Juli Beach (Titicacasee, Peru) (GPS: 16°12,148'S; 069°27,845'W)
Die Sonne sticht vom azurblauen Himmel. Kein Wölkchen weit und breit. Innerhalb einer Stunde klettert das Quecksilber vom Gefrierpunkt auf zwanzig, zweiundzwanzig Grad. Die Solarpanele liefern Strom wie nie, die Batterien sind rappelvoll. Sonnenschutz ist angesagt, Faktor dreißig Minimum. Nach einer halben Stunde ist auch der überfordert! Hilft nur noch der Hut! Die Kinder tragen hier alle einen. Ob zwei Monate oder zwanzig Jahre. Die Damen auch, zur Tracht passend eher klein und chic. Kein wirklicher Schutz vor den sengenden Strahlen.
Im glitzernden Wasser dümpelt ein Dutzend bunter Fischerboote. Mutige zücken die Badehose und gehen eine Runde schwimmen. Weniger Mutige krempeln zumindest die Hosenbeine hoch. Und die Eifrigen putzen im kristallklaren Wasser ihren fahrbaren Untersatz. Egal ob Moped, Auto oder Brummi. Sonntagsidylle am Strand von Juli am Titicacasee.
Gerade rechtzeitig hatte Petrus ein Einsehen. Mit den Badegästen - und mit mir. Oder hat er einfach nur auf den Kalender geschaut? Mit Schrecken festgestellt, dass die Regenzeit im Süden Perus eigentlich schon seit zwei Wochen vorbei sein sollte? Dabei regnete es nach wie vor jeden Tag, mal nur eine Stunde am Nachmittag, manchmal auch den lieben langen Tag. Doch am Donnerstag ist Schluss damit. Mittwochabend noch ein kurzer Schauer, dann eine sternklare, kalte Nacht und seither kein Tropfen Regen mehr. Dafür Sonne satt von früh bis spät - und Kälte satt für den Rest des Tages! Kein Wunder, sind wir zwar auf 16 Grad Süd (äquivalent dem Breitengrad der Karibik oder der Zentralsahara), aber auf 3800m Seehöhe, mitten auf dem Altiplano, der riesigen Hochebene, die den Süden Perus und den Westen Boliviens beherrscht. Mittendrin der Titicacasee, angeblich der höchst gelegene schiffbare See der Welt.
Während draußen gewaschen, gebadet und gefaulenzt wird, schweifen meine Gedanken zurück, weit nach Norden. An einen anderen Strand. Wo es noch deutlich wärmer ist. Aber auch dort ist das Wetter eines der Hauptthemen.
Wetterkapriolen El Niño [PER] Ein Dutzend leichter Regenspritzer am Fenster. Der Wind weht - etwas ungewöhnlich - vom Land her und beim täglichen Brandungsbad sind die Brecher höher als sonst. Nicht weit von hier aber sind Dutzende Tote und Hunderte Verletzte zu beklagen!
Während ich gemütlich am Strand von Medio Mundo stehe, toben nicht weit entfernt schwere Unwetter. In Equador sterben bei Loja (vor sechs Wochen war ich noch dort) 25 Menschen bei sintflutartigen Regenfällen und Überschwemmungen. In Chosica, einem Vorort Limas (gerade mal 100km von hier entfernt!) verwüstet ein Erdrutsch die halbe Stadt, Straßen und Brücken werden weggerissen, Dutzende von Autos und Brummis einfach weggespült. Sogar in der extrem trockenen Wüstenregion der Atacama im Norden Chiles gehen die schlimmsten Regenfälle seit 80 Jahren nieder. Zehn Menschen sterben dort bei Überschwemmungen, 25 sind vermisst, Tausende müssen evakuiert werden. In der Region wird der Notstand ausgerufen. Der Papst betet für die gebeutelten Menschen.
Das alles erfahre ich erst Tage später, als ich in Lima Zugang zum World Wide Web habe. Derweil sind die paar Regenspritzer eher ein Kuriosum. Der Wind dreht wieder auf Süd und die gewaltigen Brecher sind Vergangenheit. Keinen halben Tag dauert das ungewöhnliche Schauspiel.
Die Meteorologen schieben die Wetterkapriolen auf das Phänomen El Niño, das in regelmäßigen Abständen (zirka alle vier Jahre) die Meeresströmungen im Pazifik umkehrt und sämtliche Wetterregeln auf den Kopf stellt. Die südamerikanische Küste ist von den Kapriolen immer besonders schwer betroffen.
Wetterkapriolen der Tour [---] In mein persönliches Puzzle hingegen fügt sich ein weiterer Stein der 'Extremwettererfahrungen', die mich - ganz offensichtlich - auf dieser Tour begleiten. Auch wenn ich es diesmal nicht hautnah miterleben muss.
- Jahrhunderthochwasser an Donau, Elbe und ganz Ostdeutschland
(1 Woche vor der Abreise); - Ungewöhnliche Höchsttemperaturen (bis 38°C) bei meinen ersten Tagen in Ost- und Norddeutschland;
- Extrem lang anhaltender Winter im Osten Canadas (Nova Scotia und Quebec)
(Schneeverwehungen und tiefe Temperaturen); - Hartnäckige Regenfälle in Alaska und dem nördlichen British Columbia
(laut Wetterbericht ein "ungewöhnlich stationäres Tiefdruckgebiet"); - Ungewöhnlich früher Wintereinbruch im Yellowstone Nationalpark
(Schnee und Tiefsttemperaturen); - Selbst für die Regenzeit außergewöhnlich starke Regenfälle in Guatemala, Honduras und Panama;
- Starkregen und Überschwemmungen im Süden Ecuadors, im Westen Perus und im Norden Chiles (Atacama Wüste)
Sind das die nicht mehr zu übersehenden Auswirkungen der Klimaänderung? Die Pariser Klimakonferenz hat zwar endlich - mit Jahrzehnten Verspätung - zu einer konkreten Vereinbarung geführt. Fraglich bleibt, ob alle Länder die Vereinbarungen tatsächlich umsetzen. Ich vermute eher, dass die Wetterkapriolen in den nächsten Jahren eher zunehmen, ja sich noch verstärken. Nicht zuletzt infolge der äußerst langen 'Totzeit', die das Klima braucht, um die Veränderungen in der Atmosphäre 'auszuregeln'! Ich hoffe jedenfalls, dass unsere Kinder und Enkel nicht jeden Tag mit solchen Wetterextremen konfrontiert werden! Dass wir alle ihnen eine lebenswerte Erde hinterlassen!
Genug der politischen und philosophischen Betrachtungen! Die Hauptstadt wartet!
