Panajachel (Lake Atitlán, Guatemala) (GPS: 14°44,535'N; 091°09,804'W)
Der Motor brummt im dumpfen Bariton. Die Motorbremse steht auf Anschlag. Im zweiten Gang kriecht die Lady die steilen Haarnadelkurven abwärts. Innerhalb weniger Minuten fällt der Höhenmesser um satte eintausend Meter. Schon die Anfahrt zum größten, bekanntesten und schönst gelegenen See des Landes ist ein Leckerbissen! Und erst der See selber: der Lago de Atitlán, eingebettet in einen Ring aktiver Vulkane, deren Gipfel an der 4000m-Marke kratzen, leuchtet im tiefen Blau. Darauf einzelne Nussschalen mit Außenbordmotor. Eine Handvoll Paddler in ihren Kajaks. Einzelne Schwimmer. Darüber azurblauer Himmel mit weißen Schönwetterwölkchen. Was will der Reisende mehr?
Tja, vielleicht noch einen hübschen Campingplatz? Grüne Wiesen? Mit Ausblick auf den See? Auf die Vulkane? Mit einem netten Pool? Einem Restaurant, in dem es nicht nur Burritos gibt? Mit WLAN und Internet? Ja, mehr braucht der Reisende wirklich nicht! Man wird bescheiden!
Ach ja, ein wenig Zeit wäre noch nett. Doch die muss sich auch der Reisende nehmen. Zum Beispiel, um die Erlebnisse der letzten Wochen zu HD zu bringen. Welch angenehmeren Platz gäbe es dazu als eine sattgrüne Wiese am Seeufer mit Blick auf ebenmäßige Vulkane? Also frisch ans Werk! - Nachdem die letzten Anmerkungen zum Heimaturlaub arg persönlich geraten sind, geht's hier nun voll sachlich weiter. Versprochen!
Murphy's Gesetz (besser ›Murphy's Axiome‹) kennt ihr? Oder wart ihr in Mathe krank? Seit meiner Rückkehr aus Deutschland hat dieser Murphy allenthalben seine Finger im Spiel! Nicht 'mal die allereinfachsten Dinge sind vor ihm sicher!
- Wenn etwas schief gehen kann, dann geht es schief.
- Wenn etwas auf verschiedene Arten schief gehen kann, dann geht es immer auf die Art schief, die am meisten Schaden verursacht.
- Hat man alle Möglichkeiten ausgeschlossen, bei denen etwas schief gehen kann, eröffnet sich sofort eine neue Möglichkeit.
- Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, ist umgekehrt proportional zu seiner Erwünschtheit.
- Früher oder später wird die schlimmstmögliche Verkettung von Umständen eintreten.
- Wenn etwas zu gut erscheint, um wahr zu sein, ist es das wahrscheinlich auch.
- Wenn etwas nicht schief gegangen zu sein scheint, dann wurde der Fehler lediglich noch nicht entdeckt, wodurch alles nur noch schlimmer wird.
- Geht etwas nicht schief, so tritt sofort Regel 1 in Kraft.
Schon die erste Arbeit nach dem Leeren des Rucksacks erweist sich als voll ätzend: 'ganz einfach' wird in einschlägigen Artikeln die Migration von Windows XP auf Windows 8.x beschrieben. Richtig, es geht um den Laptop, auf dem ich Euch diese spannenden Berichte tippe und die unzähligen Fotos verwalte. Aber alles geht schief. Einen Tag hatte ich für das Upgrade vorgesehen, am Schluss werden es vier! Zunächst muss ich feststellen, dass die falsche CD geliefert wurde (64-bit anstelle der 32-bit-Version), womit ein Update nun überhaupt nicht möglich ist. So will ich wenigstens die neue, größere SSD-Festplatte einbauen. Also nur alte Festplatte klonen, einbauen, fertig. Aber auch hier mischt Mr. Murphy mit: erst raucht der Adapter der externen Festplatte ab (im wahrsten Sinne des Wortes) und nimmt noch zwei USB-Anschlüsse des Rechners mit in den Tod. Ab heute muss eben ein USB-Port genügen!
Wohlweislich hatte ich zuvor Images der alten Platte - sogar mit unterschiedlichen Programmen - erstellt. Doch bei jedem Versuch, eines davon auf die neue Platte aufzuspielen läuft Irgendetwas schief: mal ein fehlender Boot-Sektor, mal ein unlesbares Image, mal eine unplausible Partitionstabelle. Also zum x-ten Mal die Windows-CD einlegen, Betriebssystem installieren, Treiber laden, Images aufspielen und hoffen. Jedes Mal ein Aufriss von zwei bis drei Stunden! Nach dem gefühlten fünfundzwanzigsten Versuch keimt erste Hoffnung auf: der Rechner läuft hoch, alle Daten da, die meisten Treiber funktionieren. Ich bin genausoweit wie zuvor, habe allerdings 200GB mehr Speicherplatz. Kein Erfolg, auf den man stolz sein könnte!
Mit einem zweiten Rechner versuche ich derweil, Bilder (600MB) und ein paar dringende Updates aus dem weltumspannenden Netz herunterzuladen. Dank 'riesiger' Bandbreite bricht die Verbindung regelmäßig, tagsüber nach spätestens fünf Minuten, abends und nachts spätestens nach dem Runterladen von 598MB zusammen. Es ist schon arg, wie sehr man inzwischen auch auf Reisen auf das Internet angewiesen ist. Angewiesen zu sein glaubt. Doch was geht heute noch ohne? In Mexiko ist das nicht anders als in Europa oder USA, nur sind hier die Voraussetzungen einen ganzen Tick schlechter. Ich könnte mir die Haare raufen - wenn sie ein wenig länger wären!
