Louisbourg (Canada, Nova Scotia) (GPS: 45°55,006'N; 059°59,109'W)
Louisbourg ist der ideale Background für jede Hollywood Produktion über die guten alten Tage - selbst wenn die Story in den Staaten spielt. Heute wird die Geschichte der Sezessionskriege neu verfilmt und das ganze Areal wimmelt von Schauspielern, Technikern und Komparsen. Welch ein Glück, dass keine Touristen durchs Bild rennen! Die kommen erst in ein paar Monaten, wenn's hier an der Ostküste der Cape-Breton-Insel hübsch warm ist und die Kreuzfahrer bis unmittelbar vor die aufwändig restaurierte Festung fahren können.
Kurzer Blick ins Geschichtsbuch
Während die Schauspieler und Komparsen bei wenigen Grad über Null auf den nächsten Einsatz warten und erbärmlich frieren, kann ich ein wenig im Geschichtsbuch blättern. Denken wir an die Entdeckung Amerikas, kommen uns das Jahr 1492 und 'Cristoforo Colon' alias 'Christoph Kolumbus' in den Sinn. So weit im Norden hat der sich allerdings nie blicken lassen (tatsächlich war er seinen Fuß überhaupt nicht auf nordamerikanischen Boden gesetzt!). Fünfhundert Jahre zu spät kam wäre Kolumbus allemal gekommen! Spätestens seit unserer Island-Etappe wissen wir ja, dass der Wikinger 'Leifr Eiriksson' als erster Europäer seinen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat, oben in Newfoundland, so um das Jahr 1000. Danach herrscht ein paar Jahre Funkstille, Europa hat genug mit sich selbst zu tun und die Indianer bzw. die 'First Nations' haben (noch) ihre Ruhe.
'John Cabot' - ein Italiener in englischen Diensten (nicht der Herr im Bild links) - hisst dann im Jahr 1497 erstmals die Flagge Englands im Osten des heutigen Canada, kann aber - anstatt von Gold und Silber - nur von riesigen Fischbeständen (Kabeljau) berichten. Vorwiegend Portugiesen, Schotten und Basken bedienen sich in den kommenden Jahren an dem immensen Reichtum des Meers. Die Krone Englands zeigt wenig Interesse, das neue Land zu erforschen und zu besiedeln. So ist es ein Franzose, 'Jaques Cartier', der den Zugang zum Inneren des neuen Kontinents findet, den Saint Lawrence Strom stromaufwärts schippert und bis zu den Stromschnellen beim heutigen Montreal vorstößt. Er hisst die französische Flagge, das Land heißt künftig Nouvelle France, wird aber nur zögerlich besiedelt (wussten die schon, wie kalt es hier wird?).
'Samuel de Champlain', ein weiterer Franzose folgt Cartier's Fußstapfen und dringt mit Hilfe befreundeter Indianer - und Ihrer Kanus - über die Stromschnellen vor und erforscht einen Großteil des heutigen Osten Canadas. 1605 gründet er die erste Handelsniederlassung: Fort Anne an der Westküste des heutigen Nova Scotia. 1626 wird er erster Gouverneur der neuen Besitzung Frankreichs. Neue Siedler allerdings lassen sich weiterhin bitten.
Lukrativer als Ackerbau und Viehzucht durch die Neusiedler verläuft der Handel mit den Indianern - vor allem mit teuren Pelzen. Noch läuft er weitgehend friedlich. Auch Briten lassen sich inzwischen in größerer Zahl hier nieder, Spannungen mit den Franzosen - wie drüben auf dem alten Kontinent - bleiben da natürlich nicht aus. Krieg ist angesagt! Der Frieden von Utrecht (1713) besiegelt das Schicksal der Franzosen - hüben wie drüben -, Frankreich muss alle Überseebesitzungen an England abtreten!