Nahkampf auf engstem Raum: Limas Verkehr
"Ich freue mich immer schon auf Lima. Da kremple ich die Ärmel hoch und stelle mir vor, ich stehe im Boxring! Da gibt's auch kein Pardon! Genau wie hier!" So schildert mir Bruno seine Einstellung zum Straßenverkehr in der achteinhalb-Millionen-Metropole. Bogotá ist was für Anfänger! Lima ist die wahre Herausforderung!" Bruno, den ich auf der Ausfahrt des Backpackers Hostal treffe, ist auf dem Weg nach Brasilien und ein echter Lima-Kenner! Seinem betagten Toyota sieht man an, dass er nicht nur austeilt, sondern auch einstecken muss! Der Lady Grey will ich so etwas nicht zumuten. Doch die Limeños, allen voran die Bus-, Minibus- und Taxifahrer haben Respekt vor der 'fetten, grauen Dame'. Nicht dass die Fahrer freiwillig zurückstecken würden, aber das Drucklufthorn der Lady ist das lauteste weit und breit. Es ist das einzige, was zählt!
So erreiche ich tatsächlich ohne Blessuren den versteckten Globetrotter-Camp mitten in Miraflores (eine Vorstadt für betuchte Limeños) und versuche am nächsten Tag per Taxi die wichtigsten Erledigungen zu bewerkstelligen. Es wird ein völlig erfolgfreier Tag! Das, was ich aus dem Taxifenster und auf den Zu-Fuß-Exkursionen von der Stadt sehe, ist auch nicht eben dazu angetan, mein (Vor-)Urteil gegenüber Millionenstädten auf den Kopf zu stellen. Welterbe hin, Welterbe her. So gerät meine Sightseeing-Tour zur wohl kürzesten, die jemals ein Reisender in Lima gemacht hat!
Einzig in Miraflores, der modernen Vorstadt im Süden halte ich die Nase etwas in den Küstenwind. Denn der weht hier beständig und beschert den Gleitschirmfliegern an der Uferpromenade eine tolle Thermik! Dazu mehrere nette Parkanlagen mit gepflegten Blumenrabatten und ein hochgepriesenes Einkaufszentrum ('Lancomar'), auf das ich große Hoffnungen (bezüglich europäischer Leckerlies) gesetzt hatte. Die aber schnell vernichtet werden (nicht die Leckerlies!)!
Also zurück zur MAN-Werkstatt, um die bestellten Öl- und Luftfilter für die Lady abzuholen. Danach noch den Reifen hinten rechts richten lassen, der seit ein paar Wochen ganz leicht an Luft verliert. Der Bösewicht ist schnell gefunden (eine Spax-Schraube, die wohl in irgendeinem Holzbrett steckte) und die Rechnung schlägt mit knapp zehn Euro nicht groß zu Buche. Mit dem restlichen Geld noch ein paar Vorräte bunkern und schon ist die chaotische Hauptstadt Perus wieder 'Schnee von gestern'.
'Schnee von heute' erwartet mich läppische hundert Kilometer weiter. Am folgenden Morgen.
Eine Lektion in Geduld: die Carretera Central
Vorher muss ich mich allerdings in einer völlig un-peruanischen Disziplin üben: Geduld. Mir fällt das nach tausend Tagen auf Achse nicht schwer, aber die hiesigen Autofahrer haben dafür überhaupt kein Verständnis! Was ist passiert? Ein Sattelschlepper hat beim Bergabfahren wohl seinen Fahrer überrascht und die Zugmaschine mitsamt Fahrer in den Fluss geschoben ("Jack-Kniving" heißt das bei den Brummifahrern). Das muss so gegen zehn Uhr vormittags gewesen sein. Als ich wenige Minuten später ankomme, ist der Stau schon einen Kilometer lang. Und wächst rasend schnell: wir befinden uns auf der Carretera Central, der wichtigsten - und einzigen - Zubringerroute von Lima ins Landesinnere. Rechts stehen die Brummis schon dicht auf dicht, links quetschen sich Busse und PKW vorbei, die ja alles viel besser wissen. Und es immer eilig haben! Im Nu ist die gesamte Straße blockiert und als der erste Gegenverkehr kommt, bricht alles restlos zusammen! Kein Vorwärts. Kein Rückwärts. Nichts!
Ich sichere mir einen hübschen Aussichtspunkt, koche Kaffee, mache Picknick im Grünen. Im Minutentakt kann ich nur den Kopf schütteln, wie man halbherzig versucht, den gordischen Knoten zu entwirren. Kaum hat sich irgendwo eine winzige Lücke aufgetan, überholt noch ein Fahrer und quetscht sich wieder hinein. So geht das Stunde um Stunde. Dazu die engen Kurven, in denen zwei Sattelschlepper nicht aneinander vorbeikommen. Von Polizei übrigens weit und breit nichts zu sehen.
Erst als sich am späten Nachmittag zwei Männer des Abschleppunternehmens des Chaos' annehmen und allzu forsche Drängler zurückschicken, kommt langsam Bewegung in die Schlange. Trotzdem dauert es noch bis zum nächsten Morgen, bis der Letzten die Unfallstelle passiert hat. Der Brummi dort ist schon Stunden vorher geborgen - und kann seine Tour aus eigener Kraft fortsetzen - arg zerbeult und - vielleicht - um eine Lektion klüger (der Fahrer).
Nach der unruhigen Nacht direkt neben der Straße bin ich arg gerädert, als ich anderntags zum Pass hinaufkrieche. Die Fahrbahn ist halbwegs frei, wenn auch immer noch ausgesprochen viel Verkehr herrscht. Unermüdlich klettert der Höhenmesser - und die brave Lady Grey. Wieder reihen sich die Serpentinen aneinander und ich bin froh, gut vorwärtszukommen. Trotz der schwarzen Rußwolken, die die Lady im unteren Drehzahlbereich von sich gibt. Doch sobald der Turbolader greift, schießt die Lady förmlich nach oben. Braves Mädel! Inzwischen leuchten die Berge links und rechts in frischem Weiß: über Nacht sind zehn Zentimeter Neuschnee gefallen! Noch immer geht es weiter hinauf!
Höchster Pass [PER]
Die Passhöhe liegt auf 4843m. Der
Abra Anticona.
Der höchste Pass bisher. Dick eingemummelt und mit den bunten Mützen aus warmer Alpaka-Wolle
über den Ohren gönnen sich viele Brummifahrer hier ihr Frühstück.
Bevor es drüben wieder stundenlang bergab geht. Der Schneefall hat aufgehört und
im Nu ist die Straße wieder trocken. Freie Fahrt für die Brummis,
die bergab endlich zeigen können, was in ihnen steckt. Nur wenige Fahrer sind vernünftig,
bemühen ihre Motorbremsen oder Retarder und schleichen bergab ähnlich langsam wie bergauf -
der letzte Unfall auf dieser Strecke ist ja schon wieder 24 Stunden her!
Touristen-Niemandsland: die Höhen der Cordillera Central
Genauso steil, wie es drüben bergauf ging, geht es am Osthang der Cordillera Central hinab. Als der Höhenmesser wieder unter 4500m fällt, erlischt auch das nervige EDC -Lämpchen am Armaturenbrett der Lady: offenbar so etwas wie ein eingebauter Höhenmesser des Motors, denn das Verhalten wiederholt sich von nun an mit schöner Regelmäßigkeit. Nichts, worüber ich mir groß Gedanken mache, denn alles funktioniert wie immer: Lämpchen an oder Lämpchen aus. Na, ja, auch Ladies haben eben so ihre Gepflogenheiten!
