Palenque (Mexico, Chiapas) (GPS: 17°29,245'N; 092°02,293'W)
Das können doch keine Straßenköter sein, die so markerschütternd kläffen! Dazu ist das Bellen viel zu lang. Zu laut! Dazwischen langgezogenes Fauchen. Wie ein Flugzeugtriebwerk beim Start. Trotz Ohropax und Kissen überm Kopf wird das Brüllen nicht leiser. Schlaftrunken und missmutig schaue ich aus dem Fenster. Da stehen schon die Nachbarn. Zeigen nach oben. Halten sich die Ohren zu. Es ist wirklich unerhört laut. Dabei kreischt, singt, blökt, bellt im Urwald doch immer Irgendetwas - besonders nachts! Aber in dieser Lautstärke? Schließlich klären mich die Nachbarn auf: direkt hinter mir tobt eine Gruppe Brüllaffen in den Bäumen des Nationalparks. Zu sehen ist nicht viel, außer ein paar Zweigen, die sich bewegen. Veranstalten die das jeden Morgen? Ja, manchmal noch viel lauter! Na ja, wenigstens tragen die Viecher einen trefflichen Namen!
Nach einer halben Stunde bricht das Morgenkonzert so plötzlich ab, wie es angefangen hatte. Noch zwei, drei Brüller aus dem Bäumen, dann herrscht Ruhe. Nicht lange. Nach und nach erwachen auch die anderen Tiere des Urwalds und begrüßen den neuen Morgen ...
Es ist Zeit, die 'Kühle' zu nutzen und den weltbekannten Ruinen von Palenque meine Aufwartung zu machen. Aber da stehen schon in Reih und Glied die Touribusse und vor der Kasse windet sich eine endlose Schlange. Also muss die Erkundung der zweitausend Jahre alten Steine noch einen Tag warten!
So nutze ich den Morgen lieber, den Blick in die unmittelbare Vergangenheit zur richten. Auf die letzten
fünf Wochen. Da hat sich nämlich wieder viel Interessantes und Aufregendes getan!
Ungelöste Rätsel. Atemberaubende Schönheit. Beides trifft auf die 'Monarchen' zu wie auf kaum eine andere Art. Eine Seltenheit sind sie nicht, jeder von uns hat sie schon einmal gesehen. Die Rede ist von Schmetterlingen: von Monarchen. In Mitteleuropa schwirren sie im Sommer allenthalben herum und bestäuben zahllose Blumen. In Nordamerika und Canada auch. Vor allem um die Großen Seen herum sind sie allenthalben zu finden. Doch nur im Sommer! Wo aber stecken sie im Winter?
Hier! In den Bergen Mexikos. Genauer gesagt auf einzelnen Baumgruppen, die sich über fast 150 Quadratkilometer verteilen. Oben auf 3000 Metern Seehöhe verbringen sie - dicht gedrängt und sich gegenseitig wärmend - den nordischen Winter. Jedes Jahr kehren sie hierher zurück, in die gleichen Berge, in das gleiche Waldstück, zu den gleichen Bäumen. Woher aber kennen sie dieses Fleckchen? Wie finden sie hierher zurück? Ein Schmetterling hat ja eine Lebenserwartung von gerade mal ein bis zwei Monaten. Seit seinem letzten Hiersein sind vier bis fünf Generationen vergangen! Tatsächlich ist der Lebenszyklus der Monarchen einer der komplexesten seiner Spezies und erst seit wenigen Jahren halbwegs erforscht.
Nachdem die farbenfrohen Falter den Winter hier oben buchstäblich verschlafen haben ('Hybernation') machen sie sich Ende März auf den langen Weg zurück nach Norden. Quer über den nordamerikanischen Kontinent! Vier bis fünftausend Kilometer liegen vor Ihnen, bis sie ihr Revier an den Großen Seen Canadas erreichen werden. Doch sind es dann nicht mehr die gleichen Exemplare, die hier überwintert haben! Nach ein paar Hundert Kilometern Flug nähert sich nämlich das Lebensende der überwinterten Individuen, die Weibchen legen ihre Eier auf die Blätter einer speziellen Pflanzenart (ein Wolfsmilchgewächs) und gehen gleich darauf ein. Tage später schlüpfen winzige Raupen, die sich an der Wirtspflanze dick und fett fressen: bis zum dreitausendfachen ihres Gewichts beim Schlüpfen legen sie zu - bevor sie sich einen Kokon spinnen, aus dem wenig später ein neuer Schmetterling schlüpft - eine neue Generation. Unbekannten Instinkten folgend flattert dieser wiederum ein paar Hundert Kilometer weiter nach Norden, bevor das Eier-Raupen-Schlüpfen-Spielchen von vorn beginnt. Erst nach vier bis fünf solcher Kreisläufe sind die Monarchen endlich an ihrem Sommercamp angelangt und so mancher Canadier freut sich über die bunt flatternden Freunde.