Während ich drinnen missmutig vor mich hin installiere, passt sich draußen das Wetter meiner Stimmung an. Sonntag komme ich noch trockenen Fußes vom Abendspaziergang zurück, will am Montag ein paar Besorgungen erledigen und dann gleich nach Süden weiterrollen. Belize und Guatemala sind nicht mehr weit und rufen schon deutlich hörbar über den Urwald herüber! In der Nacht aber schüttet es wie aus Kübeln - wenigstens wird die Lady Grey dabei hübsch sauber - und morgens steht der ganze Campground unter Wasser. Was mich bei einem Meter Wattiefe nicht weiter stört ... Auf dem Weg zum Supermarkt aber kann ich drei Unfällen nur mit Not entgehen: die Straße ist wie mit Schmierseife überzogen! Bei diesen Straßenverhältnissen weiterfahren? Nein danke! Also shoppen und warten, bis der Schlamassel vorüber ist. Auch Wasser muss ich dringend bunkern. Trinkwasser. Kein Regenwasser! Da bräuchte ich nur den Trichter 'raushalten ...
Zwischen zwei schwarzen Wolken kann ich die Tanks füllen und rolle gerade noch auf meinen Stammplatz, bevor sich die nächste Himmelsschleuse öffnet. Erst Dienstagmittag lassen die Regengüsse ein wenig nach. Die Zeit vertreibe ich mir mit der weiteren Optimierung des Logbuch-Programms, das mir inzwischen viel Arbeit abnimmt. Morgen früh aber soll es auf jeden Fall weitergehen! Hier fällt mir schon seit einer Woche der Himmel auf den Kopf! Also den Campingkram zusammenpacken und die Lady startklar machen. "Wo kommt denn plötzlich all das Wasser her?" frage ich mich verblüfft: aus einer Seitenklappe schwappt es mir entgegen. Im Stauraum steht es gar fünf Zentimeter hoch! "So ein Mist!"
Noch in der Dunkelheit wird der Stauraum ausgeräumt und der Boden trockengelegt. Immer wieder rinnt neues Nass nach. Wasser das sich unter dem Anti-Rutsch-Belag gesammelt hat. Wenigstens ist die Ursache inzwischen klar: das ist kein eingesickertes Regenwasser, das ist kostbares Trinkwasser, das ich gestern für teures Geld gebunkert hatte! Was ist passiert? Nun, routinemäßig hatte ich die Wasserfilter gewechselt und zwei der großen, roten Tankdeckel geöffnet, die Dichtungen gesäubert und wieder verschlossen. Offenbar nicht fest genug, denn von einem windet sich nun ein winziges, aber stetes Rinnsal gen Boden. Laut Anzeiger fehlen inzwischen an die dreißig Liter kostbares Nass. Die sich nun am Boden wiederfinden- verteilt über den ganzen Stauraum. "Hoffentlich ist nicht zu viel in die hölzerne Bodenplatte gewandert, die sich ja gerne mal aufzieht!" Schadensbegrenzung ist angesagt: trockenwischen, so gut es geht - und auf die Sonne bauen, die am nächsten Tag hoffentlich alles trocknet! [1]
Tatsächlich hat Petrus kurzzeitig Einsehen mit uns: ein ganzer Tag Sonnenschein lässt die letzten Wasserlachen vertrocknen. Seither macht sich die heiße Scheibe am Himmel allerdings unerwartet rar.
Zumindest findet die Lady am Donnerstag tatsächlich Asphalt unter ihren Reifen. Zweihundert Kilometer davon tragen uns nach Süden. Doch das Lenkrad zieht ganz sonderbar nach links, nach Osten, zur Küste hin. Ich kann mir das gar nicht erklären . So landen wir im nächsten Touristenörtchen, in Majahual (auch Mahahual), durch Kreuzfahrtschiffe und ihre Insassen leider ein wenig in Verruf geraten. Doch die Regenzeit hat auch ihre Vorteile: die Tourimassen sind allesamt auf Urlaub: anderswo. In der Stadt sind sämtliche Bürgersteige hochgeklappt und nur eine Notbesetzung harrt der Dinge. Flugs habe ich einen ruhigen Platz am Strand erspäht, wo noch einmal zwei Tage 'Seelenbaumelei' fällig sind: Reiseführer wälzen und Routenplanung für Mittelamerika ist angesagt. Zwar gießt es nicht den ganzen Tag aus Kübeln, aber schönes Wetter schaut anders aus! So bleibt auch die geplante Tauchtour zur Banco Chichorro, einem der angesagtesten Tauchreviere weltweit eben nur geplant. Bei drei Meter Seegang und den Niederschlägen der letzten Tage hätte man sowieso nicht viel gesehen!
Zwei Tage später wiederholt sich das Spielchen mit dem ulkigen Lenkrad von Neuem. Zurück auf der Hauptstraße gen Süden geht's immerhin sechzig Kilometer vorwärts - bis wieder dieses Ziehen und Rucken im Lenkrad zu spüren ist. Welch ein Mist, dass es hier unten so viele schöne Plätzchen gibt. Eines einladender als das andere. Und alle habe ich für mich ganz allein. Diesmal verschlägt es mich auf den EcoCamp von Bacalar, direkt an der gleichnamigen Lagune. Offensichtlich kann nicht nur ich mich von der Küste nicht recht losreißen. Schon vor Jahrhunderten war Bacalar ein berüchtigtes Piratennest. Auch die Herren mit der Augenklappe wussten offenbar, wo's schön ist! Wo man angenehm (und billig) leben kann. Bis die Spanier just hier ihr winziges Fort errichteten, die Piraten sich einen anderen Unterschlupf suchten ... und die Conquistadores selbst die Reize dieser wunderschönen Region aus Hunderten von Inseln, Lagunen, Seen und unterirdischen Cenotes genießen konnten.