Kurz nach dem Anticona-Pass nehmen die Berge eine neue Farbe an. Rot und helles Braun dominieren nun - und an jedem Berg hängen Stollenschächte wie Kletterer in der Wand. Und im Tal reihen sich die Barackensiedlungen nahtlos aneinander. La Oroya, fünfzig Kilometer hinter dem Pass rühmt sich gar, die größte und modernste Metallverarbeitungsstätte Perus zu sein: qualmende Schlote, hässliche Hochöfen und drei rußgeschwärzte Universitäten (Fachgebiete Bergbau und Metallurgie) zieren die Stadt. Tatsächlich kann sie mit mehr modernen Gebäuden aufwarten als jede andere Stadt, die ich bisher in Peru gesehen habe (Lima mal ausgeklammert). Sogar der zentrale Plaza de Armas fehlt. Ob das auch den US-Amerikanern zu verdanken ist, die hier bis in die 1990-er Jahre hinein auf eigene Rechnung (und ohne Peru daran zu beteiligen) Kupfer, Zink, Silber und Kohle gefördert und verhüttet haben - und an die noch der riesige Golfplatz erinnert (der höchste der Welt, wie gemunkelt wird)? Jedenfalls ist La Oroya kein Ort für einen ausgedehnten Stadtbummel!
Hier aber biegen die meisten Brummis nach links ab: die Berge des Nordens oder das Tiefland des Amazonas sind ihre Ziele. Mit einem Schlag ist meine Straße wie leergefegt: sie führt nach Süden! Immer dem Tal des Rio Mantaro entlang, einem der großen Zubringerflüsse des Amazonas. Ja, die große Wasserscheide liegt hinter mir: hier drüben drängt alles Wasser zum Amazonas, d.h. zum Atlantik. Schon auf 4000m Höhe ist der Fluss ein breiter, reißender, brodelnder Strom braunen Wassers. Heute kommen noch weitere Wassermassen dazu, geht doch am späten Nachmittag ein schweres Gewitter über dem Tal nieder. Gut, dass ich einen gekiesten und nicht allzu schlammigen Nachtplatz gefunden hatte - Minuten bevor die schwarzen Wolken ihre Schleusen öffneten.
Das Glück bleibt mir treu. Nicht nur der Wettergott. Nach ein paar sehr malerischen Serpentinen taucht die Straße bei Jauja [gesprochen Chaucha], der ersten peruanischen Hauptstadt (bevor aus macht- und handelspolitischen Gründen Lima auserkoren wurde), in eine breite fruchtbare Ebene ein und bald ist Huancayo erreicht. Ab hier widersprechen sich sämtliche Karten, Reiseführer und GPS-Informationen. Die Mehrzahl weiß von haarsträubenden Straßenzuständen zu berichten: Kurven, Schlaglöcher, stundenlange Rüttelei. Offenbar sind die Infos allesamt veraltet, denn die Straße ist breit, gut ausgebaut und die Schlaglöcher muss man mit der Lupe suchen. Hinter dem zweiten Pass, dem Abro Imperial (3890m) kommt noch faszinierende Landschaft dazu. Berge sind ja nix Neues mehr, aber hier wechseln sie nach jeder Kurve Farbe und Formation. Mal grüne Wiesen auf lieblichen Bergrücken, mal bizarre senkrechte Felswände. Mal weite gletschergeschliffene Trogtäler, mal senkrechte Schluchten. Dazwischen winzige Dörfer mit freundlichen Menschen, deren Spanisch ab und an sogar schlechter ist als das meine (und das will was heißen).
Viel wächst hier oben natürlich nicht mehr. Hauptsächlich Gras. Daraus werden dann tolle, warme Pullover. Oder bunte Mützen. Oder ebenso bunte Ponchos. Oder farbenfrohe Decken. Kaum eine Frau, die ich am Wegesrand sehe hat es nicht dabei: ihr kleines Spinnrädchen. Pausenlos wird da gezwirbelt, gewickelt und gesponnen. An den langen Abenden werden daraus dann Pullover, Mützen und Ponchos. Das Zauberwort heiß Alpaka-Wolle.
Die wirklich nett anzusehenden Alpakas (Familie der Llamas, eine Unterfamilie der Kamele!) grasen den lieben langen Tag auf den herrlich saftigen Wiesen oberhalb von 4000m. Darunter ist ihnen wohl die Luft zu dick. Kein Wunder bei der dicken Wolle, die sie tagein tagaus spazieren tragen. Bei den allermeisten Tieren ist sie weiß, bei den Jungtieren sogar persilweiß. Ganz wenige tragen aber auch ein dunkelbraunes Fell. Na ja, schließlich muss das hübsche Muster irgendwie in die Pullover kommen, oder?
Offenbar haben viele der Muttertiere erst vor wenigen Tagen geworfen, denn auf den Wiesen stehen ausgesprochen viele, noch recht tapsige Jungtiere. Die noch keine der farbigen Ohrbändchen tragen, die zum einen sagen, wer Eigentümer ist und zum andern die Verbundenheit der Hirten mit Pachamama symbolisieren, der allesschaffenden Mutter Erde.
Antistress im Hochland [PER] Es ist wirklich ein netter Flecken Erde hier heroben! Vermutlich sehen das die Hirten und Bauern ein wenig anders. Aber in dieser grandiosen Natur, umgeben von schneebedeckten 5000-ern und 6000-ern leben, den lieben langen Tag an der frischen Luft sein, alle paar Stunden nachsehen, ob sich die Alpakas noch dick und fett fressen. Kein PC, kein WWW, kein Termin. Ich kann mir vorstellen, dass so mancher deutsche Manager (oder Arbeiter) gern mit den Hirten tauschen würde. Zumindest für ein paar Wochen. 'Burnout' und 'stressbedingtes Herzversagen' jedenfalls sind hier oben Fremdworte (selbst in der Übersetzung ins Quetschua, das den Menschen weit geläufiger ist als das Spanische).
Zwischen den himmelstürmenden Bergen liegen Hunderte, nein Tausende von Seen. Klein wie ein Handtuch oder viele Quadratkilometer groß. Tief sind die wenigsten von ihnen, aber sie geben nette blaue Farbtupfer in der herrlichen grün-braun-schwarzen Landschaft ab. Bemerkenswert sind die saftig grünen Inselchen, die sich inmitten der flacheren Seen, oft auch mitten in den oberflächlichen 'Bächen' gebildet haben, die hier ganz unspektakulär einfach über das Grün der Wiesen und Weiden hinweg ins Tal plätschern. Kein enges Bachbett, keine Begradigung. Selbst die Flüsse und Bäche dürfen hier ihre Freiheit genießen.
Und mittendrin diese Inselchen. Die nicht wie so oft in Europa nur überwachsener Morast sind, sondern solider Boden, vermutlich Felsen mit einer grünen Kappe. Ein ganz besonderer Anblick!
