San Miguel de Allende (Mexico, Guanajuato) (GPS: 20°54,436'N; 100°44,945'W)
Die Kirchenglocken von San Antonio läuten zum Gebet. Viermal die kleine, helle Glocke, dann achtmal die große, dunklere. Trotz Ohropax stehe ich senkrecht im Bett. Wollen die denn gar nicht mehr aufhören? Draußen ist es stockfinstere Nacht! Wie kann man um diese Uhrzeit die Glocken läuten? Es ist halb vier Uhr morgens!
Dazu die Eisenbahn, die 'Ferrocarril', die jeden Tag kurz vor Mitternacht mitten durch die Stadt rollt und - natürlich - an jedem Bahnübergang hupt, dass es durch die ganze Stadt hallt. Von den schweren LKWs ganz zu schweigen, die auf der Umgehungsstraße rollen und geräuschträchtig ihre Motorbremsen betätigen. Das klingt wie Maschinengewehrfeuer! So ein Campingplatz mitten in der Stadt, keine Hundert Meter neben der Klosterkirche, hat nicht nur Vorteile!
Trotzdem ist San Miguel de Allende, die kleine Stadt fünfzig Kilometer nördlich von Queretaro ein wahrer Leckerbissen unter den mexikanischen Städten. Der winzige - und enge - Campground mit seinem Dutzend Stellplätze ist das ganze Jahr über ausgebucht! Vor allem Künstler und Liebhaber ihrer Erzeugnisse fühlen sich in San Miguel wohl. Das alte Städtchen mit seinen gut 70.000 Einwohnern, seinen zwei Dutzend Kirchen, den kopfsteingepflasterten Straßen, den roten, gelben und ockerfarbenen Hausfassaden, den leckeren Restaurants, den idyllischen, grün umrankten Innenhöfen, den unzähligen Boutiquen und Galerien voller Malerei, voller Silberschmuck, voller Kunstwerke aus Ton und Stoff strahlt schon ein ganz besonderes Flair aus. Auf Anhieb fühle ich mich wohl - trotz der vielen Amerikaner (gut ein Viertel der Bevölkerung!), die es sich hier gut gehen lassen. Manche - wie mein Nachbar Joachim - wollten nur mal kurz Halt machen - und sind nun seit Jahren hier. Wahrscheinlich hören sie die Glocken von San Antonio gar nicht mehr!
Nach dem dritten Stadtbummel und ein bisschen Erholung von der Geburtstagsvöllerei muss ich mich dringend daran machen, die Erlebnisse der letzten Wochen zu PC zu bringen, bevor die Erinnerungen ganz verblassen!
Der Gegensatz hätte krasser kaum sein können: gestern Sonnenschein pur, 28 Grad, blauer Himmel; heute tropischer Regen, kaum 15 Grad und tiefschwarze Wolken. Gestern niedrige Palmhütten, heute 20-stöckige Beachhotels, gestern vereinzelte Autos am Strand, heute zweispuriges Stopp-and-Go, rote Ampeln und nervöse Fahrer. Gestern himmlische Ruhe am Strand, heute Camping keine zwei Meter von der lärmenden Hauptstraße entfernt.
Gestern La Paz und Tecolote Beach, heute Millionenstadt Mazatlán.
Zwischen La Paz und Mazatlán liegen Welten: nicht nur die knapp zwanzigstündige Fahrt mit dem Schiff der Bajaferries. Die allerdings ist genauso entspannt wie meine letzten Tage am Strand von Tecolote. Da ich schon vor drei Wochen das Ticket erstanden hatte, rolle ich - wie es mir die freundliche Frau am Ticketschalter erklärt hatte - vier Stunden vor Abfahrt des Schiffs zum Hafen und werde zügig durch Zoll und den Check In (eigentlich nur eine Fahrzeugwaage) gewunken. Das obligate Permisio de Importación Temporal de Casa Rodante hatte ich ja schon an der Grenze in Mexicali besorgt, obwohl man es auf der Halbinsel der Baja gar nicht braucht. So darf ich drei Stunden auf dem schattenlosen Parkplatz im Hafengelände zuschauen, wie zwei andere Fähren be- und entladen werden, bevor endlich die Lady Grey aufs Schiff rollen darf.