Am Mittwoch ist dann zumindest Abschied von Mexiko angesagt! Nach über fünf Monaten. Zwei waren allenfalls eingeplant gewesen! Aber zwei Dinge lernt man auf Reisen: 'Sich Zeit nehmen!' und 'Schön locker bleiben!' Also, was soll's!
Als ob mir die Karibikküste so etwas wie "Verlass mich nicht!" nachrufen will, knicke ich beim morgendlichen Aussteigen aus der Kabine ganz unglücklich um. Mein rechter Knöchel hat plötzlich den Umfang eines Oberschenkels und ist allenfalls noch zum Gasgeben zu gebrauchen ... mit Sicherheit nicht dafür, interessante Städte oder Mayaruinen zu erkunden, die auf der Route doch direkt vor mir liegen! So ein Mist!
Hinkenderweise bringe ich die Grenze zu Belize hinter mich, wo mir ein Ein-Monats-Visum quasi aufgezwungen wird. Zeit genug, in dem winzigen Land weiterhin die Seele baumeln zu lassen - und den Haxen zu kurieren. Die Karibikküste ist auch hier nirgends weit!
Zunächst aber rolle ich auf deutlich schmäleren, wenn auch sehr viel saubereren Straßen als in Mexiko durch den Norden des kleinen Landes. Um die 350 Tausend Menschen leben hier. Und das Völkergemisch, das ich auf den Straßen treffe, ist vielfältig: Maya natürlich als älteste und zahlenstärkste Volksgruppe. Daneben Schwarze jeder Schattierung (Nachkommen der Sklaven aus Afrika, die die Engländer auf ihre Plantagen brachten), Weiße aus vielen Teilen Europas, ja sogar solche von der Insel (Großbritannien). Daneben Kreolen von anderen Karibikinseln, am ehesten an Ihrer Lockenpracht und ihren bunten Mützen zu erkennen. Ein buntes Völkergemisch im wahrsten Sinn des Wortes, das hier - offensichtlich weitgehend friedlich - zusammenlebt. Am meisten aber fällt eine Volksgruppe auf, die fehlt: die Polizei nämlich in ihren schwarzen Uniformen, ihren rot-blauen Blinklichtern und den MG's auf ihren Pickups. In Mexiko waren sie aus dem Straßenbild nicht wegzudenken!
Die paar Kilometer bis Belice City sind bald geschafft und - dem Haxen sei Dank - muss der Stadtspaziergang einer Stadtrundfahrt weichen. Mit der Lady natürlich, obwohl sie für die schmalen, von Fußgängern, Radfahrern, Pickups und Mopeds überfüllten Straßen das denkbar ungeeignetste Fahrzeug ist. Prompt übersehe ich eines der wichtigsten Verkehrszeichen: Gewichtsbeschränkung für die einzige Brücke weit und breit: 5000 lbs, knappe zwei Tonnen. Kaum rolle ich ansatzweise Richtung Brücke, ertönt ringsum ein Pfeifkonzert, das dem Konzert der Fans beim Abstieg der Stuttgarter Kickers um nichts nachsteht. War erst kein einziger Polizist zu sehen, bin ich nun regelrecht von ihnen umzingelt. Fragende Gesichter reihum. Ob ich das Schild nicht gesehen habe? Welches Schild? Dort an der Ecke! Tatsächlich steht dort ein winziges Schildlein, kaum größer als ein halber Aktendeckel. Im Wust der bunten Werbeschilder und meterhohen Reklametafeln beim besten Willen nicht zu erkennen!
Ein Schulterzucken, ein "So sorry" meinerseits und ein Lächeln der Bobbies lösen das Problem.
Die Gesetzeshüter räumen - so schnell kann ich gar nicht schauen - die Straße hinter mir, ich kann zurücksetzen und in eine andere, wieder ausgesprochen schmale Gasse abbiegen. Der Bobby auf dem Moped setzt sich freudestrahlend vor mich, räumt die Straße vor mir leer und weist den Weg nach Belmopan. Wo ich tatsächlich hinwill - allerdings erst am nächsten Morgen. Zum Abschied wünscht er mir gute Fahrt und "See you soon!". Hoffentlich nicht!
Kaum ist er aus dem Rückspiegel verschwunden, mache ich kehrt und suche mir einen ruhigen Platz am Wasser. Fast schon im Wasser. Gerade noch rechtzeitig! Kaum habe ich nämlich die müden Beine hochgelegt, bricht ein tropisches Gewitter los, das sich die nächsten Stunden direkt über uns austobt. Blendende Blitze zucken durch die Nacht, dumpfer Donner lässt mich zusammenzucken. Kübelweise fällt der Regen auf die pitschnasse Lady Grey. Die Fenster kann ich gerade mal einen winzigen Spalt öffnen - sonst regnet es rein - und bald schmore ich drinnen bei 35°C und 100% Luftfeuchte. Könnt ihr in der finnischen Sauna eigentlich an Schlaf denken?
Irgendwie geht die Nacht doch vorbei. Ich weiß nicht einmal, wann der Regen aufgehört hat. Nach den Seen um mich herum zu urteilen, muss noch gewaltig was vom Himmel gekommen sein! Fast habe ich den Eindruck, der Wasserspiegel des Meers ist ein paar Zentimeter gestiegen. Kann aber irgendwie nicht sein, oder? Im Vergleich zum letzten wirklichen Unwetter im September 2014 (vor acht Monaten) muss das heute Nacht allenfalls ein zartes Getröpfel gewesen sein. Überall im Stadtbild von Belice City sieht man beschädigte Häuser, baufällige Villen, weggespülte Brücken und Stege, an Land geworfene Jachten und umgestürzte Palmen - Bäume, die so leicht nichts umhaut! Daneben weisen Schilder 'Evacuation Route' den Weg zu höher gelegenem, hoffentlich trockenem Boden. So verlockend bei schönem Wetter die Lage der Stadt auf einer an allen Seiten vom tiefgrünen Meer umspülten Halbinsel auch sein mag, während der Hurricane-Saison hat sie definitiv ihre Nachteile! Von September bis Dezember sollte man Haus und Jacht besser anderswo parken!
