Tulum Beach Club (Mexico, Quintana Roo) (GPS: 20°12,461'N; 087°25,893'W)
Schneeweißer Sand, fein wie Mehl rinnt durch die Zehen. Kokospalmen wiegen sich in der sanften Brise des Meers. Winzige Wellen des türkisgrünen Wassers laufen auf den gleißenden Strand. Ein Händler verkauft frische Kokosnüsse mit Eis. Lecker! Erfrischend! Andere preisen Bootstouren an. Zum Schnorcheln im kristallklaren Wasser. Zum Tauchen am zweitgrößten Riff der Welt. Zum Sightseeing vom Wasser aus - Tulum, die alte Maya-Stadt am Wasser liegt gleich um die Ecke.
Nur ungern richte ich mich im Schatten ein. Unter den Palmen ist es halbwegs auszuhalten. Laptop auf dem Tisch, Kokosnuss daneben. Landkarte und Fototagebuch griffbereit. Bevor ich mich dem süßen Leben der Karibik ergebe, müssen die Impressionen der letzten Wochen zu PC gebracht werden! Zu viel gesehen. Zu viel erlebt. Zu viele unverdaute Eindrücke! Bevor alles zu Erinnerungsbrei wird, muss es sortiert und verarbeitet werden! Also Augen zu, Blick zurück, zwei Wochen Mayawelt beschreiben!
Bevor wir die einzelnen - sicher nicht alle - Stätten der alten Maya besuchen, lasst uns kurz einen Blick auf die Wurzeln dieser hochentwickelten Kultur und auf die Zeittafel werfen, damit wir Ihre Meisterwerke auch gehörig würdigen können. Für Details empfehle ich die informative und gut belegte Seite von Wikipedia.
Wer waren die Maya überhaupt? Übersetzt heißt Maya so viel wie 'Menschen des Mais', da sie sich vorwiegend von den gelben, nahrhaften Körnern ernährten. Ursprünglich bestanden die Maya aus mehreren, ganz unterschiedlichen Volksgruppen, die eine gemeinsame geschichtliche Tradition einte. Ihre historischen Wurzeln waren zwar ähnlich, wiesen jedoch deutliche lokale Unterschiede auf. Sie hatten ähnliche körperliche Merkmale und verständigten sich in Sprachen einer gemeinsamen Familie. Studien ergaben, dass die ersten Maya (sog. Proto-Maya) schon um 2.500 BC bei Huehuetenango (heute Guatemala) lebten und Ackerbau betrieben. Von dort verbreiteten sich nach und nach mehrere Stämme in die heute als Mayagebiet bezeichneten Regionen, insbesondere die Halbinsel Yucatán, Tabasco und das südliche Veracruz (alle Mexiko), Belize, sowie Teile von Guatemala, Honduras und Nicaragua. Andere Quellen sagen, die Maya wären zunächst im östlichen Tabasco heimisch gewesen und hätten von dort aus die restlichen Gebiete besiedelt. Dabei besiedelten sie völlig unterschiedlichen Landschaftsformen: Gebirgsregionen in Chiapaz, Urwälder im südlichen Yucatán, die Küsten von Belize und der nördlichen Yucatán-Halbinsel: augenscheinlich ein sehr anpassungsfähiges Völkchen!
Insbesondere in den mexikanischen Regionen fand ein reger Austausch mit den Olmeken statt, deren Zivilisation als 'Mutterkultur aller mesoamerikanischen Zivilisationen' angesehen wird. So wurden etwa architektonische Elemente, das dezimale Zählsystem, die Null (!) und ein Kalender übernommen, aus dem später der berühmte Aztekenkalender hervorgehen sollte.
Zudem wurde ein Schriftsystem ('Glyphen') auf Basis von Silbenzeichen entwickelt (übernommen?). Insbesondere an Hand der Zeit-Glyphen, konnte eine genaue Datierung von Bauwerken und die Einstufung der wenigen namentlich bekannten Herrscher erfolgen.
So wird heute die Mayaepoche - immerhin eine Zeitspanne von über zweitausend Jahren - in mehrere Abschnitte gegliedert:
- Pre-Classic (500 BC bis 325 AD): Die Mayakultur nimmt Form an, insbesondere in Tonfiguren mit den besonderen Körpermerkmalen der damaligen Menschen;
- Early Classic (325 AD bis 625 AD): Äußere Einflüsse hören auf; typische Maya-Features entwickeln sich, wie Kragsteinbögen und Zeitangaben mithilfe der Zeitglyphen;
- Flowering (625 AD bis 800 AD): kulturelle Blütezeit mit Mathematik, Astronomie, Hieroglyphen-Schreibung, Töpferei, Steinhauerei und Architektur auf sehr hohem Niveau;
- Collapse (800 AD bis 925 AD): Niedergang der Kultur und Verlassen der zeremoniellen Zentren; Ursachen für den plötzlichen Verfall unbekannt;
- Interregnum (925 AD bis 975 AD): Verfall der Kultur auf das Niveau des Pre-Classic;
- Maya-Toltek oder Mexicana (975 AD bis 1200 AD): Kulturelle Einflussnahme der Nahua-sprachigen Tolteken aus Zentralmexiko. Kult des Quetzalcóatl. Bündnisse zwischen Maya- und Nahua-Familien;
- Mexica Absoption (1200 AD bis 1540 AD): Rivalitäten zwischen den Stämmen und weiterer Verfall der Kultur.
Als die Spanier um 1520 AD die Maya-Regionen erreichten, waren die meisten zeremoniellen Stätten bereits verlassen und die hoch entwickelte Kultur Mittelamerikas vergessen. Das blieb so bis Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die zeremoniellen Stätten - und Städte - der Maya sind über ganz Zentralamerika verstreut (davon ca. neununddreißig in Mexiko, achtundzwanzig in Guatemala, acht in Belize, um nur die größten zu nennen). Was mich dabei interessiert, wäre die Art, wie die Maya die riesigen Entfernungen überbrückten. Ganz offensichtlich reisten sie zwischen den Städten hin und her, trieben Handel, heirateten untereinander - und führten Kriege. Ging das schon mit Fernbus oder mussten die armen das alles laufen? Pferde kamen ja erst mit den Spaniern ins Land.