Die Straße hier im Hochland ist schmal und windet sich kurvenreich zwischen Seen, Bergrücken und einsamen Weilern hindurch. Der Teer ist oft nur Patchwork, aber was will man für fünf bis sechs Autos pro Tag auch erwarten. Trotzdem lässt sie sich gut fahren, auch wenn der Tagesschnitt kaum über zwanzig Kilometer pro Stunde hinausgeht. Das liegt aber vor allem an den Fotopausen, denn allenthalben locken neue Motive, auf die SD gebannt zu werden! Auch wenn ich vorher einige Fragezeichen zu dieser Route hatte, im Nachhinein war sie landschaftlich die bislang schönste Strecke in Peru. Selbst den Vergleich zur wirklich imposanten Cordillera Blanca braucht diese Route nicht zu scheuen!
Das dicke Ende kommt zum Schluss. Bis
Castrovirreyna,
dem letzten Dorf auf über 4000m Seehöhe ist die Fahrerei ein rechtes Zuckerschlecken,
denn Verkehr gibt es so gut wie keinen. Nach dem Dorf aber beginnt der Abstieg ins Tal des
Rio Chiris -
und die Straße windet sich in haarsträubenden Kehren und Kurven eng am Steilhang der Schlucht entlang.
Nichts für schwache Nerven! Fünfhundert Meter tiefer gurgelt der Fluss durch
sein enges Bett und oben kann man nicht mal um die nächste Kurve gucken.
Dazu Dutzende von Erdrutschen, die die Hälfte - oder mehr - der einspurigen Straße in
die Tiefe gerissen haben. Ich bin froh, immer hübsch auf der Hangseite fahren zu dürfen.
Soll sich doch der Gegenverkehr um Haaresbreite an den Abgrund quetschen!
Dort wo der Steilhang partout keinen Platz mehr für die Straße lassen wollte, geht's durch einen der höchst seltenen Tunnel. Danach wieder hundertfaches Kurbeln um Kurven und Serpentinen, dann ist der Grund des neuen Tals erreicht. Das Tal des Rio Chiris, in dem es gemächlich die restlichen zweitausend Höhenmeter hinunter ans Meer geht.
Ich kann mich nur wiederholen: den Abstecher von der PANAM hinauf nach Huncayo, ins Tal des Rio Mantaro und als Highlight die Route über Huancavelica sollte jeder in seine Routenplanung einbauen, sofern er an schönen Landschaften, netten Menschen, grandiosen Nachtplätzen und einer nicht alltäglichen Fahrerei interessiert ist.
Camping auf historischem Boden: Paracas
Unten an der Küste wartet schon das nächste Bonbon auf uns: Natur und antike Kultur in trauter Einigkeit.
Zwischen 900BC und 200BC lebten auf der kargen, landschaftlich imposanten Halbinsel die Paracas-Indianer. Das Wüstenklima bietet beste Voraussetzungen, dass die Archäologen Relikte ihrer Kultur ausfindig machen können. Neben einzigartigen Mumien wurden in den Schachtgräbern außerordentlich filigran gewebte Stoffe gefunden, die rasch zu ihrem kulturellen Erkennungszeichen wurden.
Die Fachleute entdeckten daneben starke Einflüsse aus Chavín de Huántar, das ja um 800BC zur ersten Pilgerstätte Perus avanciert war. Chavín aber liegt mehr als 500km entfernt und auf der anderen Seite der Anden. Heißt, dass die Menschen damals gut zu Fuß waren und den kulturellen Kontakt zu ihren Nachbarn durchaus pflegten! Offenbar trieben sie untereinander auch eifrig Handel, denn oben in den Bergen wurden Reste von Fischen gefunden - und Muscheln spielten eine große Rolle in den religiösen Riten der Bergbewohner.
Neben den Ausgrabungen (von denen man als Besucher so gut wie nichts mitbekommt - das winzige Museum bei
Paracas
ist wenig informativ) reizt in erster Linie die bizarre Landschaft rund um die Halbinsel:
steile Felsklippen neben sanften, weiten Sandbuchten, Hunderte kleiner, wogenumtoster Inseln
und eine Vielfalt an Vögeln, die der Region den Spitznamen
'Galapagos der armen Leute'
eingetragen hat. Im einzigen maritimen Nationalpark des Landes laden ein halbes Dutzend idyllisch gelegener
Camps ,
zum Beispiel am
Playa Rojo, am
Playa Yumaque
oder - am schönsten - am Playa
El Playón
zum Verweilen.
Mysterien im Wüstensand: die Linien von Nazca
Ob die Menschen aus Paracas eines Tages nach Süden gewandert sind? Oder kamen die Menschen in Nazca anderswo her? Jedenfalls blühte die neue Nazca-Kultur in direktem zeitlichem Anschluss an die Paracas-Kultur, nämlich von ca. 200BC bis 600AD.
Allerdings hatten sich die Wanderer einen denkbar unwirtlichen Ort ausgesucht: die Region um Nazca gehört zu den trockensten Gebieten der Erde und im Winter hüllt der Küstennebel wochenlang alles in düsteres Grau. Trotzdem pflanzten die Neuankömmlinge Bohnen, Kartoffeln, Kürbisse, Maniok und Avocados, ja sogar die wasserhungrige Baumwolle an. Möglich wurde das durch ein ausgeklügeltes, unterirdisches Bewässerungssystem, über das sie das spärliche Wasser, das der Rio Palpa und der Rio Ingénio aus den Bergen brachten, auf ihre Felder umleiteten. Ausreichend Wasser und drohende Dürren spielten verständlicherweise eine ganz herausragende Rolle im Leben und Denken der Nazca-Indianer. Bis heute hat sich an dieser 'Oasenwirtschaft' nichts geändert.
Und die Indianer taten buchstäblich alles, um ihre Götter gnädig zu stimmen, die sie vor Dürreperioden beschützen sollten. So scharrten sie in mörderischer Handarbeit kilometerlange Linien und geometrische Figuren in den Sand. Zeichneten nebendran Dutzende Figuren von heiligen Tieren, wie des Kolibris, des Affen oder des Wals. Alles mit einfachsten Mitteln, indem sie die oberste Schicht der Wüstenoberfläche - Millionen kleiner, dunkler Steine - wegkratzten, um die darunter liegende helle Gesteinsschicht freizulegen. Mit den kleinen Steinchen hoben sie anschließend die Konturen der Figuren weiter hervor.
Die Bemühungen der Nazca-Priester die Götter um Wasser und Fruchtbarkeit zu bitten, hatten offenbar nicht den gewünschten Erfolg. Um 600AD wurde Nazca schlagartig verlassen - vermutlich in Folge einer langen Dürreperiode (Gab's damals bereits das Phänomen El Niño?) Was blieb, sind die einzigartigen und nach wie vor von zahllosen Mysterien und Rätseln umrankten Bilder im Sand, die für die Ewigkeit gemacht scheinen. Nicht weniger als zwei Dutzend (halbwegs fundierte) Theorien zur Bedeutung der Linien und Figuren kursieren in Kreisen der Historiker (und solcher, die sich dafür halten). Sie reichen vom geschilderten Fruchtbarkeitskult bis hin zu Landebahnen für Außerirdische oder Startplätze für vor-inkaische Heißluftballons.
