh. Krater »Navidad«)
Mindestens ebenso bemerkenswert wie die Geschichte der vulkanischen Zerstörungen ist die Hartnäckigkeit, mit der die Natur das verwüstete Gelände zurückerobert! Zwischen den erkalteten Lavabrocken sprießen schon nach wenigen Monaten wieder Moose und Flechten. Später gesellen sich Büsche und Sträucher dazu. Und in der Erde der abgestorbenen Pflanzenreste recken sich schon nach Jahren dichte Wälder gen Himmel. Als ob nichts gewesen wäre - bis zur nächsten Eruption! Anders als in der Atacama, die ja ebenfalls aus vulkanischem Gestein entstanden ist, mangelt es hier nicht am zweiten Lebenselixir: Wasser. Das gibt es in Hülle und Fülle - und rund ums Jahr. Nur damit hat die grüne Natur eine echte Chance!
Trotz Kaiserwetter fast ausgestorben: Pucón
Habt ihr gerade Appetit auf etwas Süßes? Dann solltet ihr nach Pucón kommen! Nicht weniger als ein gutes Dutzend Pastellerias bieten die kalorienhaltigen Leckerlies an: Marzipan und Schokolade, eingelegte Früchte oder süße Marmeladen: alles ist zu haben; in Mengen und zu erschwinglichen Preisen! Vielleicht ist das ja der wahre Grund, warum die Chileños in solchen Scharen herkommen? Oder ist's der warme, saubere See? Oder die schnuckeligen Holzhäuser der Stadt? Die abwechslungsreiche Landschaft mit ihren Wanderwegen? Die zwei Dutzend Thermen in der Umgebung? Oder doch der Bilderbuchvulkan, der zum Skifahren und Bergsteigen einlädt? Gründe finden sich genug, hierherzukommen! Nicht umsonst ist Pucón - nicht etwa die Hauptstadt Santiago - das touristische Mekka Chiles!
Trotz aller Verlockungen ist die nette Stadt am See so gut wie ausgestorben. Selbst im Hotel »Grand Pucón« an der »Calle Holzapfel« gibt's noch freie Zimmer, ebenso wie freie Stellplätze für die Lady direkt am Strand. In zwei, drei Wochen wird sich das schlagartig ändern, wie mir Einheimische erzählen. Wenn im Dezember die Sommerferien anfangen, ist in der ganzen Stadt kein freies Bett mehr zu finden! Gut, dass ich dann schon über alle Berge bin! So kann ich das adrette Städtchen noch in aller Ruhe erkunden - was an einem Nachmittag prima zu erledigen ist - lange Kaffeepause mit leckeren deutschem »Kuchen« eingeschlossen.
Graubrot in Pucón [CHL] Ach ja, das größte highlight hätte ich fast vergessen: in der Bäckerei gibt es tatsächlich deutsches Graubrot! Ein Genuss, der alle Leckerlies, alle Vulkane, alle Rafting-Touren, alle Wanderausflüge in den Schatten stellt! Noch ein Grund, auf dem Rückweg wieder vorbeizuschauen!
Am »schönsten Berg der Welt«: rund um den Vulkan Lanín
Von Pucón ist es nur ein Katzensprung zur argentinischen Grenze. Und je kleiner der Grenzübergang, desto freundlicher ist die Abfertigung. Auch hinterm Schlagbaum setzt sich die malerische Landschaft der andinen Seenregion fort. Wird vielleicht noch einen Tick malerischer, weil weniger besucht. Hüben wie drüben ist der Vulkan Lanín die markanteste Erhebung und Namensgeber aller Naturparks. Sein häufig aktiver Schlot liegt genau auf der Grenzlinie und manche Bergsteiger bezeichnen seinen ebenmäßigen Kegel als den »schönsten Berg der Welt«. Nun ja, es gibt viele schöne Berge auf dieser Welt ...
Wintereinbruch am Lanín [ARG] Der Wind pfeift mir wieder in Sturmstärke um die Ohren, als ich am anderen Flussufer wiederum Richtung Chile rolle, um mir am Fuß des Vulkans ein paar Tage Pause vom »Stress« der letzten Wochen zu gönnen . Am nächsen Morgen hat sich der Sturm gelegt, dafür ist es bitterkalt und draußen liegen zehn Zentimeter Neuschnee! Die allerdings werden von den ersten Sonnenstrahlen schnell weggeleckt: der Andenfrühling hält Einzug!