In den vielen bildlichen Darstellungen - oder auch den Glyphen findet sich kein Wort über Handel, Kriege oder Reisende. Auch so etwas wie Straßen wurden bislang - abgesehen von Cobá - nicht entdeckt (zumindest keine steingepflasterten, die die Jahrhunderte hätten überdauern können). Dabei war der Handel eine ihrer wichtigsten Unternehmungen. Die Routen reichten quer durch ganz Mittelamerika und gehandelt wurde alles, was Profit versprach: Vanille, Gummi, Federn (!), Jaguarfelle, Tabak und Honig, Muscheln, getrockneter Fisch und Perlen. Dabei herrschte zunächst der Tauschhandel vor, erst später entwickelte sich die Kakao-Bohne zu einer Art Zahlungsmittel.
Die soziale Organisation der Maya-Gruppen war weitgehend identisch, strikt männerdominiert und vertikal wenig durchlässig. Ursprünglich bestand die Gesellschaft aus Familiengruppen, die die gleiche Sprache sprachen. Als sich die Landwirtschaft weiter entwickelte, als Bewässerungssysteme angelegt und unterschiedliche Maissorten kultiviert wurden, wuchs die Bevölkerung sprunghaft und man begann mit dem Bau der großen Zeremonien-Zentren. In deren Umfeld siedelten auch die meisten Menschen und man vermutet, dass sich die sozialen Klassen vorwiegend aus der Arbeitsteilung ergaben.
In den zeremoniellen Zentren selbst lebte die Oberschicht, die herrschende Klasse, die Priester und Magier, Krieger und Kaufleute ebenso wie die Architekten, die die Tempel, Plätze und öffentlichen Gebäude planten und bauten. Daneben Astronomen, die die Bewegung der Himmelskörper (mit frappierender Genauigkeit) beobachteten und die Einheit des Universums zu entschlüsseln suchten. Ferner die Schreiber, die wichtige geschichtliche Ereignisse, mythische und religiöse Glaubenssätze sowie die Stammbäume der Herrscher dokumentieren mussten, wobei sie ein komplexes System aus hieroglyphischen Zeichen verwendeten. Die Mittelschicht stellten die Bauleute, die Diener der herrschenden Klasse, Töpfer sowie andere Künstler (kein Wunder bei deren Können). Die Unterschicht schließlich bildeten die Fischer, Jäger und Bauern, die im Umland der Stätten wohnten und den herrschenden Schichten tributpflichtig, de facto aber Leibeigene waren. Daneben gab es Sklaven (Pentacoob), meist Kriegsgefangene, Kinder von Unfreien oder Waisen.
Die Götterwelt der Maya ist für den Betrachter zunächst verwirrend und nicht leicht zu überblicken. Ihre Zahl im Pantheon lässt sich bis heute nicht mit Sicherheit angeben, die fünf wichtigsten Mitglieder aber kennt jedes Kind.
Die Götterwelt der Maya*)
Die Quellen sind lückenhaft und noch nicht entschlüsselt, und die spanischen Überlieferungen sind oft auf dem Hintergrund christlich-theologischer Kenntnisse interpretiert worden. Eine der wertvollsten Quellen sind drei Maya-Handschriften, die der Bücherverbrennung der Konquistadoren entgangen sind: der 'Codex Dresdensis' (Sächsische Landesbibliothek, Dresden), der 'Cortex Tro-Cortesianus' (Museo de América, Madrid) und der 'Codex Peresianus' (Biblithéque Nationale, Paris). Die Codizes bestehen aus einem meterlangen, mit einer Kalkschicht überzogenen Papierstreifen, der als Leporello zusammengefaltet wurde. Niedergeschrieben sind hier Beschreibungen von bedeutungsvollen Tagen, astronomische Phänomene, Hinweise für verschiedene Zeremonien und anderes mehr.
Doch ebenso wenig wie sich eine lückenlose Chronik des Mayavolkes rekonstruieren lässt, ist es möglich, eine Saga der Göttergeschichte zu entwerfen. Die Zuordnung der Götter wird durch die Tatsache erschwert, dass viele von ihnen dualistische Züge zeigen, also gut und böse, männlich und weiblich zugleich sein können. Es gibt Götter, die in ihrer Wesenheit vierfach auftreten, wie die Gottheit der vier Himmelsrichtungen.
Die Götterwelt der Maya ist mehrheitlich eine Männergesellschaft. Beim Vergleich der Götter-Physiognomien, die alles andere als sympathisch oder vertrauenerweckend wirken, hat sich eine alte und eine junge Generation ergeben. Während sich die alte Generation durch eine charakteristische Augenumrahmung und kantige Gesichtszüge auszeichnet, sind für die junge Generation mandelförmig nach oben verlaufende Augen und eine deformierte Stirn, die als Schönheitsideal galt, typisch. Letztere sollen die Maya durch das Aufbinden von Brettern künstlich erzeugt haben. Ebenso wie den leichten 'Silberblick', den eine auf der Nasenwurzel befestigte Perle hervorrief. Ein schielender Gott mit einem Brett vor dem Kopf - eine heitere Vorstellung!
Der Schöpfergott der Maya hieß Itzamná. Sein Name bedeutet soviel wie 'Haus des Himmels', wobei das Haus den gesamten Kosmos umfasst. Seine scharf gebogene Nase und die eingefallenen Wangenknochen sind Merkmale der alten Göttergeneration. Itzamná soll in Menschengestalt auf die Erde gekommen sein und den Maya die Schrift und das Kalenderwesen gebracht haben.
Der Regengott Chac ist der in den Codices am häufigsten abgebildete Gott. Charakteristisch und einzigartig ist seine lange rüsselförmige Nase und die aus dem Mund hängende Zunge. Chac war der Gott des Windes, des Donners und des Blitzes zugleich und wie Itzamná ein den Menschen wohlgesonnener Gott, der ihnen Leben schenkte. Der Regengott trat außerdem in vier Wesenheiten auf, die mit den Himmelsrichtungen assoziieren: als weißer Chac im Norden, als gelber Chac im Süden, als schwarzer Chac im Westen und als roter Chac im Osten. In seiner Hand hält er ein Beil, das nach Maya-Glaube Donner erzeugt, sobald die Regengötter es zu Boden werfen.