Der Faszination der mehr als 1500 Linien und Figuren, die sich auf zirka neunzig Quadratkilometer verteilen, tut das keinen Abbruch. Die erste, die die Linien wissenschaftlich untersuchte (1941 - 1999), war die Deutsche Maria Reiche, deren Namen noch heute hoch geachtet wird. Erst auf ihr Betreiben hin wurden die Geoglyphen (so heißen die Linien in Fachkreisen) 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Dass die Peruaner die neue Trasse der 'PANAM' dennoch mitten durch die Figuren führten und viele von ihnen unwiederbringlich zerstörten, stößt dabei auf wenig Verständnis! Daneben verursachen Regenfälle (ja, auch so etwas gibt's in der Wüste) oder Veranstaltungen wie die Rally Paris-Dakar (die inzwischen ja in Südamerika abgehalten wird) irreparable Schäden an den einzigartigen, zweitausend Jahre alten Mysterien im Wüstensand.
Sämtliche bislang entdeckten Geoglyphen könnt ihr in den wissenschaftlichen Abhandlungen, z.B. der ETH Zürich nachlesen. Wenn ihr es kürzer mögt, blättert doch in meinem kleinen Fotoalbum.
Der Nabel der Inka-Welt: Cuzco
Der Weg von Nazca zum 'Nabel der Welt' führt über hundert Serpentinen und zwei Bergkämme der Cordillera Central. Hinauf auf 4200m, hinab auf 1900m, wieder 'rauf auf 4300m und Abtauchen ins Tal des Rio Apurimac, um schließlich doch wieder auf 3200m zu klettern, in ein Hochtal, das die Cusceños Valle Sagrado nennen: die Geburtsstätte der Inka [PER] Geburtsstätte der Inka und ihrer hochstehenden Kultur.
Gegen Ende des 'Zeitalters der rivalisierenden Königreiche' (ab ca. 1200AD) entwickelt sich zwischen dem Titicacasee und dem Valle Sagrado eine starke Regionalmacht. Ihre obersten Herrscher nennen sich Inka. Familienclans, Abkommen zur Zusammenarbeit und die Religion bilden ihre Machtbasis. Der erste von ihnen ist Manco Chápac (Sohn der Sonne). Der Legende nach soll er dem Titicacasee entstiegen sein und mit seiner Schwester Mama Occlo die Blutlinie der Inka begründet haben. Unter Pachacútec, dem neunten Inka (1438 - 1471) beginnt schließlich der kometenhafte Aufstieg und eine große Eroberungswelle. Ab Beginn des 15. Jahrhunderts wird das Reich Tahuantinsuyu genannt: Reich der vier Himmelsrichtungen . Es bedeckt ein Drittel ganz Südamerikas, reicht von Quito (heute Ecuador) im Norden bis weit ins heutige Chile und Argentinien hinein.
Ihre Hauptstadt - den 'Nabel der Welt' - nennen die Inka Quosco (heute Cuzco). Das Zentrum bildet der Haukay Pata , von dem Straßen in alle vier Himmelsrichtungen abzweigen. Von ihm werden Soldaten in alle Teile des Reichs entsandt, auf ihm untermauern die Inka ihren absoluten Herrschaftsanspruch in teils blutigen Zeremonien. Heute ist er als Plaza del Armas der meistbesuchte Platz der Stadt, umgeben von der Stadtverwaltung, hübschen Arkadengängen und zwei gotischen Kirchen. In denen ist heute, am Karfreitag natürlich eine Menge los!
Die bunte Flagge der Inka-Hauptstadt mit den Regenbogenfarben findet ihr inzwischen überall auf der Welt. Die kleinen, feinen Unterschiede werden aber gerne übersehen.
Seit dem 9. Juni 1978 trägt Cuzco die Regenbogenfahne mit sieben Streifen als Stadtflagge. In den Straßen ist sie allenthalben zu finden. Die Cuzceños sind stolz auf sie. Die Flagge selbst ist viel älter und wurde wohl erstmals bei den Inka verwendet und symbolisiert sieben Farben des Regenbogens. Erste urkundliche Erwähnung findet sie 1533, als Pizarro das Inkareich eroberte. Später zierte die Tawantinsuyo genannte Flagge Biermarken ebenso wie die lokale Radiostation von Cuzco.
Auch die International Co-operative Alliance (ICA), ein internationales Bündnis von Genossenschaften,
verwendet seit 1925 die Regenbogenfahne mit den sieben Farben von rot nach violett.
Bereits in den deutschen Bauernkriegen (ab ca. 1524 - 1526) wurden der Bundschuh und die Regenbogenfahne zum Zeichen einer neuen Zeit, der Hoffnung und Veränderung.
Im Unterschied zur Flagge Cuzcos zeigt die Friedensflagge die sieben Regenbogenfarben in der Reihenfolge von violett nach rot (oben nach unten) sowie
den Aufdruck 'Frieden' in der jeweiligen Sprache.
Die Flagge der Schwulen- und Lesben
Als Zeichen einer neuen Zeit, als Zeichen der Hoffnung und Veränderung stehen die sechs Regenbogenfarben symbolisch auch auf der internationalen Flagge der Schwulen-
und Lesbengemeinschaft. Die Reihenfolge der Farben läuft von rot nach violett.
Allgemein wird sie als Zeichen der Toleranz und Verständigung gesehen. Ihre Geschichte ist sehr abwechslungsreich, was Farben und Anzahl der Streifen angeht (wie ihr bei
Wikipedia nachlesen könnt) und wird wohl in Zukunft weitere Veränderungen erfahren.
Noch vor der Besichtigung der zahlreichen Inka-Hinterlassenschaften bummle ich über den Markt und werfe einen Blick auf die Menschen. Von dem was sie sagen, verstehe ich wenig. Nicht weil mein Spanisch soooo schlecht ist, sondern weil sie Quetschua sprechen, eine Sprache, die mit europäischen Sprachen so gar nichts gemeinsam hat.
Gleich nach den Osterfeiertagen ist es höchste Zeit für einen kleinen Ausflug vor die Tore der Stadt!
Wolkenmagie am Palast der Inka: Machu Picchu
Das Aufstehen am frühen Morgen (3:45h) ist ungewohnt, das Bibbern beim Anstehen am Bus ist ätzend, die Menschentraube am Einlass kostet die letzten Nerven. Es ist stockdunkel. Am liebsten würde ich die Ruinen Ruinen sein lassen, würde kehrtmachen und den nächsten Zug zurück nach Cuzco nehmen. Das Gedrängel der Touris ist nicht mein Ding! Alte Inka-Mauern gibt's schließlich auch anderswo!
Missgelaunt schiebe ich mich durch die Einlasskontrolle, stapfe die steilen Stufen zum Recinto de Guardián hinauf und starre in den Nebel. Zu sehen ist Nichts. Keine Ruinen! Keine Mauern! Keine Berge! Alles verschwimmt im Grau der Wolken. Welcher Teufel hat mich nur geritten, unbedingt in aller Frühe hier oben sein zu wollen?