In Belmopan beispielsweise. Der Hauptstadt von Belize. Richtig, Belize City ist zwar die größte und bekannteste Stadt des Landes, aber die neue Hauptstadt heißt seit ein paar Jahren Belmopan. Just, weil Belize City eben sehr exponiert liegt und von jedem besseren Sturm beschädigt wird, zog die Regierung fünfzig Kilometer ins Landesinnere. Dort steppt auch landschaftlich eher der Bär als im brettebenen Umland von Belize City, das allenfalls ein paar ausgedehnte Mangrovensümpfe zu bieten hat.
Ja, der Weg von Belice City zur Grenze nach Guatemala hat es schon in sich! Auf unserem Weg kreuz und quer über die Halbinsel Yucatán und den Norden von Belize zeigte der Höhenmesser allenfalls mal zwanzig Meter über dem Meer. Die Gipfel der Maya-Pyramiden mal nicht mitgerechnet. Westlich von Belmopan aber, auf dem Weg ins südliche Belize klettert er rasant auf über zweihundert Meter. Hügel, gar richtige Berge! Welch eine Abwechslung! Auf einmal hat das Land eine ganze Dimension mehr! Mit einem Schlag macht die Fahrerei doppelt Spaß: Drehen am Lenkrad, Kuppeln, Schalten, Gas geben. Fast schon verlernte Tätigkeiten!
Von der Grenze Belize/Guatemala ist es nur ein Katzensprung bis in die Hauptstadt. Nicht nach Guatemala City (dorthin sind es noch sechshundert Kilometer), sondern nach Tikal, der Hauptstadt des Maya-Reiches. Eine der Hauptstädte muss man korrekterweise sagen, denn die Maya hatten ja ziemlich viele Hauptstädte. Je nachdem, welcher der zahlreichen Clans gerade das Sagen hatte, wurde mal Chichén Itzá, mal Mayapán, mal Tikal als Hauptstadt betrachtet und als Residenz des Königs und der Hohen Priester weiter und prächtiger ausgebaut.
Rein nach der Anzahl der Ruinen stellt Tikal jedenfalls alles bislang Gesehene in den Schatten. Reste von dreitausend (!) Bauwerken fanden die Forscher verstreut auf einer Fläche von sechzehn Quadratkilometern. Dabei ist das nur der Bereich der Inneren Pyramiden. Von den 151 Stelen - hochkant gestellten Steinen, die man hier in großer Anzahl findet - tragen zweiunddreißig hieroglyphische Inschriften. Von denen heute leider kaum noch etwas zu entziffern ist - trotz Palmdächern, die die wertvollen Artefakte vor den Unbilden der Witterung und kritzelfreudigen Touristen schützen sollen.
Auch zu den großen Pyramiden von Tikal kann man von den restlichen Mayastätten nur ehrfürchtig emporschauen. Der höchste (Tempel No.4) misst stattliche fünfundsechzig Meter bis zum Dach seines obersten Heiligtums. Der Tempel des großen Jaguars (No.1) bringt es immer noch auf stolze siebenundvierzig Meter. Was Bauvolumen, Kunstfertigkeit und Ausgestaltung der Tempel angeht, kann man Tikal durchaus auf eine Stufe mit Teotihuacán stellen, das zur Blütezeit der Hochlandkultur die dortige Hauptstadt stellte.
Mit ihren steil aufragenden Tempelpyramiden ist Tikal die wohl monumentalste Stätte der gesamten Mayawelt. Durch die Jahrhunderte, die Tikal inmitten des Dschungels Dornröschenschlaf hielt (es wurde erst 1840 entdeckt und 1950 begannen die groß angelegten Ausgrabungen), hat sie viel von Ihrer einstigen Pracht eingebüßt. Hier braucht der Besucher etwas mehr Fantasie als beispielweise in Palenque, um sich ein Bild der imposanten Bauwerke, seiner reich verzierten Architektur und seiner früheren Pracht zu machen. Vielleicht gerade deshalb ist Tikal einen Besuch wert!
Die ersten Menschen ließen sich hier zwischen 800BC und 600BC nieder. Schon in der Frühzeit der klassischen Periode (um 250AD) gewann Tikal Macht und Einfluss. Seine strategische Lage auf einem Hügelrücken und die Möglichkeit, sie auch auf dem Wasserweg zu erreichen trugen sicher dazu bei. Seine Blütezeit erlebte das größte Zeremonialzentrum der Maya dann - wie ihre kleineren Nachbarstädte auch - zwischen 600AD und 900AD. Bevor es innerhalb kürzester Zeit sang- und klanglos unterging.
Im Unterschied zu den Mayastätten in Mexiko tragen Tempel und Pyramiden hier kaum sprechende Namen. Vom Tempel der großen Jaguars (Tempel No.1) mal abgesehen. Auch die Texte der Infotafeln beschränken sich ganz sachlich auf die 'Technischen Daten', während in Mexiko häufig etwas zur (mutmaßlichen) kulturellen Bedeutung geschrieben steht. So tragen die Tempel-/Pyramidenkomplexe hier so einfallsreiche Namen wie 'Komplex B', 'Komplex R', 'Tempel No.4' und ähnliches.