Ebenfalls zu den guten Göttern zählt Yum Kaax, der Maisgott, dessen Physiognomie deutlich seine Zugehörigkeit zur jungen Generation beweist.- Yum Kaax hält eine Maispflanze in der Hand, sein Kopfschmuck besteht aus einem Maiskolben mit Blättern. Am eindrucksvollsten ist der Maisgott auf einer Stele in Copán (Honduras) abgebildet.
Ah Puch ist der Name des Todesgottes, dessen Gestalt eine der furchterregendsten des gesamten Pantheon ist. Sein Rücken ist skelettartig dargestellt, sein Kopf zu einem Schädel mit fleischlosem Unterkiefer reduziert, und schwatze Flecken auf seinem Körper deuten die fortgeschrittene Verwesung an. Der knochenartige Ohrschmuck ist ein Symbol des Todes und seit der klassischen Zeit Kennzeichen für zum Tode verurteilte Gefangene. Ah Puch ist eine alles Leben bedrohende Gottheit, die in enger Verbindung zu den Kriegs- und Opfergöttern stand.
Eine Mehrfachrolle spielt die alte Mondgöttin Ixchel, die gleichzeitig als die Göttin der Webkunst, der Liebe und Ausschweifung und als Verschütterin des Wassers verehrt wird. In den Codizes ist sie als alte Frau mit einem Schlangenkopfschmuck dargestellt, die gerade einen Krug Wasser ausgießt. Das Verschütten des Wassers wird als zerstörende Gewalt gedeutet und ist Zeichen ihrer negativen Seite. Positiv dagegen tritt Ixchel als Göttin der Liebe und Geburten auf. Es heißt, sie sei die Frau des Schöpfergottes Itzamná gewesen, und ihr Abbild unter das Bett einer Gebärenden gelegt, verhelfe zu einer leichten Geburt.
Zum Pantheon der Maya gehören eine lange Reihe weiterer Götter und Göttinnen. Die Identität vieler ist noch nicht gesichert, sodass es weiterer Forschergenerationen bedarf, um diese geheimnisvolle Götterwelt zu enträtseln.
*) aus dem Buch "Guatemala" von Barbara Honner und René Meier [Verlag Reise Know-How; ISBN 978-3-8317-2020-0].
Das größte Mysterium sind und bleiben die Gründe für das plötzliche Versinken ihrer Kultur nach 800 AD. Praktisch alle Städte erleben kurz vorher eine glanzvolle Blütezeit. Und danach? Vergessen. Verfallen. Verschollen. Von heute auf morgen? Hat etwa auch hier die gesellschaftliche Entwicklung just die Kräfte hervorgebracht, die ihren Untergang bedeuteten, wie Ian Morris in seinem lesenswerten Buch 'Wer regiert die Welt' schreibt? Hält man sich die zeitlichen Zusammenhänge vor Augen - insbesondere die Zuwanderung des Tolteken-beeinflussten Stamms der Itzá nach Chichén - könnte man zu einer einfachen, dabei arg gruseligen Annahme gelangen (siehe dort). Klimatische Veränderungen (Nachlassen der Niederschläge) könnten Ihren Teil dazu beigetragen haben.
So, mit den paar Randinformationen im Hinterkopf können wir uns nun auf den Weg machen. Allerdings liegt ein ziemlich steiniger Weg vor uns! Alte Steine. Neue Steine. Restaurierte Steine. Viele Steine!
Palenque bzw. Lakamha (Big Water) war und ist heute noch eine der sehenswertesten Stätten der Maya. Um 100 BC gegründet, erlebte es wie die meisten seine Blütezeit zwischen 630 AD und 740 AD. Nur in Palenque konnte man die Namen des guten Dutzends Regenten herausfinden, die die Stadt über diesen Zeitraum führten - und großartige Bauwerke schufen. Schaffen ließen, muss man besser sagen, denn die Arbeit verrichteten natürlich die einfachen Leute. Es war Teil ihrer Arbeitsleistung, die sie im Rahmen der Leibeigenschaft erbringen mussten. Trotzdem toll, welche Werke damals geschaffen wurden, insbesondere unter U Pakal K'Inich Janaab Pakal bzw. Pakal II alias Pakal dem Großen, dem bedeutendsten Herrscher sowie seines Sohns, Kan B'alam III. Später musste sich Palenque seinem Erzrivalen Toniná (65km weiter südlich gelegen) beugen. Dennoch entstanden weiterhin prächtige Bauwerke bevor die Stadt um 900 AD schlagartig aufgegeben wurde.
Graf von Waldeck, ein etwas exzentrischer deutscher Aristokrat veröffentlichte 1833 ein viel gelesenes Werk über Palenque. Nach zwei Jahren Vor-Ort-Exploration betitelte er die Stadt als das 'wiedergefundene Atlantis' und seine detaillierten (phantasievollen?) Zeichnungen malten das Bild einer untergegangenen Mittelmeer-Kultur.
Methodisch erforscht wurde Palenque erst ab 1952 durch einen mexikanischen Archäologen. Selbst heute finden die Forscher noch den einen oder anderen (archäologischen) Schatz, wie jüngst ein gut erhaltenes Fresco unterhalb der Acrópolis. Dazu muss man wissen, dass die heute sichtbaren Bauwerke nicht in einem Rutsch, sondern nach und nach - zum Teil über viele Jahrhunderte hinweg - auf und über bereits bestehenden Bauwerken erbaut wurden. Kein Wunder also, dass in tieferen Schichten noch wahre Schätze schlummern können!
Jedes der zwei Dutzend Bauwerke zu beschreiben, das spare ich mir. Wenn's Euch wirklich interessiert, solltet ihr Palenque selber besuchen! Nicht zu Unrecht ist es der am meisten besuchte Steinhaufen im mexikanischen Chiapas. Falls Ihr also mal vorbeischauen wollt, kann ich den Camp Maya Bell - gleich nach dem Eingang zum Nationalpark links - empfehlen. Wärmstens empfehlen - sinkt das Quecksilber doch kaum unter die 25°C-Marke. Und vorausgesetzt, die Äffchen lassen euch in Ruhe schlafen ...