Minuten später schiebt sich ein erster Sonnenstrahl durch die Wolken und taucht ein paar Mauern in morgendliches Licht. Die Wolken zerreißen zu Fetzen. Die Fetzen steigen aus dem Tal. Wabern um die Ruinen. Geben einzelne Tempel frei, um sie Sekunden später wieder zu verschlucken. Nach und nach werden Umrisse einzelner Ruinen erkennbar. Steile Terrassen schmiegen sich an den Berghang. Früher wurden hier Kartoffeln und Mais angebaut. Hinter den Ruinen schält sich ein Berg aus dem Nebel. Dann noch einer: der Waynapicchu, der Hausberg der früheren Stadt. Für Sekunden nimmt die alte Stadt Gestalt an: die Tempel, die Wohngebäude, die Vorratshäuser, das Observatorium, die steilen Terrassenfelder. Dann ist alles wieder im Nebel verschwunden.
Über eine Stunde braucht die Sonne, um die dicksten Wolken zu vertreiben. Eine Stunde voller Mystik. Voller Geheimnisse. Voller Magie, die man an wenig anderen Orten derart deutlich spüren kann. Die Magie um diesen heiligen Ort hebt sich nur langsam. Wie die Wolkenschwaden aus dem Tal. Erst nach und nach können die Historiker die Geheimnisse lüften, die diesen Ort umwehen.
Es ist kein Wunder, dass die spanischen Conquistadores in den 300 Jahren, in denen sie Peru beherrschen, diesen Ort nie entdeckt haben. Vermutlich hätten sie ihn auch nicht geschätzt, denn Gold oder Silber waren hier nicht zu holen. Jahrhundertelang lag der magische Ort im Dornröschenschlaf, ehe er 1911 durch Zufall von dem amerikanischen Historiker Hiram Bingham entdeckt und ein Jahr später freigelegt wurde.
Welche Bewandtnis es mit Machu Picchu wirklich auf sich hat, warum ein halber Berg geschleift wurde, um Platz für Tempel, Paläste und Felder zu schaffen, warum es gerade hier, in einem der unzugänglichsten Teile der Anden errichtet wurde, welchem Zweck die ganze Anlage diente, ob es ein religiöses Heiligtum, eine Festung oder ein Herrscherpalast mit prächtiger Aussicht war. Darüber sind sich die Gelehrten bis heute nicht recht einig.
Die Frage "Warum denn gerade hier?" stellt man sich zwangsläufig, nachdem man einen halben Tag mit Bus und Zug aus Cuzco angereist, sich mit dem Bus eine halbe Stunde auf engen Serpentinen nach oben gewunden hat oder zwei Stunden auf steilen Stufen die fünfhundert Höhenmeter zu dem nach allen Seiten fast senkrecht abfallenden Plateau hochgekraxelt ist.
"Ein Grund, warum Machu Picchu gerade hier errichtet wurde, ist der Fels, auf dem wir stehen. Harter, dauerhafter Granit in Hülle und Fülle. Man musste ihn nur von den umliegenden Hängen abschlagen, um damit Tempel, Gebäude und die landwirtschaftlichen Terrassen zu errichten." erklärt uns später ein Führer. "Der zweite Grund ist, dass es hier im Nebelwald am Osthang der Anden ausreichend Wasser gibt. Man brauchte es zur Bewässerung der Felder - um die schätzungsweise dreihundert bis eintausend Bewohner zu ernähren - aber auch zur Versorgung der riesigen Baustelle."
Das Wasser war aber gleichermaßen Segen wie Fluch. Die Anlage musste mit weitläufigen, unterirdischen Kanälen versehen werden, um das viele Nass - gerade im Sommer zwischen November und März geht oft sintflutartiger Regen nieder - ins Tal hin abzuleiten. "Über sechzig Prozent der Baumaßnahmen dienten allein der Kanalisation und sind heute gar nicht sichtbar!" erklärt uns der Führer. Hut ab vor den alten Baumeistern!
So alt allerdings ist die Anlage noch gar nicht. Erst gegen 1450AD, unter dem legendären Herrscher Pachacútec, wurde die Anlage errichtet. Und noch vor 1535AD wieder verlassen. Nachdem Pizarro die Hauptstadt Cuzco eingenommen und das Inkareich weitgehend zerschlagen hatte, war kein Bedarf mehr gegeben. 85 Jahre - welch ein kurzes Leben für einen so prächtigen Ort!
Was aber war Machu Picchu denn nun gewesen? Die neuesten Forschungen deuten darauf hin, dass es sich um eine grandiose Palastanlage, möglicherweise auch eine Art Mausoleum für die Inkaherrscher aus Cuzco, namentlich Pachacútec handelt. So etwas wie das Neuschwanstein der Anden. Ein Wochenendhaus im Grünen. In den Wolken. In herrlicher Landschaft.
Denn neben den Tempeln und Bauwerken ist es die wirklich grandiose Landschaft, die Machu Picchu seinen einzigartigen Reiz verleiht. Die senkrechten Felswände des Urubambatals, über dem sich die Ruinen majestätisch erheben. Die für uns unbezwingbaren Felshänge des Waynapicchu, auf dem die Inka nichtsdestotrotz Felder und Häuser angelegt hatten. Der nicht weniger steile Montaña de Machupicchu, der im schweißtreibender Kletterei zu ersteigen ist. Die schneebedeckten Gipfel der heiligen Berge Ausangate und Salcantay. All diese Täler und Gipfel formen etwas, was die Inka 'Heilige Landschaft' nannten. Eine Landschaft, die ihre Nachfahren noch heute verehren. Eine Landschaft, die selbst den einfachen Besucher mit ihrem Zauber belegt! Eine Landschaft wie geschaffen für ein Wochenendhäuschen für den Sohn des Sonnengottes Inti!
Nach einem langen, schweißtreibenden Tag voller grandioser, unwiederbringlicher Eindrücke bin auch ich der Magie dieses Ortes erlegen. Machu Picchu ist tatsächlich einer der beeindruckendsten Orte in den Anden! Ein Ort, den man so schnell nicht wieder vergisst. Ein Ort, für den sich selbst frühes Aufstehen und das Anstehen an der Kasse lohnen!
Um euch den Reiz Machu Picchus noch ein wenig näher zu bringen, gibt's wieder eine kleine Fotostrecke ...
Zungenbrecher und Highlights: Sacsayhuaman, Moray und Pisaq
Manche merken sich ihren Namen als
'Sexy Woman'.
In Wahrheit heißt sie
Sacsayhuaman
oder
Sacsayhuaman,
was übersetzt so viel wie 'Falkenhorst' bedeutet. Der Name ist treffend, denn wie von einem
Horst aus überblickt man die Hauptstadt der Inka:
Cuzco.
Die riesige Anlage, in der man schon mal einen ganzen Tag herumwandern kann, hat eine bewegte Geschichte:
von dem grandiosen Inka-Führer
Pachacútec
um 1450 errichtet, steht sie heute symbolisch für das Ende der Inka-Herrschaft.
Nach der Eroberung Cuzcos durch die
Conquistadores
konnten sich die Inka noch drei Jahre lang auf der Festung halten
und den Spaniern unten in der Stadt das Leben schwer machen. 1537 aber war Schluss damit:
fünfzig spanische Reiter massakrierten mehrere Tausend der von
Manco Inka
angeführten Fußsoldaten. Die wenigen Überlebenden flohen in die Berge.