Nachdem der letzte Truck im Bauch des Schiffs verschwunden ist, dauert es nochmal über eineinhalb Stunden, bis wir die Leinen lösen und mit mühsamen Manövern den viel zu engen Hafen von Pichilinque verlassen. Zum letzten Mal werfe ich einen - etwas sentimentalen - Blick auf den Strand von Tecolote. Der eine Woche lang mein Zuhause war. Wo ich eine Menge netter Menschen treffen durfte.
Die Überfahrt selbst verläuft ruhig, die Kabine ist bequem (auch einzeln Reisende bekommen die ganze 4-Bett-Kabine exklusiv) und mit Ohropax lässt sich's prima schlafen. Der Blick an Deck am nächsten Morgen allerdings verheißt nichts Gutes: dunkelgraue Wolken, die dichter und schwärzer werden, je näher wir der Küste kommen. Kaum hat das Schiff seine Pforten geöffnet, tut das auch der Himmel. Drei Stunden lang prasselt ein tropischer Regenguss auf uns nieder, der der Regenzeit - die kalendarisch erst in mehreren Monaten beginnt - gut zu Gesicht stehen würde. Im Nu sind die Straßen knöcheltief, teils knietief überflutet, Autos und Busse werfen meterhohe Wasserfontänen auf die eh schon pitschnassen Passanten.
Zwischen zwei Scheibenwischerstrichen erspähe ich das winzige Schild 'RV-Park' und stehe wenig später im Wasser des Mar Rosa RV Park, eingekeilt zwischen Strand und Hauptstraße. Das Wasser draußen versickert bald, das Wasser in der Lady Grey muss ich aufwischen - ich hatte die Dachluke zur Lüftung einen winzigen Spalt offen gelassen -, aber am nächsten Morgen ist vom sintflutartigen Regen hier wie dort nichts mehr zu sehen. Der Himmel ist blau, das Thermometer zeigt zweiundzwanzig Grad.
Ideale Bedingungen für einen Bummel durch die historische Altstadt.
Als Perle des Pazifik wird Mazatlán gerne bezeichnet. Nicht wegen seiner wenig einfallsreichen, kolossalen, aber trotzdem gut besuchten Strandhotels der Zona Dorada. Vielmehr haben die Chefs der Stadt Mitte der neunziger Jahre erkannt, dass man mit den Strandurlaubern allein nicht glücklich (und reich) wird. Seither werden die Gebäude der historischen Altstadt, die Plazas, die Calles und Avenidas liebevoll renoviert. Heute bereitet ein Stadtbummel rechte Freude, man schlendert durch schattige Straßen, an bunt getünchten Gebäuden aus der Zeit vorbei, in denen die Spanier hier das Sagen hatten. Vorbei an beschaulichen Plätzen, auf denen sich im Schatten der wiegenden Palmen die Männer die Schuhe putzen lassen oder die Zeitung studieren. Auf denen Frauen ihre Kinder herumtollen lassen, über den sie die Tüten von Mercado Central, dem belebten Zentralmarkts nach Hause schleppen.
Das Herz der Altstadt bildet nach wie vor die Kathedrale aus dem 19. Jahrhundert, die trotz ihrer auffälligen gelben Türme im Häusergewirr kaum auszumachen ist, im Innern aber mit ansehnlichen Arbeiten glänzt und schon deshalb eine Pause vom Stadtbummel rechtfertigt - nicht nur wegen der erfrischenden Temperaturen!
Auffallend wenige Gringos trifft man in der Altstadt, die meisten zieht es eher an die Strände oder zum Shoppen in die Walmarts, MEGAs oder die anderen Hipermercados, deren Sortiment sich kaum von dem eines US-Supermarkts unterscheidet. Mit einer Ausnahme: es gibt wieder haltbare Milch, die sich ganz ohne Kühlschrank hält. Eine Wohltat!