Ist Palenque eine (arg) bekannte Touristenattraktion und entsprechend gern (von Einheimischen wie Touris gleichermaßen) besucht, so würde ich Edzná eher als Geheimtipp einstufen. Obwohl verkehrsmäßig günstiger gelegen als Palenque, wird es von den meisten links liegen gelassen. Oder rechts. Auf dem Weg von Campeche nach Uxmal oder Kabáh nämlich. Vielleicht liegt's auch nur daran, dass auf dem netten Parkplatz mit Bänken und schattigen Palmhütten einfach kein Platz für die großen Touri-Busse ist? Vielleicht liegts daran, dass das angebotene Light-and-Sound-Spektakel nur Samstags stattfindet? Wie dem auch sei, einen Ausflug lohnen auch diese Steinhaufen allemal!
Edzná war eine der am längsten bewohnten Siedlungen der Maya. Schon 600 BC wurden seine Grundsteine gelegt und die letzten Bewohner verließen die Stadt erst nach der Eroberung durch die Spanier. Eine eher untypische Stadtgeschichte! Künstler und Baumeister waren auch hier zwischen 550 AD und 810 AD an eifrigsten. Die Namen der Herrscher, für die sie arbeiteten, konnten allerdings noch nicht gefunden werden. Auch hier liegen noch viele Schätze verborgen, darunter vielleicht ein Tontäfelchen mit den Namen der Regenten? Noch lange ist nicht jeder Stein des siebzehn Quadratkilometer umfassenden Areals umgedreht!
Die größten Attraktionen sind die Acrópolis und der Plaza Principal, mit hundertsechzig Metern Länge und hundert Metern Breite zwar gewaltig groß, im Schatten der umliegenden Tempel nimmt er sich aber eher winzig aus.
Alles überragt das Edificio de los Cinco Pisos, ein Wolkenkratzer aus Maya-Tagen. Mit seiner gestuften Architektur, den runden Säulen und zahlreichen, zum Hauptplatz hin geöffneten Räumen weist er drei wichtige Merkmale der sogenannten Puuk-Architektur auf, die weiter im Norden dann (insbesondere Uxmal und Kabáh) tonangebend wird.
Eine gute Vorstellungskraft wird dem Besucher beim Templo des Mascarones abverlangt. Namensgeber sind die vielen Masken von Herrschern und Göttern. Stellt man sich ihre ursprüngliche Bemalung - vor allem in blutigen Rottönen - vor, gewinnen sie schnell etwas furchteinflößendes! Sicher zu viel für das einfache Volk von damals! Schon deshalb durften nur Priester hier herauf, um den Göttern zu huldigen! Leider wurden all die hübschen Masken nur aus Stuck gefertigt (nicht aus dauerhafterem Gestein) und vielen von ihnen hat der Zahn der Zeit arg zugesetzt!
Was Edzná von Palenque unterscheidet? Einmal das Grün, das allenthalben zwischen den Steinhaufen sprießt. Und der Grad der Restaurierung! In Palenque wurden die alten Strukturen - zumindest im Kernbereich - weitgehend restauriert. Schon etwas zu viel für meinen Geschmack. Neue Steine. Neue Mauern. Neuer Mörtel. Allenfalls beim Blick hinter die Kulissen spürt man etwas vom Zauber des uralten Gemäuers. Nicht so in Edzná! Da wurden weit weniger Paläste und Pyramiden vollständig restauriert. An jeder Ecke ist der stete Kampf zwischen Urwald und menschengeschaffenen Bauwerken mit Händen greifbar. Wie lange wird es wohl dauern, bis Edzná mangels Besuchern wieder aufgelassen wird und der Urwald das idyllische Plätzchen zurückerobert?
Was in Uxmal (gesprochen Oosch-mahl) den Besucher zuerst erschüttert, ist der Eintrittspreis: In Palenque, ja selbst in Teotihuacán, diesen beiden Touristenhochburgen fiel bei 3,50 Euronen Eintritt die Entscheidung leicht, ob man reingehen will oder nicht. In Uxmal (und anderswo in der Provinz Yucatán) will allem Anschein nach auch die lokale Regierung ein Stück von Kuchen abhaben und schlägt unverschämte zweihundertvierzig Prozent obendrauf! Da kostet der Zutritt plötzlich zwölf Euronen und ich überlege lange, ob es mir das wert ist. Dazu gibt's plötzlich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Einheimische zahlen die Hälfte, Touris sprich Ausländer den vollen Preis. Als mir abends auch noch der klipp und klar aufgezeigte reduzierte Zutritt für 'ältere Mitmenschen' verwehrt wird, werde ich endgültig sauer und beschwere mich lautstark. Nicht, dass es irgendwas helfen würde. Aber die Wut muss irgendwohin! Das Lichtspektakel (€ 4,90) will ich mir trotzdem nicht entgehen lassen.
Abgesehen von den Preisen ist Uxmal durchaus einen Abstecher wert! Von den zwei Nächten, die ich auf dem ruhigen Parkplatz stehe, um das WLAN des Restaurants zu nutzen, ganz zu schweigen.
Uxmal liegt nur siebzig Kilometer nördlich von Edzná, dennoch ist seine Architektur merklich anders. Einzelne Elemente konnten wir zwar schon dort bewundern: runde Säulen, Zimmertüren auf den offenen Platz hinaus - und die stufige Bauart der Pyramiden. Hier gibt es alles in Vollendung - und einen weiteren Baustil obendrauf: Chenes mit luftig leicht wirkenden Ornamenten, mit Schlangen und zahllosen Köpfen des wichtigen Regengotts Chak (Uxmal liegt in einer der trockensten Regionen von Yucatán).
Die Geschichte Uxmals birgt wenig Neues: Besiedlung zwischen 600 AD und 900 AD. Dass man innerhalb 300 Jahren eine derart große und sehenswerte Stadt errichten kann, ist aber durchaus beachtlich! Offenbar haben da die Nachbarstädte, Sayil, Kabáh, Xlapak und Labná, die allesamt tributpflichtig waren, ihren Teil dazu beigetragen! Allerdings gilt auch hier: Namen der Herrschenden? Unbekannt! Blieb in der allgemeinen Bautätigkeit keine Zeit zum Meißeln von ein paar Namensplättchen? Oder haben die Forscher sie noch nicht gefunden?