Wenn im Norden dann der Winter Einzug hält, machen sich - nicht unähnlich den canadischen Zweibeinern - auch die Schmetterlinge auf den Weg nach Süden. Diesmal allerdings ohne den Eier-Raupen-Schlüpfen-Zyklus. So fliegen die winzigen Falter sage und schreibe vier- bis fünftausend Kilometer nach Süden, um sich genau hier - im Herzen Mexikos - für den Winter zu treffen und in die Winterstarre zu verfallen. Es sind nicht nur ein paar Hundert Exemplare, sondern Millionen und Abermillionen! Zählen völlig sinnlos. Obwohl so ein Monarch-Schmetterling gerade mal ein halbes Gramm wiegt, biegen sich armdicke Äste unter der Last der Millionen Wintergäste!
Doch woher 'wissen' die Schmetterlinge, wo sie hinfliegen sollen? Die Grauwale von Ojo de Liebre tun sich da leicht: sie wurden ja in der einsamen Bucht geboren und merken sich einfach ihren Geburtsort (Wie das genau geht, mag komplex genug sein - sicher haben Tiere noch ein paar Sinne mehr, von denen wir Menschen nur träumen können). Diese Generation der Schmetterlinge aber war zeitlebens nie hier gewesen! Woher wissen die Enkel, wo die Ur-Ur-Ur-Urgroßeltern überwintert haben? Wird das genetisch weitergegeben? Oder fliegen die einfach aufs Geratewohl? Warum trifft man sie dann jeden Winter in dem gleichen Wäldern wieder? Ja, auf den gleichen Bäumen? Da müssen die Forscher wohl noch viel Arbeit leisten! Faszinierend ist es allemal, ob nun gut erforschte Tatsache oder wohl gehütetes Geheimnis der Natur.
Interessant auch, wie sich die bunten Falter vor ihren Fressfeinden, den Vögeln schützen. Als Raupen ernähren sie sich ausschließlich von den Blättern des Wolfsmilchgewächses. Das ist bekanntermaßen giftig - außer für die Raupen der Monarchen. Das angesammelte Gift gibt die Raupe dann an den geschlüpften Schmetterling weiter, der nun seinerseits giftig ist wie Wolfsmilch - ein höchst unbekömmliches Mahl für jeden Vogel! Ein genialer Schachzug der Natur!
Die Hauptnahrung der Raupen, die Wolfsmilchgewächse sind leider auch ein Grund, warum die Schmetterlinge trotz ihrer schier unendlichen Zahl stark gefährdet sind. Wolfsmilchgewächse sind für die Farmer Nordamerikas nichts als Unkraut, das nach Kräften und mit viel Chemie ausgemerzt wird. Wohin aber sollen dann die Weibchen ihre Eier legen und wie kann die Raupe die Waffe des künftigen Schmetterlings aufbauen?
Ein anderer Grund der Gefährdung ist das (zum Teil illegale) Abholzen der mexikanischen Wälder. Finden die Schmetterlinge
'ihre' Bäume nicht wieder, gehen sie ein! Seitdem die komplexen Zusammenhänge bekannt sind, tut die hiesige Regierung einiges, um der Rodung der lebenswichtigen Bäume Einhalt zu gebieten. Noch mit nicht allzu viel Erfolg! Zumindest halten während der Überwinterung der Schmetterlinge ein Dutzend Beauftragte der Regierung Wache, damit keine Bäume mitsamt Schmetterlingen abgeholzt werden. Noch besteht also Hoffnung, dass sich die Canadier auch im nächsten Sommer an den farbenfrohen Faltern erfreuen können. Und die Sommerblumen Ontarios weiter bestäubt werden. Dass die Monarchen mit dem einzigartigen Lebenszyklus überleben können!
Der mit Abstand beste Ausgangspunkt für einen Ausflug zu den Schmetterlingen auf dem Cerro Pélon, dem jüngsten und am besten gepflegten Schutzgebiet, ist ein kleines Hotel nahe Zitácuaro inmitten eines wunderschönen Gartens, in dem man auch mal campieren darf. Dazu ein Abendessen vom Feinsten, ganz nach französischer Manier: Lisette, die Chefin des Hauses ist Französin und eine ausgezeichnete Köchin! Und Pablo, der Eigentümer ist ein wandelndes Lexikon in Sachen Schmetterlinge und hat auch sonst viele Tipps zu netten Ausflugszielen parat. Näheres unter www.ranchosancayetano.com.
Ihr erinnert euch an Canada? An den Highway #11? An Sioux Narrows? Ich jedenfalls werde den winzigen Ort so schnell nicht vergessen: hatte mir doch ein Holzlaster einen halben Felsbrocken in die Windschutzscheibe geschleudert. In der seither in unschönes, wenn auch nicht gefährliches Loch klaffte. Nun wird es höchste Zeit für die Reparatur, sprich den Tausch der Frontscheibe. Zumal die Regenzeit vor der Tür steht (meinetwegen kann sie da noch ein paar Wochen stehen bleiben), in der der Scheibenwischer Schwerstarbeit wird leisten müssen. Dazu kann Mexiko mit einer ganzen Reihe guter MAN-Werkstätten aufwarten - ganz im Gegensatz zu Canada und USA, wo 'MAN' eine Marke von einem anderen Stern ist und viele Werkstätten den Service an unbekannten Fahrzeugen rundheraus ablehnen. Obendrein ist mal wieder eine gründliche Inspektion der Lady Grey und so einige Öl- und Filterwechsel fällig! Die VW-/MAN-Werkstatt in Querétaro, zweihundert Kilometer nördlich von Mexiko City, war mir empfohlen worden und tatsächlich stehen zwei weitere MAN Reisebrummis im Hof, als ich am Freitag einrolle.
