Caral Pyramiden (bei Barranca, Peru) (GPS: 10°53,820'S; 077°31,234'W)
Der älteste Ort Amerikas. Ein mystischer Ort. Ein magischer Ort. Die kahlen Berge ringsum verschwimmen im morgendlichen Nebel. Die gelben Sanddünen könnten in der Sahara nicht prächtiger sein. Dazwischen eine Allee von Pyramiden. Sechs an der Zahl. Jahrtausende alte Pyramiden. Laut Radiokarbonmessung aus dem Jahr 2637 v.u.Z. [1] Vermutlich Mitte August.
Himmlische Stille. Nur einzelne Ausgräber sind mit Hut, Schal, Pinsel und Spatel auf dem Weg zu ihrer Grabungsstelle. Irgendwo im geschichtsträchtigen Tal des Rio Supé. Die Touribusse warten noch vor den Hotels in Lima und Trujillo, am Ticketschalter baumelt das Schild Cerado! Neben dem Nachtwächter bin ich der einzige Mensch an diesem verzauberten Ort.
Reisen in höchster Vollendung [PER] Der Tee dampft in der Thermostasse. Das Frühstück mundet wie seit Tagen nicht mehr: frische Semmeln, leckere Marmelade, Spiegeleier, gepresster Orangensaft. Dazu klassische Musik. Was könnte besser zu diesem Ort passen? Grandiose Landschaft, faszinierende Kultur, nette Menschen und ein wohlig gefüllter Bauch: Reisen in höchster Vollendung.
Lasst uns, bevor es zur Erkundung des magischen Orts geht, einen kurzen Blick zurückwerfen.
"Willkommen in Peru!" Ulkig, dass ich gerade diesen Satz bei der Ankunft in Peru nicht höre. In jedem anderen Land Lateinamerikas wurde ich bislang freundlich begrüßt: "Bienvenidos en Mexico", "Willkommen in Guatemala", sogar "Willkommen in Panama" (wo ich mich, wie ihr euch erinnert, gar nicht wohl fühlte). Nur eben von den peruanischen Grenzern bei Macará nicht. Liegt es an den wenig freundschaftlichen Beziehungen zwischen Peru und Ecuador? Oder daran, dass in Peru mehr Touristen unterwegs sind als in den anderen Ländern zusammengenommen? Von solchen Lappalien lasse ich mir die Stimmung jedoch nicht verderben! Dabei sind die Grenzer höflich und lassen mich nirgends lange warten (auch wenn das Ausfüllen des einzigen Formulars für die Lady Grey gemessen an europäischen Verhältnissen eine Ewigkeit dauert).
Kaum habe ich den virtuellen Schlagbaum - einen rot-weißen Leitkegel auf der Straße - hinter mir, fühle ich mich um zwanzig Jahre zurückversetzt. Kein Vergleich zu Ecuador: die Hütten sind mit einem Mal windschief, meist nur aus Strohmatten zusammengeschustert. Am Straßenrand türmt sich meterhoch der Müll und die Menschen leben von der Hand im Mund (und dem Benzinschmuggel über die Grenze).
Am wichtigen Verkehrsknoten Sullana reiht sich eine Mango-Plantage an die nächste. Trotz Wochenende werden die noch halbgrünen Früchte kistenweise und per Hand auf riesige Sattelschlepper verladen (die sie vermutlich in den Süden nach Lima bringen). Die Menschen sind zerlumpt, die Kisten halb kaputt und an den Brummis hätte der deutsche TÜV seine Freude! Wie auch an den restlichen Vehikeln: altersschwache PKW, überwiegend aber kleine, verrostete und verstaubte Moped-Rikschas, die oft mit acht bis zehn Personen (und dem zugehörigen Gepäck) beladen sind. Die chinesischen und koreanischen Dreiradmopeds bilden hier das allgegenwärtige Transportmittel, befördern sprichwörtlich Alles und Jedes von A nach B. Und ihre Fahrer haben es eiliger als alle Taxifahrer in Bogotá, Kali und Medellín zusammen. Eine Plage der Straßen!
Wir befinden uns im äußersten Norden Perus. In einer Region, die seit jeher nicht gerade im Entwicklungsfokus der Politiker im tausend Kilometer entfernten Lima steht. Auch die kommunistischen Rebellen des Sendero Luminoso nutzten jahrzehntelang die Abgeschiedenheit und das Desinteresse der Hauptstadt. Zudem litt die Gegend unter dem nicht enden wollenden Grenzkrieg mit Ecuador. Noch heute sind die Kasernen beiderseits der Grenze nicht zu übersehen! Nicht eben tolle Voraussetzungen für eine positive Landesentwicklung. Bei mir aber prägt die Gegend den ersten Eindruck des Landes - und der fällt leider nicht eben positiv aus. Oder habe ich - gerade nach Equador und Kolumbien - zu hohe Erwartungen? Weiter im Süden wird sich das Land - hoffentlich - von einer anderen Seite zeigen. Da bin ich optimistisch!
Kurz zusammengefasst: die Geschichte Perus
Bevor wir weiter nach Süden rollen, lasst uns einen kurzen Blick auf die Geschichte dieses riesigen Landes werfen. Die Inka wird jeder von euch kennen (zumindest dem Namen nach). Doch sie waren nur die letzten in einer ganzen Reihe von wahren Hochkulturen. Was hätte aus ihnen werden können, wenn, ja wenn die Spanier nicht so viel Glück gehabt hätten. Leider kannten weder die Inka noch ihre Vorgänger irgendeine Art von Schrift (die Quipus einmal ausgenommen, aber mit ihnen konnte man nur zählen). Die Geschichte der Stämme wurde daher nur mündlich tradiert - meist über Priester oder die Stammesältesten.
Bis die Spanier kamen und just die älteren, gebildeten Männer zuerst massakrierten. Mit ihnen die letzten Überbringer der alten Geschichte(n). Den spanischen Conquistadores haben wir es also in erster Linie zu verdanken, dass bis heute gar so wenig über die früheren Kulturen Süd- und Mittelamerikas bekannt ist. Doch die Historiker und Archäologen sind keineswegs faul und holen gewaltig auf - und haben schon ein faszinierendes Sammelsurium von Vor-Inka-Kulturen zusammengetragen.