Gegen heftigen Widerstand der französischsprachigen Bevölkerung weiten nun britische Gesellschaften ihr Handelsmonopol mit Waffengewalt aus. Auch die 'First Nations' haben dabei das Nachsehen!
Die Rivalität zwischen Franzosen und Engländern währt im Grunde bis heute: in der Provinz Quebeck - seit jeher fast ausschließlich französischsprachig - scheitert noch 1994 ein Volksbegehren zur Abspaltung von Canada denkbar knapp mit 49,4% gegen 50,6%!
Canada ist auch - mit Ausnahme der Schweiz - wohl das einzige Land mit zwei Amtssprachen. Alle Staatsdiener müssen beide Sprachen fließend sprechen, jedes Formular, jede Bekanntmachung, jedes Ortsschild gibt's in Englisch und Französisch. Hier in Nova Scotia oft auch noch in Gälisch! Weht an den meisten Häusern der Anglo-Canadier die rot-weiß-rote Ahorn-Flagge, zeigen die Franko-Canadier lieber die Trikolore mit einem Stern im oberen Eck: die Flagge Acadiens. Ach ja, in den Supermärkten gibt's auch eigene Regalreihen mit französischer Kost - eine willkommene Abwechslung zu den allgegenwärtigen Burgern!
Um das Geschichtsbuch wieder zuzuklappen: 1897 schließen sich die östlichen Provinzen zur Dominion of Canada zusammen, in erster Linie um den - damals schon gehegten - Expansionsgelüsten der USA entgegenzutreten. (Tatsächlich gibt's einen - kurzen - Krieg gegen die USA, den die Canadier aber souverän gewinnen. ) Nach wechselvollem Hin und Her (Provinzen werden zerteilt, zusammengelegt, neu zerteilt, um sich Jahre später wieder zusammenzutun) schließen sich auch die westlicheren Regionen wie 'Alberta', 'British Columbia', 'Northwest Territories' und 'Saskatchewan' zu dem Canada zusammen, wie wir es heute kennen. Jüngstes Mitglied im Staatenbund ist 'Nunavut' im Nordosten, das mehrheitlich von Inuit bewohnt wird. Schließlich - 1931 - erwirbt Canada (oder Kanada) die völlige Unabhängigkeit, bleibt aber im 'Commonwealth of Nations'. Noch heute ist das formelle Staatsoberhaupt die - Queen of England!
Der Winter lässt nicht locker ...
Bevor ich den Hollywoodgrößen über den Weg laufe habe ich Zeit, den Rest von Nova Scotia ein wenig näher zu erkunden. Mehr als einmal stehe ich dabei allerdings vor verschlossenen Toren: ob es die sehenswerten Provincial Parks sind, angesagte Restaurants oder interessante Museen: häufig hängt ein Schild in der Tür Closed for the Season. Der Travel Guide of Nova Scotia verrät dann die Öffnungszeiten dazu: ab Mitte Juni, teilweise erst ab Juli! Und längstens bis Ende August! Gerade mal zwei Monate Saison, lohnt sich das dann überhaupt? Jetzt im April jedenfalls sind noch alle Bürgersteige hochgeklappt!
Trotzdem kann ich mir ein - vielleicht nicht ganz vollständiges - Bild von Nova Scotia machen. Zusammen mit Newfoundland, der Miniprovinz Prince Edward Island und dem Osten von Newbrunswick bildet es die Maritimes, wo das Wetter vom allgegenwärtigen Nordatlantik bestimmt wird. Mehr als einmal sehe ich endlose Eisschollen ('Eisberg' wäre nur minimal übertrieben) auf den schwarzen Wassern des Atlantiks dümpeln und die Katastrophe der 'Titanic' vor der Küste Neufundlands (fast auf dem gleichen Breitengrad wie Cape-Breton-Island) drängt sich in mein Kopfkino. Den Abstecher nach Newfoundland werde ich - trotz sehenswerter, urtümlicher Landschaft - wohl ad acta legen müssen!