"Ihre Lieferung hat sich leider ein wenig verzögert" teilt mir Sergio, der Werkstattleiter bekümmert mit. Und das, nachdem ich schon zwei Wochen vorher per email alles geklärt hatte. Die Scheibe - und ein paar andere Teile - hätten längst auf dem Weg sein sollen, liegen aber noch immer in Deutschland und sind noch nicht einmal verpackt. KW13 wird mir als neuer Liefertermin mitgeteilt. Also zwei geschlagene Wochen warten! Wenigstens die Servicearbeiten kann ich am Dienstag erledigen lassen. Alles läuft glatt (nur der Ölfilter muss mühsam herausoperiert werden) und ich gehe beruhigt in die Warteschleife. Highlights allerdings, mit denen ich mir die Zeit vertreiben könnte, gibt's eher wenige. Also verbummle ich die meiste Zeit in San Miguel de Allende und im Internet, um den bevorstehenden Heimaturlaub zu klären.
Daneben bleibt ausreichend Muse, den Zeitplan zu aktualisieren. Und siehe da: was bei der Abfahrt vor knapp zwei Jahren noch in unendlicher Ferne zu liegen schien, ist inzwischen zum Greifen nahe. Mehr noch: die Zeit wird langsam knapp! Ich sollte also nicht mehr allzu viele Warteschleifen einlegen müssen, will ich rechtzeitig in Rio de Janeiro sein! Zu den Olympischen Spielen werde ich's wohl ohne große Hektik schaffen. Aber, um rechtzeitig zum Carneval dort zu sein, müsste ich die Fahrtroute für Südamerika gewaltig umbiegen! Sicher fallen mir dazu noch ein paar Alternativen ein! Kein Grund, jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen!
So, inzwischen schreiben wir wieder Donnerstag, die Scheibe ist tatsächlich mit nur einem weiteren Tag Verzögerung angekommen. In der Nacht suchen mich heftige Albträume über falsche Lieferungen, unfähige Mechaniker und zerbröselte Scheiben heim - was mich wieder zwei bis drei Wochen Wartezeit kosten würde. Doch alles geht gut. Antonio und Ramon, die beiden besten Mechaniker - sowie eine ganze Handvoll 'Berater' - setzen die neue Scheibe (mit dem alten Gummi) wieder heile ein, wenn auch im dritten Anlauf. Ein gewaltiger Felsbrocken fällt mir vom Herzen! Das einzige Problem besteht nun darin, die - vergleichsweise kulante - Rechnung zu bezahlen. Die Kreditkartenmaschine ist ausgefallen, die Banken ringsum geschlossen und Sergio will endlich in den wohlverdienten Urlaub.
Das lösen wir auf typisch mexikanische Art: mañana! Morgen ist auch noch ein Tag! Ohne Bezahlung der Rechnung rolle ich vom Hof, verbringe eine albtraumfreie Nacht auf dem freien Feld und am nächsten Morgen ist das 'Problem' in fünf Minuten aus der Welt: die Kreditkartenkiste funzt wieder und die Rechnung ist im Nu bezahlt. Ohne bezahlte Rechnung vom Hof zu rollen - in Europa wäre so etwas undenkbar! Doch hier offensichtlich ganz normal. Oder mache ich trotz Dreitagebart und ölverschmierter Jeans noch einen so Vertrauen erweckenden Eindruck?
Jedenfalls kann es nun weitergehen. Zu neuen Abenteuern, zu neuen Sehenswürdigkeiten.
Zentrum des Universums: Teotihuacán
Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt: die ganze Pyramidenanlage von Teotihuacán gehört mir ganz allein! Wo sich gestern Tausende von Wochenendtouristen gedrängelt haben, herrscht himmlische Ruhe. Selbst die Straßenhändler sind noch nicht wach!
Die Anlage ist tief beeindruckend. Vor allem Ihre Größe! Die zentrale Prachtstraße, die Calle des Muertes kann mit der Avenue des Champs Élysées locker mithalten. Nur weniger Verkehr - und ein wenig älter. Fast zweitausend Jahre älter! Die Blütezeit von Teotihuacán beziffern die Archäologen mit 100AD bis 800AD. Eine Zeit also, in der das Römische Reich gerade kläglich zusammenbricht und Mitteleuropa den finstersten Abschnitt seiner Geschichte erlebt. Hier blüht die vorkolumbianische Kultur, hier schwingt sie sich gerade zu ihrem Höhenflug auf. Denn die Bewohner Teotihuacáns sind die zweiten (nach den Olmeken) in einer Reihe mittelamerikanischer Hochkulturen: die Maya, die Tolteken und schließlich die Azteken werden ihre Kultur weiterführen und verfeinern, bevor die Spanier 1521 alles kurz und klein schlagen.