Auch fand man wenig Hinweise auf die Nutzung der verschiedenen Areale. Für viele Plätze und Anlagen kursieren daher nur Fantasienamen, wie Quadrángulo de los Monjas, der mit Nonnen nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. Vielmehr eine Kaserne, eine Schule für Adelige oder auch nur ein Verwaltungsgebäude gewesen sein könnte. Sehenswert und durchaus beeindruckend ist es trotzdem!
Oder der Palacio del Gobernador, ein hundert Meter langes, mit reich verzierten Friesen geschmücktes Bauwerk. Der seinen Namen nur erhielt, um ausländischen Geldgebern der Ausgrabungen einen Gefallen zu tun! Wir sehen, Archäologie ist eine durchaus präzise Wissenschaft!
Auffällig ist wieder einmal der Spielplatz. Haben sich andere Städte schon mal ein oder zwei Dutzend Plätze für die rituellen Ballspiele gegönnt, gibt's in Uxmal nur einen, einen winzig kleinen obendrein. Dennoch geht von ihm eine unbeschreibliche Faszination aus: das Ballspiel war schon etwas Besonderes. Als Spiel im modernen Sinn darf man es sich allerdings nicht vorstellen, wohl eher als eine Art Gottesurteil, das durchaus mit der Opferung der Verlierer (oder Sieger?) enden konnte.
Das ganze Ritual ist weitgehend unerforscht, obwohl moderne Maya-Nachkommen in Guatemala und Belize noch immer dem Spiel frönen. Es wurde mit einem dreißig-Zentimeter-Ball aus Gummi gekickt, zwischen drei und fünf Kilogramm schwer und offenbar hatte jeder Spieler seinen eigenen Ball. Gespielt werden durfte er nur mit der Hüfte, mit Ellenbogen oder Knien. Dort trugen die Spieler Protectoren und sicher war der Ball nicht gerade weich. Folgt man der populären Legende Pupul Vuh konnte es Mann gegen Mann, in Zweiergruppen oder auch in größeren Teams gespielt werden.
Das größte Kunststück muss darin bestanden haben, das Stück Gummi durch einen der seitlichen Ringe zu bugsieren. Was dann wohl als Punkt zählte. Einen 30-Zentimeter-Ball durch ein 50-Zentimeter-Loch zu kicken, nur mit Hüfte, Knie oder Ellbogen: dazu gehörte gewiss viel Kunstfertigkeit - oder Beistand von den Göttern. Dergestaltiger Beistand wird wohl auch dringend notwendig gewesen sein, um die Spieler vor der blutigen Machete zu retten.
Quasi als Krönung des Tags, der an der Kasse etwas unerfreulich begonnen hatte, gönne ich mir abends die lautstark gepriesene Lightshow. Eine Stunde lang werden die schon tagsüber sehenswerten Ruinen mit farbigem Licht angestrahlt, während in kurzen Episoden Geschichtsfetzen Uxmal's nachgestellt werden. Durchaus ein Fest für Augen und Ohren. Vorausgesetzt man hat Ohropax dabei, denn Musik und Sprache sind mexikanisch laut. Und vorausgesetzt, man versteht das einheimische Spanisch, denn in Englisch gibt's die Show leider nicht. Ein paar nette Fotos bleiben allemal im Kasten.
'Stadt der weisen Männer des Wassers' heißt Chichén Itzá übersetzt. Demnach haben hier wirklich wichtige Menschen gelebt. Man muss wissen, dass die von niedrigem Dschungel überwucherte Halbinsel Yucatán flach und im Grunde ausgesprochen trocken ist. Der Karstboden ist zwar fruchtbar, Wasser jedoch versickert sofort, Flüsse und Seen sind eine Seltenheit. Statt dessen sammelt sich das Wasser in Höhlen, sogenannten Cenotes. In der langen Trockenzeit die einzige Quelle des kostbaren Nass. Diese Wasserreservoirs der Unterwelt anzuzapfen war offenbar die Spezialität der Chichén Itzáer. So wurde die Stadt zu einer der wichtigsten und einflussreichsten Städte im Mayaland.
Erst relativ spät wurde Old Chichén gegründet, nämlich um 435 AD. Die ältesten erhaltenen Gebäude stammen aus der Zeit von 495 AD und 625 AD und sind ganz im Stil des Puuk gehalten, wie er im Uxmal und seinen Nachbarstädten perfektioniert wurde. Gegen 900 AD wanderte dann der Itzá-Stamm zu und brachte einen neuen Baustil mit, der heute Maya-Toltek genannt wird, wobei die Einflüsse der Tolteken deutlich erkennbar sind: strenge Linien, Ornamentverzierungen und die Darstellung des Schlangengotts Kukulcán. Von da an hieß die Stadt Chichén Itzá. Ob mit dem neuen Stamm und dem Kukulcán-Kult auch ein neues, äußerst blutrünstiges Zeitalter Einzug hielt?
Das mit Abstand bedeutendste Bauwerk ist - wie könnte es anders sein - die Pyramida de Kukulcán oder El Castillo. Alles überragend beherrscht sie den Weg zwischen der Heiligen Cenote und der Cenote Xtoloc, den beiden nie versiegenden Wasserquellen. Als einzige Pyramide wurde sie vollständig, d.h. mitsamt des Tempels auf seiner obersten Plattform restauriert. Die an anderen Stätten so reich verzierten 'Seitenwände' zeigen sich weitgehend schmucklos und vermutlich gab ihnen erst die blutrote Farbe ihr eindrucksvolles Aussehen (wie auf der Reproduktion rechts). Auch heute entlockt die Pyramide dem Besucher so manches 'Ah' und 'Oh', auch wenn sie mit vierundzwanzig Metern Höhe weder die höchste, größte noch schwerste der zahlreichen Maya-Pyramiden ist. In erster Linie beeindrucken ihre Schlichtheit, ihre Proportionen und die perfekte Symmetrie.
