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Fahrtroute Schottland + Hebriden Fotoalbum Hebriden

Lochs and Burghs and Glens und zu viel Whisky [1] (Teil 1)


SCO UK F


Sept 02 2011

Loch St.Mary Loch Saint Mary (GPS: 55°28'49,5"N; 003°12'29,4"W)

Der Regen prasselt gegen die Fenster. Der Sturm peitscht die Wellen des Lochs so dass sich kleine weiße Gischthauben bilden. Den Schafen am andern Ufer scheint weder Sturm noch Regen etwas auszumachen. Friedlich grasen sie auf den saftigen, dunkelgrünen Weiden. Nebelfetzen ziehen vorüber. Den Mann am andern Ende des Parkplatzes in seinem winzigen Zelt beneide ich nicht. Geschickt hat er es gestern Abend im Windschatten seines Autos aufgebaut. Fahren macht bei dem Wetter noch weniger Spaß als aus dem Fenster zu schauen und die Regentropfen zu zählen. Meine Gedanken wandern zurück.

Seit sechs Tagen bin ich nun auf Achse. Von Urlaubsstimmung bin ich weiter entfernt als der Mond von der Erde. Zugegeben, gestern früh huscht ein kurzes Schmunzeln über mein Gesicht, lasse ich mir nach der ersten warmen Dusche im neuen Bad doch Eier, Marmelade und den Tee des Frühstücks schmecken. Der Blick wandert über die saftigen Wiesen am andern Seeufer, die friedlich grasenden Schafe und die kahlen, nur zum Teil bewaldeten Hügel ."What a beautifil place" hatte mich Minuten vorher der Parkwächter begrüßt und einen interessierten Blick auf die Lady Grey geworfen. "This truck can go about anywhere".

Nach dem Frühstück ziehe ich los, um wenigstens ein paar zottelige Schafe zu fotografieren. Am Ende bin ich dann doch rings um den See gelaufen. Auf einem teils matschigen, teils nicht zu erkennenden Pfad. Dabei blinzelt sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor.

Keine zwei Tage bin ich nun in Schottland ­ und schon hat mich das Wetter eingeholt.

Hafen von Dover

Die Gedanken wandern zurück zum Kontinent ...

Pünktlich um 5:00 Uhr klingelt der Wecker. Schlaftrunken schäle ich mich aus dem Schlafsack, schließlich will ich pünktlich an der Fähre sein. Fürs Frühstück ist später noch Zeit, wenn ich nach dem Einchecken aufs Schiff warten muss. Noch ist kein Hauch eines Sonnenstrahls zu sehen. Bei völliger Dunkelheit rolle ich von dem riesigen, unbeleuchteten und schlaglochübersäten LKW-Parkplatz zum Check-In-Schalter und weise meine Reservierungsnummer vor. Sekunden später halte ich den Boarding-Pass für die Lady und mich in Händen. "Lane K please". Im wilden Zick-Zack geht's zwischen Betonpollern und Abfertigungshäuschen (Zoll und Polizei) hindurch, bevor ich mich brav in die WoMo-Spur K einreihe. Kaum ist der Motor abgestellt und ich freue mich auf eine heiße Tasse Kaffee, werden wir auch schon eingewiesen und rollen an Bord. Eine viertel Stunde später heißt es "Leinen Los" und wir dampfen mit voller Fahrt gen Insel. Ade Dünkirchen, ade Kontinent. A bientot au France.

Welcome to the UK, please drive on the left lane begrüßt mich 2 Stunden später die Insel. Die Abfertigung im kleinen Hafen von Dover ist hocheffizient und hochtechnisiert, ohne merklichen Stau werden die Fahrzeuge von zwei Fähren gleichzeitig abgefertigt, und auf die diversen Autobahnen in Richtung London verteilt.

Der Linksverkehr ist auf den ersten Kilometern ungewohnt, aber man muss eigentlich nur mit der Masse mitschwimmen. An Ausscheren ist sowieso nicht zu denken ­ dichter Verkehr brandet Richtung London. Mein Magen hängt inzwischen ­ trotz eines schnellen Sandwich mit Kaffee auf der Fähre ­ wenig oberhalb der Kniekehlen. Höchste Zeit, das verschobene Frühstück nachzuholen. Doch nirgends ist ein Parkplatz oder ein Rastplatz in Sicht. Teils 4-spurig, teils 6-spurig windet sich die Autobahn (oder was die Engländer dafür halten) in Richtung London. Die Fahrspuren sind schmal, einen Standstreifen gibt's nur ganz selten. Der Verkehr ist dicht und alle paar Kilometer werde ich von einem Brummi überholt, der sich auf der noch schmaleren Nachbarspur an mir vorbeiquetscht.

Loch St.Mary Kurz bevor mir die Augen zufallen, gibt's doch den ersten Rastplatz und ich kann mich auf das leckere Frühstück stürzen. Eine ganze Kanne Tee ­ was könnte es hier anders sein ­ und leckeres deutsches Brot erwecken die Lebensgeister zu neuem Leben. Frisch gestärkt kann ich London in Angriff nehmen. Dem Verkehrskollaps nahe, haben die Londoner schon früh eingesehen, dass sie eine weiträumige Umfahrung brauchen. Und seitdem bauen sie an Ihrem "Orbital", wie die Autobahn rund um London genannt wird. Also alles eine einzige Baustelle! Derzeit wird von 6 Spuren auf 8 Spuren erweitert. 10 Spuren ­ oder besser 12 Spuren ­ wären angebracht. Die Fahrspuren sind noch schmäler als sonst ­ und weit von der gewohnten Breite auf dem Kontinent entfernt. Auf der Insel müssen alle etwas zusammenrücken!