Peru als 'Wiege der Menschheit' [PER] Peru ist - nicht zuletzt auf Grund seiner topografischen und klimatischen Vielfalt - einer der ältesten Siedlungsräume und Kulturzentren nicht nur Südamerikas, sondern der ganzen Welt. Zu Recht darf sich Peru in eine Reihe mit Mesopotamien, Ägypten oder den alten Induskulturen stellen. Chronologisch lassen sich die 'Wiegen der Menschheit' in etwas folgendermaßen gliedern (Historiker mögen mir die sehr groben Zeitangaben verzeihen): [2]
- Mesopotamien (vor ca. 5200 Jahren)
- Caral (Vorläufer der Peru-Kulturen) (vor ca. 5000 Jahren)
- Ägypten (vor ca. 4700 Jahren)
- Induskulturen (vor ca. 4600 Jahren)
- Kreta (vor ca. 4000 Jahren)
- Chinesische Kulturen (vor ca. 3900 Jahren)
- Olmeken (Urväter der mexikanischen Kulturen) (vor ca. 3200 Jahren)
Wohlbemerkt, die Inka sind zu diesen Zeiten noch lange nicht Tagesgespräch! Sie werden noch viereinhalb Tausend Jahre auf sich warten lassen!
Jetzt aber der Reihe nach! Die 'anerkannte Wissenschaft' geht davon aus, dass die ersten Amerikaner vor - sagen wir - zirka 13.000 Jahren über die damals zugefrorene Beringstraße aus Zentralasien bzw. Sibirien einwanderten und sich in vergleichsweise kurzer Zeit nach Süden verbreiteten. Schon aus der Zeit vor 10.000 Jahren wurden in Peru und weiter südlich (z.B. auch in Argentinien) Überreste menschlicher Besiedelung mit Jagd- und Handwerkszeugen aus Stein nachgewiesen. Diese Entwicklungsstufe kann auf fast allen damals bewohnbaren Erdteilen gefunden werden, hier werden diese Jäger und Sammler als Paiján bezeichnet.
Thor Heyerdahl - wir wollen ja ein paar Theorien meines früheren 'Mentors' näher betrachten - bietet auch an, dass die Besiedelung Südamerikas (zumindest ein Teil davon) ebenso auf dem Seeweg stattgefunden haben könnte. Eine Möglichkeit, die man auch aus uralten Legenden der Indigenas - und zahlreichen alten Abbildungen herauslesen könnte. Trotzdem ist sie wissenschaftlich inzwischen weitgehend widerlegt.
Die Kultur der Caral (ca. 5000 v.u.Z. bis 1800 v.u.Z.) glänzt im Vergleich dazu bereits mit sehr typischen Kunstwerken. Und mit Sesshaftigkeit! Denn nur in einer Dorf- oder Stadtgemeinschaft, in der sich die Menschen gegenseitig unterstützen, kann sich so etwas wie 'Kunst' entwickeln. Bereits aus der Zeit um 5000 v.u.Z. werden Versammlungsstätten, ja ganze Städte mit bis zu 30.000 Einwohnern nachgewiesen. Einer der größten dieser Stätten werden wir in Kürze begegnen (Chavin de Huántar im peruanischen Hochland).
Ihre Blütezeit deckt sich mit der Zeit der Sumerer in Mesopotamien bzw. der Shang-Dynastie in China und erstreckt sich von dem schmalen Küstenstreifen am Pazifik über das peruanische Bergland hinweg bis in die Niederungen der Amazonasregion. Gänzlich unterschiedliche Voraussetzungen also für eine einheitliche Kultur; doch eine gemeinsame, naturnahe Religion schien die Menschen damals über weite - und unwegsame - Distanzen zu verbinden.
Über die Collud Kultur (1800 v.u.Z. bis 100 u.Z.) ist bis heute herzlich wenig bekannt, obwohl zahlreiche Keramikfunde just aus dieser Zeit stammen. Aber die Forscher arbeiten daran ...
Als Epoche regionaler Entwicklung (100 u.Z. bis 900 u.Z.) werden die nächsten 800 Jahre betitelt. Aufbauend auf den Errungenschaften der Caral entwickeln sich regionale Zentren, die sich deutlich unterscheiden, jedoch untereinander enge Handelsbeziehungen und familiäre Kontakte pflegen. Die wichtigsten von ihnen sind Moche (nördliche Küste), Recuay und Cajamarca (nördliches Bergland), Lima (zentrale Küste), Nazca (südliche Küste), Wari und Tiahuanaco (südliches Bergland). Besonders hervorgetan haben sich dabei die beiden 'Wüstenkulturen' der Moche mit ihren Ingenieursleistungen (Adobe-Pyramiden, Bewässerungskanäle, Metallbearbeitung) und Nazca (Keramiken und Textilverarbeitung) sowie die Tiahuanaco nahe des Titicacasees mit ihren Agrarleistungen (ganzjähriger Feldbau in großer Höhe).
Die folgenden etwa 500 Jahre sind geprägt von rivalisierenden Königreichen, die teils Nachfolger der Regionalzentren sind, teils völlig neu geschaffen werden. Auch hier kann sich jeder Kulturraum seiner speziellen lokalen Entwicklungen rühmen. Rivalitäten mit den Nachbarn sind an der Tagesordnung, Regionalität ist Trumpf - ähnlich wie etwa zur gleichen Zeit in Mitteleuropa.
Ab ca. 1200 u.Z. entwickelt sich daraus im Hochland rund um Cuzco eine überaus starke Regionalmacht, die auf Familienclans, auf Abkommen zur Zusammenarbeit und auf ihrer Religion basiert. Zunächst langsam, ab 1300 u.Z. immer zügiger breitet die schmale Herrscherelite ihren Einflussbereich aus. Ihre Macht basiert auf einem starken Militär, auf einer Religion, die auch fremde Werte aufnimmt, einer neu geschaffenen Infrastruktur (Straßen) sowie einer durchdachten Organisation und Führung des Reiches. Ihre obersten Herrscher nennen sich Inka.
Der erste von ihnen nennt sich Manco Chápac (Sohn der Sonne), soll der Legende nach dem Titicacasee entstiegen sein und mit seiner Schwester Mama Occlo die Blutlinie der Inka begründet haben. (Legenden spielen in allen hiesigen Kulturen eine überaus wichtige Rolle, da schriftliche Nachweise bekanntermaßen fehlen). Unter Pachacútec, dem neunten Inka (1438 - 1471 u.Z.) beginnt der kometenhafte Aufstieg und die große Eroberungswelle. Ab Beginn des 15. Jahrhunderts wird das Reich Tahuantinsuyu genannt (wegen seiner Verwaltungsaufteilung in vier Quadranten als 'Reich der vier Himmelsrichtungen' bezeichnet). Es bedeckt ein Drittel Südamerikas, reicht von Quito (heute Ecuador) im Norden bis weit ins heutige Chile und Argentinien hinein.
Der dreizehnte Inka, Atahualpa hat ein weniger glückliches Händchen als seine Vorgänger und stürzt das Riesenreich in einen erbitterten Bürgerkrieg gegen seinen Halbbruder, den rechtmäßigen Inka, den er ermorden lässt. Damit schafft er - unwissentlich - die Voraussetzungen für den Untergang des riesigen Inka-Reiches: 1533 u.Z. können die Conquistadores unter dem Haudegen Francisco Pizarro (anders kann man ihn kaum bezeichnen) Peru praktisch im Handstreich (mit nur 163 Soldaten !!!) nehmen. Atahualpa wird in einen Hinterhalt gelockt, gefangengenommen und später unter dubiosen Anschuldigungen hingerichtet.
Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Unterdrückung und Ausbeutung der Indigenas, die sich bis zum heutigen Tag nicht grundlegend gewandelt hat. Die Herrschaft liegt - wie zu Zeiten der Inka - in der Hand einer winzigen Elite. Selbst wenn die inzwischen vom Volk gewählt werden kann.
Wenn ihr neugierig auf das hoch entwickelte Volk der Inka geworden seid, bei Wikipedia gibt's noch viel, viel Interessantes nachzulesen.
Die größte Pyramidenanlage Südamerikas: Túkume
Auch für die Pyramiden von Túkume sitzt vor fünftausend Jahren noch niemand am Reißbrett. Auch wenn sie weit älter aussehen, so stammen sie doch 'nur' aus einer Zeit um 1000 u.Z., als in Europa längst große Kathedralen und Paläste aus Stein errichtet wurden. Dass die riesigen, an die 200 Meter hohen Pyramiden allesamt ein wenig 'mitgenommen' aussehen, verdanken sie ihrem Baumaterial: Adobe, ungebrannter Lehm. In tausend Jahren setzt dem Material das Klima gewaltig zu, selbst wenn es so trocken und heiß ist wie hier in der nordperuanischen Sechura-Wüste.
Dennoch ist Túkume mit sechsundzwanzig großen Pyramiden und insgesamt über fünfhundert Bauwerken die größte Pyramidenanlage Südamerikas! Vom optischen Eindruck her kann sie mit Anlagen wie Teotihuacán oder den großen Maya-Stätten wie Uxmal nicht konkurrieren; dennoch ist sie den kurzen Abstecher von der Panamericana wert!
'Entdeckt' und zum ersten Mal untersucht wurde der 'Schutthaufen', wie er manchmal despektierlich genannt wird, 1939 von Wendell C. Bennet, einem Amerikaner. Fundierte archäologische Untersuchungen aber erfolgten erst zwischen 1988 und 1994 - durch Thor Heyerdahl. Genau, dem norwegischen Abenteurer und Forschungsreisenden, den Expeditionen wie 'Kontiki' und 'Ra I/II' (und die Bücher darüber) berühmt gemacht haben! Dass er sich gerade hier in der Wüste, inmitten von Sand, Tamarisken und bröckelnden Adobe-Steinen zu seinen abenteuerlichen Reisen über den pazifischen und indischen Ozean hätte inspirieren lassen können, wäre nach der Betrachtung der überraschend detaillierten und gut erhaltenen Wandfriese durchaus nachvollziehbar. Denn die Erbauer dieser Pyramidenstadt rund um den Cerro Purgatorio, das Volk der Labayeque nämlich, war ursprünglich ein Seefahrervolk!
Die Abbildungen der Wandfriese zeigen denn auch Schilfboote mit hohem Bug, mit Dreiecksegel und Steuerrudern. Ganz ähnlich den primitiven Booten, mit denen Heyerdahl von Peru aus zu den polynesischen Inseln schipperte. Doch das war schon 1947 - und im hiesigen Schutt buddelte er erst 1988. Unsere Annahme passt also zeitlich nicht! Obendrein bestehen die Boote der Labayeque ganz offensichtlich aus Schilf (gebogener Bug!). Das aber wächst hier nicht eben an jeder Straßenecke! Woher also kannten die Labayeque die Boote aus Schilf? Woher kamen die begabten Bootsbauer ursprünglich? Ihren überlieferten Sagen zufolge sind sie vor vielen Generationen über das Meer hierhergekommen! Aber woher genau?
Die weitläufige Ruinenanlage ist ein heißes Pflaster. Schatten ist rar. Auch wenn sich die tropische Sonne hinter milchigen Wolken versteckt. Obendrein sind viele der Ausgrabungsstätten in hässlichen Wellblechhütten versteckt - oder werden gerade mit einem neuen, nicht weniger hässlichen Blechdach versehen. Dass beides notwendig ist um die einmaligen Bauten vor dem weiteren Verfall zu schützen, ist ja OK. Aber ein paar Gucklöcher für die (zahlenden!) Touris hätte man schon freilassen können! Vor allem von der Huaca larga, der mit Abstand größten Grabanlage, die Heyerdahl so mühsam ausgegraben hatte, ist so gut wie nichts zu sehen! Zudem wurde im Juni 1983 während einer schweren Überschwemmung die halbe Anlage in den Fluss gespült: wie gesagt, ungebrannter Lehm ist kein sonderlich haltbares Baumaterial!
Auf der über 200 Hektar großen Anlage wirklich sehenswert ist der
Huaca del Balsa, ein Tempel mitsamt Priesterwohnung in der südöstlichsten Ecke des Areals. Dort finden sich die herrlichen Wandfriese über die seefahrenden Vorfahren des Labayeque-Volkes. Die, von denen sich Heyerdahl hätte inspirieren lassen können, wenn, ja wenn er seine Seereisen noch vor sich gehabt hätte ... Ach ja, auch das Museum ist recht interessant, will man sich ein Bild über die Geschichte und die Götterwelten der hiesigen Menschen machen.
Ihm soll es an Nichts fehlen: das Grab des 'Señor de Sípan'
Fünfzig Kilometer weiter südlich erhebt sich ein weiterer, ganz ähnlicher 'Schutthaufen'. Ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit erodiert. Ebenfalls am Rande eines fruchtbaren Tals gelegen. Ebenfalls an die zweihundert Meter hoch. Doch hier haben die Archäologen Gräber gefunden. Gräber der Mochi-Kultur, Gräber mit wertvollen Beigaben. Gräber mit 'Begleitern' auf dem Weg ins Jenseits. Gräber hoher Adeliger. Der Bekannteste ist Señor de Sípan (The Lord of Sípan), ein hoher Herrscher, der um 650 u.Z. begraben wurde. Gerade mal 35 bis 45 Jahre war er alt geworden, bevor er sich auf den Weg ins Jenseits machen musste. Damit er dabei nicht allein war, wurden ihm zwei junge Männer, drei Frauen, ein Kind, ein Wachsoldat, ein Llama und ein Hund mit auf den Weg gegeben. Von der Wegzehrung in Hunderten von meisterlich geschmückten Tongefäßen sowie von wertvollen, goldenen und mit Halbedelsteinen verzierten Brust- und Kopfgeschmeiden ganz zu schweigen!