Der wahre Grund, warum ich Mazatlán - gerade jetzt, Mitte Februar - angesteuert habe, ist der Carnaval! Die Stadt soll den aufwändigsten, farbenprächtigsten und fröhlichsten Umzug des ganzen Landes bieten. Noch eine Nasenlänge vor La Paz! Nur eine knappe Nasenlänge hinter Rio de Janeiro!
Dabei ist der Umzug nur der krönende Abschluss eines wochenlangen Wettstreits zwischen Dutzenden von Tanzgruppen, zwischen Artisten, Sängern und Bands. Die meisten Ausscheidungen finden in großen Ballsälen und Arenen statt und sind nur für wahre Kenner von Interesse. Für die Teilnehmer allerdings ist der Umzug nach monatelangen Proben die finale Prüfung, auf die sie sich mehrere Jahre lang vorbereitet haben. Von wegen Fröhlichkeit pur!
Freude kommt erst auf, wenn all die Ausscheidungen überstanden sind. Und man zu den Gewinnern zählt. Vielmehr frau zu den Gewinnerinnen. Die Angelegenheit weist nämlich einen augenfälligen Mädchen- bzw. Damenüberschuss auf! Auf den Prunkwagen des Umzugs schätze ich das Verhältnis auf 20 : 1. Zwanzig Mädels auf einen Hahn im Korb! Wenn überhaupt einer mit von der Partie ist!
Zehn Kilometer misst der Weg des Umzugs: auf der Malecón direkt am Meer entlang. Schon am Vortag wird die vierspurige Straße gesperrt, einzelne Tribünen aufgebaut und viele, viele Getränkebuden. Die eifrigsten Zuschauer schlagen ihre Zelte auf (im wahrsten Sinn des Worts) und reservieren gleich ein ganzes Karree zwischen den Tribünen. Am späten Vormittag dann sitzen die Menschen dicht an dicht. Alt und Jung, Oma, Opa, Tante, Onkel, Mama, Papa, Baby, Nichte, Neffe ... die ganze Großfamilie eben. Nicht selten zählt das Familienkaree dreißig und mehr Plätze! Man wartet auf den großen Umzug, der sich allerdings erst nach Sonnenuntergang in Bewegung setzt. Derweil wird gemeinsam gegessen, getrunken und gelacht. Aus dem Lautsprechern dröhnen mexikanische Lieder, jeder macht sich einen schönen Tag bei strahlendem Sonnenschein, vom Meer her weht ein leichtes Lüftchen. Lebensfreude á la Mexiko.
Versinkt die Sonne am Horizont, geht's endlich los. Die Wagen des Umzugs sind mit nicht weniger Liebe hergerichtet als die Prunkwagen in Düsseldorf, Kölle oder Mainz. Politische Themen allerdings sucht man vergebens: die Wagen zeigen farbenfrohe Phantasiewelten und sind in erster Linie eins: hübscher Hintergrund für die noch attraktiveren Besatzungen. Da kommt man(n) aus dem Schauen gar nicht heraus. Ein Wagen ist farbenprächtiger ausgestattet als der nächste, eine Tanzgruppe attraktiver als die andere. Ob auch die Wagen selbst - wie schon ihre Mitfahrer - prämiert werden, konnte ich im Trubel leider nicht in Erfahrung bringen. Anerkennung hätte jeder einzelne von Ihnen verdient!
Interessant erscheint mir, dass der Carnaval nicht nur etwas für die Jungen ist! So wie sich schon fünf- bis sechsjährige Mädchen ganz besonders herausputzen (lassen), um vielleicht einen Preis zu ergattern, so werden die Karnevalsköniginnen früherer Jahre weiterhin in Ehren gehalten und fahren auf eigenen Wagen im Konvoi mit, winken galant in die Menge, und werfen den Kindern Konfetti und Luftschlangen zu. Ja, einige der älteren Damen hätten heute noch einen Schönheitspreis verdient!