Von Halifax geht's daher auch erst einmal gen Süden, in einer großen Schleife um das Südwestende der Halbinsel. Die Landschaft ist geprägt von tief eingeschnittenen Buchten und winzigen Dörfern mit wahrscheinlich mehr Fischkuttern als Bewohnern. Die Vegetation ist wie erwartet nordisch, hauptsächlich (kahle) Birken, dazwischen grüne Fichten und jede Menge Baumskelette in den zahllosen Sümpfen. Der Boden ist nach dem harten Winter allenfalls ein paar Zentimeter angetaut, das Wasser sammelt sich an der Oberfläche und bildet unzählige Seen, Tümpel, Bäche. Jede Wiese gleicht einem Moor, jeder Feldweg einem Sumpfpfad. Unberührte Landschaft gibt's aber allenfalls entlang der Highways, die sich weitab von Dörfern und Städten durch die Halbinsel winden! Hält man sich an die 'normalen' Straßen, findet sich kein unberührtes Plätzchen.
Dafür Häuser, Häuser, Häuser. Ohne Ende. Hunderte von Kilometern lang! Zwischen Halifax und Yarmouth an der Südküste - das sind ca. 350km! - reiht sich ein Grundstück ans andere. Mal größer, mal kleiner, mal nur eine Bretterbude drauf, mal ein Palast mit zwanzig Zimmern! Kompakte Dörfer wie sie in Europa häufig anzutreffen sind? Fehlanzeige! Der Dorfkern besteht oft nur aus Kirche, Tankstelle und Supermarkt. Schon die Schule liegt meilenweit draußen - ohne Schulbus oder Auto der Eltern nicht erreichbar. Jede Familie hat ihr eigenes Haus/Häuschen/Palast mit Garten/Gärtchen/Golfplatz außenherum. Die Einwohnerschaft verteilt sich so entlang der einzigen Straße auf Dutzende von Kilometern. Hat man das letzte Haus der ersten Ortschaft hinter sich, fängt auch schon der nächste Ort an, bis man wieder auf die Kirche stößt, die Tankstelle, den Supermarkt.
Der gesamte Küstenstreifen - auch oben an der Nordwestküste - ist arg dicht besiedelt. Zersiedelt. Kein wirklicher Augenschmaus! Dazwischen locken einige wenige Orte zum Abbiegen, wie Lunenburg, ein buntes Hafenstädtchen mit tollen Lobster-Restaurants und einem Museum zu den Chancen und Risiken des atlantischen Ozeans. Das größte Risiko besteht heute allerdings darin, gegen verschlossene Türen zu rennen ...
Lässt man Yarmouth an der Südwestspitze der Halbinsel hinter sich, verändert sich die Landschaft mit einem Streich. Die wild zerklüftete Felsküste im Süden weicht einer flachen Ausgleichsküste mit endlosen, flachen Stränden. Mit Baden wird's aber trotzdem nichts, nicht nur wegen der wenig einladenden Wassertemperaturen. Vielmehr wegen des unglaublichen Tidenhubs, der hier in der Bay of Fundy bis zu sechzehn Metern betragen kann. Weltrekord! Offenbar gibt es nirgends auf der Welt einen ähnlich großen Unterschied zwischen Ebbe und Flut! Schlaue Wissenschaftler haben die Wassermenge gemessen, die hier täglich zweimal hin- und her geschubst wird: einhundert Billionen Liter Wasser, angeblich mehr als die Wasserzufuhr sämtlicher Flüsse der Erde. Nachgemessen habe ich nicht ... Entsprechend gefährlich sind aber die Strömungen! Und entsprechend schaut der 'Strand' aus: meterdicker, roter Schlick!