Die Pyramide der Sonne ist die zweitgrößte Pyramide Mittelamerikas und die drittgrößte der Welt. Nur die Cheops-Pyramide in Ägypten und die Pyramide von Cholula (100km weiter südwestlich) laufen ihr den Rang ab. Sagenhafte acht Millionen Tonnen Steine wurden hier aufgeschichtet, ganz ohne Aufzug, ohne Karren, Mulis oder Werkzeuge. Entstanden ist ein Meisterwerk von siebzig Metern Höhe und einer Basislänge von 222 Metern. 248 Stufen führen hinauf (nein, diesmal hab' ich nicht nachgezählt). Oben genießt man einen tollen Blick auf die ganze Anlage, ja über das ganze fruchtbare Tal, das die Menschen hierhergelockt hatte. In den besten Zeiten sollen in der Stadt knapp 180.000 Menschen gewohnt haben - vermutlich nur die Oberschicht und die Priester. Ein paar Hunderttausend Bauern werden wohl die umliegenden, fruchtbaren Felder bearbeitet und die Städter versorgt haben: schon damals eine der am dichtesten besiedelte Region der Welt! [1]
Ist die Pyramide der Sonne vor allem groß, mächtig und imposant, ist die Pyramide des Mondes obendrein noch schön! Irgendwie sind bei ihr die Proportionen deutlich besser gelungen! Auch steht sie nicht so abseits wie die Sonne, sondern beherrscht den riesigen Platz des Mondes mit seinem zentralen Altar und den zwölf sie umgebenden kleineren Pyramiden (von denen heute nur noch die Sockel zu sehen sind). Daneben ziert und krönt sie die Prachtstraße ähnlich dem Triumphbogen an der Champs Élysées. Fast bin ich versucht anzunehmen, dass damals gar kein Sonnenkult - sondern eher ein Mondkult zelebriert wurde!
Beide Pyramiden sind nahezu schmucklos, sieht man von den farbenprächtigen Tempeln ab, die früher ihre Spitzen zierten. Ganz im Gegensatz beeindruckt die älteste Anlage, der Templo de Quetzalcóatl mit unzähligen Steinfiguren: Köpfe von Schlangen und symbolische Ornamente, die vermutlich den Regengott Tláloc darstellen. In späteren Jahren (400AD) sollen diese Ornamente unter dicken Gipsschichten versteckt worden sein. Ist da etwa plötzlich - ähnlich wie in Ägypten - ein neuer Herrscher an die Macht gekommen, der von den alten Priestern, den überlieferten Riten und alten Heiligtümern nichts mehr wissen wollte? Just unter dieser Pyramide haben die Archäologen einen Tunnel entdeckt, der zu einer geheimnisvollen und reich verzierten Grabkammer führt. Ob die Baumeister da etwa bei den alten Ägyptern abgeguckt haben? [2]
Tatsache ist, dass diese riesige Stadt um 800AD urplötzlich verlassen wurde. Mit ihr die fruchtbaren Felder der Umgebung. Ursache? Völlig unklar! Allerdings trafen - und treffen sich noch heute - einflussreiche und reiche Leute aus der Umgebung im Schatten der Sonnenpyramide und führen - so mutmaßt man - die alten Riten weiter. An der Nordseite der Sonnenpyramide reihen sich Ihre 'Wochenendhäuschen' dicht an dicht.
Die Stadt muss zur damaligen Zeit eine wahre 'Stadt der Künste' gewesen sein. Jahrhunderte bevor Florenz, Venedig oder Paris auch nur einen kreativen Kopf hervorbrachten. Das kleine Museum quillt über vor Kunstwerken, die man bei Ausgrabungen gefunden hat: Steinmeißelungen, Schlangenköpfe, Schlangenornamente. Figuren von Priestern im kunstvollen Federschmuck, von einflussreichen Bewohnern, aber auch von Bauern und Menschen wie Du und ich. Die sind dann aber nur zwei bis drei Zentimeter groß, während die Priester oft in Überlebensgröße dargestellt werden.
Dass die Mexikaner seit den alten Tagen wenig von ihrer Kunstfertigkeit verloren haben, zeigt eindrücklich das Museum mit Shop der Cooperative, zu der sich die lokalen Künstler zusammengeschlossen haben. Da kann man Ihnen nicht nur über die Schulter schauen, wie sie aus einem formlosen Stück Obsidian eine ausdrucksstarke Maske fräsen, wie sie aus einem tonnenschweren Steinklotz imposante Figuren schnitzen, oder aus Hunderttausenden bunten Perlen einen filigranen Aztekenkalender knüpfen, der eigentlich 'Sonnenrad' heißen sollte. Die entstandenen Kunstwerke kann man - gegen Einwurf einiger Münzen - auch gleich erstehen. Am liebsten genommen werden Dollares oder Euros, notfalls aber auch mexikanische Pesos. Den Arbeiten von vor zweitausend Jahren stehen die Werke der heutigen Künstler in Nichts nach! Trotzdem verlasse ich den eindrucksvollen Laden nur mit einem kleinen Sonnenrädchen für acht Euronen. Den Platz dafür in der Lady Grey habe ich schon ausgeguckt.