Einer der zentralen Plätze ist der Plaza Mayor, um den sich drei der höchsten Pyramiden (No. 1, 2 und 3) sowie eine nördliche und eine südliche Akropolis gruppieren. Das direkte Gegenüber der Tempel No.1 und 2, die Ausrichtung Angesicht zu Angesicht von zwei bedeutenden Tempeln/Pyramiden findet sich ausschließlich in Tikal, hier allerdings gleich sieben Mal. War das etwas, das sich nur die Baumeister in einer Hauptstadt leisten konnten?
Die Gebäude der Zentral-Akropolis unterscheiden sich merklich von den Tempeln und Pyramiden ringsum. Oft werden sie als 'Paläste' bezeichnet: hier residierte der König mit seiner Familie und anderen Adeligen. Die rechtwinkligen, oft mehrstöckigen Gebäude sind durch verwinkelte Gänge, Treppen und Patios untereinander verbunden. Auch hatten Königs direkt neben ihren Palästen direkten Zugang zu Wasser, offenbar ein Privileg, das nicht jedem zustand.
Der erste große Zeremonienplatz Tikals, der Mundo Perdido stammt aus der Zeit zwischen 200BC und 100BC und ist damit viele Jahrhunderte älter als die imposanten Pyramiden, die wir heute bestaunen. Das Zentrum der verlorenen Welt bildet die Große Pyramide, zu deren Spitze - recht ungewöhnlich - Treppen an allen vier Seiten hinaufführen. Sie soll den Maya als erste große Sternwarte gedient haben.
Beim Umherspazieren auf den schattigen Wegen, die durch den gelichteten Urwald führen, erblickt man ganz überraschend den Tempel No.5. Wie von Geisterhand dorthin gezaubert erhebt er sich zwischen den grünen Urwaldriesen. Er ist die bisher letzte der restaurierten Tempelpyramiden - und mit 57 Metern Höhe einer der eindrucksvollsten - trotz zahlreicher Sünden, die bei seiner Restauration begangen wurden. Erwähnenswert auch, dass er nicht wie die Mehrzahl der anderen Tempel auf den Resten älterer Gebäude errichtet wurde: er soll in einem Aufwasch hochgezogen worden sein - ein Meisterwerk an Ingenieursleistung und Logistik. Erinnern wir uns, dass die Maya weder Rad noch Pferde kannten!
Alles in allem wird Tikal durchaus dem Ruf gerecht, der ihm vorauseilt: Hauptstadt der großen Mayakultur zu sein. Nach dem Dutzend Mayastätten, die ich vorher schon besuchen konnte, ist klar: dies hier war ihre Hauptstadt. Von der Ornamentik her, von den kunstvoll verzierten Friesen her, von den gefundenen Grabbeigaben her, von der Aufmachung für Touristen her, liegt Tikal zwar nicht an vorderster Stelle (Chichén Itzá und Palénque laufen ihm da locker den Rang ab), aber die Größe, die Anzahl und die Ansammlung so vieler Bauwerke auf so engem Raum lassen keinen Zweifel aufkommen: Tikal war und bleibt die größte!
Von der Hauptstadt aus führt die recht gute Straße nach Süden durch den scheinbar undurchdringlichen Urwald des gleichnamigen Nationalparks (incl. 15EUR Eintrittsgebühr). Dann am malerisch gelegenen Petén-Itzá-See entlang nach Westen in die heutige Provinzhauptstadt Flores. Das Städtchen - benannt nach Cirio Flores, einem frühen Vizepräsident Guatemalas - liegt malerisch auf einer winzigen Insel, die den Maya schon seit Urzeiten als heiliger Platz gilt. In einer halben Stunde kann man das Inselchen bequem umrunden. Dabei wandert der Blick zu einem Dutzend weiterer, kleiner und größerer Eilande, die ebenfalls seit Urzeiten von Maya besiedelt waren und heute schmucke Hostals oder Museen tragen. Ein Eldorado für Rucksack- und andere Touristen, die die Ruhe suchen.
Die Finca Ixobel (www.fincaixobel.com) vor den Toren von Poptún wird in Travellerkreisen als der Tipp schlechthin gehandelt. Ein netter und sauberer Campingplatz (wahlweise auch urige Hütten oder Bungalows mit 3-Sterne Komfort), leckeres Essen und zahlreiche Ausflugsmöglichkeiten in die malerische Karstlandschaft, zu Höhlen, Wasserfällen und idyllischen Maya-Dörfern locken nicht nur Reisende, sondern an den Wochenenden auch viele Einheimische hierher. Dazu bildet sie mit ihrer Lage auf vierhundert Metern über dem Meer eine erfrischend kühle Klimainsel im sonst tropisch heißen und feuchten Petén, dem riesigen Flachland, das den gesamten Norden Guatemalas einnimmt. Dort, wo jeder Anflug von Schaffensdurst von Schweißperlen ertränkt wird.
Keine Frage: hier will ich ein paar Tage bleiben! Schon, um bei den heftigen Regengüssen nicht dauernd fahren zu müssen. Noch nicht ganz angekommen, öffnen sich - wieder einmal - die Himmelspforten, dass man keine zwanzig Meter weit schauen kann. In einer halben Stunde fällt so viel Regen wie in Bayern in einem verregneten August. Ringsum nur tropisches Grün, Epiphyten, exotische Pflanzen, undurchdringliches Buschwerk, ein paar endemische Pinien: all das will natürlich gegossen werden!
Die einladenden, sattgrünen Wiesen des Camps der Finca bekommen auch Ihr Scherflein Regen ab ... und verwandeln sich in einladende, sattgrüne ... Schlammflächen ... Ihr wisst, was jetzt kommt ...