Von See zu See zu See: »Ruta de Siete Lagos«
Eine schmale grüne Linie auf der Landkarte weist auf eine landschaftlich reizvolle Strecke hin. Wenn sie den wirklichen Reiz dieser Route ausdrücken sollte, müsste sie allerdings viele Zentimeter breit sein! Die Ruta des Siete Lagos schlängelt sich von San Martin de Los Andes hinunter nach San Carlos de Bariloche. Zweihundert Kilometer, die man so schnell nicht vergisst! Sie führen nicht nur an sieben Seen entlang, wie der Name glauben macht, sondern an mehr als einem Dutzend. Einer einladender als der andere. Einer malerischer als der andere. Die meisten eingebettet zwischen Bergen so hoch wie die Zugspitze, ausgehobelt von späteiszeitlichen Andengletschern.
Die Argentinier brauchen gleich drei Nationalparks, um die zahllosen Seen überhaupt unterzubringen: den Nationalpark Lanín im Norden, direkt anschließend den Nationalpark Nahuel Huapi und ein paar Kilometer südlich den Los Alerces. Alle drei sind von hunderten Seen durchsetzt und bilden ein echtes highlight im sehenswerten, weil nicht brettebenen Westen des Landes! Kein Wunder, dass mir auf dieser Strecke zwei, drei europäische Reisemobile pro Tag begegnen. Von einheimischen Pedalrittern und WoMos ganz zu schweigen: diesen landschaftlichen Leckerbissen will sich keiner entgehen lassen!
Am Nordende der Seenstraße liegt das kleine, beschauliche Städtchen San Martin de Los Andes - kurz 'SMA' genannt - am Ufer des oft stürmischen Lago Lacár. Zentrum für so ziemlich alle Sportarten, die mir einfallen: Schifahren, Rafting, Mountainbiken, Angeln, Reiten, Hiking, Klettern, Kanufahren, Paragliding, Abseiling, Canyoning, etc. etc. Alles wird hier geboten. Nur Schwimmen verkneifen sich die Outdoor-Enthusiasten, dazu ist das Wasser - frisch von den Schneefeldern der Andengipfeln - einfach (noch) zu kalt!
Mag man sich mit dem guten Dutzend Seen, die direkt an der Ruta liegen, nicht zufriedengeben, bieten sich zwei Abstecher an, die sich prima zu einer imposanten Rundfahrt verbinden lassen. Dabei kann man seiner Seensammlung zwar nur drei Strichlein hinzufügen: den verästelten Lago Traful, den winzigen Lago Hua Hum und den Lago Meliquina mit unzähligen Paddel-, Ruder-, Motor- und Segelbooten. Der Höhepunkt aber ist - nicht nur was die Höhenmeter anbetrifft, der Paso Cordoba (1280m), an dem man einen herrlichen Blick auf zwei bizarre Flusstäler werfen kann. Die Bergkulisse im Osten des Seengebiets, nahe der alten 'Ruta 40' unterscheidet sich ganz deutlich von den Bergen nahe der chilenischen Grenze: die Berge sind hier schroff und zerklüftet, verwitterte Vulkanschlote ragen hunderte Meter senkrecht in den Himmel. Ein Augenschmaus ganz anderer Art als die liebliche Seenlandschaft nur wenige Kilometer westlich. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Bergkulisse, die am Cerro Torre oder an den Torres del Paine auf uns wartet.
Frühling als prima Reisezeit [ARG] Fifty Shades of Green
Wer sagt eigentlich, dass der Sommer immer die optimale Reisezeit ist? Dann, wenn alle Einheimischen Schulferien haben? Nein, der Frühling hat seinen ganz besonderen Reiz! Anders als in den Tropen, wo Laub und Pflanzen jahrein/jahraus in sattem Grün leuchten, gibt es hier unten durchaus so etwas wie Jahreszeiten! Auch hier legt die Natur im Winter Pause ein - um im Frühling umso kraftvoller aufzublühen. Nach einem ungewöhnlich langen Winter mit späten Schneefällen und Kälteperioden hält im Norden Patagoniens nun tatsächlich die schönste Zeit des Jahres Einzug: Primavera, der Frühling. Die Sonne lacht vom tiefblauen Himmel, farbenprächtige Blumen recken ihr die Stängel entgegen, Vögel zwitschern und das Quecksilber klettert schon mal über die Zwanzig-Grad-Marke.
Kaum eine Region könnte ich mir vorstellen, wo man diese Jahreszeit besser verbringen könnte, als die Seenlandschaft rund um San Carlos de Bariloche. Im Winter kommen die Menschen aus Buenos Aires (und anderswo) her, um Schi zu fahren. Im Sommer, um in den unzähligen Seen zu baden oder Boot zu fahren. Und im Frühling? Ja, da müssen die werten Herrschaften Geld verdienen, damit sie im nächsten Sommer wiederkommen können. Und ich habe die herrliche Landschaft ganz für mich allein.