"Du hast Mexiko nicht gesehen, wenn du Mexiko City nicht gesehen hast!" Mit diesen mahnenden Worten versucht mir jeder einen Besuch - gerne auch einen längeren - in der Metropole schmackhaft zu machen. Aber ihr wisst ja, welch ein Fan von Großstädten ich bin, daran hat sich nicht viel geändert! Und Mexiko City, die 25-Millionen-Einwohner Megapolis ist nicht dazu angetan, daran etwas zu ändern!
Die Fahrt vom Camp in Teotihuacán an den Stadtrand und die Fahrt mit der U-Bahn in die Stadtmitte gestalten sich zwar angenehm und billig. Doch von der dreistündigen Stadtrundfahrt durchs historische Zentrum stehen wir geschätzte zwei Stunden neunundfünfzig im Stau. Fast bleibt dabei Zeit, die zwei Dutzend Museen der Innenstadt auch tatsächlich zu besuchen, während sich draußen der Bus im Schneckentempo vorbeistaut.
Ich begnüge mich mit dem - zu Recht, muss ich sagen - hoch gerühmten anthropologischen Museum! Das Ding ist echt Weltklasse! Zeigt es doch Exponate aus sämtlichen Epochen der Besiedelung Zentralamerikas, die immerhin an die zehn Tausend Jahre zurückreicht. Auch die sehr unterschiedlichen und breit gefächerten Kulturen Mesoamerikas werden gekonnt in Szene gesetzt. Als 'Mesoamerika' verstehen die Mexikaner (vermutlich auch die anderen Länder Zentralamerikas) die Zeit vor der Invasion der Spanier. Als Mexiko noch Mexiko war - und nicht Nueva España. All die Feinheiten der unterschiedlichen Kulturen - angefangen von den Olmeken über die Azteken bis zu den Mayas (um nur die größten zu nennen) hier zu erläutern, würde natürlich zu weit führen. Da müsst Ihr schon selber herkommen und selber staunen! Wollt Ihr alle Exponate in Ruhe studieren, solltet Ihr gute zwei Tage einplanen!
Von Ruhe allerdings ist wenig zu spüren. Wir sind mitten in der Semana Santa, der Karwoche also - und damit in der Haupturlaubszeit. Nicht alle aber sonnen sich am Playa, ein paar Hunderttausend machen auch auf Kultur. Vor allem Familien und junge Leute! Scheint, dass die modernen - und jungen - Mexikaner Interesse an den uralten Wurzeln Ihrer Kultur verspüren. Er wäre großartig, wenn sie viel davon in die Moderne retten könnten!
Dass Mexico City neben dem tollen Museum noch viel, viel mehr zu bieten hat, sei hier der Vollständigkeit halber doch noch erwähnt! Könnte ich doch den Stadttreiben mehr abgewinnen. Mich aber zieht es weiter. In die Natur.
Teotihuacáns unbekannter Rivale: Cantona
Man nehme: zwei Hektar 'Joshua Tree Nationalpark', die übrig gebliebenen Steine aus Teotihuacán und zwanzig bis dreißig Tausend Menschen, die ein neues Heim suchen. Man vermenge alles gründlich für zirka zweihundert Jahre und dekoriere mit zwei Dutzend Tempeln und reich geschmückten Altären. Fertig ist Cantona.
Die Pyramiden von Cantona sind (noch) ein Geheimtipp, in meinen Augen aber weit eindrucksvoller als Teotihuacán! Ist die Anlage dort in erster Linie gewaltig und fast furchteinflößend groß, jedoch eher einfach gestrickt, begeistert Cantona mit seiner Vielfalt und seiner strategisch klug gewählten Anlage. Cantona muss einer der mächtigsten Rivalen von Teotihuacán gewesen sein, erlebte es doch zur gleichen Zeit ihre Blüte wie die Hundertzwanzig Kilometer entfernte Nachbarstadt. Vermutlich war in den besten Tagen der Teotihuacán-Kultur genug für Alle da, zumal zweihundert Kilometer im Nordosten eine dritte große Stadt, El Tajin, ebenfalls zu dieser Zeit (600AD bis 800AD) Ihre Blüte durchlebte.
Einzigartig an Cantona ist, dass hier die Steine nicht mit Zement, Lehm oder anderem Kleber verbaut, sondern schlicht - und kunstvoll - aufeinander gestapelt sind und nur durch ihr Gewicht an Ort und Stelle bleiben. Während in Teotihuacán fast alle Mauern restauriert werden mussten (um sie im aktuellen Zustand zeigen zu können), befinden sich die Mauern in Cantona noch nahezu im Originalzustand. Eine erstaunliche Leistung der Baumeister um 200AD! Die über drei Kilometer Straßen und Wege (ihr Belag erinnert stark an manche der heutigen Straßen), die die Wohnquartiere mit den Palästen und Tempeln im oberen, heiligen Bereich verbinden, mussten quasi nur freigekehrt werden, um sie den Besuchern zugänglich zu machen. Einzigartig ist auch die Anzahl der Ballspielplätze: siebenundzwanzig! Ob die Herrscher dafür auch immer genug Spieler auftreiben konnten? Manche Historiker behaupten ja, dass die Verlierer (vermutlich) auf den Altären der ewig hungrigen Götter geopfert wurden. Wenn das mal keinen Motivationsschub für die Spieler brachte!