Die Reifen der Lady Grey sind für Schlamm das denkbar schlechteste Schuhwerk. Im Nu sind die schmalen Rillen versetzt und die Traktion sinkt gewaltig. Auf Null, um genau zu sein. Keinen Millimeter rührt sich die werte Dame. Nicht vorwärts, nicht rückwärts. Die Versuche mit dem 5-Tonnen-Greifzug scheitern genauso kläglich wie das Unterlegen von Sandblechen oder Steinen vom nahen Sträßlein. Das einzige, was wirklich helfen könnte - Schnee- beziehungsweise Schlammketten - sind natürlich nicht an Bord. Nach drei Stunden sieht nicht nur die Lady, sondern auch ich selber aus wie das sprichwörtliche Schwein, das sich im Schlamm suhlt. Der nächste, nicht minder heftige Regenguss verbessert die Situation nur unwesentlich.
Am nächsten Morgen lässt die Wasserzufuhr von oben nach, die Lady steht inzwischen inmitten eines stattlichen kleinen Sees. Ich gebe mich geschlagen. Manchmal muss man eben auch seine Grenzen kennen! Die Eigentümer der Finca haben natürlich einen Traktor. Betagt, aber einsatzbereit. Horche, der Fahrer ist schnell ausfindig gemacht und am Nachmittag zieht er die Lady mit einem einzigen, kurzen Ruck aus ihrem Schlammloch. Gut, der See war inzwischen abgelaufen und die mittäglichen Sonnenstrahlen hatten die Wiese wieder in etwas verwandelt, was man auch so bezeichnen konnte.
Große Erleichterung: nach fünfzig Metern hat die Lady wieder sicheres, steiniges Terrain unter den Latschen. Zwei Stunden später sind auch Sandbleche, Schaufeln und andere Erdbewegungsgeräte vom Schlamm befreit und verstaut. Der Blick auf das Schlachtfeld allerdings ist ernüchternd. Knöcheltiefe, schwarze, morastige Spuren ziehen sich durch die vormals grüne Wiese, das Wasser darin steht zentimeterhoch. Der Anblick gibt dem Namen 'Schlammschlacht' eine völlig neue Note! Natürlich beichte ich das Malheur den Eigentümern. Carol und Petra nehmen es gelassen, meinen nur "Das Gras wird schon nachwachsen" und "Vielleicht sind deine Spuren den anderen Leuten eine Lehre ..." Der Hamburgeso con Queso nach getaner Arbeit schmeckt doppelt gut ... und die extragroße Piñacolada lässt die Schweißperlen schnell vergessen. Es wird noch ein netter Abend mit den beiden Damen, die viel zu erzählen haben ...
Ich hoffe nur, dass damit die Murphy-Tage endlich mal ein Ende haben ...
Die große Ost-West-Verkehrsachse des Landes, die Guatemala City mit dem Hafen Puerto Barrios an der Karibikküste verbindet, führt durch das wenig abwechslungsreiche Flusstal des Rio Montagua. Der Verkehr ist kolonnenträchtig (vor allem LKW), die Straße zwar geteert, aber wellig und mit Schlaglöchern gespickt. Höchste Zeit daher für einen kleinen Abstecher.
Nach Quiriguá. Die dritte Maya-Stätte in Guatemala unter UNESCO-Schutz kann zwar nicht mit riesigen Pyramiden oder Tempeln punkten. Dafür mit bildschönen und ausgesprochen gut erhaltenen Stelen. Steinblöcke, reich verziert mit Darstellungen von Gottkönigen und Herrschern. Der höchste Steinbrocken misst satte 10,60 Meter in der Höhe und bringt fünfundsechzig Tonnen auf die Waage.
Erst um 426 AD gegründet, war Quiriguá zunächst ein Handelsposten und Satellitenstadt des größeren und mächtigeren Cobán (heute Honduras). Um 738AD hatten die Quiriguáner wohl genug von ihrer Zweitklassigkeit und lehrten die Herren aus Cobán das Fürchten: ein König namens K'ak'Tiliw Chan Yoaat hatte da wohl seine Hände im Spiel. Jedenfalls mauserte sich Quiriguá zu einem Ruhmesplatz, in dem sich jeder Maya-König, der auf sich hielt eine Statue aufstellen ließ, die ihn und seine Ruhmestaten lobpreisten. Eine Walhalla der Tropen. Der bedeutendste Handelsplatz im südlichen Maya-Reich blieb Quiriguá weiterhin. Bis es um 810AD das Schicksal der restlichen Mayastätten teilte ... nämlich sang- und klanglos von der Bildfläche verschwand.
An die fünfzehn Stelen und Zoomorphen kann man heute auf dem weiträumigen Platz (300m x 150m) bewundern. Alle hübsch geschützt vor Sonne und tropischen Regengüssen durch landestypische Palmdächer. Eine Stele reicher verziert als die andere. Dank der vielen Glyphen können die Stelen nicht nur auf den Tag genau datiert werden - meist ist der Tag der Aufstellung eingemeißelt - mit ihrer Hilfe können auch die dargestellten Herrscher und Gottkönige beim Namen benannt werden. Ein unschätzbares Nachschlagewerk für die Historiker.
Von den Maya-Händlern in Quiriguá vermutlich noch nicht feilgeboten, heute aber die wichtigste Einnahmequelle dieser Provinz sind: Bananen. Auf endlos scheinenden Plantagen wird die krumme und süße Frucht angebaut, geerntet wird das ganze Jahr über. Von wegen süß! Wenn die Stauden von den Heerscharen der Pflücker geerntet und mit einer eigens installierten Seilbahn zum Waschen und Abtransport gebracht werden sind sie grün, bitter und steinhart. Jedenfalls keine Chiquita! Zu essbaren Bananen werden sie erst Wochen später, wenn sie in den Lagerschuppen der United Fruit Company in den USA oder ihren Partnern in Europa und anderswo nachreifen, bevor sie just in time und mit wenig mehr Geschmack als beim Pflücken im Supermarktregal landen.