1987 wurde diese Grabanlage rein zufällig entdeckt, nachdem auf dem Schwarzmarkt mehr und mehr Goldarbeiten aufgetaucht waren, die Grabräuber aus seiner Ruhestätte und der seiner Nachbarn geraubt hatten. Denn nicht nur der Señor selber liegt hier in einem 5 x 5 Meter messenden Grab. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft finden sich zwölf weitere Gräber hochgestellter Persönlichkeiten. Allesamt mit wertvollen Beigaben - in menschlicher, tierischer und essbarer Form. Darunter ein hochgestellter Priester (Grab No.2) und ein adeliger Soldat (Grab No.8). Den Reigen komplett macht 'der Alte', offenbar der erste Herrscher der hiesigen Mochi-Kultur, der immerhin 45 bis 55 Jahre alt wurde - und bei weitem nicht so viel Beistand auf dem Weg nach drüben brauchte wie seine Nachfolger ....
Interessant ist, dass sich sämtliche Gräber nicht innerhalb der großen Pyramide befinden, wie wir das aus Ägypten kennen. Vermutlich hatten sich die alten Mochi überlegt, dass niemand je ihre tollen Machwerke aus Gold, Kupfer, Edelsteinen und kunstvollen Textilien finden würde, wenn sie unter hunderten Metern Adobe-Müll verschüttet lägen. Drum haben sie direkt neben der Hauptpyramide einen Anbau errichtet und ihre Toten dort vergraben. Viel Arbeit war's für die Archäologen trotzdem, die metertiefen Gräber auszuheben - meist nur mit Pinsel und Spatel bewaffnet, um die wertvollen Fundstücke ja nicht zu beschädigen!
Nun fürs Erste genug der alten Kulturen!
Carnaval in Cajamarca (gesprochen [Kachamarka]): der eindrucksvollste des ganzen Landes: bunte Kostüme, farbenprächtige Umzüge, heiße Musik, ausgelassenes Feiern. Kaum ein Reiseführer, der die fünfte Jahreszeit in dieser Stadt nicht wärmstens empfiehlt. Könnte Cajamarca etwa ein kleiner Trost für das gestrichene Rio de Janeiro sein?
Schon bei der Einfahrt in die hübsche alte Kolonialstadt - auf Straßen, die nur ein paar Zentimeter breiter sind als die Lady Grey - dringt mir allenthalben Livemusik ans Ohr. "Das kann ja nett werden!" denke ich mir und freue mich schon auf Samstag, wo die Sause richtig losgehen soll. Ein lauter, aber halbwegs sicherer Standplatz, keine fünfzig Meter vom geplanten Festzug entfernt, ist bald gefunden.
Am Samstag aber wartet der Reinfall, als ich mich auf die Pirsch nach bunten Bildern des bunten Treibens machen will: Kostüme? Fehlanzeige! Feiernde, fröhliche Menschen? Nirgends zu finden! Dafür massenweise junge Leute in abgetragenen Klamotten. Bewaffnet mit Wasserpistolen und Farbeimern. Es dauert nicht lange und Jeder, der nicht höllisch aufpasst, ist von Kopf bis Fuß mit Farbe bespritzt! Ich halte mich im Abseits und schaffe es tatsächlich mit nur zwei Farbspritzern zurück.
Die Lady ist zu diesem Zeitpunkt noch Grey. Damit das so bleibt, will ich mit ihr schnell das Weite suchen. Doch da habe ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht! In den eineinhalb Stunden, die ich für die 500 Meter Ausfallstraße brauche, haben die Farbbeutelwerfer genug Zeit, aus der Lady Grey eine Lady Bunt zu machen. Den denkbar schlechtesten Zeitpunkt habe ich mir da ausgesucht, um aus der Stadt zu fliehen! Bleibt zum Schluss nur die Frage, ob die Sause eher von der lokalen Farbenindustrie oder von den Autowäschern gesponsort wird?
Für Sonntag ist das gleiche 'bunte Treiben in der Stadt' noch einmal angesagt. Da bleib' ich doch lieber auf dem Camp der Hacienda San Antonio, da rührt das Bunt wenigstens nur von den Blumen, den Wimpeln und den grünen Wiesen mit den braunen Ponys her. Für Rosenmontag ist ja noch der große Umzug - mit 'nur noch' Wasserbomben - angesagt.
Der Umzug am Montag ist dann tatsächlich ein Erlebnis für sich! Die Umzüge in Köln, Düsseldorf oder Mainz muten dagegen wie armselige Dorfveranstaltungen an. Über viereinhalb Stunden windet sich der an Farbe kaum zu überbietende Umzug (Gaudiwurm wäre nicht ganz der passende Ausdruck!) durch die Stadt. Bei zweihundertfünfzig höre ich auf, die Gruppen zu zählen. Und die Kostüme sind - vom Feinsten, ich kann es nicht anders ausdrücken. Die schiere Anzahl, die Farbenpracht und die Ausgestaltung der Kostüme lässt fast vermuten, dass die Gruppen das liebe lange Jahr lang nichts anderes tun als Kostüme zu schneidern. Jedes Barrio (Ortsteil), ja jeder Straßenzug scheint mindestens eine Carnavalsgruppe zu haben und jede Gruppe zeigt am liebsten ihre Schönheits- oder Carnavalskönigin. Politische Themenwagen wie in Deutschland sind hingegen selten.
Nicht nur die Königinnen, viel mehr noch das 'Fußvolk' müssen die letzten Wochen ein hartes Programm absolviert haben. Kaum ein Lächeln für die Zuschauer ist auf ihren Gesichtern zu finden. Eher gequältes, einstudiertes Winken oben und eher zaghafte, müde Tanzschritte unten. Ab und zu auch eine richtig saure Miene. Kein Wunder! Werden die Tänzer, Musiker und die vielen Gruppen in ihren tollen Kostümen doch auf der gesamten Strecke mit Wasserbeuteln aus den Zuschauerreihen bombardiert!
Nicht nur Kinder und junge Leute haben offenbar ihren Spaß daran, selbst Erwachsene, ja Menschen 'reiferen Alters' finden es irgendwie lustig, die Kostümierten, die aufwändig geschminkten und fesch gekleideten Menschen mit Wasserbeuteln zu bewerfen. Noch viel mehr allerdings bekommen die anderen Zuschauer ab! Gut, die meisten Wasserbomben sind nur mit zwei, drei Tassen Wasser gefüllte Luftballons. Andernorts wird das Nass aber auch gleich per Wassereimer oder Kinderbadewanne verteilt! Ich finde das billig - und echt unfair. Vor allem den Darstellern gegenüber, die sich mit den Kostümen wirklich viel Mühe gegeben haben! Mit 'Lustig' hat das in meinen Augen wenig zu tun! Aber da ticken die Uhren in Peru offenbar anders!