Die gesamte Anlage windet sich um einen alten Hügel hoch. Unten wohnten natürlich die einfachen Leute, am Hang die Herrschenden und ganz oben - nahe den Göttern - die Priester. Die Grenzen zwischen den Quartieren waren deutlich ausgeprägt - und einfach zu verteidigen. Auch viele andere Funde - erzählen die Infotafeln - deuten auf eine wenig durchlässige Gesellschaft hin: einmal Bauer, immer Bauer. Einmal Chef, immer Chef. Kommt mir arg bekannt vor!
Wann und wie sich die vielen Joshua Trees (Yucca Palmen) und die paar Laubbäume hier angesiedelt haben, konnte mir die Führer nicht sagen. Ausgehend von ihrer Größe müssen sie - gleich nachdem die Menschen die Stadt aufgegeben hatten (um 1000AD) - die Herrschaft übernommen haben. Ganz ohne Klassendünkel stehen sie oben zwischen den Pyramiden genauso wie unten inmitten der Wohnquartiere. Heute geben sie der Anlage einen ganz eigenen Reiz und lockern des Steingewirr mächtig auf.
Bleibt noch eine nette Anekdote zu berichten: Mitten in der Besichtigung ziehen plötzlich dunkle Regenwolken auf. Macht nichts, der Parkplatz des Museums ist eh ein idealer Nachtplatz: bewacht, ruhig und nicht einsehbar. Also frage ich brav, ob ich über Nacht parken darf: leider nein! Regel ist Regel, selbst in Mexiko! Wenige Kilometer weiter finde ich trotzdem einen netten Platz, wenn auch am Rand von Bauers Feld. Welche Überraschung: keine Stunde später kommt der Chef des Museums angefahren und erklärt mir, dass er mit seinem Vorgesetzten telefoniert habe und ich herzlich eingeladen sei, auf dem Parkplatz des Museums zu übernachten! Find ich toll!
Noch ein anthropologisches: in Xalapa
Zwei Stunden Fahrzeit von Cantona entfernt liegt - auf halber Höhe zwischen Mexico City und dem Meer - Xalapa, die Hauptstadt der Provinz Veracruz. Natürlich wartet Xalapa mit einem weiteren anthropologischen Museum auf. Dem in Mexico City bietet es nicht nur aus architektonischer Sicht mächtig Paroli - ist in meinen Augen sogar noch schöner -, es zeigt auch ausführlicher die kulturellen Hinterlassenschaften der 'Niederländer'. Der Menschen nämlich, die im Flachland wohnen, an der Golfküste rund um Veracruz, in den fruchtbaren Ebenen um Oaxaca (gesprochen wah-hah-kah) oder auf der Halbinsel Yucatán. So groß der Höhenunterschied zum Altiplano - Mexiko City liegt auf 2500 Metern Seehöhe - ist, so groß ist auch der Unterschied der Kulturen. Aber seht selbst ...
Noch immer ist Semana Santa. Karwoche. Hauptreisezeit. Jeden zieht es hinaus aus den Städten. Was ich gut verstehen kann! Alle wollen ins Grüne, an den Strand, ans Wasser! Entsprechend viel Verkehr herrscht auf dem Weg zur Küste. Normale PKW mit sechs bis acht Passagieren, Pickups mit einem Dutzend, LKWs mit zwei und mehr Dutzend Menschen auf der Ladefläche. Dazu Reisetaschen, Zelte, Matratzen, Grills und Tüten. Riesige Tüten voller Essbarem!
Kaum am Strand angekommen, wird der Grill aufgebaut (wie bei uns reine Männersache) und die Frauen helfen zusammen, den Rest vorzubereiten. Dann setzt sich die ganze Wagenladung zusammen und schmaust und redet und hört Radio bis auch dem letzten die Augen zufallen. Zwischendrin Planschen im warmen, einladenden Wasser, natürlich in voller Montur! Sportliche gehen eine Runde Surfen, andere wagen ein paar Schwimmzüge. Dann aber gleich wieder Essen!
Manche Strände sind so dicht belegt, dass ich mich bei einer Familie über die Picknickdecke schleichen muss, will ich zum Strand kommen! Gran Canaria in der Hochsaison nimmt sich dagegen aus wie der Weßlinger See in der Winterpause. Erholung sieht in meinen Augen anders aus! Aber die Einheimischen mögen's! Kann ich nur versuchen, einen großen Bogen um die Massen zu machen! Hat das im Hochland noch ganz gut geklappt, gibt's hier unten allerdings nur Strand, Strand, und nochmals Strand. Wenig Chancen also zum Ausweichen!
In Quiahnitzlan, nördlich von Veracruz habe ich offenbar ein weniger bekanntes Plätzchen entdeckt. Jedenfalls gibt's direkt am Strand unterhalb der Ruinen noch ein freies Plätzchen für die Lady - bis am Samstag dann noch die ganz großen Massen kommen. Da gibt's für mich am Strand kein Halten mehr! Aber selbst auf dem schweißtreibenden Klettersteig oberhalb der Ruinen ist der Teufel los: in Jesuslatschen erklimmen da ganze Familien - vom zweijährigen bis zur greisen Oma - die fast senkrechte Felswand. Oben angekommen, entschädigt der Blick für so manchen Tropfen Körperflüssigkeit: unten liegen ein paar Steine im Gras, die zusammen offenbar so etwas wie eine antike Grabanlage ausmachen. So interpretiere ich jedenfalls die zwei Dutzend Totenhäuschen, die rund um die zentrale (winzige) Pyramide stehen. Ganz ehrlich: wäre die schweißtreibende Kletterpartie nicht gewesen, hätten mich die drei Euro Eintrittsgeld mächtig gereut!