Bananen, die man hier alle hundert Meter am Straßenrand erstehen kann, sind nicht nur billiger als bei ALDI, Edeka und Co. Sondern auch richtig gelb. Und schmecken! Lecker. Süß. Voller Vitamine. Wie richtige Bananen eben. Nicht wie Chiquita!
In den Bergen der Chutumatanes
"Wenn es schon im Flachland des Petén tagein tagaus wie aus Kübeln regnet, wie soll das erst im Wolkenstau der Berge werden?" frage ich mich ein ums andere Mal. Die Provinz Verapaz soll sogar '13 Monate pro Jahr' vom Regen verwöhnt werden, verspricht der Reiseführer. Doch was passiert, wenn Engel reisen? Klar, die Sonne lacht vom blauen Himmel!
Nicht direkt blauer Himmel wölbt sich über uns, eher heimatlicher weiß-blauer, manchmal auch schwarz-blauer. Aber kein Tropfen Regen! Die Fahrt aus dem breiten Tal des Rio Montagua in die Berge der Sierra des las Minas und die Sierre de las Chuchumatanes wird zu einem echten Erlebnis. Links und rechts der kurvigen, gut ausgebauten Straße geht's wahlweise fünfhundert Meter hinauf oder hinunter. Die Ausblicke sind grandios. Nach jedem kleinen Pass tut sich ein neues Tal mit grünen Feldern, Wiesen und Wäldern auf. Die Landschaft ist zerklüftet, den ganzen Tag geht's kaum mal Hundert Meter eben dahin. Der Höhenmesser klettert auf satte zweitausend Meter. Hinauf auf einen namenlosen Pass, hinunter ins nächste Tal. Bergauf, bergab. Danach das Spielchen von vorn.
Die Bergkette der Chuchumatanes zieht sich als Parallelgebirge zur vulkanisch geprägten Sierra Madre von Nordwesten nach Südosten durchs Land. Sie ist eines der ältesten Gebirge des Kontinents und bildet so etwas wie das Rückgrat Mittelamerikas. Abgesehen von den Vulkanen ragen hier die höchsten Gipfel Mittelamerikas (bis 3800m) in den Himmel.
Ein neuer Pass, ein neues Tal. In jedem wird ein anderer Dialekt gesprochen (weiß der Führer) und die Röcke und Huilpas der Maya-Frauen leuchten in neuen Farbkombinationen (sieht man in den winzigen Dörfern). Allenthalben aber blickt man in die hübschen, wenn auch etwas zurückhaltenden Gesichter der Indigenas. Hispanische Ladinos oder gar Weiße sind hier oben Fehlanzeige. Genauso wie Touristen. Itzamná sei Dank! Im achtzehnten Jahrhundert sollen sich dagegen zahlreiche deutsche Familien hier niedergelassen haben: angeblich fühlten sie sich in den Bergen der Provinzen des Verapaz wie zu Hause. Zu sehen ist davon wenig - zumindest in den Bergen.
Dort ist die Landwirtschaft noch ausschließlich Handarbeit. Kein Unimog, kein Trecker helfen bei der Feldarbeit. Allenfalls eine magere Mähre oder ein Buckelrind, das den hölzernen Pflug zieht. Zu klein sind die Felder, zu steil sind die Hänge. Das meiste ist reine Handarbeit mit der typischen, abgewinkelten Schaufel. Bis auf über dreitausend Meter Höhe erstrecken sich die kleinen, steilen Parzellen, auf denen die Bauern dem steinigen Boden eine karge Ernte abringen. Hauptsächlich Kartoffeln und Mais, das Hauptnahrungsmittel - davon gibt's 115 Sorten. Unten im Tal wird jeder Quadratmeter des fruchtbaren Bodens genutzt: Mais und Bananen, Kohl und Tomaten, (angeblich die besten des ganzen Landes), Zwiebeln und Knoblauch. Mehr gibt das Klima nicht her. Aber auch hier große Unterschiede zwischen benachbarten Tälern! Für Kaffee (eines der Hauptexportgüter des Landes) ist es wohl zu trocken.
Erwähnenswert sind die Schulen. Jedes größere Dorf hat zumindest eine Art Grundschule. Dort steht allerdings kein Lehrer an der Tafel, sondern ein Fernseher an der Wand. TV-Escuela heißt das Zauberwort, wobei der Erfolg in meinen Augen eher zweifelhaft ist. Die hiesigen Kinder werden wohl auch in der nächsten und übernächsten Generation kaum Chancengleichheit genießen. Wenn die denn überhaupt gewünscht wäre - gerade für Indigenas, obwohl sie über neunzig Prozent der Bevölkerung stellen. Die Provinz besitzt die höchste Analphabetenrate des Landes. Ähnlich finster sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus. Einen einzigen Pueste de Salud habe ich entdeckt: eine winziges Gebäude mit zwei Zimmern und fünf Stühlen an der Straße! Statistisch teilen sich hier 15.000 Menschen einen Arzt!
Farbe in den Alltag der Hochlandbauern, Farbe an ihre lehmbraunen Adobe-Hütten und Farbe an den Straßenrand bringen ... die politischen Parteien. Oft leuchten ganze Dörfer im einheitlichem Farbton: vorneweg das Büro des Bürgermeisters, die Hütten der Bauern, die Schule, Straßenlaternen, Strommasten, Telefonmasten, Leitplanken, Rinnsteine: alles mit viel bunter Farbe bepinselt - Ton in Ton. Natürlich mit dem Logo der Partei mittendrauf. Mal im leuchtenden Rot der LIDER-Partei, mal im hellen Grün der UNE, mal im neumodischen Violett der TODOS. Gerade die bunten Rinnsteine begleiten die Straße auf viele Hundert Kilometer. Die könnten schon fast als Kunst durchgehen!