Liegt es daran - oder an den heftigen Regenschauern, dass die Veranstaltung nicht eben vor Fröhlichkeit sprüht? Trotz angestrengter Bemühungen der Musiker, die Zuschauer zum Mitmachen, zum Schunkeln, zum Tanzen, zum Klatschen oder wenigstens zu einem Lächeln zu verleiten. Die Zuschauer hocken nur da, trinken ein Bierchen oder zwei, essen zwischendrin zu Mittag, halten den gefüllten Wasserballon in der Hand und nach dem nächsten Ziel Ausschau.
Alles in Allem ein groß angelegtes und wirklich farbenprächtiges, sehenswertes Spektakel! Ohne die Wasserorgien, dafür mit ein wenig mehr Anteilnahme der Zuschauer wäre es sicher noch einmal so schön gewesen. Und ohne die Regengüsse - aber das ist ein anderes Kapitel!
P.S. Um vor den allgegenwärtigen Wasserfontänen wenigstens halbwegs Deckung zu finden, muss ich mich in die oberste Reihe einer wackeligen Tribüne verziehen. Verzeiht deshalb, wenn die Bilder ein wenig 'von oben herab' erscheinen. Um euch davon nicht wieder so viele vorzuenthalten, gibt's auch wieder ein kleines Fotoalbum.
Das Wasser kommt die letzten Tage nicht nur aus den Beuteln der Carnavalsjecken. Sondern auch von oben - sogar in weit größeren Mengen. Die nächsten Tage wird sich daran auch wenig ändern, verheißt der Wetterbericht. Aber wo kommt das ganze Nass her? Um diese Jahreszeit ausschließlich aus dem Amazonasbecken: die Wolken, die sich dort bilden, regnen sich am Osthang der Anden ab - und einige schwappen eben über die Gipfel zu uns herüber. Je weiter man nach Osten kommt, desto intensiver und länger regnet es. Genau dort aber lägen meine nächsten Ziele: die Ruinen der Bergfestung von Kuelap und der mit 771m zweithöchste Wasserfall Perus, die Catarata Gokta. Obendrein wird gerade eine wichtige Brücke auf dem Weg dorthin repariert und keiner weiß, ob sie wieder befahrbar ist. Gründe genug, kurzfristig umzuplanen und zunächst hinunter an die Küste zu rollen, um den großen Pre-Inka-Festungen bei Trujillo einen Besuch abzustatten. In ihrer Nähe soll es sogar einen Stellplatz mit Möglichkeit zum Wäschewaschen geben. Ein Luxus, den ich mir gerne mal wieder gönne!
Die schnelle, gut ausgebaute Direktverbindung an die Küste kann aber jeder. So wähle ich die andere Möglichkeit über Cajabamba, die immer hübsch auf der Höhe durch das Bergland der Cordillera Central führt. Auf manchen Kilometern gut ausgebaut, auf anderen eine einzige Baustelle und schließlich nur noch eine einspurige Straße, die die abgelegenen Weiler des Hochlands verbindet. Dabei herrliche Blicke nicht nur ins Tal freigibt, sondern auch auf einige Gipfel der Cordillera, wenn sie denn mal zwischen den Wolken hervorlugen. Als Belohnung der Kurbelei wartet am Abend die Laguna de Sausacocha, ein kleiner Bergsee auf 3100m. Dort warten nicht nur leckere Forellen, sondern auch ein netter Nachtplatz - direkt am Seeufer! Es ist Monate her, seit ich einen so schönen Platz ergattert hatte. Und siehe, auch die finsteren Wolken legen mal einen halben Tag Pause ein.
Das New York des alten Amerika: Chan Chan
Als Amerika noch nicht Amerika hieß, als Christobal Colon noch nicht einmal aus Europa abgesegelt war, da hatte das alte Amerika schon eine Hauptstadt: Chan Chan. Direkt an der Küste gelegen, dort wo der mächtige Rio Moche in den Pazifik mündet und wo sich heute Trujillo breitmacht, hatten die Chimú (1200-1450 u.Z.), die Nachfahren der kriegerischen Moche ihre grandiose Hauptstadt errichtet. Was Größe und Ausstattung anging, stellte sie alles bislang Dagewesene in den Schatten. 24 Quadratkilometer bedeckte die Stadt, in der 100.000 Menschen siedelten, die - dank künstlicher Bewässerung der umliegenden Regionen und dem intensiven Handel mit den Hochlandbewohnern - gut zu Essen und zu Trinken hatten. Und viel Zeit, sich künstlerisch zu betätigen.
Neun Stadtviertel (Ciudadelas) hat man bisher entdeckt. In ihnen lebten Fischer, Bauern, Handwerker, Kaufleute, Krieger, Priester und die Führungsriege - alle hübsch voneinander getrennt. Einige der Viertel liegen heute unter den Wolkenkratzern des modernen Trujillo, der drittgrößten Stadt Perus vergraben, so recht restauriert wurde nur der Palacio Nik An (Ciudadela Tschudi), das reichste und imposanteste Viertel, vermutlich die Heimstatt eines wichtigen Führers. Sie allein ist schon mächtig imposant! Vor allem die riesigen, bis zu zehn Meter hohen und drei Meter dicken Mauern, die nicht nur das Gesamtareal, sondern auch jeden wichtigen Teil davon separat umgeben, stechen ins Auge. Ob die hohen Mauern gebaut wurden, um den permanenten Sandwind abzuhalten? Oder galt es, wertvolle Schätze zu schützen, auf die Nachbarn ein begehrliches Auge hätten werfen können?
Im Innern der Anlage, rund um den quadratischen Hauptplatz erheben sich sogenannte 'Rautengitter-Mauern', vermutlich einzig aus Freude am Schönen erbaut. Daneben zieren Fische und eigenartige gefiederte Wesen zu Tausenden fast jede Wand, die ein Besucher zu Gesicht bekommt.
Allerdings machten auch die Chimú - wie die meisten ihrer südamerikanischen Zeitgenossen - den Fehler, die Mauern und Kunstwerke aus Adobe zu errichten. Ein paar kräftige Regengüsse - die es auch an der sonst so trockenen Küste geben kann - und der ganze Lehm zerrinnt zu unförmigem, künstlerisch wenig wertvollem Baatz. Dieses Schicksal ereilte auch die Hauptstadt des Alten Amerika nach über vierhundert Jahren Blütezeit - nachdem sie von den Inka übernommen und als wichtige Zwischenstation auf dem Weg in den Norden Perus nochmals erweitert worden war. So ist von dem grandiosen Chan Chan heute wenig mehr übrig als eine riesige Fläche voller zerronnenem, unscheinbarem Baatz - geschützt von zwei Dutzend Hinweistafeln, dass man sich inmitten einer bedeutenden archäologischen Grabungsstätte befindet. Nur dank der Bemühungen der Archäologen und Restauratoren kann sich der Besucher im Palacio Nik An (Ciudadela Tschudi) einen wenigstens ansatzweisen Eindruck von der Pracht der größten präkolumbianischen Stadt Amerikas machen.