Es war die letzte große Schlacht zwischen Inka und Spaniern.
Danach ging's auch mit Sacsayhuaman rapide abwärts, denn die Spanier brauchten die Steine, um ihre mächtigen Kirchen zu bauen. Fünfundsiebzig Prozent der Anlage wurden geschleift, sodass man heute allenfalls noch einen winzigen Eindruck der früheren Pracht erhält. Dennoch sind die mächtigen Mauern noch heute imposant: das regelmäßige Zickzack der zweiundzwanzig Mauern sollte die Zähne des heiligen Pumas nachbilden. Die Steinblöcke haben ein gewaltiges Gewicht: oft über hundert Tonnen, der größte mit 5 x 5 x 2,5 Metern wiegt gar einhundertsechzig Tonnen. Angeblich haben ihn zwanzigtausend Menschen an langen Stricken den Berg hinaufgezogen.
Nicht nur hier, auf allen Anlagen der Inka kann man vor den Leistungen der damaligen Baumeister nur den Hut ziehen! Da türmen sich Kilometer lange Terrassenfelder an fast senkrechten Berghängen übereinander. Bewässert von einem ausgeklügelten System, um das kostbare Nass gerecht auf alle Felder zu verteilen. Da thronen auf Felsklippen, auf denen unsereins schwindelig wird, Ortschaften und Gebäude, aufgeschichtet aus den Steinen der Nachbarschaft - ganz ohne Schaufel, ohne Spitzhacke - oder einen einzigen Sack Zement! Trotzdem sind die Bauten allen Erdbeben zum Trotz erstklassig erhalten. Setzt man die Dächer aus Binsen auf, könnte man morgen dort wieder einziehen! Allerdings sollte man schwindelfrei und 'gut zu Fuß' sein, denn die Stätten liegen ausnahmslos in unzugänglichem Terrain: auf Felsnadeln, an Schluchten oder senkrecht abfallenden Bergrücken - natürlich weit ab jeglicher moderner Zivilisation!
Im Gebiet rund um Cuzco wimmelt es nur so von alten und sehenswerten Stätten der Inka. Schließlich war Cuzco ihre Hauptstadt gewesen, der 'Nabel der Welt' und im fruchtbaren Umland siedelten sich Dutzende Clans an, um von den Vorteilen der Inka-Herrschaft zu profitieren. Dreißig Kilometer nördlich der Stadt schlängelt sich der Urubamba Fluss durch das weite Tal, das die Inka Valle Sagrado nannten und das heute den an dichtesten besiedelten Teil Perus umfasst. Hier reiht sich eine sehenswerte Stätte an die andere. Jedes Dorf hat seine Festung: von Pisaq am Ostende über Calcar, Urubamba, Ollantaytambo, bis nach Machu Picchu, um nur die allerwichtigsten zu nennen.
Etwas abseits - ebenfalls gut versteckt - liegt eine ganz besondere Stätte, deren Bedeutung
bis heute nicht eindeutig bestimmt werden konnte - wie bei vielen anderen Stätten auch -
einschließlich Machu Picchu. Hier in
Moray
legten die Inka in drei nebeneinander gelegenen Talkesseln wundersame, kreisrunde Trichter an.
Darin Dutzende terrassenförmiger Felder,
die wir ja schon kennen. Kreisrunde Mauern stabilisieren die Hänge und ausgeklügelte Treppen
führen von Feld zu Feld. Was mag wohl der Zweck einer solchen Anlage gewesen sein,
wichtig genug, um Tausende Menschen hier über Monate oder Jahre hinweg Steine schleppen
und aufzuschichten zu lassen? Die Erklärung der Führer, dass es sich um eine Art
'landwirtschaftlicher Versuchsanstalt' handelte, mag mir nicht recht einleuchten.
Das östliche Ende des Valle Sagrado bildet Pisaq. Heute ein quirliges Dorf voller Touribusse, muss Pisaq zu Zeiten der Inka etwas ganz besonderes gewesen sein. Am nördlichen Berghang reihen sich hunderte Terrassenfelder aneinander. Aufeinander, sollte man besser sagen! So steil, dass dem Besucher beim Hinaufspazieren sprichwörtlich die Luft wegbleibt. Oben auf einer exponierten Felsnadel entdeckt man dann ein ganzes Dorf, an den steilen Felshang geklebt wie ein Adlerhorst. Dort oben wohnten natürlich nur die 'besseren Leute', die Priester, die Adligen - und der 'Spritzbrunnenaufdreher', der Mann, dem die Verteilung des kostbaren Wassers auf die Felder oblag. Ein verantwortungsvoller Posten. Stand doch dem Inkaherrscher ein Drittel der Ernte zu, den lokalen Adeligen ein weiteres Drittel - mit dem restlichen Drittel mussten dann die Bauern ihre Familien ernähren! Fiel die Ernte zu gering aus, wurde nicht der einzelne Bauer, sondern das ganze Dorf einschließlich der Chefs und Adeligen zur Rechenschaft gezogen - sprich häufig einen Kopf kürzer gemacht!
Auf dem Weg zum Titicacasee: Pucará und Sillustani
Die Inka waren gut zu Fuß. Sieht man, wo sie ihre Festungen, Dörfer und Paläste gebaut haben, mussten sie gut zu Fuß sein! Auch kannten sie weder Zugtiere, Räder noch Karren - was ihnen in den bergigen Terrain der Hochanden auch nicht viel geholfen hätte! Kein Wunder also, dass Manco Chapac und Mama Oqllo, die legendären Gründer der Inka-Dynastie damals einige Jahre brauchten, um vom Titicacasee (dem sie ja entstiegen waren, um die Menschheit zu retten) nach Cuzco zu marschieren, das zum Nabel der neuen Inka-Welt werden sollte.
Heute ist die Reise weniger beschwerlich und in ein bis zwei Tagen zu schaffen. Aus dem Valle Sagrado geht's durch fruchtbares und dicht besiedeltes Land gemächlich aufwärts, bis nach dem Pass Abro La Raya endgültig der Altiplano erreicht ist, diese riesige Hochebene auf ca. 3800m Seehöhe, die sich bis hinunter nach Bolivien und Argentinien erstreckt.
Der erste Zwischenstopp heißt Pucará. Die meisten fahren achtlos vorüber, aber nicht nur die alte spanische Kirche und die Keramik-Kollektiven mit ihren bunten, heilsbringenden Mini-Stieren (die man auf jedem Hausdach seit Cuzco findet) sind einen zweiten Blick wert! Unterhalb eines majestätischen Felsabbruchs hatten schon vor ziemlich genau zweitausend Jahren, um die Zeitenwende also, die ersten Siedler hier ein Heiligtum errichtet. Nicht, dass ein paar aufgeschichtete Steine hier oben etwas Besonderes wären, aber die Art und Weise ist ganz speziell und deutet darauf hin, dass hier schon tausend Jahre vor den Inka wahre Steinmetzmeister am Werk waren. Erinnert ihr euch an die 'San Agustín Kultur' im Süden Kolumbiens (hier)? Würdet ihr die dortigen Steinsäulen neben die hiesigen stellen, ihr könntet keinen Unterschied erkennen! Als ob schon vor zweitausend Jahren ein unsichtbares, kulturelles Band die Andenvölker von Nord bis Süd vereinte! Wirklich erstaunlich!