Unerwartet schnell sind am nächsten Morgen die Spuren der Mega-Sause beseitigt. Die letzten Tribünen werden abgebaut, Hundertschaften von Straßenfegern kehren Tonnen von Konfetti und Luftschlangen weg, ein 'Waschwagen' spült die allerletzten Reste ins Meer. Gegen Mittag ist der Spuk vorüber, nur an einer Straßenecke tönt die Musik noch aus den Boxen, hier treffen sich die Hartnäckigsten zum Kehraus.
Die Werbung hatte wahrlich nicht zu viel versprochen! Daher gibt's zu diesem Augenschmaus auch eine separate ...
Zeit zum Umzug! Der Campground Mar Rosa, direkt an der Hauptstraße ist arg laut, wenn auch für die Stadterkundung praktisch gelegen. Nun aber brauche ich ein wenig Ruhe, die ich prompt zehn Kilometer weiter nördlich finde. An der Punto Cerritas haben sich dort Dutzende von Kälteflüchtlingen mit ihren RVs wohnlich eingerichtet - und lassen es sich einfach gut gehen. Viele von Ihnen stehen das ganze Jahr über dort: mit einem canadischen Pensionsbescheid in der Tasche kann man hier leben wie Gott in Frankreich, wenn nicht besser!
Mit der inneren Ruhe sprudeln auch die Ideen wieder ... und bislang vage Pläne für einen Heimaturlaub nehmen plötzlich konkrete Formen an. Im Nu ist alles Wichtige gebucht - dem Internet und WiFi sei Dank - und am liebsten würde ich gleich morgen fliegen. Nicht, dass mich Heimweh plagen würde (da weiß ich noch immer nicht, wie das buchstabiert wird) aber die Vorfreude auf ein paar Abenteuer der besonderen Art lassen den Adrenalinspiegel merklich steigen. Noch aber sind's über drei Monate bis dahin. Drei Monate, in den ich von Mexiko mehr sehen will als nur Strände und Hotelburgen! Also geht's morgen wieder aufi. Hinauf auf den Altiplano, hinauf nach Durango, den Geburtsort berüchtigter Outlaws und Präsidenten.
Nicht nur Outlaws und Präsidenten kamen von hier aus zu Ruhm und Ehren, sondern auch unzählige Filmstars. Allen voran Helden wie John Wayne oder Clint Eastwood, um nur zwei zu nennen. Viele der legendären Wild-West-Streifen wurden hier gedreht, in der eindrucksvollen Wüstenlandschaft nördlich von Durango. In einem der Filmdörfer, die hier die Kulisse so mancher filmischen Schießerei boten. Noch heute ballern die Helden in Viejo Oeste und Chupadores um die Wette. Allerdings nur samstags und sonntags, zur Belustigung der Zuschauer ... und natürlich mit Platzpatronen.
Ein lustiges und sehenswertes Spektakel ist es allemal, wenn ein halbes Dutzend Pferde im gestreckten Galopp durch die Stadt jagt, dicke Staubwolken aufwirbelt und der klapprige Planwagen voller Gold vor der Bank entladen wird. Nur damit gleich darauf eine Handvoll schwer bewaffnete Ganoven die Bank überfallen und der Sheriff mitsamt seinen Deputys einschreiten muss. Dazwischen ein paar handfeste Schlägereien (tatsächlich stehen im Hintergrund ausgebildete Ersthelfer bereit), der obligate Überfall der Indianer - und eine mittelprächtige Familientragödie. Wie im Film siegen am Schluss die Guten, die Halunken baumeln am Galgen und die Helden feiern im Saloon mit den Cancan tanzenden Mädels.