Dieser Eindruck leidet inzwischen mächtig unter den - sicherlich notwendigen - Konservierungsmaßnahmen. Um den modernen, restaurierten Lehm vor weiteren Regengüssen zu schützen, wird das ganze Viertel mit einem hässlichen Wellblechdach auf Bambusstützen überzogen. Keine wirkliche Augenweide! Hätte eine der wichtigsten Stätten Amerikas, eine der am längsten geschützten UNESCO-Stätten nicht ein Schutzdach verdient, das der Bedeutung des Ortes angemessen ist? Das den Zauber der Bauwerke hebt statt ihn zu zerstören?
Im kleinen Museum nebenan kann sich der interessierte Besucher über Sitten und Gebräuche der Chimú schlau machen - sowie ihre strikten Hierarchien. Der Überlieferung zufolge stammen die noblen Herrschaften (genannt Ciequic, Alaec und Fixlla) von zwei der großen Sterne des Firmaments, während das 'gemeine Volk' (genannt Paraeng und Yana) von zwei kleineren Sternen abstammen. Damit war die Vorherrschaft der Noblen 'gottgegeben' und unabänderbar. Ganz im Sinne der Noblen, die ja wie zufällig auch selbst die Legenden überlieferten.
Auch darüber, wie die Chimú im 12. oder 13. Jahrhundert an diesen Küstenabschnitt Perus gelangten, gibt es nur Legenden. Wie viele der modernen Dioramen erzählen auch sie davon, dass die Chimú auf dem Seeweg herkamen! Aber Woher? Aus Asien? Aus Polynesien? Aus dem Süden Perus oder dem heutigen Chile? Diese Frage können auch die Wissenschaftler (noch) nicht recht beantworten. Die auf den Illustrationen dargestellten Flöße weisen auffällige Ähnlichkeiten mit den Bambusflößen der beiden Ra-Expeditionen von Thor Heyerdahl auf (mit denen er ja nachweisen wollte, dass die Osterinsel und Polynesien von den Küsten Perus aus hätten besiedelt werden können - allerdings in einem völlig anderen Zeitfenster). Fragt sich nur, wer da vom wem abgepinselt hat?
Von der Mündung bis zur Quelle: der Rio Santa
130 Kilometer südlich von Trujillo mündet ein weiterer Fluss aus dem Hochland ins Meer. Ein heiliger Fluss - zumindest dem Namen nach: der Rio Santa. Auf dreihundertdreißig Flusskilometern stürzt er sich von 4200 Metern Seehöhe ins Meer, ein Durchschnittsgefälle von 12 Promille, der Traum jedes ambitionierten Wildwasserfahrers! Auf halbem Weg zwängt er sich durch den Cañon del Pato, durch die malerische 'Entenschlucht' mit ihren bis zu achthundert Metern hohen, lotrechten Felswänden. Nicht weniger imposant als die Fahrt durch den Cañon selbst mit seinen vierunddreißig engen, nur grob behauenen und völlig unbefestigten Tunneln ist die Anfahrt vom Meer herauf.
Die Mündung des heiligen Flusses liegt in einer Wüstenlandschaft, die karger kaum sein könnte. Im Windschutz der ersten Hügel jedoch gedeihen - dank eifriger Bewässerung - weite, himmlisch grüne Reisfelder inmitten der Wüstenei. Dieses unmittelbare Nebeneinander - oft innerhalb eines Meters - des lebendigen Grüns und des Rots und Brauns der toten Felsen ist ein erhebender Anblick. Ein Anblick, der die Wichtigkeit des Lebenselixiers Wasser deutlicher nicht unterstreichen könnte!
Mit dem Ende der Teerstraße bei Cuquicara endet auch das satte Grün. Oder ist's andersherum? Jedenfalls führt die holprige Piste nun direkt am tosenden Fluss entlang, eingezwängt in ein immer enger werdendes Tal, das lebensfeindlicher, wüster kaum sein könnte - trotz des tosenden Flusses! Über zweitausend Meter ragen die abweisenden Bergriesen links und rechts der Piste in den azurblauen Himmel, direkt neben der Piste schießt das Wasser des wild brodelnden Flusses in die Tiefe. Das Grün vereinzelter Büsche im Talgrund wirkt in dieser Mondlandschaft wie ein - willkommener - Fremdkörper. Dass selbst in dieser Wüstenei noch Menschen leben, davon zeugen einzelne Seilbrücken, auf denen sich mutige Bauern über den reißenden Fluss ziehen, um am andern Ufer wenige Quadratmeter fruchtbaren Bodens zu bewirtschaften.
Viel lukrativer als auf dem kargen Boden ein paar Kartoffeln, Zwiebeln oder Tomaten zu ziehen ist es, dem Gestein selbst seine Schätze zu entreißen: Kohle, Eisen, Kupfer, Silber und Gold warten auf den Bergmann, der sich auf haarsträubenden Pfaden die Bergflanke hochwindet und einen winzigen Stollen in das Massiv schlägt. Wie vor Jahrhunderten in schweißtreibender Handarbeit mit Hammer und Meißel.
Sind die Erzvorkommen umfangreicher, hat sich eine Minengesellschaft schnell die Abbaurechte gesichert, eine Piste in die Wildnis geschlagen und ihr Camp aufgestellt. Da wird dann unter sicherheits- wie umwelttechnisch höchst fragwürdigen Umständen das Erz gefördert und zu Tal gekarrt. In keiner anderen Region habe ich so viele Bergwerke, Waschanlagen, ja ganze abgetragene Bergrücken gesehen wie hier in der Cordillera Occidental!
"Die Kraft des Wassers könnte man doch auch gut nutzen ..." schießt es mir durch den Kopf. Doch die Region ist erdbebengefährdet und ein Staudamm verbietet sich wohl schon deshalb. Trotzdem findet man bei näherem Hinsehen unterhalb des Cañón del Pato (in Huallanca) ein Wasserkraftwerk, freundlicherweise als Kavernenkraftwerk ausgeführt. Ebenso freundlicherweise wird fünfhundert (Höhen-)Meter weiter oben nur ein kleiner Anteil des Wassers ausgeleitet. So haben Fluss und Cañon nur wenig von ihrem Charme verloren. Obendrein hat der Fahrer alle Hände und Augen voll zu tun, die Lady Grey ohne Schrammen oder Schlimmeres über die schmale Piste und durch die vierunddreißig Tunnel voller vorstehender Felsen zu bugsieren. Da bleibt für genussvolle Ausblicke auf Fluss und Schlucht wenig Zeit! Wie gerne wäre ich zwischendrin auch einmal nur Beifahrer!