Wie sich das an der engsten Stelle der Bay auswirkt, kann ich mir zwei Tage später ansehen. Das Cape Split, nördlich von Kentville ragt wie ein Angelhaken in die Bay of Fundy hinein und schnürt die Bucht noch weiter ein. Nach zwei Stunden Wanderung durch einen urweltlichen Wald voller umgefallener Bäume, Moose, Flechten und Tümpeln (vor allem auf dem Weg) steht man auf der Klippe direkt über der schmalsten Stelle der Bay. Mit weißen Schaumkronen schießt das Meer wie ein wild gewordener Fluss durch die Engstelle, saugt aus den umliegenden Buchten zusätzliches Wasser ab und ergießt sich in die östlichen Buchten. Das Schauspiel geht stundenlang weiter, ohne dass die Buchten irgendwann voll zu sein scheinen. Danach kehrt sich mit einem Schlag alles um und das Wasser schießt nun mit weißen Gischtkronen nach Westen.
Ein paar Kilometer östlich von Digby erstreckt sich - nahezu parallel zur Küste - das Annapolis Valley. Sein fruchtbarer Boden und das deutlich mildere Klima (verglichen mit der Atlantik-Seite der Halbinsel) lassen hier Getreide und Obst, ja sogar canadischen Wein gedeihen. Tatsächlich klettern heute die Temperaturen in den zweistelligen Bereich (plus!). Einzelne Krokusse lugen unter dem Laub hervor, während ich die Zwillingsstädte Fort Anne und Port Royal erkunde. Auch die Franzosen hatten um 1605 das bevorzugte Klima hier schätzen gelernt und das Fort Anne als ersten Handelsposten in Nova Scotia errichtet: eine einfache, weiß gekalkte Hütte mit ein paar Kanonen außenherum. Seit der Gründung wurde der Posten dann mehr als einmal niedergebrannt (natürlich von den Engländern), wiederaufgebaut (von den Franzosen) und neu gekalkt (von den Canadiern).
Direkt am gegenüberliegenden Flussufer - just in Schussweite der Kanonen von Fort Anne - findet sich der zweite Teil der Siedlung: Port Royal. Das leicht befestigte Dorf diente in erster Linie als Warenlager der französischen Händler, so etwas wie eine Karawanserei bei den Arabern. Hauptsächlich Felle, die sie den Indianern abgekauft hatten, wurden hier zwischengelagert, bevor sie auf dem Seeweg in die Heimat verfrachtet und zum hundertfachen Preis an noble Herrschaften verkauft wurden. Am Reichtum der neuen Welt wollte schließlich jeder teilhaben. Wieviel die Indianer oder später die weißen Waldläufer für ein Fell bekommen haben, kann ich allerdings nirgends finden.
Als die Engländer 1710 alles übernommen hatten - sehr zum Missfallen der Franzosen - bauten die sogleich eine Brücke, legten beide Ortsteile zusammen, nannten sie fortan Annapolis Royal und segelten ihre Schiffe nach Plymouth und London statt nach Le Havre oder Bordeaux. Als dann knapp 250 Jahre später die ersten Deutschen hier auftauchten, merkten die natürlich gleich, was wirklich fehlt: nämlich gescheites Brot, Wurst und Stollen! Leider baumelt auch hier das 'Geschlossen'-Schild in der Tür. Hatte ich mich doch nach all dem pampigen Weißbrot auf ein herzhaftes deutsches Graubrot gefreut - am besten noch warm aus dem Ofen und mit dick Griebenschmalz!
Bei der Ausfahrt aus Annapolis Royal quert man übrigens das erste und bislang einzige Gezeitenkraftwerk Nordamerikas: der Tidenhub der Bay of Fundy schreit ja förmlich danach, Strom produzieren zu können. Im Vergleich zum französischen Gezeitenkraftwerk bei Saint Malo fiel das Werk aber eher bescheiden aus (20MW bei 400m3/s, eine einzelne 'Straflo'-Kaplanturbine) und kann Strom nur bei ablaufendem Wasser (Ebbe) produzieren. Soviel zum Hightech-Standort Nordamerika! Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Canadier nahe Parrsboro schon an neuen Techniken forschen, die auch dem extrem hohen Gehalt an Schwebstoffen gewachsen sind.