Der nächste Stopp liegt am Ufer der Laguna Umayo, einem kleinen Ableger des großen Titicacasees. Der Halbinsel, die wie ein ausgestreckter Finger in den flachen See hineinragt, muss seit Jahrtausenden mystische Bedeutung beigemessen worden sein. So erhielt sie auch ihren Namen Sillustani, was soviel wie 'Nagel' bedeutet. Nirgendwo muss es einfacher als hier gewesen sein, ins Jenseits, in die Unterwelt, in die Welt der Ahnen zu gelangen, zu denen der See Zugang versprach. Ein guter Platz also, die Ahnen zu verehren. Ein guter Platz aber auch, um sich zu ihnen zu gesellen. Sprich, sich begraben zu lassen!
So zumindest dachten wohl viele Herrscher der Hochlandvölker, die - erinnern wir uns - ein sehr ähnliches Weltbild pflegten und praktisch der gleichen Religion angehörten. An die achtzig Herrscher ließen sich auf der einsamen Halbinsel mit direktem Zugang zum Totenreich bestatten. Nicht nur sich selbst, meist auch gleichzeitig die Freunde, die Familie und die liebsten Tiere. Schließlich wollten sie drüben nicht mutterseelenallein sein!
Je nach Status des Herrschers, je nach technischen Möglichkeiten, vielleicht auch je nach persönlichem Geschmack, wurden die Mausoleen - genannt Chullas - mal größer, mal kleiner. Mal war es nur ein einfacher Ring aufgestapelter Steine, in dessen Mitte die Mumien hineingesetzt wurden (alle wurden in sitzender Haltung bestattet). Mal war es ein ausgeklügeltes Bauwerk mit einem Innenraum aus aufgeschichteten Steinen, umgeben von einem Turm aus (zumindest außen) fein behauenen Steinquadern. Den Vogel schossen natürlich wieder die Inka ab, denen ja die besten Steinmetze der Zeit zur Verfügung standen: exakt kreisrunde, außen fein behauene Türme aus fugenlos gesetzten Felsquadern, innen ein zweiter, etwas weniger aufwändiger Turm. Der Zwischenraum verfüllt mit Tausenden kleinerer Felsbrocken und das Ganze von einer Art 'steinernem Dach' überspannt. So leicht konnte da keine Seele verloren gehen!
Einer der Entdecker (Pedro Cieza de Leon, 1553) hat es ganz gut auf den Punkt gebracht, indem er schrieb: "And I really admired in thinking as the living are to be little for big houses and gallant, and how carefully decorated the graves where they were buried, as if this happiness does not consist of something else and so the valleys and plains near the villages were the graves of these indians ..."
Noch bin ich ganz in Gedanken an die Glaubenswelt der Inka und ihrer Vorfahren versunken, da spannt sich über dem Gräberfeld wieder so ein wunderschöner Regenbogen. Erinnert mich - zum wievielten Mal eigentlich? - an die Schönheit der Natur, an die Vielfalt dieses fernen Landes, an die Buntheit des Lebens selbst!
An keinem anderen Fleck der Erde habe ich so viele, so leuchtende und so lange Regenbogen gesehen wie hier! Sei es in Cuzco nach dem obligaten Schauer am Nachmittag, sei es in Machu Picchu auf dem steilen Weg ins Tal, sei es in den Bergregionen, wenn die Sonne wieder lacht, sei es hier an dem mystischen Gräberfeld: ein leuchtender Regenbogen, der sich über den Himmel spannt, ist nirgends weit! Ein Zeichen, dass nach dem Regen wieder die Sonne scheint! Dass es nun wieder aufwärts geht! Dass die Söhne des Sonnengottes Inti der Welt Erlösung bringen.
Ihre Flagge hatten die Inka mit Bedacht und Wissen gewählt: die Regenbogenflagge. Noch heute ziert sie die Stadt Cuzco. In ihrem Glanz möchten sich zu gerne auch andere Städte und Gemeinschaften aalen. Mit ihren sechs beziehungsweise sieben Farben ist sie einfach unverkennbar! Zu keinem Land aber passt sie besser als zu diesem hier: dem Süden Perus!
Über die wenig sehenswerten Großstädte Juliaca und Puno ist bald der Titicacasee erreicht. Als höchstgelegener schiffbarer See wird er gerne bezeichnet. Tatsächlich dümpeln an der Mole von Puno Hunderte kleiner Ausflugsboote, die die Touris zu den Islas de los Uros (schwimmende Inseln der Indianer), zur Isla Amantani (eine nette Insel mitten im See) oder ans bolivianische Seeufer schippern wollen. Das Ganze für ein Heidengeld - und nur, wenn der Kahn wenigstens bis zum letzten Platz besetzt ist. An einzelnen Fahrgästen haben die Herren Kapitäne wenig Interesse.
Nach den Berichten unseres norwegischen Peru-Begleiters Thor Heyerdahl wurden genau hier, am Ufer des hochgelegenen Sees die Schilfboote gebaut, die er als Vorbild für seine Kontiki-Expedition heranzog. Vorlagen und Hinweise hatte er ja in seiner archäologischen Grabungsstätte in Tukumé ausreichend gefunden. Binsen sind an den flachen Seeufern zwar jede Menge zu erkennen, aber die Boote mit den charakteristisch hochgezogenen Bug- und Heckpartien sind allenfalls auf den bunten Werbeplakaten - oder in kitschigen Souvenirshops - zu finden. Im Hafen von Puno wie auch an der restlichen Küste sind sie längst modernen, bunten, stabilen Holzbooten gewichen. Ein paar mit Außenbordmotor, die Mehrzahl noch immer mit Rudern angetrieben. Ähnliches hatte schon Heyerdahl selbst berichtet, als er um 1947 Handwerker für sein Binsenboot gesucht hatte. Auch er klagte schon über die ausrangierten traditionellen Boote der Einheimischen - und das fehlende Wissen um ihre Herstellung. Schließlich musste er sich ja seinen Bootsbauer vom Tschad-See in Afrika holen!
Auch heute am Sonntag schippern einige der einheimischen Badegäste von Juli lieber im farbenfrohen Tretboot am Ufer entlang. Oder stecken ihre Zehen in das überraschend warme Wasser. Oder wienern ihren fahrbaren Untersatz auf Hochglanz. Oder lassen sich einfach nur die Sonne auf die dunkle Haut scheinen. Mal mit Hut, mal ohne.
Die Grenze zu Bolivien ist nicht weit. Also werde ich morgen früh nochmal nach Puno fahren, Sprit und Vorräte bunkern - und anschließend über die Grenze rollen. Mal sehen was uns dort erwartet! Es soll ja das letzte wirkliche 'Abenteuerland' Südamerikas sein! Jedenfalls bin ich sehr gespannt, was ich euch von dort berichten kann.