Na ja, zumindest unter der Woche! Von »Massentourismus« allerdings kann im Moment keine Rede sein. Ab und zu eine Gruppe Motorradfahrer, ein argentinisches Wohnmobil oder ein Konvoi sehenswerter Oldtimer. Vereinzelte Wanderer oder MTB-Fahrer. Rummel schaut anders aus! Mit Schrecken male ich mir aus, welcher Betrieb auf den herrlich gelegenen, jetzt einsamen und einladenden Campingplätzen in der Hochsaison herrschen mag. Wenn auf den - oft an die fünfzig und mehr - Feuerstellen die heiß geliebten Asados überm offenen Feuer brutzeln. Wenn Großfamilien mit Oma, Opa und einem Dutzend Enkeln hier Picknick machen. Wenn die Autoradios volle Pulle dröhnen. Nein, dann möchte ich lieber woanders sein!
Farbenfroher Frühling [ARG] Tatsächlich hält langsam der Frühling Einzug. Die Natur greift in ihren frisch gefüllten Malkasten und zaubert allenthalben leuchtende Farbkleckse in die Landschaft: gelber Ginster, violette Lupinen, orange Weißnichtwas. Dazwischen alle möglichen Schattierungen von Grün: das zarte der Weiden in den Flussauen, das mit winzigen weißen Blüten durchsetzte satte der Buchen, das eher finstere der Araukarien - alle Nuancen des Farbkastens sind vertreten.
Zwischen jedem Grün, jedem Strauch, jedem Baum leuchtet zudem schimmerndes Blau hindurch. Kaum zehn Minuten vergehen, ohne dass links oder rechts der Straße ein Wasser glitzert: ein quirliger Bach, ein schäumender Fluss, ein tiefblauer See. Nur die ganz großen Exemplare von ihnen tragen richtige Namen, die kleinen heißen durch die Bank Lago Escondido (versteckter See), Lago Esmeralda (Smaragd-See) oder Lago Azul (blauer See).
Der schönste und attraktivste von ihnen ist und bleibt der Lago Nahuel Huapi. Schon die Mapuche-Indigenas hatten ihn ins Herz geschlossen und Pumainsel genannt. Die Pumas sind schon lange ausgestorben, aber auch ohne sie bleibt der See ein wahres Juwel. Über hundert Kilometer lang, über 400 Meter tief und durchsetzt mit einem guten Dutzend langgezogener Inseln und mindestens ebenso vielen Halbinseln, die sich wie Finger in den tiefblauen See hineinstrecken. An seinem Nordufer liegt Villa la Angostura, ein beschauliches Städtchen voller Läden für Süßigkeiten und einer sehenswerten Halbinsel voller seltener Myrthenbäume (Los Arrayanes).
Am Südufer prangt das weit größere Touri-Zentrum San Carlos de Bariloche, ähnlich wie SMA ein Ort voller Holzhäuser, Hotels und Herbergen - und Süßwarenläden. Ein wenig kommt man sich vor wie in Garmisch-Partenkirchen. Nur die Zug- und die Alpspitze fehlen. Dafür thronen der Cerro Otto, der Cerro Cathedral und der Cerro Thronador über der Stadt, nicht so schroff wie die Garmischer Hausberge, aber auch sie Wintersportzentren par excellence. Die Schilifte allerdings sind lange abgestellt, Hotels und Herbergen geschlossen. Die Badesaison fängt erst zu Weihnachten an!
'Ruta 40' verlässt die Berge [ARG] Zweihundert Kilometer südlich von Bariloche ist mit einem Schlag Schluss mit Lustig. Schluss mit Seen, plätscherndem Wasser und tiefem Blau! Nicht, dass es keine Seen mehr gäbe, aber südlich des Nationalparks Los Alerces schwenkt die große Nord-Südverbindung unvermittelt ins Landesinnere ab. Viel zu schnell verschwinden die Berge im Rückspiegel, nur selten spitzen sie noch am fernen Horizont hinter der eintönigen Pampa Patagoniens hervor. Offenbar hatten die Straßenbauer genug von Kurven, Seen und Brücken, die 'Ruta 40' führt nun schnurgerade durch die nicht eben aufregende Landschaft. Selbst Seitenstraßen und die sonst so häufigen Hinweisschilder auf Hotels, Lodges und »Estancias« bekommen Seltenheitswert. Willkommen im Herzen Patagoniens!