Auch die Symbolik des schlichten Baus zieht den Besucher in seinen Bann. Ja, man könnte sich die Pyramide als überdimensionalen Kalender denken. Erinnern wir uns dazu an den Aztekenkalender und die hochgenauen astronomischen Beobachtungen der Maya:
- Die neun Etagen der Pyramide werden durch die Treppen zweigeteilt, macht achtzehn Terrassen entsprechend den achtzehn Monaten des Maya-Kalenders (je zwanzig Tage lang);
- Die vier Treppen haben jeweils einundneunzig Stufen; zusammen mit der Plattform gibt das 365 Stufen, die Anzahl der Tage pro Jahr;
- Jede Fassade der Pyramide weist zweiundfünfzig flache Paneele auf, entsprechend den zweiundfünfzig Jahren einer Kalenderepoche der Maya;
- Obendrein zaubert genau zur Frühjahrs- und Herbstsonnwende die untergehende Sonne sieben magische Dreiecke zu beiden Seiten der Haupttreppe und erweckt den Eindruck, die heiligen Schlangen würden sich bewegen.
Alles in allem ein beeindruckendes Gebäude, das die Kunstfertigkeit der Maya in so vielen Disziplinen attestiert. Zudem steht sie über den Resten einer noch älteren Pyramide, in der ein leuchtend roter Jaguar-Thron mit Augen aus Jade sowie eine reich verzierte Figur des Regengotts Chac entdeckt wurde. Offenbar der Vorgänger des Tempels aus den Tagen vor Ankunft der Itzáen.
Weder dem Jaguar-Thron noch der alten noch der neuen Pyramide kommt man irgendwie näher: alles ist weiträumig mit Gattern, Stricken und unzähligen Schildern abgesperrt, was das Erlebnis um Vieles schmälert.
Natürlich hat auch Chichén Itzá seinen rituellen Ballspielplatz. Einen ganz großen, mit siebzehn Metern Länge und sieben Metern Breite, dazu noch eine ganze Handvoll kleiner Trainingsplätze. Der große wird vom herrlich mit Friesen verzierten Tempel des Jaguars begrenzt, an dem vermutlich auch die Menschenopfer stattfanden. Denn die Götter waren immer durstig und insbesondere der Sonnengott musste gut genährt werden, um die Sonne am nächsten Tag wieder aufgehen zu lassen.
Einen möglicherweise treffenden Eindruck von etwas makabren Verhältnis der Maya zum Tod bzw. zu Menschenopfern findet man am Tzompantli. Die unteren Seitenwände des Plateaus sind mit vier Reihen voller Totenschädel geschmückt und hinterlassen ein etwas makabres Bild. Nicht umsonst lautet die Übersetzung von 'Tzompantli' auch 'Plattform der Schädel'. Ob das nun tatsächlich (symbolische) Abbildungen geopferter Menschen oder nur eine Art Abwehrmystik darstellen soll, ist unklar. Den Durst der Maya-Priester (respektive der Götter, denen sie dienten) nach Menschenblut sollte man jedoch nicht unterschätzen.
Ohne es wirklich belegen zu können, habe ich den Eindruck, dass die Gier nach menschlichem Blut und Menschenopfern erst in späteren Jahren - mit dem Zuzug der von den Tolteken beeinflussten Itzá und dem Kult des Kukulcán (gefiederte Schlange) - ausartete. Könnte dies etwa eine Ursache sein, warum viele andere Maya-Städte just in diesem Zeitraum so plötzlich und aus bisher unerfindlichen Gründen verlassen wurden? Wurden ihre Bewohner etwa gekidnappt und den Göttern geopfert? Gab es nach einiger Zeit dann einfach nicht mehr genügend Menschen, um die Städte zu besiedeln? Waren sie alle geopfert worden? Eine unheimliche Vorstellung!
Trotz der nachgewiesen blutigen geschichtlichen Hintergründe kann man in Chichén Itzá über zwei Dutzend herrlicher Gebäude bestaunen, die obendrein in unterschiedlichen Baustilen gehalten sind und aus gänzlich unterschiedlichen Entwicklungsepochen stammen.
Das nach der Kukulcán-Pyramide bekannteste Bauwerk in Chichén Itzá ist das Observatorio El Caracol. Obwohl der Steinhaufen schnell an die Kuppel einer modernen Sternwarte denken lässt, bestand der obere Tempel nur aus drei kreisrunden Etagen, die über eine Art Wendeltreppe verbunden waren. Öffnungen in den Außenmauern markierten möglicherweise wichtige Positionen der Sonne am Firmament. Beobachtet wurden in der weit entwickelten Astronomie der Maya vor allem die Sonne, der Mond und die Venus. Die Genauigkeit der astronomischen Berechnungen verblüfft selbst moderne Wissenschaftler. Dabei wurde jeder Himmelskörper als ein eigenständiger Gott verehrt, sogar die Zeit an sich war ein Gott. Dabei glaubten die Maya, dass auch Götter vergänglich sind, einen Lebenszyklus durchlaufen und nach ihrem Tod neu geboren werden, um einen neuerlichen Zyklus zu durchlaufen.
Eine dritte Gruppe interessanter Bauten stammt aus der Zeit der Puuk-Epoche, die wir schon aus Uxmal kennen, von dessen Umgebung (Puuk = Hügel) der Baustil seinen Namen hat. In Chichén Itzá gehören das Edificio de las Monyas und die Kirche La Iglesia dazu. Wobei die Namen wieder nichts mit der früheren Verwendung zu tun haben, sondern frei erfunden sind. Die reich verzierten Fassaden und der detailreiche Baustil beeindrucken trotzdem.
Dass man in Chichén Itzá an keines der alten Bauwerke wirklich nahe 'ran darf, hatte ich schon gesagt. Das ist schade, denn so findet man kaum eine Beziehung zu dem alten Gemäuer. Von interessanten, nicht alltäglichen Fotos mal ganz zu schweigen! Bei tausend Besuchern (an schlechten Tagen) bis zu fünf tausend Besuchern (an guten Tagen) wird sich das leider auch nicht anders handhaben lassen! Obendrein schallt einem das immer und überall zu hörende "Cheap, cheap, Mister. Only one Dollar!" der Souvenirverkäufer ins Ohr. Will man tatsächlich eine der schön geschnitzten Masken für einen Dollar erstehen, macht er einen Rückzieher und sagt plötzlich etwas von "One Hundred Dollar, Cheap, Cheap!". Nun ja, das kennen wir ja schon! Und ob die teilweise wirklich hübschen Masken tatsächlich alle handgeschnitzt sind, wie er stolz erzählt, darf man auch in Frage stellen. Obwohl ich das den Nachfahren der Maya mit ihrer Kunstfertigkeit, die sie auch im täglichen Leben unter Beweis stellen, und ihren niedrigen Stundenlöhnen durchaus zutraue. Dennoch schauen einige der Masken recht ähnlich aus!