Die Gründe, warum viele Bauern so eifrig Wahlwerbung an Ihrer Hauswand betreiben, dürften - im wahrsten Sinn des Wortes - auf der Hand liegen ...
Gut, im Herbst ist hier Präsidentenwahl, da will sich jede Gruppierung im besten Licht darstellen. Ist ja in Europa nicht anders. Dort allerdings finden die bunten Plakate mit den großen Köpfen als Anschürpapier eine sinnvolle Wiederverwendung. Die bemalten Fassaden, Strommasten und Rinnsteine hier bleiben aber über Jahrzehnte erhalten. Vielleicht überleben sie ja sogar manche Partei ... sicherlich aber jeden der Kandidaten! Und schließlich kann man nach der Stimmauszählung seinen Nachbarn trefflich necken, wenn er die 'falsche' Farbe an seiner Wand hat ...
Die Mayaruinen von Zacaleu landen in der Rangliste der gesehenen Mayastätten mit Abstand auf dem letzten Platz. Von zehn möglichen Punkten gibt's maximal minus zwei! Selbst das winzige Muyil südlich von Tulum konnte mehr Punkte einheimsen. Warum? Die Anzahl der ausgegrabenen Bauwerke kann sich zwar durchaus sehen lassen, aber die Restaurierung versetzte jeglichem Zauber der alten Bauten den Todesstoß! Beton, wohin man blickt: Fassaden, Decksteine, Treppen, Altäre, alles verschwindet im gleichen Betongrau. Wie zum Ausgleich darf man auf alle Bauten hinaufsteigen - viel kann der Besucher ja nicht mehr kaputtmachen! Einen Eindruck von den alten Palästen und Tempeln (sie stammen durchweg aus dem dritten Jahrhundert) bekommt man aber nicht! Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Restaurierung (1946 bis 1950) von der US-amerikanischen Bananenfirma United Fruit Company durchgeführt wurde (angeblich, um ihren Ruf als Ausbeuter in Mittelamerika aufzupolieren).
Welch Wunder, dass der Park inzwischen zum Ausflugsziel der Einheimischen mutiert, die zwischen dem alten Gemäuer ihre Picknickdecken ausbreiten, Fußball spielen oder die Betonhaufen als Hintergrund für Familienfotos nutzen. Allerdings gibt's auch ein gutes Dutzend Ruinen, die noch unter der Grasnarbe schlummern, denen man noch nicht mit Presslufthammer und Betonmaschine zu Leibe gerückt ist. Vielleicht findet sich ja irgendwann mal ein Budget, um diese dann 'fachgerecht' zu rekonstruieren. Es wäre zu wünschen ...
Der Weg zu den Ruinen allerdings ist Herausforderung pur. Keinen Steinwurf liegen sie von den Stadttoren Huehuetenengos mit seinen 100.000 Einwohnern entfernt. Die winzige Straße - noch aus den Zeiten der spanischen Conquistadores - führt mitten durchs Herz der Stadt, quer über den Parque Central. Wie in jedem Dorf ist sie gleichzeitig Verkehrsweg, Bazar, Warenlager, Marktplatz und Zubringer zum Busparkplatz. Donnerstag ist obendrein Markttag und in der ganzen Stadt bieten die Indigenas aus den umliegenden Bergen ihre Waren feil! Gut, dass die Fußgänger nur zu gut wissen, dass sie von Fahrern motorisierter, zwei-, drei- oder vierrädriger Gefährte keinerlei Pardon zu erwarten haben ...
Kurz hinter Huehuetenango finde ich schließlich meinen Faden wieder. Den roten. Eine der Traumstraßen dieser Welt, die Panamericana sollte mich ja von Alaska nach Feuerland führen. Tatsächlich gefolgt bin ich ihr bislang allenfalls ein paar Dutzend Kilometer. Zu verlockend waren die Dinge links und rechts, die Sehenswürdigkeiten abseits dieser großen Nord-Süd-Route. Nun aber wird sie selber zur Attraktion. Als CA-1 windet sie sich von der mexikanischen Grenze malerisch und aussichtsreich auf die Pässe des Hochlands Guatemalas hinauf, durch die Hauptstadt Guatemala City und weiter nach San Christobal an der Grenze zu El Salvador. Über weite Strecken verläuft sie auf oberhalb zweitausend Metern, einzelne Pässe knacken die 3000-Meter-Marke. Oben ist es nicht nur abwechslungsreich, aussichtsreich und kurvig, sondern auch angenehm kühl. Nach dem tropischen Petén schon fast frühwinterliche Temperaturen! Trotzdem zählt gerade das Hochland zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Mittelamerikas! Entsprechend dicht ist der Verkehr. Gut, dass die Route streckenweise vierspurig ausgebaut ist - auch wenn die guatemaltekischen Fahrer wenig Hemmungen beim Überholen kennen.
Nach einem netten Wochenende in den Wäldern eines Naturschutzgebiets (Corazón del Bosque) an dem ich auch Zeuge einer großen Geburtstagsfeier werden darf (Maria Alexandra wird fünfzehn), gehts am Montag früh herunter an den Lago de Atitlán, den andere Traveller schon in den höchsten Tönen gepriesen haben. Und tatsächlich ist er ein echtes Juwel inmitten dieser mächtigen Vulkane.
In der Kühle und Schönheit dieser Berge - so habe ich mir vorgenommen - sollte ich auch noch ein wenig Spanisch büffeln!