Die Straße ist frisch asphaltiert (aber trotzdem ziemlich uneben) und pünktlich zur Mittagszeit rollt die Lady Grey in Perito Moreno ein, einem netten Städtchen an der Kreuzung der einzigen Ost-West- mit der einzigen Nord-Süd-Straße. Vorräte und Diesel für die nächsten tausend Kilometer sind schnell gebunkert und nach einem leckeren Imbiss knurrt auch der Magen nicht mehr so laut.
So schlagartig wie die Landschaft bei Esquel an Faszination verloren hatte, gewinnt sie nun neue hinzu: zwischen sanften Hügeln öffnen sich immer wieder tief eingeschnittene, felsige Täler. Das Gestein leuchtet in bunten Farben, in tiefem Schwarz, in gelbem Ocker und leuchtendem Rot. Im Nu herrscht wieder Abwechslung und die Freude am Fahren keimt wieder auf!
Mitten in diesem menschenleeren Nirgendwo, in dem allenfalls genügsame Guanacos neben der Straße etwas Futter finden,
zweigt die Piste zu einer der größten Sehenswürdigkeiten Argentiniens ab!
Seit über neuntausend Jahren wissen die Ureinwohner diese spezielle Gegend zu schätzen. Das Klima ist angenehm, die Winter nicht zu kalt, die Sommer nicht zu heiß, der Rio Pinturas bringt ganzjährig Wasser aus den Anden und steile Felsen bieten Schutz vor Raubtieren. Zudem grasen (wohl auch damals schon) ringsum die leckeren Guanacos, die man nur zu fangen braucht! Der ideale Platz für eine Ansiedlung. Na ja, eher ein guter Platz für einen Unterschlupf in Form einer Höhle. Welch besseren Ort hätte es gegeben, sich auch künstlerisch zu entfalten als eine trockene Höhlenwand - bei all dem farbige Gestein im Umland, aus dem man prima Farben mischen kann!
So entstand die Cueva de los Manos, die Höhle der Hände, der Louvre der steinzeitlichen Patagonier. Wirklich beachtlich, was die Menschen damals schon an künstlerischen Fähigkeiten besaßen. Die Hände, die zu Hunderten abgebildet sind und der Höhle ihren Namen gaben, sind zwar eher etwas aus der Kategorie »Infantilkunst«, aber bei den Jagdszenen kann man nicht nur so etwas wie Perspektive erkennen (auf dem 2-dimensionalen Fels), sogar die Geografie der umliegenden Landschaft kann man stellenweise erkennen. Über achttausend Jahre lang (von ca. 9000BC bis ca. 1000BC) hinterließen die patagonischen Jäger und Sammler hier - sowie an weiteren Stellen des malerischen Flusstals - ihre künstlerischen Impressionen.
Die hiesigen Felsmalereien erstrecken sich fast fünfhundert Meter weit an der überhängenden Felswand entlang. Die schönsten Motive allerdings findet man an der Decke der eigentlichen Höhle, die für das Publikum gesperrt werden musste, da sich drinnen neuzeitliche Möchtegern-Künstler verewigt hatten. Schon beachtlich, wie wenig Verstand manche Menschen mit auf Reisen nehmen!
Wie gewohnt, findet ihr rechts weitere Bilder zu der einsamen, sehenswerten Gemäldegalerie ...
Krumme Bäume und Ferrel-Zellen
"Was haben krumme Bäume und Ferrel-Zellen gemeinsam? Was sind überhaupt diese Ferrel-Zellen?" Die Fragen sind nicht unberechtigt. Reist man im Süden Südamerikas, wird man sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Notgedrungen!
Gut. Krumme Bäume, wie man sie nur hier in Patagonien sieht, kommen vom Wind. Bläst der stets aus der gleichen Richtung, wachsen die Bäume eben derart krumm. Das ist einfach! Warum aber bläst der Wind immerfort aus Westen? So stark, dass man auch mit 240 Pferden unter der Motorhaube kaum gegen ihn ankommt?
Da kommen die Ferrel-Zellen ins Spiel. Wir müssen einen kurzen - sehr vereinfachten - Blick auf die Klimatologie unserer Erde werfen.
Der große Antreiber für alle Klimaphänomene auf der Erde ist natürlich die Sonne. Am Äquator strahlt sie besonders intensiv, erhitzt Wasser und Luft. Warme Luft steigt auf und saugt kühlere Luft aus den benachbarten Regionen an. Das sind die bekannten Passatwinde. Auf Grund der Erdrotation wehen sie auf der Nordhalbkugel beständig aus Nordosten, auf der Südhalbkugel aus Südosten. In den oberen Luftschichten (Troposphäre) strömt die aufgestiegene Luft dann in Richtung der Polkappen ab. Dort aber hat so viel Luft gar keinen Platz ("polwärtige Flächenkonvergenz" ), sodass die Luftmassen auf Breiten um 30 Grad nördlicher beziehungsweise südlicher Breite als warmer Wind wieder absinken und dort stabile Hochdrucksysteme (wie unser sommerliches Azorenhoch) bilden.