Kein Wunder, dass des Engländers Lieblingsfahrzeug der Mini Cooper ist. Dabei fahren sie ­ auch ohne Geschwindigkeitsbegrenzung - recht gemächlich. Keine Raser, keine Rowdies. emoticon08 Ein kurzer - kostenpflichtiger - Tunnel unterquert in Osten der Metropole die Themse von Süden nach Norden. Der Gegenverkehr darf die sehr viel imposantere Brücke über dem Fluss nutzen, auf die ich mich insgeheim schon gefreut hatte. So kann ich auf dem ganzen Orbital nur einen flüchtigen Blick auf die Vororte Londons erhaschen, Tower Bridge und Westminster Abbey lassen sich in weiter Ferne noch nicht einmal erahnen. Das Fahren strengt heftig an. Nicht wegen des Linksverkehrs, sondern wegen der schmalen Fahrbahnen.

Ich will so schnell wie möglich nach Norden!

Zumindest die Orientierung ist kein Problem. GPS und NAVI sind völlig überflüssig, an jeder Wegweisung ist "The North" ausgeschildert und führt uns zuverlässig weg von London über Northampton und Leicester nach Leeds und Richtung Newcastle, der letzten Großstadt vor der schottischen Grenze. Immerhin 580 Kilometer kann ich an diesem Tag verbuchen, als ich abseits der Autobahn an einer Hofeinfahrt mein erstes Nachtlager auf britischen Boden aufschlage. Keine sehr gute Wahl, wie sich später herausstellt, denn die ganze Nacht über brausen Autos und LKWs vorüber, obwohl die Straße nur als winziges Seitensträßchen in der Karte vermerkt ist.

Dudelsackspieler Nach der etwas unruhigen Nacht möchte ich heute auf jeden Fall die Grenze erreichen. In weitem Bogen geht's rund um Newcastle in den Northumberland National Park. Von einem Kilometer zum nächsten ändert die Landschaft Ihr Aussehen, wird herber, die Hügel kahler, die Wiesen seltener. Erster Vorgeschmack auf die schottischen Highlands, aber noch fest in englischer Hand. Ein paar Hügel weiter, bei Carter Bar ist die Grenze erreicht. Unübersehbar.

Zwei riesige Felsbrocken markieren die Grenze, hier das rote Kreuz auf weißem Grund für England, dort das weiße Diagonalkreuz auf blauem Grund für Schottland. Wie im kitschigsten Touristenprospekt begrüßt ein Dudelsackspieler die Reisenden und verdient sich ein ­ wohl nicht zu knappes ­ Taschengeld hinzu. Hatte ich seit der Fähre noch keinen einzigen Reisenden zu Gesicht bekommen, treffe ich hier innerhalb von zehn Minuten auf fünf Busse voller Touristen und eine ganze Handvoll Individualreisender. "Welcome to Scotland".

Wie bei einer richtigen Grenze, werden sie Straßen plötzlich besser und breiter. Es ist nicht mehr weit bis Jedburgh, das mit seiner alten, zerstörten Abtei aus dem 12. Jahrhundert wirklich etwas hermacht.Man kommt sich ins 17. oder 18. Jahrhundert zurückversetzt. Bildhübsche, viktorianische Bauten aus hellem Sandstein allenthalben, dazwischen das House of Mary, Queen of Scots, wo Maria Stuart 1566 wohnte. Im Alter von 6 Jahren war sie Königin der Schotten geworden, endete aber ­ wie viele andere Herrscher vor und nach ihr ­ auf dem Schafott.

Jedburgh Abbey Jedburgh war eine der vielen wehrhaften Border-Abteien (Grenzland-Abtei), die jahrhundertelang die Grenze zum Erzfeind England bewachten und verstärkten. Zur Strafe wurden sie von denen immer wieder niedergebrannt und zerstört. Hatten die Schotten wieder die Oberhand, bauten sie die Abteien flugs wieder auf. Trotz des wiedererstarkten schottischen Nationalismus sind die Abteien heute nur noch sehenswerte Relikte vergangener Tage. Das imposanteste in Jedburgh ist aber nach wie vor die verfallene Abtei, die - wie die anderen Borderabteien in Melrose, Kelso und Dryburgh - beredt Zeugnis von den jahrhundertelangen Kriegen zwischen Engländern und Schotten ablegt.

Melrose Abbey Noch ein kurzer Einkauf im Supermarkt, dann geht's gleich weiter nach Melrose, keine 20 Kilometer entfernt und die zweite der großen Abteien. Auch sie mächtig zerstört. Auch sie mächtig imposant. Auch sie prächtig restauriert und dokumentiert. Selbst ich kann mich gut in das damalige Leben der Mönche und Bauern hineinversetzen, bevor die Abteien von den Engländern zerstört wurden, um die Schotten in die Knie zu zwingen. Keine einfachen Zeiten damals! Selbst heute noch sind viele Schotten stolz auf Ihre tapferen und freiheitsliebenden Vorfahren. Nur zu gerne würden viele die englische Fahne gegen die schottische tauschen wollen. Parallelen zur ebenfalls weiß-blauen bayerischen Fahne kommen mir in den Sinn ...

Telefonzelle Das Navi bringt mich sicher aus Melrose und Selkirk hinaus auf ein schmales Sträßchen ins Moffat River Valley und zu den Seen von St. Mary. Zum Loch St. Mary ­ sorry. Selbst der Himmel hier oben ist schottisch weiß-blau, allerdings mit einem gehörigen Schuss grau.

Aber erst heute Nacht fängt es an, wirklich zu regnen.

Fußnoten:
(die Nummern führen zurück zur jeweiligen Textpassage ...)

[1] Frei nach dem Motto einer Destillery in Lochmaddy (Isle of Skye): "Today's Rain is Tomorrow's Whisky"