Keine fünf Kilometer östlich von Chichén Itzá liegt die Höhle von Balankanché: die Schatzkiste der Maya. Hierher trugen die Priester der großen Stadt offenbar ihre Wertsachen. Ihre jadeverzierten Kelche. Ihre Obsidianmesser. Ihre Räucherfiguren. Ihre rituellen Maissteine. Ihre Kultgegenstände. Irgendwann vergaßen sie allerdings, die Pretiosen wieder in die Stadt zu tragen. Vielleicht nach einer Belagerung der Stadt? Jedenfalls wurden 1959 die Höhle und ihr unschätzbarer Inhalt ganz zufällig entdeckt und Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zugänglich, sofern man in einer Gruppe von mindestens sechs Personen kommt. Von den Hunderttausenden aber, die gerade Chichén Itzá besuchen, verirrt sich nicht mal eine Handvoll an die sehenswerte Schatzkammer. Keine Chance, mal eben die Höhle zu besichtigen, denn für einen Besucher allein - und sei er noch so interessiert - bequemt sich der Führer nicht aus seiner Hängematte! Nach drei Anläufen muss ich unverrichteter Dinge wieder abziehen!
Obwohl Cobá direkt an der Touri-Rennstrecke von Tulum nach Chichén Itzá liegt, wird es von vielen links liegen gelassen. Dabei ist es die malerischste der alten Maya-Stätten, bildhübsch zwischen zwei dunkelgrünen Seen gelegen. Oder sind es die langen Wege zwischen den Pyramiden, die die Touris abschrecken? Die Fahrräder, die am Eingang für wenig Geld zu mieten sind, sind jedenfalls das passendste Verkehrsmittel für die insgesamt über siebzig Kilometer (!) Pfade, die über das riesige Areal verlaufen! Dabei erkunden die meisten Besucher eh nur die drei bis vier Kilometer, die zwischen dem obligaten Juego des Pelotas am Eingang, der Grupo Macanxoc mit Dutzenden verzierter Stelen und der großen Pyramide von Nohoch Mul verlaufen.
Cobá ist um vieles älter als das benachbarte Chichén Itzá, doch auch Cobá erlebte seine Blütezeit zwischen 800 AD und 1100 AD, bevor es aus unbekannten Gründen verlassen wurde. An die 50.000 Maya sollen hier gelebt haben - auf einer Fläche von fünfzig Quadratkilometern! Die Architektur weist viele Merkmale von Tikal auf, der größten und einflussreichsten aller Maya-Städte (im heutigen Guatemala), die jedoch viel weiter entfernt lag als das benachbarte Chichén Itzá (50km). Daneben punktet Cobá mit einem ungeheuren Netzwerk von Straßen, sogenannten Sacbé, die sich wie lange Tentakeln bis zu hundert Kilometer weit ins Umland erstreckten. An die vierzig (!) Straßen sollen sich hier gekreuzt haben - der Stachus wäre ein müder Abklatsch dagegen! War Cobá vielleicht so etwas wie ein Handelsknoten? Ein Venedig der Maya?
Zwei Drittel der Steinhaufen liegen unangetastet im Urwald. Welche Schätze hier wohl noch schlummern mögen? Das, was ausgegraben bzw. restauriert wurde, würde dem Besucher dennoch wenig Ah's und Oh's entlocken, wären da nicht detailreiche Tafeln. Vor allem neben den Stelen, deren filigrane Steinmeißelungen auch mit sehr viel Phantasie nicht mehr zu entziffern sind, zeigen Zeichnungen der Restauratoren, was auf dem verwitterten Stein dargestellt ist. Nur mit ihnen kann man sich ein halbwegs verständliches Bild von der Kunstfertigkeit der damaligen Bildhauer machen!
Den schweißtreibenden Abschluss der Cobá-Runde bildet der Nohoch Mul oder die Große Pyramide. Mit zweiundvierzig Metern Höhe soll sie das höchste Maya-Bauwerk auf der Halbinsel Yucatán sein. Gescheit wie die Maya nun mal waren, bauten sie die Pyramide über einem vorhandenen, natürlichen Hügel. Sicher konnten sie von dort die prächtige Aussicht über das Blätterdach des Urwalds genießen: hinunter bis zur Küste (Tulum), hinüber bis zur Nachbarstadt Chichén Itzá. Vielleicht auch frühzeitig die Ankunft Ihre Handelszüge auf den Sacbeob beobachten. Wie die Handelsherren von Cádiz ein paar Hundert Jahre später ihre Schiffe? Der fitness-fördernde Aufstieg zur Spitze ist die paar Tropfen Schweiß wirklich wert! Auch wenn sich manche Zeitgenossen mit dem Abstieg über die schmalen Stufen erstaunlich schwertun.
Dass Chichén Itzá von Touris überlaufen ist, davor warnt jeder Reiseführer. Dass ihm Tulum an der Ostküste aber den Rang bei weitem abläuft, steht nirgendwo geschrieben. Vielleicht locken auch schneeweißer Sandstrand, das türkisblaue Wasser der Karibik und wie zufällig eingestreute Mayaruinen erst in den letzten Jahren die Touristenscharen aus Cancún hierher? Wer weiß? Wie dem auch sei, auf dem Parkplatz stehen Hunderte von Bussen brav in Reih und Glied. Dahinter eine wahre Einkaufsstadt mit einem Souvenirladen neben dem anderen. So etwas wie das PEZ für Souvenirs! Ja, hier gibt es sogar einen Hipermercado für Souvenirs. Falls zu Hause die Hundert Freunde und Verwandten mit just der gleichen Schnitzerei oder dem gleichen Tonteller beglückt werden sollen. Die Verkäufer spüren meine Abneigung - oder interpretieren meinen säuerlichen Gesichtsausdruck richtig - jedenfalls lassen sie mich weitgehend in Ruhe, währen die Busladungen der Touris ausgiebig mit Werbesprüchen bedacht werden.