"Der kälteste Winter seit 45 Jahren, der höchste Schneefall seit 61 Jahren, der schlimmste Wintertornado seit dem Beginn der Wetteraufzeichnung" höre ich die Wetterfrösche im Radio Bilanz über den vergangenen Winter ziehen. Kein wirklicher Trost, als ich mich zum landschaftlichen Highlight von Nova Scotia aufmache. Na toll! Wieso eigentlich vergangener Winter? Der ist doch noch voll zugange! Nach langer Pause möchte ich endlich wieder ausgiebig wandern, die herrliche Landschaft der Highlands erkunden und ein paar Nächte draußen im Nirgendwo schlafen! Gäbe es einen besseren Platz dafür als Cape Breton? Seinen sehenswerten Naturpark? Seine idyllischen Campgrounds? Seine gut markierten Wanderwege?
Seine Eiszapfen! Seine Schneeverwehungen! Seine gesperrten Wege! Seine tiefverschneiten Parkplätze! treffen den Kern der Sache schon eher! In der Westhälfte des Parks ist's nicht gar so schlimm: da lässt nur der eisige Nordwestwind jeden Tropfen Tauwasser an den senkrechten Felswänden zu bizarren Eiszapfen erstarren. Weiter im Osten, im Windschatten der Berge ist's zwar weniger stürmisch, dafür türmen sich die Schneemassen teilweise bis zu zwei Metern neben der Straße! Kein einziger Parkplatz ist benutzbar. Kein Weg, kein Steg! Von den Campgrounds ganz zu schweigen! Das wird wohl nichts mit Campieren im 1000-Sterne-Hotel!
Einzig der Skyline Trail im Nordwesten des Parks kann begangen werden, wenn auch auf eigene Gefahr! Die Vier-Stunden-Tour lohnt aber auch bei diesem Winterwetter. Dass sich auf diesen exponierten Moorhängen und dem Sturm überhaupt noch irgendein Baum halten kann, grenzt an ein Wunder. Tausende sind umgestürzt, verleihen der Landschaft ein bizarres, urzeitliches Flair. Dazu Nebel, zentimeterdicker Raureif an den Zweigen. Noch immer steinhart gefrorener Boden. Schneeberge auf dem Weg, die einen bis zu den Knien einsinken lassen. Trotz allem eine empfehlenswerte, äußerst einprägsame Tour. Wie toll muss es hier erst sein, wenn die Sonne vom strahlend blauen Himmel scheint? Und der Wind nicht mit Orkanstärke pfeift?
Statt der geplanten sieben Tage bleibe ich nur zwei. Auf die Gefahr, dass Ihr mich für ein verwöhntes Weichei haltet: ich war heilfroh um die Heizung der Lady Grey, die mir das Rauspellen aus dem Schlafsack bei morgendlichen Außentemperaturen zwischen -5°C und -10°C nicht unwesentlich erleichtert hat! Das ist eben das Dumme an schönem Wetter um diese Jahreszeit: scheint auch tagsüber die Sonne, wird's nachts bei klarem Himmel bitterkalt!
Interessant, wie die Locals damit umgehen! Nach just einer solchen Nacht treffe ich am Morgen zwei junge Einheimische. Ich selbst bin eingemummt mit mindestens fünf Lagen Zwiebellook und komme mit Zähneklappern kaum nach - die zwei tappeln mit offenem T-Shirt, Bermudashorts und leichten Turnschuhen frohgemut zum Bäcker!
Quasi als Krönung des ersten Tags der Cape-Breton-Tour genieße ich den herrlichen Ausblick auf eine Bucht, die nicht umsonst Pleasant Bay heißt. Anderntags geht's weiter über den östlichen Zweig, vorbei an weiteren Buchten mit weiteren Eisschollen bis hinunter nach Ingonish, dessen Bucht noch immer vollständig vereist ist.