Also muss ich doch heute noch durch Veracruz und Boca del Rio rollen, die beiden Ferienhochburgen und Fluchtquartiere Abertausender aus Mexiko City. 'Rollen' ist dabei allerdings übertrieben, 'Kriechen' wäre der treffendere Ausdruck: im Schneckentempo geht's an Dutzenden anonymer, schmuckloser Hotelburgen vorbei ... wenig einladende Bilder aus Marbella oder Alicante kommen mir in den Sinn ...
Nach den Bettenburgen von Boca del Rio nimmt der Verkehr deutlich ab, auch wenn mich nach wie vor überladene PKWs, Pickups und mit Passagieren vollgestopfte LKWs überholen. Sie alle wollen wohl nach Coto de Oro, an die Goldküste. In einem kopflosen Moment voller Neugierde und wiedererwachter Hoffnung setzte auch ich den Blinker und holpere dreißig Kilometer 'Straße' Richtung Küste. Die paar Fleckchen Teer zwischen den Schlaglöchern sind offenbar der Wichtigkeit dieser Verbindung zur Ferienzeit geschuldet.
Am Ende jedoch empfängt mich ein wohlbekanntes Bild: Zelt an Zelt, dicht an dicht, Pickup neben LKW neben Pickup neben PKW. Kein Meter Strand oder Ufer, der nicht belegt wäre! Aus Dutzenden Autoradios dröhnt einheimische Musik. Nicht, dass ich die eingängigen, rhythmischen Melodien nicht schätzen würde, aber ein Dutzend davon - zur gleichen Zeit und in voller Lautstärke - ist doch etwas zu viel des Guten! Dazu Fressbuden jeder Couleur, niedrig hängende Stromleitungen, Party-Schilder und rollende Tequila-Bars. Nach dem fünften Versuch muss ich die Suche abbrechen. Also doch eine Nacht an der PEMEX Tanke? Nein, lieber nicht! Purer Zufall beschert mir im allerletzten Licht der Dämmerung ein himmlisch ruhiges Plätzchen - in der Zufahrt zur Weide eines Bauern! Weit weg vom Partyrummel am Beach, abseits der Hauptstraße, versteckt hinter dichten Bäumen.
Die Gegend entschädigt für alle vergebliche Sucherei. Rund um den San Martin Tuxtla Vulkan (1737m) erstreckt sich eine bildschöne, sanft geschwungene, immergrüne Hügellandschaft, die im Nationalpark der Laguna de Catenaco ihr I-Tüpfelchen findet. Plötzlich herrscht kein bisschen Verkehr mehr, der letzte Hauptstadt-Urlauber ist an der Gabelung nach rechts ab und meine Piste ist nur noch ein halbwegs befestigtes Erdband, das sich durch das dichte Grün schlängelt. Hügelauf, hügelab. Nirgends ein Wegweiser, die winzigen Dörfer halb verlassen. Eine Gegend für Fuchs und Hase - wenn es sie noch gäbe. Doch das Navi führt mich beharrlich weiter.
Welch Wunder, dass es diesen Feldweg überhaupt kennt, hat es mich doch bei so mancher Autobahn schon im Stich gelassen! Doch die Richtung stimmt - und auf Detailkarten könnte man den winzigen Strich vermutlich als Straße interpretieren. Plötzlich - völlig übergangslos - ein Kilometer wundervolle Teerstraße, dann wieder endlose Piste. Dann noch einmal zwei Kilometer Teerstraße, und wieder Piste. Dann wieder Teerstraße ... und ein Wegweiser. Juhu, geschafft! Hat das Navi doch recht gehabt: ich stehe vor den Toren von Chinameca. Die Fressbuden werden mehr, die Mautobahn ist auch nicht weit.
Zwar hat mich der Abstecher einen Tag Fahrerei gekostet, aber hundert Kilometer Umweg auf langweiligen Straßen erspart! Ohne mein leichtsinniges Abbiegen zur Coto de Oro und ohne die Hartnäckigkeit des Navis wäre mir dieses Juwel an Landschaft sicher verborgen geblieben! Schon wird es wieder dämmrig ... und ich suche mir den nächsten Nachtplatz, diesmal in einer Kiesgrube abseits der Autobahn.
Landschaftliches Highlight: Chiapas
Am Morgen führt die kerzengerade, monotone, gut ausgebaute Straße durch die sumpfigen Niederungen des Isthmus von Tehuantepec. Da, wo Mexikos Taille am engsten ist und gerade mal hundert Kilometer Luftlinie die pazifische von der atlantischen Küste trennt. Kaum ist die Lady Grey über die Grenze zur Provinz Chiapas gerollt, wachsen links und rechts der Straße mächtige Berge auf, recken sich senkrechte Felswände in den Himmel und überspannen moderne Brücken zwei riesige Stauseen. Nach dem Abstecher von gestern fühle ich mich mit einem Satz in die Moderne katapultiert!