An den Polkappen entsteht - sehr vereinfacht ausgedrückt - ein gegenläufiges System auf Grund der fehlenden Sonneneinstrahlung. Die kalte, schwere Luft über den Polen fällt herab, strömt in Richtung Äquator und erwärmt sich dabei. Bei Breiten um 60 Grad hat sie sich soweit erwärmt, dass sie wieder aufsteigt, um den polseitigen Luftkreislauf zu vervollständigen.
Betrachten wir die Strömungsrichtung der Luftmassen auf 60 Grad Breite und 30 Grad Breite, sehen wir, dass diese genau gegenläufig sind. Beste Voraussetzungen also, ein weiteres Strömungssystem anzutreiben. Einem Zahnrad im Getriebe nicht unähnlich, werden die Luftmassen dieser Breitengrade in Bodennähe polwärts verfrachtet. Zusammen mit der Erdrotation ergibt sich ein starker Nordwest- bzw. Südwestwind. In Europa kennt ihr das nur zu gut, denn ihr liegt mitten in dieser sogenannten Westwinddrift, die nach ihrem 'Erfinder' auch Ferrel-Zelle genannt wird.
Mithin der Grund, weshalb das schlechte Wetter Zentraleuropas fast ausschließlich aus Westen kommt. Auf der Südhalbkugel sieht das nicht anders aus: zwischen den kritischen Breitengraden erstreckt sich der Süden Chiles und Argentiniens: Patagonien - das Land der krummen Bäume. Erschwerend kommt hinzu, dass auf der Südhalbkugel weit weniger Landmassen den Lauf der Luftmassen bremsen als in der nördlichen Hemisphäre. Der Wind bläst also umso heftiger! Diese Ferrel-Zellen sind allerdings weit weniger stabil als die pol- bzw. äquatornahen Luftströmungen, sodass sich zwischen den üblichen Tiefdruck-/Regensystemen vereinzelt auch einmal Schönwetterperioden einschleichen können.
Nähere Erläuterungen, Hintergründe und Buchempfehlungen findet ihr wie immer rechts ...
Für das Thema 'Klima und Wetter in Südamerika' ist neben den Ferrel-Zellen der Einfluss des Anden-Gebirges nicht ganz unwesentlich! Wie ein überdimensionaler Regenschirm bewahrt er die östlich gelegenen Ebenen Patagoniens vor allzu viel Niederschlag. Liegt Valdivia, die Regenhauptstadt Chiles auf der Westseite des Regenschirms und kann mit 2472mm Niederschlag pro Jahr aufwarten, bringt es Neuquen auf dem gleichen Breitengrad, aber auf argentinischer Seite gerade mal auf 188mm pro Jahr. (beide Daten aus www.wetterkontor.de). Es ist also nicht ganz unwesentlich, auf welcher Seite der Berge man unterwegs ist!
Last but not least sind es diese speziellen Klimaverhältnisse, die etwas so grandioses wie das Patagonische Eisfeld schufen, das sich vom 47.ten bis zum 52.ten südlichen Breitengrad erstreckt. 600 Kilometer Eis und Schnee, Gletscher und Bergrücken, auf den Breitengraden von Innsbruck bis Hannover! Der ganze Süden Chiles verschwindet darunter und ein gutes Dutzend Gletscher schiebt sich bis nach Argentinien herüber. Dort wo sich so bizarre Berge wie der Fitz Roy, der Cerro Torre oder der Poincenot in den Himmel recken und ebenfalls ihre weißen Kappen zu Tal schieben. Dort, wo auf dem Lago Argentino und dem Lago Viedma meterhohe Eisberge im türkis-milchigen Wasser dümpeln. Dass in den Gletscher Milliarden Liter Wasser gebunden sind, die den Meeresspiegel erhöhen, wenn sie abschmelzen ist uns allen bekannt. Wissenschaftler haben auch berechnet, dass sich die Erdkruste hier unten um fast einen Kilometer heben wird, wenn eines Tages die Last der Gletscher wegfällt. Bizarr und beängstigend! Nur gut, dass das nicht gleich morgen passieren wird. [1]
Auch auf der nächsten Etappe gibt es also Viel zu erkunden!