Kurze Zeit später weitet sich die felsige Schlucht zu einem lieblichen, grünen, dicht besiedelten Tal: dem Valle del Rio Santa. Schnell wird auch klar, woher das Wasser des heiligen Flusses stammt: aus den höchsten Bergen Perus nämlich: aus den weißen Bergen.
Berge ganz in Weiß: Cordillera Blanca
Schon sein Name lässt die Herzen vieler Bergsteiger in aller Welt Purzelbäume schlagen: der Nevado Huascarán ist mit 6768m der höchste Berg Perus, der Nevado Alpamayo (5947m) wegen seiner ebenmäßigen Form (ähnlich dem Matterhorn) angeblich der schönste Berg der Welt. An Superlativen mangelt es hier heroben wirklich nicht!
Mir als Flachlandtiroler bleiben diese Höhen allerdings verschlossen! Schon im Tal - auf 4000 Höhenmetern - kann ich gar nicht schnell genug schnaufen ... Doch am Anblick der strahlend weißen, vergletscherten Bergriesen darf ich mich trotzdem freuen - wenn auch aus weiter Ferne!
Die Berge der Cordillera Blanca und - nur ein paar Kilometer weiter südlich - die der Cordillera Huayhuash bilden einen Teil der imposantesten Wasserscheide Südamerikas. Ein Blick auf die Karte zeigt, wie ungewöhnlich die Gegend ist: wir befinden uns ganz am Westrand des riesigen Kontinents. Zum Pazifik, in den der Rio Santa mündet, sind es gerade mal achtzig Kilometer Luftlinie, zum Atlantik, in den der Rio Mosna (ein Quellfluss des Amazonas) mündet, sind es über 3200 Kilometer!
Ob die Ureinwohner Perus vor dreitausend Jahren schon um die Besonderheit des Ortes, ja um seine Magie wussten? Jedenfalls errichteten sie hier gleich um die Ecke das erste religiöse Zentrum Südamerikas.
Erste Pilgerstätte in Peru: Chavín de Huántar
Das Volk der Chavin lebte am Südostrand der Cordillera Blanca um 1200 v.u.Z. bis ca. 400 v.u.Z. Vermutlich genau hier, in den fruchtbaren Tälern am Ostabhang der Cordillera versuchten sich die früheren Jäger und Sammler zum ersten Mal als Ackerbauern. Offenbar erfolgreich, denn sie wurden sesshaft und besiedelten die umliegenden, abgeschiedenen Täler. Um die Götter zu ehren, von deren Wohlwollen ihr Überleben in der neuen Rolle entscheidend abhing, bauten sie Tempelanlagen - wie Chavín de Huántar. In ihrem Kult spielten Kondore, Pumas und Schlangen eine herausragende Rolle, ihre Bilder findet man zu Hunderten in Stein geritzt. Ihre Religion sollte die Grundlagen für alle späteren Weltanschauungen in diesem Teil der Erde legen. Chavín de Huántar wurde zur ersten und bedeutendsten Pilgerstätte des heutigen Peru - achthundert Jahre vor Christus.
Das größte Bauwerk - etwas fantasielos Edificio 'A' genannt - bildet den Kern der Anlage. Die Seitenwände seines nahezu quadratischen, mit fünfundsiebzig Metern Seitenlänge hochimposanten Grundrisses waren früher mit polierten und verzierten Steinplatten verkleidet, von den heute nur noch wenige am Eingang zu sehen sind. Im Innern befinden sich Dutzende verwinkelter Gänge und Abteile (Quartiere für die Priester?), wie das ganze Bauwerk ganz ohne Mörtel und ausschließlich aus Steinquadern und -platten aufeinandergeschichtet. Die tonnenschweren Steine wurden aus einem vierzig Kilometer entfernten Steinbruch herantransportiert. Wie das in den steilen Tälern auf 3200m Höhe bewerkstelligt wurde ist bis heute ebenso ein Geheimnis, wie die Frage, woher das verbaute Vulkangestein stammt.
Im Allerheiligsten, tief im Innern der Plattform hatten die Priester El Lancón aufgerichtet: eine viereinhalb Meter hohe Stele aus Granit. Einer Lanze ('lancón') nicht unähnlich, war sie vermutlich das älteste und am meisten verehrte Heiligtum der Chavín-Kultur. "Seine Form erinnert an einen viereckigen Kopf mit runden Ohrringen. Die scharfen Reißzähne im fratzenartig geöffneten Mund lassen auf einen Jaguarkopf schließen. Das Kopfhaar besteht aus stilisierten, sich windenden Schlangen und verstärkt den beängstigenden Ausdruck. Chavín-Priester brachten ihr möglicherweise auch Menschenopfer dar." (aus 'Nelles Guide Peru').
Vor dem Edificio 'A' erstreckt sich ein imposanter, quadratischer Platz mit treppenartigen Zuschauertribünen ringsum. Hier wurden vermutlich die heiligen Handlungen und Riten vollführt, zu denen die Pilger von weither zusammengekommen waren. Interessant auch, wie weitsichtig die Baumeister damals bereits waren: am Osthang der Cordillera regnet es - wie bekannt - häufiger und stärker als anderswo: daher durchzieht ein dichtes Netz unterirdischer, sauber mit Stein verkleideter Gräben den gesamten Komplex: hoch effektive Entwässerungskanäle! Neben den verehrten Tiergottheiten ist das für mich ein Indiz dafür, dass die Chavín vermutlich aus der Amazonasregion kamen.
Obwohl die Anlage zweitausend Jahre mehr auf dem Buckel hat als beispielsweise Chan Chan oder Tukumé, zudem bei einem gewaltigen Erdrutsch (1985) zu weiten Teilen verschüttet worden war, ist sie deutlich besser erhalten (und restauriert) als andere 'Steinhaufen'. Unterm Strich hat sich die ätzende An- und Abreise (siebzig Kilometer Piste in Schrittgeschwindigkeit) doch gelohnt!
Die älteste Stadt Amerikas: Caral
Jahrzehnte lang wurde Chavín de Huántar als Wiege der peruanischen Zivilisation gehandelt, 2001 aber mussten die Geschichtsbücher komplett umgeschrieben werden. Früher hatte sich keiner für Caral, einen Ausgrabungsort nahe der Küste interessiert, da es weder mit hübschen Keramiken noch mit geopferten Menschen aufwarten konnte. Doch Dr. Ruth Shady Solis, die engagierte peruanische Grabungsleiterin ließ nicht locker und eine Radiokarbonmessung bestätigte ihre Annahme: Die Ciudad Sagrada de Caral ist tatsächlich fast zweitausend Jahre älter als Chavín de Huántar! Eine Sensation! Die offizielle Datierung Carals lautet nun auf 2700 v.u.Z. bis 2600 v.u.Z. Manche Reiseführer wissen es sogar noch genauer: 2637 v.u.Z. sei das Baujahr. Vermutlich im August!