Es ist zwei Uhr nachmittags, die Sonne brennt vom tropischen Himmel. Nicht gerade die optimale Zeit, das Gemüt bei einem gemütlichen Bummel durch alte Ruinen zu besänftigen. Also inmitten der Touristenzone einen Standplatz für die Nacht finden! Nach langer, langer Sucherei stelle ich mich am Beach Club Santa Fé mitten in den schneeweißen Stand - und hoffe, dass die Beachparty nicht bis spät in die Nacht dauert. Kaum aber neigt sich die Sonne dem Horizont zu, werden Teller und Becher eingesammelt, das Feuer in der Küche gelöscht und die Bar hochgeklappt. Es herrscht himmlische Ruhe. Nur die Vögel in den Palmen veranstalten ihr Abendkonzert, während ich versuche, das aufgeheizte Gemüt - und die glühende Lady Grey auf erträgliche Temperaturen zu kühlen. Noch immer herrschen 34 Grad, der leise Hauch von Meer lindert die Hitze nur wenig und trotz sperrangelweit geöffneter Fenster liege ich wach und wische mir die Schweißperlen von der Stirn.
Ein Tag Pause nach so viel interessanten Besichtigungen kann nicht schaden! Also lasse ich Xaman Ek, einen guten Mann sein und versuche, mir am Strand einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ohne auf nackte Rücken, Beine, Arme oder Brüste zu steigen. Gar nicht so einfach!
Der Beach Club liegt ideal, um gleich frühmorgens zu den Ruinen zu tappen (keine fünfhundert Meter entfernt). Vielleicht kann ich so den Besuchermassen ein Schnippchen schlagen? Doch kaum wird das erste Ticket verkauft und die Absperrkette ausgehakt, strömt die erste Besuchergruppe aufs Gelände. Obendrein arg bekannte, heimische Laute! Nur ein Zwischenspurt zur ersten Ruinengruppe bringt die Rettung.
Tulum gehört zu den späten Maya-Stätten. Erst in der sogenannten Post-Classic-Periode (1200 AD bis 1521 AD), als andere Maya-Stätten längst verlassen waren, erlebte es seine Blütezeit. Die Maya betrieben regen Handel innerhalb ihres riesigen Siedlungsgebietes. Wovon ein guter Teil übers Meer, entlang der karibischen Küste bis hinunter ins heutige Belize und nach Guatemala erfolgte. Tulum war offenbar eine von wenigen Hafenstädten: lange Kanus konnten in der geschützten Bucht anlegen, auf dem von einer drei Meter dicken Umfassungsmauer gesicherten Areal konnten die Waren gelagert werden und die Reisenden auf die nächste Passage warten.
Gleichzeitig war die Stadt auf der Klippe ein idealer Platz, den Göttern des Meeres und des Windes zu huldigen! Zwei der größten Tempel zeugen davon: der Templo del Dios del Viento und das zentrale Castillo. Fresken, Steinmeißelungen, Friese oder Stelen allerdings sucht man hier vergeblich. Nur an wenigen Stellen finden sich klägliche Reste. Vielleicht war in den späten Jahren die Kunstfertigkeit der Maya eingeschlafen? Die Künstler ausgerottet? Vielleicht war Tulum auch einfach nur eine Handelsstadt, in der wenig Wert auf übermäßigen Prunk gelegt wurde? Überreste heutiger Hafenanlagen werden in fünfhundert Jahren vermutlich auch keinen Schönheitspreis gewinnen...
Schade trotzdem, dass man in Tulum - trotz zahlreicher schriftlicher Überlieferungen - so wenig über die Städte der Maya, über ihre Bewohner, Priester und Adelige und ihre genauere Geschichte in Erfahrung bringen konnte. So sind schon nach eineinhalb Stunden die letzten Bilder im Kasten, die Anlage füllt sich mit Tourigruppen und ich bin froh, den Heimweg anzutreten, bevor die Sonne noch höher steigt.
Ein kleiner Leckerbissen der besonderen Art ist Muyil. Keine dreißig Kilometer südlich des überlaufenen Tulum gelegen, ist es fast so etwas wie eine einsame Oase.
Muyil gehört wiederum zu den ganz alten - und am längsten bewohnten Mayastätten - besiedelt seit zirka 300 BC. Bis die Spanier kamen. Darüber hinaus ist wenig bekannt, mit 38 Hektar zählte sie sicher nicht zu den 'Großstädten', lag aber verkehrsgünstig an einer Lagune und könnte in späten Jahren so etwas wie ein Außenposten der Hafenstadt Tulum gewesen sein.
Heute sind viele der Ruinen, ja auch ein paar der restaurierten Bauwerke von dichten Grün des Urwalds überwuchert. Liegt Muyil doch direkt neben dem Biosphärenreservat Sian Ka'An, aus dem der eine oder andere Baum seine Wurzeln und Zweige herüberstreckt.
Die höchste Pyramide misst gerade mal siebzehn Meter, heißt El Castillo und soll das höchste Gebäude an der zentralen Nordküste von Quintana Roo sein. Auch ein Kieselstein kann die höchste Erhebung der umliegenden zwei Quadratmeter Strand sein! Alles eine Frage des Maßstabs. Trotzdem ist die Pyramide inmitten des Urwalds recht beeindruckend und das Spazieren unter dem grünen Blätterdach ist erfrischend und abwechslungsreich. An jedem Wurzelstock stolpert man über Steine, die ein unsichtbares Schild 'Ich bin ein Maya-Stein und möchte ausgegraben werden' tragen. Hier gäbe es noch richtig viel zu entdecken!
Nach so viel Kultur habe ich mir ein paar Tage Strandurlaub verdient, nicht wahr? Ich hoffe nur, dass ich zwischen hier und Cancun noch ein Fleckchen Strand finde, auf dem noch kein Touri sein Handtuch ausgebreitet und das noch kein US-Amerikaner mit seiner Traumvilla verziert hat.
Nach den paar Tagen Strandurlaub ist - nach fast zwei Jahren auf Achse - ein erstes, kurzes 'Intermediate'
angesagt (siehe unten)! 'Heimaturlaub' heißt das im herkömmlichen Sprachgebrauch, von Urlaub allerdings kann nur sehr bedingt die Rede sein: dreizehn größere Termine, daneben hundertvierzig 'Kleinigkeiten' stehen auf der To-Do-Liste ...