Ingonish ist ja ein alter schottischer Name. Wie manche Einwanderer anderer Herkunft, haben auch die Schotten die Ortsnamen ihre Heimat gerne mit in die neue Welt genommen. Ist ja auch voll praktisch! Muss man nicht so viel umlernen! Kann die alten Visitenkarten weiterverwenden. Nur die Postleitzahl ändern - denn die ist in Canada sechsstellig und enthält Buchstaben und Ziffern!
Nach ein paar Generationen sprechen die Jungschotten nur leider die Heimatsprache nicht mehr! Schade drum, ist gälisch doch so eine schöne Sprache! Und so einfach zu erlernen: unterscheiden sich doch Schrift und Sprache eklatant. Also gehen die Youngsters neuerdings wieder ins Gälisch-College, um ihre Muttersprache zu pauken - und zurück zu ihren Wurzeln zu finden. Ob die First Nations, die Indianer und Inuit ihre Sprachen, ihre Bräuche, ihre Traditionen ebenso pflegen dürfen wie die weißen Newcomer? Die Antwort werde ich hoffentlich in ein paar Monaten kennen.
Derweil tragen mich teils gute, teils arg schlaglöchrige Straßen zurück in die 'Zivilisation', genauer nach Sydney und Glace Bay. Das Sydney hier oben hat allerdings so gar nichts mit seinem Namensvetter down under gemeinsam, weder Strand noch 'Darling Harbour' noch 'Opera House' noch Sonnenschein noch Temperatur! Schade! Darum im großen Bogen außenherum, direkt nach Glace Bay. Das allerdings, besser gesagt das dortige Marconi-Museum ist auch diesen winzigen Umweg nicht wert! Mister Marconi hatte ja zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die erste drahtlose Funkübertragung über den großen Teich installiert und erfolgreich in Betrieb genommen. Eine seiner Sendestationen stand just hier bei Glace Bay - in geringstmöglicher Entfernung zur Gegenstation im Westen Irlands. Mir war klar, dass das Museum geschlossen ist; dennoch hätte ich mir ein klein wenig mehr erwartet als zwei verrostete Eisenmasten neben einer winzigen Bretterbude, die ein Schild als das besagte Museum ausweist!
Vom Marconi-Museum ist's nur noch ein Katzensprung entlang der Küste bis nach Louisbourg (oder Louisburg). Und in dieser National Historic Site of Canada wird wirklich etwas geboten! Sind die Filmteams aus Hollywood abgezogen, dauert es nicht mehr lange, dann kommt neues Leben in die alten, ab 1961 mit viel Liebe und Einfallsreichtum restaurierten Gemäuer. Dann lebt hier eine lebendiges Museum auf, ein 'living museum', bei dem der Besucher mitten im Alltag des 17./18. Jahrhunderts herumspaziert, vom Wachsoldaten nach der Parole gefragt oder in eine wüste Prügelei verwickelt wird (natürlich ohne Folgen). Daneben kann man zusehen, wie frische Würste gestopft oder Brot im Steinofen gebacken wird. Vielleicht sollte ich dann nochmal wiederkommen! Ob die auch ausgelassenes Griebenfett haben? Sicher! Geöffnet ist ab 19. Mai.
Nach den Eindrücken der letzten drei Wochen beschleicht mich - abgesehen von Louisbourg - ein wenig das Gefühl, dass es hier mit den Sehenswürdigkeiten ein bisschen ist wie in Australien ist: Großes Tam-Tam in der Werbung, Anpreisung in jedem Prospekt "Das müssen Sie gesehen haben!" Und dann die Ernüchterung, wenn man davorsteht. Ich will's nicht verschreien und hoffe, dass dem nicht so ist und ich Euch noch von vielen, tollen Erlebnissen berichten kann!