Die malerischen Wasserfälle von El Aquacero, westlich von Tuxtla Gutierrez sind mein erster Anlaufpunkt. Vor das Bestaunen der Fälle haben die Einheimischen allerdings einen Schlagbaum, eine Kasse und viele Schweißtropfen gesetzt: für 1,50 Euro wird das Seil aufgeknotet, für zwei Euro darf man über Nacht campieren. Toll! Dann aber kommt der harte Teil: 825 Betonstufen hinab in die fotogene Schlucht, Wasserfälle bestaunen und 825 schweißtreibende Stufen wieder hinauf! Ein Besuch im Fitnessstudio wäre definitiv teurer gewesen! Dabei nicht halb so interessant. Das Ganze ist wie ein kleiner Abenteuerurlaub zwischendurch - wirklich lohnenswert! Fremdländer übrigens hat man hier seit Monaten nicht gesehen.
Schon gegen Mittag des nächsten Tages weisen Schilder den zweiten Anlaufpunkt aus: den Cañon de Sumidero. Wie mit einem überdimensionalen Schwert hat vor Urzeiten jemand auf die Berge eingeschlagen und eine Schlucht geschaffen, die an die tausend Meter tief reicht. Früher schlängelte sich der Rio Chiapa zwischen den lotrechten Felswänden nach Norden, heute ist er aufgestaut und produziert Strom für die Öl-Raffinerien an der Golfküste. Zugleich ist er einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Chiapas'.
Tausende von Besuchern - Mexikaner wie Fremdländer - rasen tagtäglich mit speziellen Speedbooten über den See. Dreiunddreißig Kilometer hin, dreiunddreißig Kilometer zurück. Zwischenstopp nur im Notfall. Dann, wenn es etwas zu sehen gibt. Wie die zwei Krokodile etwa, die völlig teilnahmslos in der Sonne liegen, die Touris keines Blicks würdigen und ein wenig aussehen, als ob sie aus Plastik wären. Zweiter Stopp: Fressbudenschiffe am anderen Ende des Sees, an den sich die Passagiere nach immerhin einer ganzen Stunde Fahrzeit für die Rückfahrt stärken können. Leichte Preisaufschläge für eisgekühltes Cola oder frisch zubereitete Tacos inclusive. Schon geht's im D-Zug-Tempo wieder zurück.
Gleich nach dem Ablegen der Schwimmweste wartet der dritte Landschafts-Leckerbissen. Sofern man die richtige Straße nimmt: die alte MEX-190 nämlich, die von Chiapa de Corzo (500müNN) in steilen Serpentinen durch eine atemberaubende Berglandschaft führt. Quer durch Kaffee-Plantagen. Durch winzige, abgelegene Dörfer, in denen die Frauen farbenprächtige, reich bestickte Trachten tragen (aber nicht fotografiert werden möchten). Wo sich ständig neue Ausblicke ins Tal eröffnen. Auf Dörfer, die wie zu Zeiten der Maya nur mit dem Muli erreichbar sind. Schließlich in San Christobal (2700m) auf die neue, eindrucksfreie Autobahn mündet, die nun die Panamericana bildet und weiterführt nach Guatemala.
Schon ist's wieder Zeit, den Blinker zu setzen. Die MEX-199 bietet einen sehenswerten Abkürzer zum berühmten Palenque an, wo die Ruinen der alten Maya-Stadt auf den Besucher warten. Sehenswert ist die Straße allemal, weniger allerdings wegen seiner grandiosen Landschaft! Die Topes-Straße wird sie von vielen Reisenden genannt. Das Gebiet ist dicht besiedelt, ein Dorf reiht sich ans andere. Eine Topes-Ansammlung an die andere. In den langgestreckten Dörfern findet man sie alle hundert, zweihundert Meter. Jedes Mal abbremsen bis fast zum Stehen. Mit den Vorderrädern drüberholpern - warten, bis auch die Hinterräder drüber sind - Gas geben - hundert Meter rollen - wieder bremsen ... Selbst auf freier Strecke - dort wo die Bauern ihre Felder bestellen oder eine einsame, verlassene Hütte steht - zieren solche Teer- oder Betonschwellen die Fahrbahn. Mal mit Warnschild, meist ohne! Das darf hier jeder machen wie er will!
Wie gerädert, mit Muskelkater von Kuppeln, Bremsen und Schalten erreiche ich am späten Nachmittag den Abzweig zu den Ruinen von Palenque und damit den kleinen Camp im Garten des Hotels Maya Bell. Ich freue mich auf eine ruhige Nacht. Aus der allerdings nichts wird! Herrschten heute früh (oben in San Christobal) noch erfrischende 4°C, ist hier unten bei 35°C und 98% Luftfeuchte an Schlaf nicht zu denken. Bis weit nach Mitternacht wälze ich mich im Bett hin und her ... und morgens reißt mich das Brüllen dieser Schei... Affen aus dem Schlummer.
Soll noch mal jemand sagen, Reisen sei nur Honigschlecken!