Das Städtchen Durango ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und bildet - nicht nur auf dem Zelluloid der Filmemacher - so etwas wie einen Grenzposten zwischen dem auch heute wieder wildwest mörderisch angehauchten Norden Mexikos (und seinen Drogenkriegen) und dem - vergleichsweise friedlichen - Kernland rund um die Hauptstadt Mexico City. Außer der obligaten - und sehenswerten - Kirche hat die von Silberminen und Bergwerken geprägte Stadt allerdings nicht viel zu bieten, also rolle ich gleich weiter gen Südosten und treffe - mehr durch Zufall - auf die Wasserfälle von Saltito, die sich trotz herrschender Trockenzeit noch immer pittoresk in die Tiefe stürzen. Während sich der Oberlauf des kleinen Flüsschens durch die kargen, kakteenbestandenen Hügel des Altiplano schlängelt, wächst unten in der Schlucht ein tropisch anmutender Auenwald mit einem Wurzelwerk, das sich wie ein Gewirr aus unentwirrbaren Knoten über den Boden und in den Fluss erstreckt.
Die schnelle, vierspurige Straße bringt mich zügig nach Fresnillo. Schon seit Alaska ist das kleine Städtchen mit einem roten Fähnchen auf meiner Landkarte markiert: hier soll es eine gute Werkstätte geben, deren schwäbischer Inhaber am liebsten Edelstahl verarbeitet. Und schon lange wünscht sich die Lady Grey einen Auspuff aus dem edlen Material, der alte ist schon arg verrostet und steht einer Lady gar nicht mehr zu Gesicht!
Flugs ist die kleine Werkstatt ausfindig gemacht und Uwe zaubert mir in eineinhalb Tagen einen neuen Auspuff für die Lady. Ja, 'zaubern', anders kann ich es nicht bezeichnen: völlig ohne Metermaß, Winkelmesser oder Schraubstock, dafür mit einem großen Winkelschleifer und viel Augenmaß bewaffnet baut er den alten, krummen und verwinkelten Auspuff nach. Siehe da: nach zwei Anproben passt der neue tatsächlich wie angegossen! Nun bläst er auch seinen schwarzen Qualm nicht mehr jedem Passanten direkt ins Gesicht, sondern artig nach hinten und unten. Ein wahres Meisterwerk - zu einem meisterlichen Preis! Mit gerade mal 150 Euro schlägt der neue Auspuff ein kaum merkliches Löchlein in die Reisekasse!
Nebenbei braut Uwe - obwohl von Geburt her Schwabe - echt bayerisches Bier! Gemäß deutschem Reinheitsgebot ... und schmackhaft. Um Welten besser jedenfalls als alle mexikanischen Biere - soweit ich das als Nicht-Bier-Trinker beurteilen kann. Auch seine Bratwürste und die Kassler Rippchen sind vom Feinsten und geben dem neuen Biergarten, den er vor Kurzem in Fresnillo eröffnet hat, einen authentischen bayerisch/schwäbischen Touch. Wenn ihr also mal wieder in der Gegend unterwegs seid und Appetit auf etwas Deutsches habt, Uwe freut sich über euer Kommen! (Uwe Bierent, Mobilnummer: (493) 9597730, Werkstatt - aus Zacatecas kommend - direkt am Ortseingang, Biergarten ein paar Straßen weiter). Das Bierbrauen erklärt auch seinen gekonnten Umgang mit (Auspuff-)Rohren: mehrere Jahrzehnte lang war er Rohrbauer und Monteur für eine deutsche Firma, die weltweit Brauereianlagen installiert.
Während Uwe am neuen Auspuff der Lady Grey flext und schweißt, kann ich gemütlich das kleine Städtchen erkunden. Außer der sehenswerten Kirche und einem netten kleinen Markt hat Fresnillo allerdings nicht viel mehr zu bieten als Durango. Trotzdem macht es Spaß, durch die verwinkelten Gassen zu schlendern, den blauen Himmel über sich und die Sonne auf der Haut zu spüren.