Dabei wurde auch Caral nicht an einem Tag erbaut, sondern in mehreren Schüben. Dabei verschwanden die älteren Steinstrukturen unter neueren, sodass heute zwei, teilweise drei oder vier Pyramiden übereinander liegen. Das Pyramiden-Recycling kennen wir ja schon von den Maya-Bauwerken in Mexiko, wo auch jeder neue Herrscher einen noch mächtigeren Koloss errichten wollte als sein Vorgänger. Menschen ändern sich wohl nie?
Neben der Anlage Caral, die überschwemmungssicher - und mit einer tollen Aussicht ins Tal - auf einer Felsterrasse oberhalb des Rio Supé thront, kann das Tal mit einem guten Dutzend weiterer Anlagen aufwarten. Aus der gleichen Zeit, nur eben ein bis zwei Nummern kleiner. Die antike Kultur, die sich hier am Schnittpunkt einer fischreichen Küste, fruchtbaren Flussauen und sicherem Bergland entwickelt hatte, wird daher auch als Caral-Supé-Kultur bezeichnet.
In einer Zeit, als die Menschen in Mesopotamien und Ägypten langsam sesshaft wurden und begannen, größere Städte zu errichten, vollzog sich an der Küste Perus eine ganz ähnliche Entwicklung. Besonders stolz ist man hierzulande darauf, dass die Schöpfer nicht - wie in anderen Fällen - von benachbarten Kulturen hat abkupfern können, sondern alles 'ganz allein' hatten erfinden müssen. Erstaunlich, dass die Entwicklungen rund um den Globus - trotz räumlicher Trennung und ohne das Wissen um andere Kulturen - so außerordentlich ähnlich - und nahezu zeitgleich - abliefen! Erstaunlich auch, dass sich diese Frühkulturen stets in äußerst ariden Gebieten entwickelten. Dort wo die Menschen auf Fantasie und Einfallsreichtum angewiesen waren, um in einer feindlichen Umwelt zu überleben!
Auch die Menschen in und um Caral-Supé wurden sesshaft, lebten von den Früchten des Meeres und von Ackerbau, aber auch vom Handel mit den Menschen jenseits der Anden (die vermutlich noch Jäger und Sammler waren). Ja, sie hatten sogar gelernt, wie man Baumwolle (sogar in verschiedenen natürlichen Farben) kultiviert und wie man Äcker bewässert. Eine Kunst, die ihre Nachfahren in den Bergen später noch perfektionieren sollten. Ohne die auch heute hier kein einziger grüner Halm gedeihen würde! Selbst die Kenntnisse, wie man in der notorisch erdbebengefährdeten Region stabile Häuser (sh. rechts) und Pyramiden errichtet, waren den Caral-Supé-Menschen schon geläufig.
Ein weiteres Kennzeichen der Caral-Supé-Kultur ist das Fehlen von Menschenopfern. Vermutlich war ein Menschenleben damals noch etwas wert. Ein anderes Kennzeichen ist das Fehlen von Keramiken, wie sie für die übrigen peruanischen Kulturen so prägend sind. Erklärt wird das mit dem hiesigen Überfluss an Kürbissen und Kalebassen, in denen die Vorräte ebenso frisch gelagert werden konnten wie in den Tongefäßen anderswo. Es bestand schlicht keine Notwendigkeit, sich mit dem Material 'Ton' zu befassen. Künstlerisch untätig waren die Bewohner trotzdem nicht: sie formten kleine menschliche Figuren, keine größer als fünf Zentimeter, aber erstaunlich detailgetreu gearbeitet. Auch Musik stand bereits hoch im Kurs. Nicht weniger als vierundsechzig Flöten, Pfeifen und Rasseln wurden in Caral gefunden. Ja, selbst die berühmte Pan-Flöte erfreute damals schon die Menschen!
Man tut ihnen sicher nicht Unrecht, wenn man ihre Kultur als Hochkultur bezeichnet.
Caral war ihre Hauptstadt. Ein Rundgang durch die Ruinenanlage, die sich über mehr als sechzig Hektar erstreckt ist allerdings eher ernüchternd: die Faszination und der Detailreichtum der Pyramiden erschließen sich am besten bei einem Blick von oben. Gerade das Hauptbauwerk, die 'Große Pyramide' mit seinen ineinander verschachtelten Tempeln und Gebäuden und dem kreisrunden Vorplatz macht vom Boden aus einen eher unspektakulären Eindruck. Erst wenn man die Luftaufnahmen zu Hilfe nimmt, erkennt man die wahre Kunstfertigkeit der alten Baumeister!
Auf zwei Dinge weist Roxanna, meine Führerin, ganz besonders hin: wichtige Anlagenteile sind in Kreisform ausgeführt: das Amphitheater, in dem die Bewohner zu religiösen Handlungen und Riten zusammenkamen, daneben die Vorplätze zur 'Großen Pyramide' und zur 'Zentralen Pyramide' (sh. Stadtplan). Auch die Altäre - jede Pyramide hat ihren eigenen - weisen kreisförmige Grundrisse auf. Alles Zeichen einer Religion der Unendlichkeit, der Wiederkehr und der Einheit von Ying und Yang (wie die Chinesen und Roxanna das ausdrücken). Denke ich zurück an die Maya-Bauwerke, so waren dort kreisförmige Strukturen eher 'verpönt' oder unbekannt (mit einer Ausnahme). Als Besonderheit weisen in Caral auch sämtliche Feuerstellen und Altäre unterirdisch verlaufende Belüftungskanäle auf. Der stetig blasende Wüstenwind hielt damit die Feuer in Gang: eine praktische Einrichtung, die nur hier eingebaut wurde und in späteren Epochen völlig in Vergessenheit geriet (bis zum Aufkommen der modernen Grillroste ).
Neben den interessanten Details, die sie mit vielen Gesten erläutert (die man auch auf den zahlreichen Informationstafeln nachgelesen kann), wacht Roxanna penibel darauf, dass der werte Besucher die ausgewiesenen Wege nicht verlässt und ja keinen Blick hinter die Kulissen wirft. Oder auch nur eine nicht alltägliche Perspektive fürs Foto findet. Doch mit Fotos ist es eh nicht weit her, denn der Dunst des peruanischen Küstensommers taucht Alles in einheitliches Hellgrau. Von Kontrast keine Spur! So ist die Anlage - aus fotografischer Sicht - eher ein Reinfall. Ihr könnt es sicher erkennen.
Der überragenden historischen Bedeutung der Anlage tut das allerdings keinen Abbruch. Der einzigartigen Magie der ältesten Stadt Amerikas auch nicht!
Nach so viel geballter Kultur und Geschichte sind nun ein paar Tage Strandurlaub bitter nötig, bevor nächste Woche der Sprung von den ältesten Städten des Landes in die modernste ansteht: hinein ins quirlige Lima.