Was mir in den Straßen und Gassen immer wieder ein Schmunzeln in die Mundwinkel treibt, sind die vielen Käfer und Bullies (VW-Busse), die hier treu und brav ihre Dienste versehen. Viele, viele Jahre, nachdem die beiden Erfolgsmodelle in Deutschland abgekündigt waren, wurden sie ja in Mexiko weiter produziert. Zur Freude der einheimischen Fahrer. Denn die lieben die einfache, unkaputtbare Technik der Boxermotoren. Und um Umweltauflagen oder Euro-Normen kümmert sich hier eh keiner! Häufig liebevoll restauriert bzw. gepflegt sind die Autos in erstaunlich gutem Zustand. Kein Wunder, gibt es doch in fast jedem Dorf einen VW-Tandler. Vielleicht keine lizensierte Werkstatt, aber Ersatzteile sind allenthalben zu bekommen - und das Improvisieren und Reparieren 'mit Nichts' liegt den Mexikanern im Blut!
Liebenswürdige Heimat der Revoluzzer: Zacatecas
Zwei Autobahnstunden südlich von Fresnillo liegt Zacatecas, eine uralte Bergbaustadt. Klingt zunächst wenig aufregend, doch Zacatecas hat mehr zu bieten als die alten Gold- und Silberminen, die man heute noch besichtigen und sich einen Eindruck von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen machen kann, unter denen die Ureinwohner für ihre spanischen Herren in den Stollen werken mussten! Die Ausbeute muss traumhaft gewesen sein: liegt hier doch Gestein mit dem höchsten prozentualen Gold- Silber- oder Eisengehalt der Welt. Sogar heute noch!
"Mexiko ist doch so reich an Bodenschätzen und fleißigen Menschen. Warum geht es dem Land nicht besser?" frage ich ein paar Menschen in radebrechendem Spanisch. "Die Regierung schiebt das alles in die eigene Tasche" und "Die Regierung hält die Menschen dumm und arm, damit sie nicht aufbegehren!" sind die Antworten, die ich durch die Bank bekomme. Sie decken sich mit den Einschätzungen von Uwe, der seit fünfzehn Jahre hier lebt und die Situation ganz gut beurteilen kann. Ein Wochenlohn von fünfundsiebzig Euro für einen gelernten Arbeiter steht für mich in keinem Verhältnis zur geleisteten Arbeit und ermöglicht ihm kaum, eine Familie über Wasser zu halten. Von der Ausbildung seiner Kinder ganz zu schweigen (hier muss für jede weiterführende Schule Schulgeld bezahlt werden). Im Grunde kein Wunder, wenn es in diesem Land gärt und sich die jungen Menschen auf den Weg nach Norden machen, um in den USA ein Vielfaches für weit weniger Arbeit zu verdienen.
Ohne das Zubrot aus der Ferne könnten sich viele mexikanische Familien kaum über Wasser halten. Auf der anderen Seite leben hier viele US-Amerikaner und leisten sich mit Gehalt oder Rente aus den USA ein herrliches Leben - wie der berühmte 'Gott in Frankreich', nur weit luxuriöser! So bringen die USA direkt und indirekt viel Geld ins Land, halten Mexiko aber in einer arg ungesunden Abhängigkeit von großen Nachbarn! Tiefgreifende Reformen wären in diesem herrlichen - und überaus reichen - Land wirklich dringend notwendig! Doch was will man von einem Einparteienstaat erwarten, in dem jeder Entscheidungsträger in allererster Linie auf seinen persönlichen Vorteil bedacht ist? In dem sich die Parteien allenfalls durch die Namen unterscheiden, nicht aber in ihren Zielen und politischen Vorstellungen!
Genug der Politik! Hier in Zacatecas kommt man um das Thema allerdings nicht herum. Kamen doch viele Anführer der unzähligen mexikanischen Revolutionen von hier! Ja, an Revolutionen herrscht in der Geschichte Mexikos kein Mangel! An Revolutionären auch nicht. Allen voran General Francisco Villa. Ihm und einem Dutzend anderen ist oben auf der La Bufa, einer markanten und nachts angestrahlten Felskuppe ein markantes Denkmal gesetzt: "Viva Mexiko!"
Mehr noch als die heroischen Reiterstatuen beeindruckt mich allerdings das Denkmal, das gleich nebenan steht: Da wurden nach den letzten Auseinandersetzungen Gewehre, Pistolen und Revolver eingesammelt und zu einem 'waffenstarrenden Mahnmal des Friedens' kombiniert. Auf dass durch Kugeln aus diesen Waffen nie wieder ein Mensch sterben muss! Ein beruhigender Ansatz, doch werden die heutigen Kriege kaum mehr mit simplen Gewehren ausgetragen. Und Mexiko starrt noch immer vor Waffen. Die Drogenkriege und Zukunftsängste der jungen Leute entspannen das Klima nicht gerade. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Revolution losbricht!
Neben Politik und Revolutionen hat Zacatecas eine Menge mehr zu bieten! Nachts erstrahlt die hübsche Innenstadt im Licht Hunderttausender Strahler, die die historischen Straßen und Hausfassaden in herrliches Licht tauchen. Das Leben blüht ja im Grunde erst nach Sonnenuntergang auf: Menschen bummeln über weite Plätze und erleuchtete Straßen, Liebespärchen treffen sich in dunklen Eckchen, auf dem Platz vor der Kathedrale kicken die Jungs Fußball und ab und zu spielt eine Kapelle spontan zum Tanz auf. Dazwischen immer wieder rotes und blaues Blitzlichtgewitter, dann nämlich, wenn die Policia durch die Straßen patrouilliert, Parksünder abschleppen lässt und auch sonst für Sicherheit sorgt.
Kurze Anekdote zum Thema Sicherheit: Am frühen Nachmittag rolle ich in Zacatecas ein und folge blind dem Navi, das mich treffsicher zum Hauptplatz dirigiert. Ein Parkplatz ist natürlich nirgends in Sicht, teilweise stehen die Autos in zwei und drei Reihen nebeneinander. Also nächste Gasse rechts rein und schauen, wo sie mich hinführt. Tatsächlich lande ich auf einem großen freien Parkplatz neben der Universität, den ich flugs zum Standquartier meiner Stadtbesichtigung erkläre. Kaum habe ich mich stadtfein gemacht, rollen fünf Pickups der Policia voller Panzerwesten tragender Gendarmen an, die Gewehre im Anschlag. Offensichtlich haben sie es auf mich abgesehen. Die Aufregung legt sich allerdings schnell, als ich aussteige, sie freundlich begrüße und ihnen sage, dass ich Deutscher bin und mir ihre schöne Stadt anschauen möchte. Sie notieren kurz Namen und Kennzeichen, wünschen mir einen angenehmen Aufenthalt und versprechen, ab und zu vorbeizuschauen, um sicherzustellen, dass der Lady Grey und mir nicht passiert! Das nenn ich mal Service!
Im Grunde schade, dass so viel Präsenz überhaupt nötig ist, aber es ist mir gar nicht unrecht! Ähnliches erlebte ich zwei weitere Male, jedes Mal waren die Polizisten höflich und zuvorkommend, sobald ich mich als Deutscher - und damit nicht als verhasster Gringo - 'geoutet' hatte. Irgendwie unsicher fühlte ich mich in Mexiko nirgends, obwohl ich meist außerhalb von Camps, oft sogar mitten in den Städten übernachtet habe. Dass ich die bekannten Unruheherde wie die Grenzregion zu den USA oder die Gegend um Acapulco weiträumig gemieden habe, füge ich nur der Vollständigkeit halber an.
Erstes Zeugnis vor-hispanischer Kultur: La Quemada
Zeit für einen Ausflug in die Frühgeschichte Mexikos! In die vor-hispanische Zeit, wie das hier genannt wird. Nördlich von Durango gibt es zwar eine winzige, kaum erkennbare Steinsammlung aus der Zeit um 500 A.D., doch als nördlichste Bastion der vor-hispanischen Reiche wird die Festung La Quemada angesehen. Trotz zahlreicher Grabungen haben die Archäologen noch nicht viel Licht in die Geschichte des Orts bringen können und wissen nicht, welche der vor-hispanischen Völker hier wohnten. Im Gespräch sind Tolteken, Tarascan, Chicomostoc und die Caxcan. Offenbar hatten die Bewohner aber gute Beziehungen zu ihren südlichen Nachbarn, von denen sie Baustil und religiöse Gepflogenheiten übernahmen. Möglicherweise gehörten sie auch zu dem Volk, das in Teotihuacán nahe dem heutigen Mexico City eine der größten Pyramiden Mexikos errichtet hatten.
Trotz der spärlichen Informationen zu der Anlage - und einem Museum, das wegen Renovierung geschlossen hat - ist die Anlage sehr imposant. Die bis zu drei Meter dicken, nur aus Steinen aufgeschichteten Wände der Anlage ziehen sich am Hang eines Hügels hinauf, der die umliegenden, fruchtbaren Felder um über zweihundert Meter überragt. Man kann sich prima vorstellen, wie hier oben die Herrscher - und Priester - wohnten, während unten die fleißigen Bauern die kargen Felder bestellten. Mit den Pyramiden oder anderen Monsterbauten in Ägypten sind die Relikte nicht zu vergleichen - dennoch legen sie beredt Zeugnis einer weit entwickelten, fortschrittlichen Kultur ab! Die Ihre Größe wohl weniger mit der Anhäufung tonnenschwerer Felsklötze zeigte als mit der Herstellung überaus kunstvoller Gold- und Silberschmiedearbeiten.
Datiert wurden die Funde auf die Zeit zwischen 500 A.D. und 900 A.D., warum die Menschen die Stadt danach verlassen haben, ist allerdings unklar, kann aber sicher nicht den Spaniern angelastet werden (die kamen erst um 1495 hierher). Bleibt zu erwähnen, dass der Eintritt zur ganzen Anlage (einschließlich des Museums, wenn es denn geöffnet hat) frei ist (bei Alter unter 13 oder über 60 Jahren) beziehungsweise nicht mal zwei Euro kostet.
Kaum zurück in Zacatecas setze ich den Blinker rechts und eine schnelle, gut ausgebaute Straße bringt mich zügig zur wenig sehenswerten Industriestadt San Luis Potosí und über die neue Nordumgehung an den Abhang des Altiplano. Eine kurvige, wenig befahrene Straße windet sich hier von 2300m auf unter 1000m Seehöhe hinab. Mein Ziel ist eine karstige Gegend bei Rio Verde, in der es tolle Wasserfälle, ja sogar ein Tauchrevier geben soll. Die letzten Kilometer der Stichstraßen allerdings sind in so haarsträubendem Zustand, dass ich es mir (und der Lady Grey) erspare, alles abzureiten. Also unverrichteter Dinge kehrt machen und die kurvige Straße wieder hinauftuckern!
Die kleine Enttäuschung ist schnell vergessen, als ich in San Miguel de Allende einrolle! Wie steht's im Führer beschrieben? "Die Stadt hat wenig Sehenswertes zu bieten - die Stadt selbst ist die Sehenswürdigkeit!" Wie treffend formuliert! Schon nach wenigen Minuten fühle ich mich wohl, obwohl die enge Zufahrt zum Campground - mitten in der Stadt - am Sonntagnachmittag völlig zugeparkt ist und später die Glocken der Klosterkirche kaum an Schlaf denken lassen.
Dank schneller Internet-Verbindung kann ich schon ein paar Dinge regeln, die mich in den nächsten Tagen und Wochen beschäftigen sollen - allem voran ein paar 'Schönheitsreparaturen' an der Lady Grey: von der (seit Canada) kaputten Windschutzscheibe über das Gebläse bis hin zu diversen Ölwechseln stehen ein Dutzend Arbeiten an, die ich gezielt für Mexiko aufgespart habe. Warum? Nun, hier gibt's MAN-Werkstätten ... und die Stundenlöhne sind erfreulich niedrig (s.o.).
Drückt mir also die Daumen, dass alles klappt wie geplant. Der Weg um die Welt ist noch weit!